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Gloriana
| GLORIANA
Buch / Science Fiction
Michael Moorcock
GLORIANA
Gloriana Or The Unfalfilld Queen, 2002, überarbeitete Neuausgabe, aus dem Englischen von Walter Brumm und Rainer Michael Rahn, Heyne TB 9302, 1993, 558 Seiten, 9,00 EUR.
Coverzeichnung: Ciruelo.
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Michael Moorcock ist mit über sechzig Büchern einer der meist übersetzten und publizierten angloamerikanischen Autoren in Deutschland. Er gilt in der internationalen Science Fiction als Galionsfigur der New Wave, sein Werk besteht zum größten Teil aus diversen Zyklen, in und zwischen denen eine gewisse Ähnlichkeit von Plots und Handlungsstrukturen auffällt. Mit GLORIANA wird einer seiner zyklenunabhängigen Romane in der Heyne-Subreihe Meisterwerke der Fantasy dem bundesdeutschen Leser wieder zugänglich gemacht, und zwar in der überarbeiteten Fassung.
Die Ursprungsversion entstand 1978 und wurde von Heyne bereits drei Jahre später publiziert (Heyne TB 3808). Es ist bedauerlich, daß der Verlag nicht das seinerzeitige, offenbar eigens für den Roman angefertigte Cover von Karel Thole übernahm, sondern ein relativ beliebiges Titelbild wählte und auch auf den Abdruck der Innenillustrationen aus der deutschen Erstausgabe verzichtete. Lediglich auf die Übersetzung hat Heyne zurückgegriffen (die vom zweiten Übersetzer überarbeitet und ergänzt wurde).
GLORIANA ist ein kein Fantasy-Roman im klassischen Sinn, sondern ein Parallelweltroman, dessen historisches Vorbild das England in der Regierungszeit Elisabeth I. ist. Politisch unterscheidet sich die Welt des Moorcockschen Englands bzw. Albions, wie es im Roman durchweg genannt wird (ein alter keltisch-lateinischer Name für England) deutlich von der realen Historie: Albion ist bereits Weltmacht, Polen beherrscht Mitteleuropa, Arabien steht unter dem Protektorat Albions und die Tatarei (das Osmanische Reich?!) steht bereit, über sie alle herzufallen. Die Namen der Protagonisten sind auch andere: Gloriana trat natürlich an die Stelle Elisabeths.
Im Gegensatz zu den Autoren anderer Alternativ- oder Parallelweltromanen macht sich Moorcock freilich nicht die Mühe, eine Erklärung für die Entwicklung seiner Welt zu liefern (in der Regel läuft ein historisches Ereignis anders ab als in der realen Geschichte, woraus sich weitere Verwerfungen ergeben). GLORIANA ist vielmehr Teil seines Multiversumskonzeptes, was auch für Leser erkennbar ist, die seine übrigen Werke nicht gelesen haben (vor allem die Zyklen), da Moorcock mehrfach freiwillige oder unfreiwillige Besucher aus anderen Welt auftauchen läßt. (Und in einem Kapitel sogar der Hofalchimist über die Möglichkeiten solcher Reisen vor seiner Königin referiert.)
Den Beginn der Handlung markiert eine Parallele zum Original-England jener Zeit: Genau wie Elisabeth I. ist Gloriana unverheiratet, und sieht sich dem Werben diverser Freier aus den Herrscherhäusern Europas und der Notwendigkeit ausgesetzt, ihnen diplomatisch begegnen, um ihre und Albions Unabhängigkeit zu wahren. Daraus entwickeln sich Geschehnisse, die den Hof und das Reich Glorianes an den Rand des Untergangs bringen, die ausgelöst werden, als der Lordkanzler des Reiches, Montfallcon, Kapitän Quire, seinen besten Agenten, verprellt, der sich daraufhin in den Dienst des Kalifen von Bagdad stellt, dessen Ambition natürlich in einer Ehe mit Gloriana besteht.
Moorcock entwirft ein ideen- und detailreiches Albion und baut eine dichte Handlung auf. Romantische Elemente, wie seine poetische Sprache oder die Herzensgüte Glorianas, die sich bewußt von dem Regierungsstil ihres Vaters Hern absetzen will (hinter dem sich Heinrich VIII. verbirgt), werden von der Unerbittlichkeit der Handlung und der Ambivalenz der Charaktere konterkariert. Gloriana ist nicht nur aus politischen Gründen nicht an einer Ehe interessiert, sondern auch, weil keiner ihrer Liebhaber sie befriedigen konnte; Montfallcon diente bereits Glorianes Vater, änderte seine konspirativen Methoden jedoch nicht; und Quire verfügt über ein Charisma, mit dem er fast jeden Menschen für sich vereinnahmen kann, und über kein Unrechtsbewußtsein.
GLORIANA ist ein reizvoller und ungewöhnlicher Parallelweltroman. Es ist nicht nötig, zu wissen, daß der Roman ist auch ein Baustein in dem Multiversum Moorcocks ist, um GLORIANA lesen und genießen zu können. Ambitionierten Alternativweltromanen (wie DAS ORAKEL VOM BERGE von Philip K. Dick, DER GROSSE SÜDEN von Ward Moore oder PAVANE von Keith Roberts) steht GLORIANA jedoch nicht gleich.
16. Jun. 2008 - Armin Möhle
http://www.armin-moehle.de/
Der Rezensent
Armin Möhle

Website: http://www.armin-moehle.de
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Armin Möhle, Jahrgang 1964, tätig im öffentlichen Dienst, ist nicht nur Herausgeber des FANZINE-KURIER (www.fanzine-kurier.de), der Besprechungen über Fanzines, Magazinen und Büchern aus Kleinverlagen enthält, sondern auch Autor von Rezensionen, Artikel und Kurzgeschichten für bundesdeutsche Fanzines und andere Publikationen.
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