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Rückkehr nach Erdsee

RÜCKKEHR NACH ERDSEE

Buch / Science-Fiction

1968 erschien mit A Wizard of Earthsea der erste Band, der die Leser in Ursula Le Guins Erdsee entführte. 1971 folgte The Tombs of Atuan, 1972 The Farthest Shore. Dann musste man 18 Jahre warten, ehe Tehanu 1990 die Geschichte weiter erzählte. Le Guin meinte damals, dieses Buch wäre das letzte; sie habe das Gefühl, der Zyklus sei "im Jetzt angekommen”. Doch 2001 überraschte sie ihre Leser mit Tales of Earthsea (2001). Der Wechsel zur kürzeren Form erlaubte ihr, durch verschiedene Epochen der Geschichte ihrer imaginären Welt zu streifen - zum Beispiel erfährt man in Der Finder (eigentlich schon einem Kurzroman), wie die Zauberschule von Rok gegründet wurde. Zugleich kündigte Le Guin im Vorwort zu dieser Sammlung einen neuen Roman an: The Other Wind, nun endlich auch auf Deutsch zu lesen (leider unter einem Titel, der kaum Beziehung zum Text hat). Seit fünfunddreißig Jahren erzählt die Autorin also schon von der Erdsee; der Magier Ged, mit dem alles begann, ist im neuen Buch um die Siebzig, genau wie seine Schöpferin.

The Other Wind knüpft an Ereignisse an, die in The Farthest Shore begannen. Zur Erinnerung: Ged, inzwischen Erzmagier der Erdsee, ging darin mit dem Jungen Lebannen auf eine gefährliche Reise über das Ende der Welt hinaus, denn ein irrer Zauberer, Cob, hatte das Reich der Toten geöffnet, um Unsterblichkeit und Macht zu erlangen. Die Magie verschwand, die Toten gehorchten Cob, bald würden es auch die Lebenden tun müssen. Ged und Lebannen durchquerten das Totenreich, um die Tür wieder zu schließen. Dabei verlor der Magier seine gesamte Macht. Lebannen wurde König des wieder vereinten Westreichs der Erdsee, Ged aber kehrte auf seine Heimatinsel Gont zurück und verschwand aus der großen Politik.
Auch auf die Erzählung Schwebender Drache in Tales of Earthsea sei noch verwiesen, mit 80 Seiten ebenfalls ein respektabler Text: Irian, ein Bauernmädchen, erhält als erste Frau Einlass in die Magierschule auf der Insel Rok, in die männliche Domäne schlechthin. (Echte Magie ist den Männern vorbehalten, Hexen und Zauberweiber werden gering geachtet und nicht ausgebildet - dabei haben Frauen, so Der Finder, die Schule mitgegründet.) Irian wird schnell enttarnt, doch der Meister Formgeber, der im Immanenten Hain (dem Zentrum der Welt) lebt, nimmt sie zu sich. Es ist eine bewegte Zeit, trotz des neuen Königtums, denn der Erzmagier fehlt. Thorion, der mächtige Meister des Gebietens, möchte das neue Oberhaupt der Zauberer werden; auch er ist aus dem Reich der Toten zurückgekehrt, hat aber seine Macht behalten. Andere Meister, unter ihnen der Formgeber, lehnen dieses Ansinnen ab. Doch am Ende ist es Irian, die den Ausschlag gibt. Der Gebieter will sie bei ihrem wahren Namen bannen, aber er kennt nicht ihr wahres Wesen ...
Und nun also The Other Wind. Wir treffen darin Irian wieder, genau wie Ged, Tenar, Tehanu, Lebannen, den Formgeber und andere Bekannte. Unter den neu hinzugekommenen Figuren wäre zuerst Erle zu nennen, ein Dorfzauberer mit der Gabe des Dinge-Heilens. Erle hat seine Frau Lily verloren, doch Nacht für Nacht kehrt er im Traum an die dem Leser gut bekannte Mauer zurück, die Leben und Tod trennt. Dort warten die Toten auf ihn und flehen ihn an, sie zu befreien. Er fürchtet, durch ihn könne das Böse in die Welt Einlass finden; also sucht er auf Rok Hilfe. Die Meister schicken ihn zu Ged. Dieser aber kann nichts tun, denn seine Macht bleibt verloren. Schön gelungen ist der Autorin die Zeichnung des zurückgezogen lebenden einstigen Erzmagiers, der seinen Garten pflegt, seine Ziegen nicht mehr aus dem Kohl rufen kann - dabei war dieser Spruch der erste, den Ged schon als Kind beherrschte - und das Leben eines Weisen führt, mit wacher Sorge um die Welt, doch trotzdem voller Gewissheit, dass dieses Dasein in Selbstbeschränkung das richtige für ihn ist. Ged möchte nicht einmal den Anschein erwecken, er versuche den König zu beeinflussen, deshalb schlägt er alle Einladungen an den Hof aus und bleibt auf Gont, von den Leuten beargwöhnt und gemieden (nur tote Magier werden verehrt, heißt es einmal ironisch). Doch er schickt Erle zum König, wo sich auch seine Frau Tenar und ihrer beider Pflegetochter Tehanu aufhalten (vgl. dazu Wilkos Rezension in SX 32).
Lebannen hat freilich andere Sorgen: Einmal überfallen seit geraumer Zeit die Drachen das Reich, töten zwar niemanden, zerstören aber Felder, Viehbestände, Häuser - die Lebensgrundlage. Sie wollten ihr altes Reich wiederhaben, das die Menschen geraubt hätten, heißt es (und bedeutet etwas ganz anderes, als der Leser vermuten mag). Zum anderen sendet der neue Herrscher der Kargs im Osten der Erdsee seine Tochter, damit Lebannen sie heiratet - was dieser, politisches Ränkespiel, die Fremdheit des Mädchens und den Verlust seiner Freiheit gleichermaßen fürchtend, lange strikt ablehnt. In diese angespannte Situation gerät Erle und berichtet, dass die Grenze zum Totenreich wankt - eine Situation, die Erdsee schon einmal an den Rand des Abgrunds gebracht hat ...

