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Fiebertraum

FIEBERTRAUM

Buch / Düstere Phantastik

Oja, George R. R. Martin kann schreiben, unbestreitbar. Ich las bisher von ihm die "Seuchenstern"Story um den gewitzten Raumhändler Haviland Tuf, die vor Action, aber auch Witz, nur so sprüht, und den WerwolfRoman "Maskerade", der mich gleichfalls stark beeindruckte, nicht nur der spannenden Handlung wegen, sondern auch deshalb, weil er um Verständnis für die Werwölfe bemüht ist, sie nicht als dämonische Geschöpfe der Finsternis darstellt, sondern einfach als eine physiologisch andere Spezies, unter deren Angehörigen es wie unter denen unserer Rasse gute und böse gibt. Clubmitglieder, die sich "Armageddon Rock" zu Gemüte führten, zeigten sich ebenfalls begeistert, obwohl der Roman an sich "keine richtige SF" sei. Ich werde mir nach der Lektüre von "Fiebertraum" diesen anderen "dicken Martin" auf gar keinen Fall entgehen lassen!
Denn: Selten einmal hat mich ein Vampirroman so begeistert wie dieser. Gut, ich kenne "Kinder der Nacht" von Dan Simmons nicht, den Thomas Hofmann in SX 47 ebenfalls sehr lobt, aber Martins Werk erscheint mir so gut, daß es einen Vergleich sicherlich nicht scheuen muß. Das Geschehen bleibt nicht nur von Anfang bis Ende spannend. Nein. Das allein ist es nicht.
Martin bedient sich wieder des "Maskerade"Konzeptes. Auch seine "Vampire" (das Wort muß in diesem Fall in Anführungsstrichen stehen) sind nicht das, was sie scheinen. Silber, Kreuze, Weihwasser, Knoblauch? Einfach lächerlich; das schadet diesen Wesen überhaupt nichts, die unsagbar alt werden können, dem Menschen physisch weit überlegen und überhaupt die ältere Rasse sind eine Rasse, die Blut trinkt, wenn sie einmal im Monat vom "roten Durst" überfallen wird; ebenfalls eine physiologische Besonderheit, kein Teufelswerk. Aber die Angehörigen dieses alten Volkes sind wenige, und ihre Zahl verringert sich ständig; die Menschen jagen sie. Das erscheint nur natürlich. Als die Jüngeren nämlich vor Urzeiten in die Welt kamen langsamer und wehrloser als jedes Tier , da wurden sie zur willkommenen Beute der Älteren, und sie hatten dagegen nur zwei Waffen ihren Intellekt und ihre große Zahl. Die Älteren hatten nie sonderliche Denkleistungen zu vollbringen, alles Leben beugte sich ihrer Macht, sie stellten die wahren Meister der Natur dar. Die Jüngeren jedoch mußten, um zu überleben, ihren Verstand gebrauchen, und sie schufen damit all das, dessen sich dann auch die "Vampire" bedienten. Doch diese nannten unsere Art nach wie vor das "Vieh", töteten es, wie wir ein Rind töten würden bis die "Tiere" sich wehrten; wie, das weiß man seit "Dracula" obwohl Vlad Tepes, das wird im Text betont, keiner von der älteren Rasse war. Noch etwa einhundert dieser Wesen sind zur Zeit des Romans übrig. Dieser spielt meist im Jahre 1857; nur die Schlußkapitel greifen bis ins Jahr 1870 hinein.
Um sofort eine Stärke des Werkes zu nennen: Der überwiegende Teil der Handlung trägt sich auf den Dampfschiffen zu, die Mark Twain so gut kannte (s. Anm.), und das FlußKolorit ist einmalig getroffen. Man glaubt jede Zeile. Da ich früher sehr gern Twain gelesen habe, muß ich fast sagen: Bisweilen störte mich die "Vampir"Handlung nahezu Martin fesselte mich mit seinen Schilderungen des Flußlebens so sehr, daß die Kämpfe des Nachtvolkes mitunter einen "Nanu, was soll das denn jetzt?"Effekt auslösten.
Hauptfiguren sind Abner Marsh, ein Dampfschiffkapitän und reeder, Josuah York, der "gute" Blutmeister (so nennen die Älteren ihre Anführer) und dessen großer Gegenspieler Damon Julian, ebenfalls Blutmeister, nur älter und mächtiger. Aber es war vor allem ersterer, mit dem der Autor mich beeindruckte. Marsh ist herrlich urwüchsig gezeichnet, an diesem Mann wirkt alles wie aus einem Guß. Beinahe ein Antiheld: dreihundert Pfund schwer, rauhbeinig, bärbeißig, häßlich, warzig. Wer nun aber an das berühmte goldene Herz unter der rauhen Schale denkt, der hat sich geirrt. Marsh ist im Grunde (nicht nur zu Anfang, sondern über weite Strecken des Romans) ein "verdammter Yankee", der nur seinen Fluß, seine Dampfschiffe und seinen Profit im Kopf hat (in dieser Reihenfolge). Er frißt, er flucht, er verabscheut die "Bibelschwinger" und die Abolitionisten, hat zwar selbst keine Sklaven, aber auch nichts gegen die Sklaverei. Seine Vergangenheit: nicht nur hell und fleckenlos. Sein größter Traum: mit einem seiner Schiffe ein Rennen gegen die schnelle "Eclipse" zu gewinnen. Einmal war er nahe dran, hatte einen ausgezeichneten Dampfer, doch der wurde in einem strengen Winter vom Packeis zerquetscht, genau wie die meisten anderen Schiffe seiner Reederei. Als die Handlung beginnt, besitzt der "Cap'n" nur ein altes Heckradboot, im Zeitalter der Seitenraddampfer nicht gerade der letzte Schrei.
In dieser Situation nun tritt Josuah York an ihn heran, der über märchenhaft viel Geld verfügt, und schlägt ihm eine Partnerschaft vor: den Bau des größten und schönsten MississippiSchiffes, das dann unter Marshs Leitung mit York als gleichberechtigtem zweiten Kapitän den Fluß befahren soll. So entsteht die "Fiebertraum" (der Name stammt von Marsh). Zwar hängen einige seltsame Bedingungen an diesem Angebot, doch nichts Ungewöhnliches, und der vampirmäßig ungeschulte Leser, welcher sich den Rücktext der diesmal stimmt geschenkt hat, merkt erst relativ spät genau wie der wackere Cap'n , was eigentlich los ist. Doch der urwüchsige Flußschiffer, der sehr geradeheraus und, einmal zu einem Entschluß gekommen, diesem auch treu wie Gold ist, kommt allmählich langsam, aber gründlich denkend darauf, daß hier einiges faul ist, und er zwingt seinen Partner, die ganze Geschichte zu erzählen. York tut das nur zu gern. Er hat nämlich ein Elixier gefunden, das seiner Rasse gegen den "roten Durst" hilft. Und das bedeutet letzten Endes: Überleben. Nie mehr töten müssen, also weniger in Gefahr sein, entdeckt und dann selbst getötet zu werden. Josuah York denkt sogar an eine nutzbringende Partnerschaft zwischen den (dann) ehemaligen "Vampiren" und ihrem ehemaligen "Vieh". Also will er die letzten Mitglieder seines Volkes sammeln, die sich in den USA aufhalten, seit in Europa der Boden zu heiß wurde. Aber in seinem Weg steht Damon Julian, dem die alte blutige Lebensweise ganz gut gefällt.
Marsh, als er die ganze Geschichte kennt, sagt weiterhin Ja zur Partnerschaft Ein Anfang zur Versöhnung scheint gemacht. Aber dann naht die ihre härteste Probe für die Kraft der neuen Vernunft: die direkte Konfrontation der beiden Blutmeister. Und da ist ja auch noch das Rennen mit der "Eclipse", nach dem der Cap'n so sehnsüchtig fiebert ...
Wer nun meint, die Handlung folge dem Klischee "Am Anfang geht's schief, aber am Ende gewinnen die Guten, wenn auch nur knapp", der wird sicherlich enttäuscht werden. Berechenbar im ganzen Roman ist nur einiges am Wesen von Abner Marsh: er vergißt eine Kränkung nicht so leicht, er brennt für seine "Lady", die "Fiebertraum", und sein Wort gilt, Ehrlichkeit des Partners vorausgesetzt. Alles andere bleibt stets offen, bis zum Schluß. Die Figuren sind am Ende nicht alle mehr das, was sie am Anfang scheinen; der Schluß ist radikal von Anfang und Mitte getrennt. Interessant auch, wie George R. R. Martin die Frage des Rennens löst; für mich ein ganz bemerkenswertes Detail des Werkes, denn der Rennen gibt es ganz verschiedene. Abner Marsh gewinnt eins. Mehr möchte ich allerdings nicht verraten. Jedenfalls wird man ständig überrascht. Fast nichts läuft nach Strickmuster ab, und doch oder gerade deshalb wirkt alles ständig glaubhaft, begründet, echt. Auch die Entwicklung, die Marsh durchmacht. Nicht allzu oft entwickeln sich in SFRomanen lebendig gezeichnete Menschen wirklich glaubhaft weiter. Marsh ist einer von diesen wenigen; schon allein deshalb freue ich mich, den Roman gelesen zu haben.
Der, wie gesagt, mit unerwarteten Wendungen aufwartet und so stets die Spannung erhält, keine äußerliche, sondern eher eine von innen heraus; und die ist es (nicht nur meiner Meinung nach), die ein Werk auch mehrmals lesenswert macht. Eins weiß ich genau: "Fiebertraum" werde ich weder verkaufen noch von nun an im Bücherregal ungestört einstauben lassen ...

