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Die Ausreißerin
| DIE AUSREISSERIN
Buch / Kinderbuch
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Enid Blyton/Brigitte Endres
Die Ausreißerin
Hanni und Nanni 25
St. Clares, GB, 1941 - 45
Egmont Franz Schneider Verlag, München, 4/2008
HC, Kinderbuch, Schule/Internat, 978-3-505-12299, 154/790
Titel- und Innenillustrationen von Nikolaus Moraus
www.schneiderbuch.de
www.enidblytonsociety.co.uk/
www.enidblyton.net/index.html
www.brigitte-endres.de
Eigentlich wollten Hanni, Nanni und ihre Freundinnen nur im alten Schuppen nach der Katze Minka sehen, die Junge erwartet. Was sie stattdessen finden, ist ein Mädchen in ihrem Alter, das sich Cindy nennt und darum bittet, dass man sie nicht verrät, denn die Polizei hat bereits mit der Suche nach der Ausreißerin begonnen.
Cindy erzählt, dass ihr Vater wieder geheiratet hat und die Stiefmutter ein Baby bekommt. Für sie selber scheint kein Platz in diesem Familienidyll zu sein. Nicht nur haben die Eltern ständig etwas an Cindy auszusetzen, nun drohte die Mutter sogar damit, das Mädchen auf ein berüchtigtes Internat zu schicken, in das nur schwer erziehbare Kinder kommen. Eigentlich hatte sich Cindy an ihre Tante wenden wollen, aber diese lehnte es rigoros ab, sie aufzunehmen. Nun weiß Cindy nicht, wohin sie noch gehen könnte. Die Lindenhof-Schülerinnen haben Verständnis und verstecken sie in der Matratzenkammer.
Vor allem Elli freundet sich schnell mit Cindy an, denn sie liegen auf derselben Wellenlänge. Beide schminken sich gern, und sie wissen, wie es ist, wenn man unglücklich verliebt ist und deswegen nichts als Spott erntet. Antoinette und Sophie gehen dann auch prompt zu weit bei einem Streich, den sie Elli spielen und der den Aushilfs-Mathelehrer involviert.
Doch dann spitzt sich die Situation für Cindy zu
Enid Blyton schrieb in den 1940er Jahren nur sechs Bände der Serie Hanni und Nanni, die auf ihren eigenen Internats-Erlebnissen beruhen. Später wurde die Reihe von weiteren Autorinnen ergänzt und fortgesetzt. Aktuell schreibt die Kinderbuch-Autorin Brigitte Endres (Die Kolibris aus Nr. 1) im Auftrag des Schneider Verlags über die neuen Abenteuer der Lindenhof-Schülerinnen, die chronologisch zwischen den Büchern einzuordnen sind, in denen die Protagonistinnen 13 - 14 Jahre alt sind.
Mehrmals wurde Hanni und Nanni überarbeitet und dabei den Standards der nachrückenden Generationen an Leserinnen angepasst. So ist z. B. das Grammophon dem CD-Player gewichen, die Telefonzelle dem Handy, neue Titel- und Innenillustrationen zeigen die Charaktere nicht mehr in Faltenröcken sondern in zeitgenössischer Kleidung. Kaum abgemildert hingegen hat man jene Punkte, die nach heutiger Sicht fragwürdig erscheinen: den Gruppenzwang und die Isolation von Außenseitern.
Auch in Die Ausreißerin steht mit Cindy eine Figur im Mittelpunkt, die aufbegehrt, weil sie sich mit den Veränderungen in ihrer Familie nicht abfinden möchte. Obwohl ihr die Lindenhof-Schülerinnen zunächst helfen, wird doch schon zu Beginn deutlich gemacht, dass Cindy stur und ein Teil des Konflikts ihre Schuld ist. Sie wird gewissermaßen zum Einlenken gezwungen, und erst das bringt eine Lösung für die Probleme.
Das gleiche gilt für Elli, die aus der Gruppe ausschert, weil sie sich trotz des Verbots schminkt, um die Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich zu lenken. Natürlich beachtet er das junge Mädchen nicht, die anderen Schülerinnen verspotten ihre Kameradin, Elli wird von der Hausmutter erwischt und bestraft, doch noch schlimmer ist der Streich, den die jüngeren Schülerinnen aushecken, um Elli zu blamieren. Das massive Mobbing und die Enttäuschung bringen Elli zur Vernunft, und die Gemeinschaft akzeptiert sie endlich wieder.
