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Grabesruhe
Mit Grabesruhe legt der Knaur- Verlag inzwischen den dritten Fall des Harry Dresden vor. Spätestens mit dem dritten Band einer Reihe muss der Autor beginnen, sein Universum zu extrapolieren und vor allem über den Erfolg der ersten beiden Bücher hinaus zu planen. Auf der einen Seite muss der Plot weiterhin spannend sein und vor allem alle die Elemente enthalten, mit denen der Leser inzwischen die Serie identifiziert, auf der anderen Seite ist es jetzt notwendig, in diese bekannte und manchmal sehr steife Schema neue Impulse einfließen zu lassen. Mit Grabesruhe greift Jim Butcher viele Ideen und Ansätze aus den ersten beiden Romanen wieder auf und fügt sie zu einem komplexeren, größeren Bild der Serie zusammen. Das beginnt schon damit, dass der Magier zum Mieten im Grunde über den eigenen Hals hinaus sich mehr und mehr mit allen möglichen Geistern abgeben muss. In seiner Heimatstadt Chicago verlassen sie inzwischen in Scharen ihre Gräber. Mehr als Harry je gesehen hat und viel mehr, als er zusammen mit seinem Freund Michael Carpenter wieder zur dann hoffentlich ewigen Ruhe schicken kann. Außerdem werden die Geister immer aggressiver. Anscheinend provoziert jemand die verstorbenen Seelen. Dieser Unbekannte versucht das brüchige Gleichgewicht zwischen der Menschenwelt und der Geistersphäre zu destabilisieren. Seine Pläne sind über weite Strecken des geradlinigen Plots für Harry Dresden im Dunkeln, doch er befürchtet, es könnte eine Verbindung zwischen diesen Erscheinungen und einem Ritual geben, das Harry von einigen Monaten zusammen mit Michael Carpenter abgehalten hat.
Waren die ersten beiden Bücher der Serie eher lakonisch geschriebene Krimis mit einer übernatürlichen Note, wirkt Grabesruhe von Beginn an eher kompliziert als komplex. Die auf verschiedenen Ebenen ablaufenden Parallelhandlungen umfassen nicht nur Geister, sondern auch Vampire und wiedererweckte Zombies. Immer wieder unterbricht Jim Butcher den übergeordneten Spannungsbogen, um kleinere Episoden und Erlebnisse einzuschieben. Das macht zu Beginn des Romans noch Sinn, insbesondere Neuleser müssen sich ja erst an die einzigartige Welt des Harry Dresden gewönnen. Im Verlaufe des Plots wäre es dann aber sinnvoll gewesen, die Handlung zu straffen und sich alleine auf Harry Dresden und seine Verwandtschaft zu konzentrieren. Mit seiner übel gelaunten Tante Leu taucht eine Figur auf, die ein vor langer Zeit im jugendlichen Übermut gegebenes Versprechen von Harry Dresdens Seite allzu gerne einlösen möchte. Bislang konnte sich Harry sehr erfolgreich und vor allem trickreich dagegen wehren. Diese Idee erinnert allerdings an die zahllosen Plots in der erfolgreichen Hellblazer Comicreihe, in welcher Constantine auch immer wieder den übergeordneten Mächten ein Schnippchen schlägt und mit seinen Tricks die angestrebten Ziele erreicht. Unabhängig davon, dass ihm irgendwann eine satte Rechnung präsentiert wird. Überhaupt, wer sich sehr gut im Hellblazer Universum auskennt, wird auf einige Ideen in den Harry Dresden Romanen stoßen, die nur ein wenig variiert direkt aus den Comics stammen. So ist Dresden auch ein Mann, der zwar eine Frau liebt, aber aufgrund seiner Fähigkeiten, seines Schicksals und vor allem seines Lebens im Grunde nicht ein verheirateter zufriedener Ehemann sein kann und sein will. Wie Constantine ist Dresden nicht in der Lage, der Frau seines Herzens der Reporterin Susan Rodriguez seine Gefühle zu gestehen, auch wenn er zumindest vor Michael Carpenter eifrig am Üben ist. Auch wenn Butcher in seinem rasanten Plot eher elegant über diese Episoden hinwegschwebt, um sich gleich an die nächste Geisterjagd zu machen, wirken sie wenig originell. Insbesondere da er seine weibliche Hauptfigur zum wiederholten Male auf die Stufe eines eindimensionalen Klischees reduziert.
