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Kafka der Golem und Fußball und Prag
| KAFKA DER GOLEM UND FUSSBALL UND PRAG
Buch / Phantastik
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Gegen Ende des Romans, im Untertitel 1 phantastischer geheißen, rafft die Hauptfigur (der Singular ist üblich, aber hier irritierend), ein gewisser K., Paß, Geld und Koffer an sich und rennt aus dem Haus, den Fahrplan hat er schon lange im Kopf. Kafka, der Golem und Fußball in Prag springt ihm aus einem Buchladen entgegen: Die Welt ist klein geworden (In? Weshalb in? Wie kommen die, wer auch immer, auf in Prag? Und wie auf das Komma nach dem Kafka?)
Also, es hat mit dem Titel schon seine Richtigkeit; und derselbe plus soeben zitierte Stelle lassen vielleicht ein wenig von dem erkennen, was / wie dieser Roman ist: verwirrend, verblüffend, ein wenig irre, durchgeknallt, liebenswert im ganzen. Ja!
Ja, aber: Man muß eine ganze Menge wissen, um das Feuerwerk von Anspielungen / Wort- und Sachspielen zu verstehen, das Ernst Petz in den Himmel Prags steigen läßt - Prag, die mystische Hauptstadt, die Hauptstadt der Mystik, in seiner Lesart. Man möchte die Stadt im allgemeinen gegenwärtig haben und die Karlsbrücke im besonderen (der II. und III. Teil nur dort wohl ganz verständlich!), Meyrinks und jedweden anderen Golem im Hinterkopf, diverse Prager Volkssagen, die böhmische Geschichte (Schwerpunkte: Hussiten + diverse Fensterstürze), den Anfang des Dreißigjährigen Krieges, aktuelle politische Entwicklungen, Science Fiction und Horror und und ... Und Kafkas Werke sowieso. Nur Fußballkenntnisse sind nicht unbedingt vonnöten:
denn das Spiel wurde nicht von den Engländern erfunden, nein, von den Tschechen, und zwar im 14. Jahrhundert schon; und nur auf der Karlsbrücke, auf dem einzig wahren Spielfeld von 520 mal 10 Metern, wird es immer noch originalgetreu gespielt. Mannschaften: die Heiligen / Skulpturen beidseits des Geländers, Schiedsrichter: die Nepomuk-Statue. Also, alles, was man über FC Bayern und Hansa weiß, kann man getrost nie gewußt haben oder vergessen, es ist alles sowieso ganz anders,
dank K. oder Ka oder Kafka oder Jan Golem (die Hauptfigur/en), der dieses Spiel kommentiert, zwischendurch Tourist/inn/en metzelt, von Dracula gebissen wird, verhört wird (der Prozeß!), sich in unterirdischen Kneipen besäuft, an seinen Freund Max schreibt, vor Mafiosi flieht, zum Werwolf mutiert, über aktuelle Politik räsoniert / lästert, die USA attackiert und den Sozialismus noch lange nicht abgeschrieben hat, im Versicherungsbüro Arbeitsunfälle bearbeitet und dabei immer wieder überlegt, ob er nicht überhaupt ganz und gar und wenn, ob er dann lieber einen Golem- oder einen Amerikaroman schreiben soll (beides ist der/seinerzeit trendy);
und der in vielen, in zu vielen Nächten schweißgebadet aus Alpträumen erwacht.
Bisweilen holte ich die Deutsche Geschichte, den Stadtführer Prag, meine Kafka-Ausgabe hervor, um nachzuschlagen; was das Vergnügen nicht schmälerte. Freilich, zum Weglesen ist dieses Buch nicht geeignet. Das Kaleidoskop will genau betrachtet sein; und manche Stelle sperrte sich dem Wiedererkennen auf den ersten Blick. Manches habe ich auch, es sei schlicht bekannt, nicht kapiert - der Ulysses-Effekt, den auch Ralph Giordano in seinem Buch über Irland erwähnt (und wies der Zufall (?) will, erwähnt Petz den Ulysses).
Mit Science Fiction, Horror, Fantasy hat dieses rasant geschriebene, augenzwinkernde Buch schon zu tun - und auch wieder nicht, betrachtet man die Genres in ihrer (was ist das?) Reinkultur. Nein, es ist nicht rein noch kultiviert, also nicht steril; es ist deftig, heftig, abartig, abwegig, expressiv und exzessiv - wie seine Hauptfigur: Kafka der Golem. (Wer ist wer? Unklar? Macht nichts!) Es erscheint geklittert, zersplittert, reißt den Leser aus einer Überraschung in die andere, von einem Schulterzucken zum nächsten - und macht Spaß. - Darüber hinaus (auch Voltaires Candid wird erwähnt) steht es in bester aufklärerischer, anti-religiöser (oder besser: anti-klerikaler?) Tradition. Petz behandelt seine Gegenstände, darunter auch und speziell das Christentum, mit einem sarkastischen, bisweilen bösärtigen Humor, der lachen macht und zu denken gibt.
Kafka der Golem und Fußball und Prag, ohne Punkt und Komma, sperrt sich bisweilen dem nach Glattem lechzenden Verstand, ist nicht ein- oder gar unterzuordnen, hat Ecken und Kanten, ziert sich und will erobert werden und paßt vorzüglich in die Editionen des Aarachne Verlags, dessen Leiter hier selbst schreibend beweist, daß sein Haus Bücher macht, die wir gerne lesen und die niemand lesen könnte, würden wir sie nicht machen. Ja. Das Werk hätte - leider, aber bestimmt! - weder in einer der Reihen von Heyne usw. noch in den Verlagen der ärrrnsten deutschsprachigen Literatur eine Chance gehabt.
Gut, daß es Aarachne gibt.
Ernst Petz: Kafka der Golem und Fußball und Prag. 1 phantastischer Roman, Aarachne Verlag, Wien 1998, 280 Seiten, mit 12 Illustrationen und VII Tafeln (!) von Uwe Neuhold, 280 S., DM 28,-
10. Nov. 2006 - Peter Schünemann
Der Rezensent
Peter Schünemann
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