Es verwundert schon, dass eine moderne Autorin diese Motive aufgreift und die Schülerinnen tatsächlich noch aggressiver aufeinander herum hacken lässt, als es in den Original- und früheren Bänden der Fall ist. Das Mobbing erscheint wie ein legitimes Mittel, um Individualisten klein zu kriegen Nägel, die herausstehen, müssen eingeschlagen werden. Die absolute Aufgabe der Individualität und die Unterordnung innerhalb der Gruppe werden als der einzige Weg aufgezeigt, um Akzeptanz zu finden. Das geht weit über eine Anpassung aus Rücksicht und Flexibilität hinaus und ist ganz sicher nicht erstrebenswert hier wäre eine Modernisierung weit nötiger gewesen als bei der Kleidung und den anderen kleinen Details.
Die Figuren tragen keine individuellen Züge. Zwar wird Hanni als die wildere der Zwillinge bezeichnet und Nanni als die vernünftigere, Carlotta ist ein Zirkuskind, Claudine eine Französin usw. aber es handelt sich um Verallgemeinerungen, und alle Charaktere sind austauschbar. Entsprechend gering sind darum auch die Handlungsanteile der Titelheldinnen, denn für ein wenig frischen Wind sorgen immer nur die unangepassten Neulinge, die entweder zur Integration gezwungen werden oder das Internat schon bald wieder verlassen, da sie nicht bekehrbar sind (= dem guten Geist von Lindenhof widerstehen).
Die Rollen der Lehrer sind weniger ausgeprägt als früher. Mamsell ist zum Running Gag verkommen und darf nur ab und zu fürschterlisch rufen. Auch sonst ist der Unterricht kaum noch ein Thema, da die privaten Probleme rund um die Gruppendynamik im Vordergrund stehen.
So wirkt auch das Verhalten von der Direktorin in diesem Band sehr unprofessionell, denn es wird nicht wirklich erklärt, weshalb sie sich zunächst weigert, Cindy in Lindenhof aufzunehmen. Die Verwandtschaft als Grund ist wenig plausibel, da auch Mamsell, Claudine und Antoinette einer Familie angehören und keiner daraus Vorteile entstehen. Allerdings hätte es die Ausreißerin nicht gegeben, wäre sie sofort mit offenen Armen empfangen worden. Das war offenbar auch der Autorin bewusst, die das Ablehnungs-Argument am Ende umkehrt. Die Geschehnisse erscheinen darum jedoch umso konstruierter.
Antiquiert wirkt ferner die Ausklammerung der Männer. Man kann zwar nachvollziehen, dass junge Lehrer und nette Hausmeistersöhne den Teenagern nicht die Köpfe verdrehen sollen, doch stellt das diesbezügliche Verhalten die Direktorin und die übrigen Lehrerinnen als wahrlich altjüngferlich, neidisch und unzeitgemäß dar.
Die Handlung ist vorhersehbar und bietet keine großen Überraschungen. Wer ein, zwei Bücher kennt, kennt auch die anderen. Es wechseln einige Namen, aber die Probleme bleiben im Prinzip die gleichen.
Vielleicht ist es sogar das, was älteren Lesern eher unangenehm auffällt, das dem jüngeren Publikum ab 9 Jahren gefällt: die vertrauten Motive, das Konservativ-Betuliche, simple Konflikte und ihre einfache Lösung, eine in sich geschlossene heile Welt. Denn die Zielgruppe hinterfragt nicht.
Eigentlich schade, denn man kann sicher mehr aus Hanni und Nanni herausholen und mit dem beliebten Titel positiv auf junge Leserinnen einwirken, indem man z. B. Mobbing und das Ausgrenzen Einzelner als die verachtenswerten Methoden beschreibt, die sie auch sind.
Hanni und Nanni hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Zwar mögen junge Leserinnen die harmlos-lustigen Internats-Geschichten, doch die darin enthaltenen Motive sind oft fragwürdig und schildern selten wirkliche Kameradschaft, sondern schönen bloß eine Hackordnung unter den Mädchen, die von der Zielgruppe nicht als solche erkannt wird.
12. Mar. 2008 - Irene Salzmann
Der Rezensent
Irene Salzmann

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Irene Salzmann, Jahrgang 63, verheiratet, drei Kinder, studierte mehrere Semester Südostasienwissenschaften und Völkerkunde an der LMU München.
Schon seit Jahren schreibt sie phantastische und zeitgenössische Erzählungen, die zunächst in den Publikationen der nicht-kommerziellen Presse erschienen sind. In den vergangenen Jahren w...
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