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Peter Pan und die Einzelkinder

PETER PAN UND DIE EINZELKINDER

Buch / Fantasy

Gilbert Adair: "Peter Pan und die Einzelkinder"
Roman, Softcover, 139 Seiten
Edition Phantasia 2007

Mit Gilbert Adairs “Peter Pan und die Einzelkinder” legt die Edition Phantasia im Grunde keine Fortsetzung zum Klassiker vor, sondern eine interessante Neuinterpretation des ganzen Stoffes mit einer diskussionswürdigen Auflösung, welche den Bogen zum originären Stoff wieder zurückschlägt. Gilbert Adair hat nicht nur den “Peter Pan” Stoff überarbeitet, sondern mit “Alice und das Land im Nadelöhr” einen anderen klassischen Jugendbuchstoff erweitert. In erster Linie ist der 1944 in London geborene Schriftsteller durch seine Krimis bekannt geworden, in denen er unter anderem das Subgenre des “Who done it”, für das Agatha Christie bekannt und berühmt geworden ist, intelligent parodiert hat. Einige dieser Bände sind inzwischen auch auf Deutsch erschienen. Neben einer Hitchcockhomage gehört auch eine umfangreiche Studie zu Thomas Manns “Tod in Venedig” zu seinen Arbeiten.

Während es im ursprünglichen Peter Pan Stoff um den Jungen, der niemals erwachsen werden wollte, gegangen ist, baut Gilbert Adair seinen Kurzroman auf der Idee auf, das niemand eine Insel ist. Mit dieser Verlagerung der Perspektive - am Ende des Buches zieht der Autor den Vorhang noch ein Stück weiter auf und enthüllt die Verbindung zwischen Peter Pan und seinem Schatten Hook - erweitert er geschickt den ursprünglichen Stoff und fügt ihm einige überdenkenswerte Ideen hinzu. Diese verschiedenen Ansätze ermöglichen es Adair sogar, aus dieser Fortsetzung eine Vorgeschichte zu machen. Dazu bedarf es zwar eines eher fragwürdigen literarischen Kniffs, aber das Gesamtbild ist eindrucksvoll und surrealistisch zugleich. Der Weg dahin ist allerdings stellenweise steinig. Die Geschichte beginnt auf einem einsam den indischen Ozean kreuzenden Schiffes, einer kleinen Familie kreuzbritischer Bürger auf dem Weg zurück in die Heimat. Während der steife Vater und die affektierte Mutter am Dinner in der Nähe des Kapitäns teilnehmen, springt ihre Tochter scheinbar ohne Grund über Bord des Schiffes und verschwindet in der Tiefe des Meeres. Die Suchaktion ist ohne Erfolg. Nur ein geheimnisvoller schottischer Schriftsteller versucht den verzweifelten Eltern Mut zu machen. Unter der Oberfläche der ruhigen See dringt Miranda in das Reich Peter Pans ein. Dieser hat sie von Bord gelockt. Er lebt zusammen mit seiner Bande Jungen und einem weiteren Mädchen in einem versunkenen Schiff. Nachdem er seinen Kampf gegen Hook gewonnen hat, ist er schließlich Nimmerland entkommen und hat sich eine neue Heimat aufgebaut. Bislang konnten Waisen - ganz bewusst konzentriert sich Peter Pan auf Einzelkinder - sehr gut leben, aber nach und nach begannen sie zumindest Schwestern, wenn auch nicht die Eltern zu vermissen. Miranda dient quasi dem Leser als Begleiter durch das phantastische Reich, das von einem eher distanzierten, teilweise sogar unsympathischen Peter Pan regiert wird. Durch die Fokussierung der Perspektive gelingt es Adair überzeugend, dieses neue alte Reich zu beschreiben, ohne immer wieder Querverweise auf Nimmerland zu provozieren. Mit dem Einsetzen der Pubertät - in diesem Fall leichtem Bartwuchs - müssen die Jungs Peter Pans Reich verlassen. Ein hartes Schicksal, das als ersten Peter Pans Stellvertreter trifft. Es geht Adair weniger um Kinder, die nicht erwachsen werden wollen, sondern um Jugendliche, die sich mit diesem Entwicklungsschritt nicht auseinandersetzen können, weil ihnen Peter Pan die notwendigen Erfahrungen verwehrt. Im Gegensatz zur Spielwiese Nimmerland ist der Grund des Ozeans nur bedingt ein Paradies. Das Leben ist von ständigen Gefahren bedroht. As sich schließlich ein Krokodil als Hook entpuppt, der in einer modernen Hommage eine Gruppe jugendlicher Schläger befreit und um sich gesammelt hat, strebt der sehr kurze Roman der obligatorischen Auseinandersetzung entgegen. Insbesondere nach der sehr guten Exposition gelingt es Adair stellenweise nur bedingt, die