Roter Staub
| ROTER STAUB
Buch / Science-Fiction
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Reingefallen! Dabei war die KurzInfo über "Roter Staub" im HeyneKatalog sooo interessant: Westen scheitert auf dem Mars mit TerraformingProjekt; China schickt mißliebige Tibeter dorthin; die haben zunächst Erfolg doch fünfhundert Jahre später kehrt der Staub zurück. Was erwartete ich also? Ein Geschichtsepos: die Deportation von Tausenden Tibetern auf den Roten Planeten deren mühsame Versuche, die neue Welt zu kultivieren schließlich, in der zweiten Zeitebene, den großen Rückschlag. Gerade weil mich das aktuelle Thema "China Tibet" sehr beschäftigt, hätte ich seine SFUmsetzung reizvoll gefunden. Aber leider flopt McAuleys Buch in dieser Hinsicht auf der ganzen Linie. Erstens kommen Tibeter nur am Rande vor; die Hauptfiguren sind der junge Chinese Wei Lee, das chinesische Mädchen Chen Yao, der Cowboy Redd und zwei Söldnerinnen vom afrikanischen Typus. Zweitens laufen die großen Auseinandersetzungen zwischen unterdrückten und regierenden Chinesen ab: McAuley spiegelt die Probleme Chinas mit der Demokratie und das große "Rollback" auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989. Drittens gibt es keine historischen Ausflüge: Die ganze Handlung spielt in der Zeit, in der sich die Marsgesellschaft bereits wieder auf ihrem Niedergang befindet. Insofern: eine einzige Pleite.
Was bleibt übrig?
Ein actionbetonter Roman mit fernöstlichen Beigaben, alles fein verquirlt in rotem Marsstaub. Wei Lee, die zentrale Figur des Textes, arbeitet als Wandertechniker in den Marssiedlungen. Er ist eine Waise, doch etwas an seiner Biographie scheint nicht zu stimmen. Lee hätte das Wanderdasein nämlich gar nicht nötig; sein Urgroßvater gehört zu den mächtigsten Männern des Mars. Aber das verwandtschaftliche Verhältnis ist getrübt; außerdem gibt es da das Rätsel um den Tod von Lees Eltern. Natürlich versucht der Sohn, es zu lösen ebenso natürlich kollidiert er dabei mit dem Urgroßvater.
Und dann finden Lee und seine Freunde eine abgeschossene AnarchistenPilotin. Sie können sie retten, doch fällt die Frau in die Hände der Regierungstruppen. Lee flieht mit ihr, bemerkt aber bald, daß er in ein böses Spiel geraten ist ... So beginnt seine Odyssee, die ihn um den halben Planeten herumführt und schließlich im Informationsraum des Mars endet: beim Showdown mit dem "Kaiser", einer Art übermächtiger MatrixFigur. Bis es soweit ist, lernt er auf der Flucht die skurrilsten Typen kennen und besteht ein Abenteuer nach dem anderen. McAuley gliedert die 509 Seiten in 80 (!) Kapitel; bereits das zeigt, daß er eine recht rasante Schreibweise bevorzugt. Ständig kippt die Situation; immer aufs neue verzweigt und vernetzt der Autor die Wege seiner Figuren. Dazu gibt er fernöstliches Feeling und garniert das Gemisch mit einer MatrixWelt, welche an Cyberpunk oder Shadowrun erinnert. In dieser Welt lebt der "King of the Cats" ein zur mythischen Größe übersteigerter Elvis Presley, der sich von Jesus Christus chauffieren läßt. Dieser ÜberElvis erscheint als die einzige feste Größe im Gefüge. Er ist praktisch immer anwesend: seine Sendungen erklingen direkt in Wei Lees Kopf.
Eine Vielzahl von Wirrungen, Umschwüngen, Geheimnissen breitet dieser Roman vor dem Leser aus. Dennoch tat McAuley des Guten hier und da zuviel, meine ich. Das kann aber auch daher rühren, daß ich mich in den Zimmern alter englischer Landhäuser, wo das Böse haust, mehr daheim fühle als in einem chinesischmarsianischen Informationsraum. Andere Leser mögen anders urteilen und den Roman Spitze finden.
Angenehm wirkt dessen Hardcover, über das ich nicht schlecht staunte: ungewohnt in Heynes SF&FReihe. Experimentiert der Verlag? Eine durchaus lobenswerte Idee wir alle wissen, wie der Rücken eines viel gelesenen Taschenbuches mit der Zeit ausschaut. Hardcover schafft da Abhilfe, zweifellos. Nur hebt es auch den Preis; oder sind DM 19,90 für gut 500 Seiten jetzt schon normal? Trotzdem, ich würde für das Buch eines Lieblingsautors auch etwas mehr auf den Tisch legen, wenn es ein wenig haltbarer ist. Aber kann der Verlag eine HardcoverEdition durchhalten?
Wie dem auch sei: "Roter Staub" nimmt sich optisch sehr gut aus. Und es ist ja auch keins der schlechtesten Bücher. Daß ich mich wieder einmal! vom Klappentext irreführen ließ ... tja, selbst schuld!
02. Nov. 2006 - Peter Schünemann
Der Rezensent
Peter Schünemann
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