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Lobgesang auf Leibowitz

LOBGESANG AUF LEIBOWITZ

Buch / Sekundärliteratur

Ein Brocken, dieses Buch! Es dürfte wohl das einzige sein, das ich in zwei Etappen gelesen habe, zwischen denen etwa ein halbes Jahr verging. Nun, man kann das durchaus so machen; entstand "A Canticle for Leibowitz" doch zuerst in Form von drei Kurzromanen. Miller veröffentlichte diese zwischen 1955 und 1957 im Magazine of Fantasy & Science Fiction. 1960 faßte er sie zusammen, erweiterte sie und veröffentlichte "den wohl berühmtesten Nachatomkriegsroman" (Heyne SFLexikon, München 1988, S. 731). Wo immer man auch etwas über dieses Buch liest alle Besprechungen zollen ihm höchstes Lob. Und das mit Recht. Nicht nur, daß "A Canticle for Leibowitz" aus der großen Masse der damals erschienenen SF herausragt das Buch setzt bis heute Maßstäbe in der Art, wie das Thema behandelt wird. Der Einfluß dieses Werkes ist bis in die deutsche SF hinein ablesbar Carl Amery in "Der Untergang der Stadt Passau" und Georg Zauner in "Die Enkel der Raketenbauer" gestalten die PostDoomsdayProblematik auf den Spuren von Miller jr. Wie dieser wählen sie einen einen nüchternironischen Stil und beschreiben den banalen Alltag einer späteren Zivilisation, Bei Zauner sind es gar ebenfalls Mönche, die im Mittelpunkt stehen; Mönche, welche von der sicheren Basis ihres Glaubens aus das Frühere erforschen und so bewahren.
Auch in Millers Werk beginnt und endet alles mit den Mönchen. Im ersten Teil ("Fiat Homo") erfahren wir die Geschichte des Francis Gerard von Utah, eines Novizen im Orden des seligen Leibowitz. Während seiner Fastenzeit entdeckt er einen unterirdischen Bunker mit "Memorabilien", die im unmittelbaren Zusammenhang mit Leibowitz stehen also Reliquiencharakter tragen. Dummerweise kommt Bruder Francis durch einen mysteriösen Pilger zu seiner Entdeckung. Da er von diesem auch noch erzählt, breitet sich natürlich sofort das Gerücht aus, er hätte den Seligen persönlich getroffen. Der etwas tumbe, aber durch und durch ehrliche Francis gerät in die Mühlen höherer Kirchenpolitik: Leibowitz' Heiligsprechung ist immer noch nicht entschieden, und der Vater Abt befürchtet so etwas wie einen nachteiligen Medienrummel, wenn Francis' Geschichte an die Öffentlichkeit dringt. Die Dialoge zwischen beiden enthüllen das satirische Talent des Autors; man muß hier einfach schmunzeln. Unbeirrt von allen Anfechtungen und Schikanen widmet Francis sich fortan dem Kopieren einer Blaupause des Seligen, und nach vielen Jahren erreicht er das Ziel seines Lebens: Er darf nach New Rome ziehen, um dort die Heiligsprechung seines Ordensgründers zu vernehmen.
Was sollen eigentlich die Mönche bei der ganzen Geschichte? Nun, die Idee ist einfach: Der Atomkrieg läßt alle Vereinigungen zusammenbrechen, außer einer: der katholischen Kirche. Das scheint auch durchaus einsehbar, selbst für Nichtkatholiken. Diese Kirche, mögen ihre Strukturen auch verkrustet und starr sein, hat anderen Zusammenschlüssen von Menschen immer noch den Glauben voraus; und in einer Zeit des Zusammenbruchs aller sonstigen Werte ist dieser Wert entscheidend. Zudem überstand diese Gemeinschaft schon einige bittere Schicksalsschläge: weder die Verfolgung durch die römischen Kaiser noch die Reformation und der weltweite Atheismus haben sie untergehen lassen. Da nimmt es nicht wunder, wenn in der Zeit der "Großen Vereinfachung" (der Vernichtung allen Wissens und aller Wissenschaftler) Mönche als Bewahrer fungieren, auf daß noch ein Lichtlein der Erkenntnis brenne in einer dunklen Welt. Wir erfahren, daß der Ingenieur Leibowitz bei den Zisterziensermönchen Aufnahme fand, Priester wurde und schließlich aus New Rome die Genehmigung erhielt, einen neuen Orden zu gründen. Dessen Brüder betätigen sich als "Bücherschmuggler" oder "Einpräger" (erstere sammeln und verbergen Bücher, letztere lernen sie auswendig). So wird ein geringer Teil der Kenntnisse der Menschheit weitergetragen.
Und der Same fällt auf fruchtbaren Boden. Im zweiten Teil ("Fiat Lux") erleben wir, wie einige hundert Jahre später der Gelehrte Thon Taddeo Pfardentrott die Abtei des Heiligen Leibowitz aufsucht, um dort aus den alten Büchern zu lernen. Er gewinnt neue Erkenntnisse, aber nicht nur er: Bruder Kornhoer, ein technikbegeisterter Mönch, erfindet das elektrische Licht zum zweiten Male. Allerdings nimmt nicht nur die Wissenschaft einen neuen Aufschwung. Es haben sich wieder Staaten gebildet, und nach einer langen Zeit wilden Bandenunwesens beginnt der "geregelte", der "zivilisierte" Kampf um die Macht von neuem. Der Leser ahnt bereits, was ihn im dritten Teil ("Fiat Voluntas Tua") erwartet ...