Faszination dieser Welt weiter zu extrapolieren. Nicht selten wirken seine Beschreibungen zu pointiert und zu kompakt, ihnen fehlt eine gewisse warmherzige Phantasie. Immer wieder integriert er relativ raue Passagen - die Quälerei, der sich ein Mitglied von Peter Pans Bande durch Hooks Gesellen unterwerfen muss, sei hier beispielhaft aufgeführt - und insbesondere die natürlich folgenschweren Konfrontation zwischen Peter Pan und Hook wirkt teilweise zu hektisch und zu überambitioniert inszeniert. Wenn Adair schließlich seine Prämisse - “Niemand ist eine Insel” - auf eine überraschende Weise nicht nur relativiert, sondern als Schutzmantel gegen die Wirklichkeit entlarvt, fehlt diesen Szenen teilweise der Nachhall. Vergleicht man den originären Text - insbesondere die Duelle zwischen Hook und Peter Pan - wirkt Adairs Vorgehensweise nicht immer konsequent und überzeugend. Diese Schwächen versucht er mit einer Art Möbiusschleife am Ende seiner Geschichte auszugeichen, aber dieser surrealistisch fast groteske Höhepunkt wirkt ein wenig gequält. Ebenso fragwürdig ist das Faktum, das die Eltern der vermissten Kinder nicht nur einen Dampfer chartern, um teilweise nach Jahren noch einmal nach ihren Kindern zu suchen, sondern das die Einzelkinder inzwischen nicht mehr alleine sind und sich ihren ihnen unbekannten Geschwistern nach der Rettung stellen müssen. Was warmherzig und originell klingen sollte, wirkt insbesondere durch Adairs distanzierte und handlungstechnisch ihn überfordernde Art gestelzt und gequält. “Peter Pan und die Einzelkinder” ist keine schlechte Variante des Themas. Wie die Steven Spielberg Verfilmung “Hook” leidet der Kurzroman aber unter der Tatsache, das die grundlegende Idee sich leichter in wenigen Worten zusammenfassen lässt als sie in Form einer konzentrierten stringenten Geschichte zu erzählen. Gilbert Adair macht nicht den Fehler, die Story gänzlich ernst zu erzählen. Immer wieder unterbricht er mit teilweise sehr pointierten und belustigenden Kommentaren das Geschehen, spricht den Leser direkt an und bringt ihn zum Nachdenken. Diese Passagen hat Joachim Körber sehr gut und fließend übersetzt. Obwohl das Buch nur knappe einhundertdreißig Seiten umfasst, droht Adair seine Leser nach der Hälfe des Stoffes - ausgerechnet mit dem Auftauchen Hooks, der eine Jonasgeschichte von sich gibt und danach an Tiefe deutlich verliert - zu langweilen. Er hätte Peter Pan in der ersten Hälfte des Buches markantere, durchaus vom ursprünglichen Stoff abweichende Züge geben können - wie die Steven Spielberg Verfilmung mit dem überzeugenden Robin Williams als erwachsener, seiner Vergangenheit nicht mehr gegenwärtigen Peter Pan nachdrücklich unter Beweis gestellt hat - und müssen, um den Übergang von Mirandas Sighseeingtour zu eigentlichen Story fließender und packender zu gestalten. Nach blasser ist “Hook”. Während Miranda und die Leser von Peter Pans Enthüllungen überrascht und schockiert sind, scheint “Hook” unverändert an seiner Rache zu arbeiten, welche plötzlich sinnlos und überzogen wirkt. Hier fehlen die notwendigen Rückschlüsse und vor allem weitere Hintergrundinformationen. Stellenweise überspitzt Adair den Antagonisten als Figur bis zu einer Karikatur, dann versucht er ihm wieder Tiefe und Überzeugungskraft zu geben. Dafür ist sein Kurzroman aber zu knapp gehalten und diese Kürze geht vor allem zu Lasten seiner Figuren. Handlungstechnisch benötigt der Autor im letzten Drittel an einigen Stellen fast schon Füllmaterial, um auf eine akzeptable Länge zu kommen. Das Füllmaterial ist teilweise sehr werthaltig, aber die lustlose Art und Weise, in welcher es präsentiert worden ist, ist enttäuschend. “Peter Pan und die Einzelkinder” ist nicht zuletzt aufgrund ihrer Kürze und der kurzweiligen Erzählstruktur eine interessante und lesenswerte Variation des bekannten Stoffes, die aber nur bedingt überzeugen kann und viele gute Ansätze fast leichtfertig verschenkt.

31. Jan. 2008 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/fantasy/isbn3-937...

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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