Im Vergleich zu den ersten beiden Büchern ist Grabesruhe plottechnisch nicht so nihilistisch dunkel geschrieben worden. Mehr und mehr nähert sich Jim Butcher klassischer Spannungsliteratur und scheint sich mehr einem potentiellen Mainstreampublikum ölffnen zu wollen. Im Gegensatz zu diesen plottechnischen Veränderungen wird allerdings die bestimmende Figur des Harry Butchers dunkler. In den ersten beiden Bänden hat der Autor diese dunkle Seite seiner Macht mehr impliziert. Der Leser weiß, dass Harry Dresden einzigartig ist. Er ist schließlich nicht umsonst der einzige Magier, der sich ins Telefonbuch unter M hat eintragen lassen. Aber diese Begegnung mit dem Übernatürlichen verfügten auch immer über ein spielerisches Element, nicht umsonst haben viele die Plots als Marlowe trifft Geist zusammengefasst und damit nicht Unrecht gehabt. Mit einer Tante Lea wird der Bogen zu seiner Jugend geschlagen. In seinem Plot schlägt Butcher schließlich den Bogen zu einer Situation, die für Harry Dresden Erinnerungen an das Ende seiner Lehrzeit erwecken. Wieder muss er eine Entscheidung treffen. In seiner Jugend hat er den Weg mit dem wenigsten Widerstand gewählt. Dieses Eintreten in einer Art Möbiusschleife ermöglicht es dem Autoren, sich von einer gänzlich neuen Perspektive der Figur zu nähern und gleichzeitig dessen Vergangenheit zu enthüllen. In so weit ist der Roman von seinem Plot her deutlich leichter, da aber die dunklen Schatten von Harry Dresdens Vergangenheit genommen wird, wirkt die Hauptfigur deutlich dreidimensionaler und vor allem überzeugender als in den vorangegangenen Romanen. Mit dieser Verschiebung der Perspektive weicht Butcher einer Aufweichung seiner Serie aus. Auch die Beziehung zu Susan wird vordergründig auf eine neue Ebene gestellt. Aber während sich Harry Dresen endlich durchgerungen hat, Susan seine Gefühle zu offenbaren, ist sie ebenfalls in ihrem Leben einen Schritt weitergegangen. Sowohl für Harry als auch den Leser eine kleine Überraschung. Jim Butcher hat sich entschlossen, gegen das Klischee zu dem Susan insbesondere im zweiten Band der Serie zu werden drohte agieren und das klassische Sidekickimage aufzulösen. In diesem Fall ist der Schritt notwendig, damit er den vom Leser geliebten Harry Dresden behalten kann, der mit seiner Mischung aus Zynismus und Melancholie, seinen trockenen Sprüchen diese verbergen die empfindliche Persönlichkeit und seiner großen Schwäche für Frauen in Schwierigkeiten, ein Abbild des klassischen hard boiled Detectivs a´la Sam Spade ist und bleiben muss. Diese Mschung aus hard boiled Krimis insbesondere im Original ist die stilistische Hommage an die Chandler oder Hammett der dreißiger Jahre hervorragend gelungen und Gruselgeschichte wird mit jedem neuen Roman zu einem kompakteren Universum, in dem sich Jim Butcher als Autor auch mit diesem vorliegenden Buch mehr und mehr richtig zu bewegen beginnt.
Grabesruhe ist eine interessante Mischung zwischen inzwischen vertrauten Elementen und der zwangsläufig notwendigen Veränderung, um seine Serie frisch zu halten. Das sich Jim Butcher entschlossen hat, weniger im Plot, sondern nuanciert seine Protagonisten zu verändern, spricht für ihn als Autoren. Viele andere Serienautoren machen den Fehler, ihren Protagonisten in immer mehr übertriebene und waghalsige Abenteuer zu stürzen, in denen sich schließlich die individuellen Charakterzüge verlieren. Der Plot von Grabesruhe ist trotz aller Komplexität im Vergleich zu den vorangegangenen beiden Büchern sehr stringent. Die Parallelhandlungen dienen rückblickend nur dazu, um Harry Dresden zu einem bestimmten Ort zu bringen und vor allem vor eine wichtige Entscheidung diese zum zweiten Mal in seinem Leben zu stellen. Über diese spannend geschriebene, aber teilweise ein wenig zu flapsig erzählte Handlungsebene hinaus kümmert sich Jim Butcher in erster Linie um seine beiden Hauptfiguren. Graesruhe ist nicht der ideale Einstieg in die Serie. Es wäre sicherlich sinnvoller, Harry Dresdens Stärken seine Dickköpfigkeit, unter jeden Umständen unbedingt das richtige Machen zu wollen und seine Schwächen hübsche Frauen aus gefährlichen oder unübersichtlichen Situationen zu retten, auch wenn es den eigenen Kopf kostet in einem der ersten beiden Abenteuer kennenzulernen, der dritte Band ist aber eine interessante Extrapolation der Serie und verfügt über die bislang auch literarisch besten Szenen der dunklen Fälle des Harry Dresden.
16. Okt. 2007 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

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