Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Magazine Verlage Specials Rezensionen Übersicht
Neu hinzugefügt
Rezensenten
Genres
Sammelkategorien Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Rezensionen > Thomas Harbach > Horror > Wahn

Wahn

WAHN

Stephen King
Roman / Horror

Heyne

Fester Einband, 928 Seiten
ISBN: 978-345326585-1

Feb. 2008, 22.95 EUR

Mit seinem neuen Roman “Duma Key” - der deutsche Titel ist so oberflächlich und flapsig, dass man über den Verlag nur den Kopf schütteln kann - kehrt Stephen King zu Themen zurück, welche er schon in seinem teilweise faszinierenden “Love” erörtert hat. King es in dem Roman noch um das Leben und Überleben eines Schriftstellers, verarbeitet King im vorliegenden Band den schlimmen Unfall, den er 1999 erlitten hat. Auch wenn es insbesondere “Puls” negiert, hat sich Kings Werk seit diesem Near Death Experiment wider Willen verändert. Es geht ihm nicht mehr darum, sein Publikum zu schockieren oder zu provozieren, der Horror ist nicht mehr Katalysator kommender Ereignisse, sondern ein marginaler Faktor, welcher einfach in einem King Band erwartet wird. Ihm geht es um das brüchige Verhältnis zwischen Gesundheit und geistiges Normalität. In “Duma Key” versammelt der Altmeister eine Handvoll von Charakteren, die aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Near Death Experimente psychische Fähigkeiten entwickelt haben. Vordergründig schlägt King damit den Bogen zum Beginn seiner Karriere, als “Carrie” eine Schulfeier in ein mörderisches Schlachtfeld verwandelt oder das junge Mädchen in “Firestarter” , das aufgrund seiner Fähigkeiten von geheimen Regierungsorganisationen gejagt wird. Der Höhepunkt dieser schriftstellerischen Entwicklung lag sicherlich in “the Dead Zone”, in dem ein junger Lehrer nach einem schweren Autounfall schließlich hellseherische Fähigkeiten erhielt. Diese Prämisse extrapoliert King in seinem vorliegenden Roman auf fast autobiographische Weise. Sein Protagonist Edgar Freemantle ist ein ehemaliger Handwerker, der sich mit einer Baufirma selbstständig gemacht hat. Dreißig Jahre später ist er Millionen schwer. Eines Tages wird er bei einem Unfall auf seiner Baustelle schwer verletzt, verliert seinen Arm und braucht Monate der schmerzhaften Rehabilitation, um wieder halbwegs auf die Füße zu kommen. Freemantle entspricht deutlich mehr Kings heutigem, schwerreichen Alter Ego als der mittellose Lehrer, der in seinem früheren Roman unverschuldet durch einen Autounfall aus der Bahn geworden und vor allem mit elementaren Fragen bezüglich der menschlichen Zukunft konfrontiert wird. Das Freemantle reich ist, erleichtert seine Erholung deutlich. Vielleicht hätte King das Schicksal eines armen Mannes in einem kapitalistischen Amerika als Aufhänger nehmen sollen, um sich wieder seiner Leserschaft zu nähern und vor allem neben der Genesung den alltäglichen Überlebenskampf zu schildern. Freemantle kann es sich leisten, sich von seiner Frau großzügig scheiden zu lassen und auf die kleine Insel Duma Key an die Küste Floridas zu ziehen. Hier beginnt er in dem alten Haus, dass er für ein Jahr gemietet hat, zu malen. Nur an einer Stelle schleicht sich der übernatürliche Schrecken in Kings superbe und authentische Dialoge: Jack ist für die Instandhaltung der Häuser zuständig und kauft für Freemantle ein. Auf dem Weg zum Haus - ein großes pinkfarbiges Haus - mit der ominösen Hausnummer dreizehn fragt er ihn, ob er abergläubisch ist. King nimmt sich ungewöhnlich viel Zeit, wie in “Love” seine Charaktere dreidimensional