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Der Fluss der Sterne
| DER FLUSS DER STERNE
Buch / Science Fiction
Heyne
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Schon der deutsche Titel von Michael Flynns Wreck of the River of Stars ist unglücklich gewählt. Denn der Der Fluss der Sterne ist der Name eines im Mittelpunkt der Handlung stehenden Raumschiffs, einst ein Luxusliner mit Sonnensegeln, inzwischen durch die Einführung neuer Antriebstechniken zu einem Relikt degradiert. Der vorliegende Roman ist nicht nur das dritte Buch des hauptberuflich als Statistiker arbeitenden Flynns, es ist auch der dritte Teil einer Reihe von teilweise überlappenden Büchern, welche den Weg der Menschheit zu den Sternen beschreiben. Das erste Buch Firestar beschreibt Mariesa van Huytens Versuche, mit Hilfe privater Geldgeber das Raumfahrtprogramm am Leben zu halten. Die zweite Hälfte von Firestar entwickelt sich als Parallelweltgeschichte. In seinem folgenden Buch In the country of the Blind extrapoliert der Autor diese Prämisse, in dem er seinem Jahrhundert noch eine geheime Geschichte um einen denkenden Computer -entwickelt im späten 19. Jahrhundert - schenkt. Die beiden Bücher werden durch einen Protagonisten verbunden. Mit dem vorliegenden dritten Band präsentiert der 1947 geborene Michael Flynn eine auf den ersten Blick klassische Space Opera, die sich allerdings in den Kontext seiner anderen Bücher in den letzten Kapiteln sehr geschickt einreiht. Unverständlich ist allerdings, das der Heyne- Verlag die Bände nicht in der vom Autoren bestimmten Reihenfolge veröffentlicht.
Zu Beginn seines umfangreichen Romans fasst Michael Flynn in einer Art Historie die Entwicklungen vom Bau der River of Stars bis zu ihrer entwertenden Verwendung als Frachtschiff in wenigen Szenen eindrucksvoll zusammen. Ihm gelingt es, die Faszination der Raumfahrt ebenso plastisch darzustellen wie Hermann Melville oder Cooper in seinen wenigen Seefahrtgeschichten die Weite des Meeres und die tägliche Herausforderung mit den Elementen. Flynn nimmt sich zu Beginn seiner Geschichte den Raum und die Zeit, um die vergängliche Schönheit des Raumflugs darzustellen. Bis zu dem Augenblick, als die Technik versagt und die Besatzungsmitglieder der River of Stars auf sich selbst angewiesen ist. Eine klassische Prämisse, die schon zu Zeiten der Pulpmagazine gerne und wiederholt erzählt worden ist. Phasenweise erinnert die Geschichte an Robert Heinleins erste Geschichten. Nicht zuletzt aufgrund der teilweise fast zu genauen Beschreibung der futuristischen Technik hat der Leser das Gefühl, einen Tatsachenroman zu lesen. Flynn wie Heinlein schreiben über ihre jeweiligen Zukünfte, als hätten sie teilgenommen. Während bei Heinlein allerdings immer Menschen die teilweise ohnmächtigen Beobachter sind, wird am Ende von Michael Flynns Buch offensichtlich, welche Tragödie beobachtet von den stummen Bordcomputern sich letzt endlich an Bord der River of Stars abgespielt hat. Flynn fehlt das journalistische Element, das Heinleins beste Texte auszeichnete. Beide Autoren - wie auch eine Reihe anderer Schriftsteller - schreiben über im Grunde schweigsame, gebrochene Männer und Frauen, die tief in ihrem inneren den Drang hecken, ihren Mann in männlichen Berufen zu stehen. Während Heinlein die Vergangenheit seiner Figuren nicht selten andeutet, breitet Flynn sie Angesichts des Unfalls und der Wahrscheinlichkeit, auf diesem Flug sterben zu müssen, sehr breit vor den Lesern aus. Das führt im Verlaufe der im Grunde sehr stringenten und kaum achthundert Seiten werthaltigen Handlung zu einer sich immer stärker wiederholenden