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Roverandom
| ROVERANDOM
Buch / Kinderbuch
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Ein kleiner Junge verliert im Urlaub einen kleinen Spielzeughund aus Blei, an dem er sehr hängt. Was passiert? Nun, natürlich macht sich der Vater auf, das verschollene Tierchen zu suchen. Und wenn er es nicht findet? Na ja, kriegt der Kleine eben was Neues, und gut.
Aber nicht, wenn der Vater John Ronald Reuel Tolkien heißt; dann gibt es zum Trost noch eine Geschichte, und die beginnt so: "Es war einmal ein kleiner Hund, und sein Name war Rover. Hiermit, meine ich, ist schon vieles gesagt: Wir haben es mit einem Märchen für Kinder zu tun. Tolkien dachte es sich im Spätsommer 1925 aus, um seinem Sohn Michael zu erzählen, wieso sein Spielzeug verschwunden war. Damit mag dieser sich auch begnügt haben, war er doch gerade fünf Jahre alt; aber John, der älteste der drei Söhne, interessierte sich offensichtlich noch für weitere Abenteuer, und so setzte Tolkien die Geschichte fort, was nicht nur John, sondern auch ihn selbst amüsierte.
Als die Familie 1927 einen weiteren Seeurlaub machte, erinnerte man sich offenbar des Verlustes und der Erzählung, und nun wollte auch Christopher, der Jüngste, sie hören - ohne es zu wissen, begann er vielleicht schon damals seine Tätigkeit als Bewahrer des väterlichen Erbes, denn es ist möglich, daß sein Interesse den letzten Anstoß gab, "Roverandom aufzuschreiben. Tolkien tat dies zuerst handschriftlich und fertigte hernach drei Typoskripte an; die dritte und ordentlichste Fassung schickte er Ende 1936 an seinen Verleger Stanley Unwin. Dieser übergab die Blätter seinem Sohn Rayner; der wiederum beurteilte "Roverandom als "gut geschrieben und lustig. Doch druckte Allen & Unwin das Buch nicht, denn der "Hobbit, erschienen am 21. September 1937, erwies sich auf Anhieb als ein solcher Erfolg, dass eine Fortsetzung gewünscht wurde - die dann etwas lang geriet und "Der Herr der Ringe heißt. Angesichts solcher Konkurrenz nimmt es kaum wunder, dass die Abenteuer des kleinen Hundes in Vergessenheit gerieten, bis Christina Scull (London) und Wayne G. Hammond (Massachusetts) sie in den späten Neunzigern wiederentdeckten; die Originalausgabe erschien 1998 in New York. Den beiden Tolkien-Experten verdanken wir auch das 20seitige Nachwort zur Werkgeschichte und zur Stellung des Textes im Gesamtschaffen Tolkiens sowie 17 Seiten Kommentare; fast möchte ich sagen: den interessantesten Teil des Buches, jedenfalls für erwachsene Tolkien-Fans.
Aber nein. Natürlich hatte auch ich Spaß an den Abenteuern von Rover, der später Roverandom genannt wird, denn man muss ihn vom Mondhund und vom Meerhund unterscheiden, die beide für sich in Anspruch nehmen, der allererste Rover gewesen zu sein. Damit ist der Kreis seiner Abenteuer auch schon abgesteckt: Es geht kreuz und quer durch die Welt. Rover beißt aus Übermut den Zauberer Artaxerxes; dieser verwandelt ihn in besagtes Spielzeug; dieses kauft ein kleiner Junge und verliert es am Strand; dort findet es der Sand-Zauberer Psamathos Psamathides und schickt Rover zum Mann im Mond; der kann den Zauber des Artaxerxes nicht brechen, doch erlebt Roverandom bei ihm eine Menge interessanter Abenteuer; schließlich aber kehrt er auf die Erde zurück und sucht Artaxerxes selbst, der mittlerweile als Hofzauberer und Schwiegersohn des Meerkönigs ein ganz nettes Leben führt. Auch im Meer begegnet dem kleinen Hund allerlei Interessantes - vor allem ein Ritt auf dem größten aller Wale, der sie bis in eine Gegend führt, wo sie die Bucht von Elbenland sehen ... und da sind wir denn nun doch wieder bei Tolkiens ureigenster Idee - bei seiner Mythologie.
Kinder, denke ich, werden das Buch heutzutage noch genauso mögen wie seinerzeit Tolkiens Söhne. Es ist flott und einfallsreich erzählt, in einer verständlichen Sprache, voller Umschwünge, witziger Sprachspiele und lustiger Geschichten, und natürlich verfolgt man gespannt, ob Roverandom seine wirkliche Gestalt wiedererlangt. Keine Episode ist langweilig oder mit action überfrachtet, und Fünfjährigen wird "Roverandom sicherlich ebenso gefallen wie meinen beiden Söhnen, bereits intime "Hobbit-Kenner, denen ich es mehrere Abende lang zum Besten gegeben habe und die immer wissen wollten, wie es weitergeht; eigentlich hätte ich gar keine Pause machen, sondern alles in einem Zug vorlesen sollen. Kann es eine schönere Empfehlung für ein Kinderbuch geben?
Freilich, Sprache und Handlung, Schilderungen und Einfälle sind noch weit von dem entfernt, was den "Herrn der Ringe ausmacht, und wer nur von edlen Elben und tapferen Menschen hören möchte, die gegen finstere Orks, Drachen und noch schlimmere Kreaturen streiten, der kommt hier eindeutig zu kurz. Aber 1927 oder auch 1936 war vom "Silmarillion oder von der Geschichte der Helden um Gandalf und Frodo noch wenig zu ahnen; dieser Tolkien gehört in die Zeit nach dem "Hobbit. Wer sich jedoch auch auf seine anderen Seiten einlassen möchte, den enttäuscht "Roverandom wohl kaum. Es ist ein einfaches, aber liebenswertes Buch. Der Fan, dies kommt noch hinzu, wird natürlich die akribische Arbeit der beiden Herausgeber schätzen, die in ihrem Nachwort ein Stück Literaturgeschichte liefern, das bezugsreich ist und fast genauso spannend wie der eigentliche Text. Tolkien-Verehrer werden das Buch also ohnehin kaufen; Eltern und Kinderfreunden sei es wärmstens empfohlen.
Roverandom, © 1998 Tolkien Trust; Nachwort und Anmerkungen © 1998 HarperCollinsPublishers; mit Ill. von J. R. R. Tolkien, a. d. Engl. übers. v. Hans J. Schütz 1999, 140 S., DM 24, 80 (Hardcover m. Schutzumschlag)
11. Nov. 2006 - Peter Schünemann
Der Rezensent
Peter Schünemann
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