und sehr überzeugend zu charakterisieren. Seine Figuren beginnen zu leben und spätestens nach der Hälfte des Buches sind sie dem Leser sehr vertraut: Freemantle, der verzweifelt versucht, nicht nur ein neues Leben zu beginnen, sich an sein altes zu erinnern, sondern auch die Wutausbrüche unter Kontrolle zu bringen. Wireman, ein Ex- Anwalt und Nachbar, der sich um eine achtzigjährige Frau kümmert. Die Tochter des Paten, der alle Häuser an diesem Strandabschnitt gehören. Erst spät und dann sehr pointiert lüftet King Wiremanns Geheimnis. Auch die achtzigjährige Frau trägt ihre Bürden mit sich. Im Laufe der Monate erkennt Freemantle, dass natürlich Duma Key ein Geheimnis umgibt, dass die übernatürlichen, seherischen Fähigkeiten kein Geschenk der Insel sind, sondern das ein Preis dafür zu bezahlen ist und dass seine Gemälde mehr die Botschaften aus der Vergangenheit sind als seine eigenen künstlerischen Ergüsse. Auf den letzten Seiten des Buches wirft King leider den interessant akzentuierten magischen Realismus über Bord und beginnt eine klassische Geistergeschichte zu erzählen. Unwillkürlich wird der Leser an “Es” erinnert, nur dass im vorliegenden Band zwei alte Greise und ein junger Mann sich dem Schrecken stellen müssen und keine Jugendlichen. Die Endschlacht dauert auch nicht so lange wie bei “Es”. Mit einem Hauch Gleichgültigkeit unterstreicht King, dass sein Fokus als Schriftsteller inzwischen vom kalten Schrecken weitergewandert ist. Es ist allerdings erschreckend anzusehen, dass es einem Multimillionen Autoren am Mut fehlt, eine gänzlich neue Geschichte zu erzählen. Wie “Love” oder “Bad of Bones” gelingt es King in den ersten Zwei Dritteln des Buches sehr ruhig, aber niemals langweilig von Menschen zu erzählen, die mit ihren Schicksalsschlägen fertig werden müssen. Freemante ist ein Kämpfer, der nach dem schrecklichen Autounfall sich als Krüppel wieder findet und sich von seiner Familie entfremdet. Er muss von neuem Anfangen, ohne dass er wirklich weiß, welchen Weg das Schicksal ihm vorherbestimmt hat. Als Ich- Erzähler dient er dem Leser als einzige allwissende Identifikationsfigur. Die Ich- Perspektive nimmt Büchern sehr oft die Spannung, im vorliegenden Band geht es King weniger rum einen geradlinigen Horrorstoff, sondern um eine Charakterzeichnung. Der Leser muss Freemantles Innenleben kennen lernen, um später dem übernatürlichen Stoff besser folgen zu können. Diese Elemente führt King sehr pointiert und vor allem ungewöhnlich nuanciert in die umfangreiche Handlung ein. Erst scheinen es Zufälle zu sein, dann kommt die Erkenntnis, dass die Ereignisse nicht nur auf Zufällen basieren können, bis schließlich der Leser zusammen mit Freemante erkennt, dass eine höhere, dunklere Macht die Menschen auf der einsamen Insel zusammengerufen hat. King gelingt es aber nicht - und das ist in diesem Fall der besondere Vorteil des Buches - den Showdown mit dem “Monster” packender darzustellen als den Kampf, den Freemantle gegen die Folgen seines Unfalls führt. Anrührend sind die Szenen, in denen er mit den Störungen seines Sprachzentrums und seines Gedächtnisses fertig zu werden sucht. Eine Drama sind die Phantomschmerzen in seinem fehlenden rechten Arm. Wie merkt Freemantle zu Beginn des Buches lakonisch ironisch an: da er Linkshänder ist, hat ihm das Schicksal im Verlaufe des Unfalls wenigstens einen Joker zugespielt. Der Versuch, mit seiner Familie - seiner Ex Frau und zwei erwachsenen Töchtern - wieder ins Reine zu treten und der heimtückische Nackenschlag, den ihm “Duma Key” auf