Mehr vom Inhalt möchte ich nicht verraten. Jedenfalls ist genug Spannungspotential in diesem Buch vorhanden; andere Autoren hätten daraus die doppelte, die dreifache Seitenmenge, einen Zyklus gemacht. Ursula Le Guin verzichtet darauf. Sie erzählt wie immer: geradlinig, einfach, mit allen nötigen Details, damit der Leser die Situation lebendig vor sich sehen kann, doch sie enthält sich ausladender Beschreibungen oder Schilderungen; sie wahrt auch im Erzählen das ethische Prinzip der Selbstbeschränkung, das den Erdsee-Büchern als tragende Idee zu Grunde liegt. Und dennoch geht die Geschichte nahe: Man hofft, dass Erle wieder schlafen kann, dass Menschen und Drachen in Frieden leben werden, dass Lebannen und die Prinzessin (sagen wir’s ruhig!) sich kriegen - ja, man hofft wider besseres Wissen sogar, dass Ged seine Macht zurückgewinnt ... Die Leute im Buch sind eben glaubhaft. Sie reden nicht heroisch, ihre Sprache ist einfach, genau wie die Erzählerrede - aber gerade das wirkt nach. Sie machen Fehler und verbessern sie. Sie können sich einigen. Sie sind, kurz gesagt, sympathisch.
Ursula Le Guins Bücher wirken auf mich immer "östlicher” (aber "östlich” wirken auch "westliche” Denker, Meister Eckart etwa oder Epiktet): Gelassenheit, Ruhe, das Sehen hinter den Schleier der Maja, das Erkennen der wirklich wichtigen Dinge bietet die Autorin als Lebenshaltung an. Sein statt Haben, Selbstbeherrschung statt Macht, Friedfertigkeit statt Aggression. Sie konfrontiert - das fällt in vielen Büchern auf - die "westliche” Lebensweise mit einer anderen, möglichen (wie jener der Maz in The Telling oder der Odoaner in The Dispossessed). Hier nun kommen wieder die Drachen ins Spiel, die einst die Wahl trafen, auf dem anderen Wind zu fliegen. Die Menschen wählten etwas anderes. Ein Vertrag wurde geschlossen - doch die Bewohner des Westreiches hielten sich nicht daran ...
The Other Wind ist also ein echtes Le Guin-Buch: Es fragt nach dem, was jemand vom Leben erwartet oder aber haben will, eine Entscheidung, die man falsch treffen, doch korrigieren kann - wenn man den guten Willen dazu hat. Es lebt aus der Idee, sich selbst und der Welt nichts anzutun. Es ist, wie stets, eine Geschichte von Menschen, auch von solchen im Hier und Jetzt.

The Other Wind © 2001 by Ursula K. Le Guin, übersetzt von Joachim Pente 2003, 282 Seiten, _ 7,95, ISBN 3453861698

01. Nov. 2006 - Peter Schünemann

Der Rezensent

Peter Schünemann

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