Genug des Geplauders über den Inhalt. Den Lesegenuß verdankte ich bei diesem Buch vor allem der Schreibweise des Autors. Es passiert eigentlich nicht viel wenn man die Geburtswehen, den Aufschwung und die weitere Entwicklung einer postatomaren Zivilisation als "nicht viel" bezeichnen kann. Spannung ja doch keine Action. Macht nichts. Wie Miller jr. uns seine Charaktere vorführt, mit welcher augenzwinkernden Ironie und mit welchem Ernst zugleich, das läßt den interessierten Leser vollkommen vergessen, daß Szenen und Gespräche sich meist nur um banale Alltagsereignisse drehen. Der Autor erfüllt die Figuren mit einem Leben, wie man es nur bei den besseren Romanen des SFGenres findet. Vor allem seine Mönche sprühen vor Vitalität. Bruder Francis, Abt Paulo, Abt Zerchi und ihre Mitstreiter treten äußerst real vor uns auf: fröhlich, traurig, wütend, verwirrt, zielstrebig, einfältig, geistreich, ehrlich, sarkastisch ... Miller jr. zeichnet sie nicht positiv oder negativ er betrachtet gerade die Kirchenvertreter mit Distanziertheit und Liebe zugleich. Zwischen den beiden Polen Religiösität und Wissenschaft bewegen sie sich, genau wie alle anderen Figuren. Der Leser begreift allmählich, daß nach Meinung des Autors das eine ohne das andere nicht sein kann, nicht sein darf. Als Dom Paulo die künftige Entwicklung der Welt vorausahnt und sich besorgt fragt: "Warum muß das alles wieder von vorn beginnen?" da antwortet er sich selbst: "Die Antwort lag auf der Hand. Die Schlange war noch da und flüsterte: Denn Gott weiß, daß, welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan, und werdet sein wie Gott. Der alte Vater der Lüge war geschickt im Erzählen von Halbwahrheiten: woher soll man wissen, wie das Gute und Böse beschaffen ist, wenn man sie nicht ein wenig ausprobiert hat? Versucht es und seid wie Gott. Doch weder unendliche Kraft noch unendliche Weisheit konnten dem Menschen Göttlichkeit verleihen. Denn dabei müßte ebenso unendliche Liebe mitwirken." Ich meine, hier gibt der Autor seine Distanz auf und bringt uns seine eigenen Ansichten nahe.
Die Teile des Buches sind nicht nur dadurch verklammert, daß in ihrem Mittelpunkt der Mönchsorden steht. Miller jr. gestaltet die Verbindung enger. So läßt er hier und da die vorhergegangenen Personen erwähnen: Bruder Francis ist im dritten Buch selbst ein Heiliger geworden; der Dichter (eine Figur des zweiten Teils) wird zur mythischen Figur, zu einem nahezu unbefleckten Poeten (was schön ironisch daherkommt, da der Leser ja Gelegenheit hatte, diesen Mann "wirklich" zu erleben). Und auch etwas Mysteriöses ist beigemischt: der Pilger, welchen Bruder Francis sieht, begräbt diesen fünfzehn Jahre später, taucht als uralter Jude im zweiten Buch wieder auf, als auferstandener Lazarus im dritten. Natürlich mögen das drei verschiedene Personen sein, harmlose Verrückte allesamt aber der Autor läßt es offen; es könnte also auch sein, daß ... So werden die Legende vom Ewigen Juden und die biblische Geschichte der Auferweckung des Toten durch Christus einbezogen. Überhaupt sind Bibelkenntnisse, wenngleich nicht unabdingbar, so doch der Lektüre sehr förderlich. Ebenso wie das Kleine Latinum klar, wie verständigen sich Kirchenvertreter aus verschiedenen Ländern? Leider kann man das in Latein Gesagte nicht immer aus dem Kontext erschließen, und so hätte der Verlag ruhig die Mühe übersetzender Fußnoten auf sich nehmen sollen. Könnte man sagen, und man könnte entgegenhalten, daß gerade durch das NichtVerstehen ein eigenes Flair geschaffen wird. Nicht umsonst führten ja erst die Reformatoren die Messe in der jeweiligen Muttersprache ein. Miller jr. benutzt das Latein sicherlich nicht ohne Grund. Das Buch wirkt dadurch auf jeden Fall authentischer.

Es ist eine sehr lange Rezension geworden, wie ich sehe. Trotzdem nur eine Kurzrezi gemessen an Inhalt, Tiefe und Metaphorik des Werkes. "Lobgesang auf Leibowitz" : keine leichte Kost, aber ein Buch, das ich garantiert nochmals lesen werde; und wohl nicht nur noch einmal.

Walter M. Miller jr.: A Canticle for Leibowitz, 1955 1957 (1960), dt. Übersetzung von Jürgen Saupe und Walter Erev, München 1973 und 1986 (Bibliothek der Science FictionLiteratur), ca. 320 (engbedruckte!) Seiten, damals DM 7,80

05. Nov. 2006 - Peter Schünemann

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Peter Schünemann

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