Abfolge von Deja Vus für einige Figuren, Missverständnissen bei anderen Charakteren und beim Autoren zu der Schwierigkeit, die Figuren auf den letzten zweihundert Seiten im Grunde am Leben zu erhalten. Sex, die Sucht nach Liebe, das in der Enge des Raumschiffs auf den Geist gehen und die verzweifelte Suche nach Rettungsmöglichkeiten können den Handlungsbogen nicht immer tragen. Zwischen diesen teilweise sehr ausgewalzten Szenen lassen die klassischen Helden erkennen, in denen die Männer (und Frauen) im Kern die Summe ihrer Erfahrungen sind und durch ihre Handlung gekennzeichnet werden. Obwohl es sich bei der River of Stars um kein Kriegsschiff mit einer militärischen Hierarchie handelt, ist es nicht überraschend, wie im Verlaufe der Handlung die Grenzen zwischen den Offizieren und den Mannschaften, insbesondere den Technikern verschwimmen. Auch Michael Flynn legt wenig Wert auf eine intensive Analyse seiner Figuren, er versucht sie durch ihre Handlungen bzw. Nichthandlungen zu definieren. Diese Vorgehensweise ist insbesondere zu Beginn des Buches packend und faszinierend. Im Verlaufe der Geschichte fehlt allerdings eine gewisse Nuance zwischen den einzelnen Figuren und einige der Charaktere entwickeln sich weder weiter noch zurück. Dieses Stehen bleiben im Angesicht des möglichen Todes hätte ein erfahrener Schriftsteller intensiver und dramatischer beschrieben. Bei Michael Flynn hat der Leser das Gefühl, als interessiere ihn mehrmals im Verlauf seines Buches weder das Schicksal von Schiff und Besatzung. Vielmehr konzentriert er sich auf eine Reihe von Sexszenen und entsprechenden Dialogen. Da möchte das eine Crewmitglied nicht als Jungfrau sterben, aber auch nicht mit der erstbesten Frau an Bors schlafen. Ein anderer geht seinen homosexuellen Gelüsten nicht nach und das junge Mädchen in der Crew möchte zur Frau gemacht werden. Von einem älteren Mann, der ihren knabenhaften Körper mag. Diese Themen variiert Michael Flynn nicht im Verlaufe des Buches, sondern bringt sie immer wieder ohne Nuance aufs Tablett und bläht damit große Teile des Buches unnötig und für den Leser nicht immer interessant auf. Was zu Beginn des Buches exemplarisch funktioniert - Flynn legt in den ersten entsprechend getitelten Kapiteln fast ein schematisches Diagramm der Besatzung an, in welchem der Leser fast alle Zusammenhänge sehr kompakt erkennen kann - verliert sich insbesondere im teilweise langweiligen Mittelteil. An einigen Stellen impliziert er, das die Figuren sich selbst fremd bleiben, während sie für den Leser offen und waidwund sind. Aber nur selten springt der Funke zwischen seinen Protagonisten und dem Leser wirklich über. Diese wenigen Szenen sind dann wieder virtuos geschrieben und scheinen fast von einem anderen Autoren zu stammen. Dann beginnt Flynn mehr oder minder expliziert den Stab über seine Figuren zu brechen und beginnt seine Leser mit Thesen über das Leben fast zu bevormunden. Fast boshaft unterbricht der Autor den Spannungsbogen, um seinen Lesern etwas zu vermitteln, was dieser aus den wirklich detaillierten Beschreibungen schon lange herausgefunden hat. Diese Vorgehensweise beginnt nach dem ersten Viertel des Buches sich im grundlegenden Plot niederzuschlagen. Das Raumschiff ist im Grunde manövrierunfähig und droht in den Tiefen des Alls zwischen den Planeten zu verschwinden. Die Funkanlage ist ausgefallen und niemand scheint den Frachter im Falle einer Verspätung zu vermissen. Die Vorräte an Bord reichen nur eine bestimmte Zeit und die meisten Ersatzteile sind nicht vorhanden. Das Rettungsboot reicht natürlich nicht für alle Leute. Die einzige Chance wäre, das insgesamt 