Schlußsatz: Ich schreibe diese Rezi drei Tage nach dem Kauf von des Buches. Zur Zeit ist es (auch in fast sehr bis sehr gutem Zustand) noch an den Remittendenkisten für 2,95 bis 3,95 zu haben. Vielleicht auch noch dann, wenn diese Rezi erscheint. Nichts wie hin! Es lohnt sich.

Anm.: Mich wundert, daß keiner der Texter reißerischer deutscher Titel auf die Idee gekommen ist, das Buch analog zu Twain "Sterben auf dem Mississippi" zu nennen.

. Fevre Dream, George R.R. Martin 1982, München 1991, ca. 540 S., DM 16,80

Kleine George R. R. Martin Bibliographie:
"Der Seuchenstern", engl. Plague Star, 1985, in "Kopernikus 14", Moewig SF Nr. 3694, Rastatt 1986, hier ca. 90 S., sowie im Heyne Science Fiction Jahresband 19.. , Nr. 06/.... , München
"Maskerade" , engl. The Skin Trade, 1988, im HeyneBand "Nachtvisionen" (Allg. Reihe 8098), München 1990, ca. 135 S.
"Armageddon Rock", engl. Armageddon Rag, Heyne SF 06/4595, München 1989, ca. 551 S., DM 14,80.

02. Nov. 2006 - Peter Schünemann

Der Rezensent

Peter Schünemann

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