dem Weg zur finalen Konfrontation mitgebet. Sein Versuch, zu erkennen, ob “Duma Key” das Paradies oder Teil einer Twillight Zone ist. Alles Komponente des insbesondere zu Beginn sehr kraftvoll, sehr inspiriert und vor allem sehr stringent geschriebenen Romans, welche dem Leser viel länger im Gedächtnis bleiben als der Showdown mit den Geistern der Vergangenheit. In dieser Hinsicht kann “Duma Key” nicht mit “Es” konkurrieren. Nach der Lektüre glaubt der Leser, dass King sich endgültig mit seinem Unfall und der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit auseinandergesetzt hat und diese Geister ruhen lassen kann. Am Ende des Buches sind einige der Figuren zumindest zu Bekannten, wenn nicht zu Freunden geworden. Insbesondere das Duo Freemantle und Wireman ist mit so viel Liebe zum Detail gezeichnet worden, dass der Tod des Einen am Ende des Romans eine Leere im Leser hinterlässt. Gegen den Roman spricht Kings Suche nach einem überzeugenden Plotende. Rückblickend hat er sehr viele Hinweise sehr subtil, aber für einen Schriftsteller auch sehr offen - das beginnt bei der amerikanischen Ausgabe mit dem passenden Cover Mark Strutzmanns - in die umfangreiche Handlung integriert. Die eloquenten, aber auch teilweise langweiligen überbewerteten Ausflüge in die Exzesse Kings eigener dunkler Phantasie fehlen. King hat sich im vorliegenden Buch sehr stark unter Kontrolle. Der Leser hat immer wieder das Gefühl, als bedeute dem Schriftsteller Freemantles Schicksal mehr als vielleicht das seiner anderen literarischen Schöpfungen. In seinen Roman hat er zwölf Kapitel eingefügt - in der deutschen Ausgabe sind diese Seiten nicht nummeriert worden, fließen aber in den Gesamtumfang des Buches nicht zusätzlich ein - mit dem Thema, wie man Bilder malt. Sie stammen von Elizabeth, der auf Freemantles Ebene achtzigjährigen letzten Nachkommin einer sehr vermögenden Familie. Ohne allzu belehrend zu agieren gibt King potentiellen Künstlern Ratschläge, wie man das eigene Gedächtnis behandeln sollte. Mehr und mehr wird diese “zweite” Handlungsebene zum Katalysator der kommenden, dunklen Ereignisse. Im Vergleich zu anderen Autoren versucht King hier keine weitschweifigen Erklärungen oder gar kunstwissenschaftliche Thesen, sondern nutzt sein Talent als Autor, einen Standpunkt, eine Position einfach und gerade zu simpel zu unterstreichen. “Duma Key” nimmt aus dem Nichts heraus ab der Textmitte Geschwindigkeit auf. King verlässt das Stadion der Vorbereitung, alle Puzzleteile liegen auf dem Tisch. Freemantle, Wireman und der Leser müssen sie nur noch zusammensetzen. Das allerdings das Puzzeln befriedigender ist als schließlich das Gesamtbild, macht aus “Duma Key” einen nur zeitwillig hervorragenden King, der schließlich an den bekannten Schwächen des Autoren - zur Zeit die Wiederholung von zuvor benutzten Ideen und seine Unsicherheit, einen gänzlich anderen, vielleicht magisch realistischen Roman zu schreiben - scheitert. Außerhalb der souverän und überzeugend gezeichneten Charaktere und ihrer Schicksale ist “Duma Key” ein durchschnittlicher Kingroman mit mehr Ambitionen als erreichten Zielen. Und in diesem Fall ist dieses Scheitern eine kleine persönliche Tragödie.

09. Mar. 2008 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/horror/isbn3-4532...

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

Total: 732 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen



[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

Heutige Updates

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info