64 Kilometer große Sonnensegel zu setzen, in der Hoffnung das Schiff im letzten Augenblick abzubremsen und auf einen Kurs zum Raumhafen zu bringen. So viele Ansätze, um einen spannenden bis tragischen Stoff zu schreiben. Eine klassische Space Opera, im Grunde die Chance, eine der stimmungsvollen Seefahrergeschichten ins All zu extrapolieren. Wie bei der Zeichnung seiner Figuren gelingen hier Flynn insbesondere in der zweiten Hälfte des Buches eine Reihe interessanter Szenen. Was ihm fehlt, ist die Dramatik, welche Autoren wie Charles Sheffield - eindeutig sein Vorbild, er widmet den Roman dem früh verstorbenen Autoren und benennt ironisch die fehlenden Ersatzteile Sheffields - und vor allem Jack McDevitt erzeugen konnten. Im ersten Drittel wirkt das Vorgehen der Crew unaufgeregt, routiniert. Die Spannungen zwischen den Besatzungsmitgliedern stehen im Mittelpunkt der Handlung, nicht der Kampf ums Überleben. Wie bei der Zeichnung seiner Figuren gelingen ihm in Bezug auf den Plot einige wenige, sehr intensive Szenen. Das Setzen des Segels, die Rückkehr zur elementaren Raumfahrt wie das Segeln im Grunde die eigentliche Seefahrt darstellt ist eine solche Sequenz. Diese sind allerdings in teilweise langweilige Passagen des Buches gepackt, in denen viel diskutiert und wenig agiert wird. Der Leser hat nur selten den Eindruck, als kämpfen die Besatzungsmitglieder ums Überleben. Fast schon hat man den Endruck, die Geschichte von Menschen zu lesen, die lieber im All sterben als in die Zivilisation zurückzukehren, wo sie nur Außenseiter sind. Eine interessante Variante, die Flynn allerdings wenn beabsichtigt zu wenig ausarbeitet. Erst am Ende des Buches fügen sich die einzelnen Komponenten zu einem deutlich interessanteren Gesamtbild zusammen. Die Melancholie springt vom Raumschiff - der Originaltitel suggeriert, das die Geschichte kein unbedingt gutes Ende nimmt - auf den Leser über. Er ist der einzige, welcher im Gegensatz zu den Figuren zusammen mit dem Autoren über das Gesamtbild verfügt und weiß, das in diesem Fall das Schicksal abwendbar gewesen wäre. Der Leser kann die Missverständnisse und Fehler erkennen, die eine Rettung verhindert haben. Die Protagonisten sind auf diesem Auge blind. Die fehlende Objektivität und die Fähigkeit, über den eigenen Schatten zu springen, um gemeinsam ein Ziel zu erreichen, verhindert ein Happy End. Trotz einem gewissen Desinteresse zu einzelnen Protagonisten ist es selbst für einen derartig umfangreichen Roman elementar, die Geschichte genau zu lesen. Mancher Hinweis des Autoren wird ansonsten überlesen, der sich später als Schlüssel auf dem Weg in den Untergang entpuppt. Während die meisten Charaktere am Ende ihre oft niederen Ziele erreichen, ist das Schiff verloren. Triumph und Tragödie liegen eng beieinander. In diesem Fall spricht Michael Flynn sogar davon, das die persönlichen Erfolge das Ende der Zweckgemeinschaft bedeuten. Eine insbesondere für die Science Fiction überraschende Erkenntnis, deren Folgen der Leser am Ende dieser Anti- Pulpgeschichte gut ablesen kann. Zusammengefasst hat Michael Flynn trotz einiger Längen und vor allem seiner Tendenz, den Leser unnötigerweise noch zu belehren, eine bekannte Prämisse mit teilweise deutlich überzogenem Einfühlungsvermögen und einigen neuen Ideen zum Leben erweckt. Wreck of the Rivers of Stars fordert Geduld von seinen Lesern, aber am Ende der fast achthundert Seiten langen Story ist die Zeit nicht verschwendet worden.
14. Mai. 2008 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/science_fiction/i...
Der Rezensent
Thomas Harbach

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