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Der Herrscher der Seelen
| DER HERRSCHER DER SEELEN
Buch / Historischer Roman
Róbert Hász
Der Herrscher der Seelen
A künde, Ungarn, 2005
Klett-Cotta, Stuttgart, 3/2008
HC mit Schutzumschlag, Historischer Roman, 978-3-608-93768-8, 350/2150
Aus dem Ungarischen von Andrea Ikker
Titelgestaltung von Atelier Versen unter Verwendung eines Fotos von akg-images
Autorenfoto von Editions Viviane Harry/Daniel Burgi
www.klett-cotta.de
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St. Gallen im Jahr 973: Der junge Mönch Alberich erhält den Auftrag, die Geschichte vom Märtyrer-Tod des Stephanus Pannonius für die Kloster-Annalen zu schreiben. Sein einstiger Lehrer ist jedoch gar nicht gestorben, sondern versteckt sich in einer abgelegenen Hütte im Wald. Er erzählt Alberich, was sich wirklich zugetragen hat, als er mit einem Bündnisangebot des Papstes zu den Tyrcen geschickt wurde.
Die Reitervölker aus dem Osten dringen immer tiefer in Europa ein und stellen eine große Bedrohung für die christliche Welt dar. Zwar gelingt es Otto dem Großen, ihnen eine schwere Niederlage zuzufügen, doch die Gefahr ist noch lange nicht gebannt, zumal sich Kaiser und Papst uneinig sind und geheime Bündnisse mit ihren Feinden zu schließen wünschen, um ihre jeweilige Machtposition zu stärken.
Stephanus Pannonius ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein alter Mann, der hingabevoll den Weinberg des Klosters hegt. Unverhofft wird ausgerechnet er vom Abt ausgewählt, dem Großfürst der Tyrcen eine Botschaft des Papstes zu überbringen. Stephanus, der seine eigene Herkunft nicht kennt, wird ein heidnisches Medaillon mitgegeben, das ihm vielleicht von Nutzen sein könnte.
Schon bald fällt Stephanus in die Hände der Tyrcen, die untereinander genauso zerstritten sind wie ihre Gegner. Einer ihrer Fürsten glaubt, Stephanus könnte der Nachkomme ihres ermordeten geistigen Führers sein, und will ihn als Symbol für Rache und große Umwälzungen benutzen. Stephanus lässt sich von den Geschehnissen treiben, da er keine andere Wahl hat und sich durchaus in seiner neuen Rolle als Großweiser gefällt. Zunächst scheinen die Pläne von Keve-her aufzugehen, doch dann wird er verraten
Róbert Hàsz wurde im ehemaligen Jugoslawien geboren und gehört der ungarischen Minderheit an. Von daher lag es für ihn nahe, für sein Buch ein Setting zu wählen, das ihm vertraut ist und am Herzen liegt. So bereitet er auf unterhaltsame Weise ein Stückchen Geschichte auf, das sicher nur wenigen Lesern geläufig ist. Nach der Schwemme von Romanen, die im mittelalterlichen England oder Frankreich, dem antiken Ägypten oder Rom usw. angesiedelt sind, ist dieser Schauplatz Pannonien bzw. Ungarn erfrischend unverbraucht.
Der Autor entführt sein Publikum in ein Zeitalter, über das an sich nicht viel bekannt ist, und in eine Region, der auch im Geschichts- und Erdkundeunterricht leider wenig Beachtung geschenkt wird. Eine Zeittafel am Ende des Bandes listet die wichtigsten belegten Eckdaten auf.
Ebenfalls ungewöhnlich ist die Wahl des Protagonisten. Sind es sonst immer Jugendliche oder junge Männer, die erstaunliche Abenteuer erleben, so begleitet man hier einen rüstigen Alten, wodurch gleich deutlich gemacht wird, dass man sich auf eine ruhigere Handlung und kein Action-Spektakel einstellen sollte.
Stephanus Pannonius wurde als Kind nach Kloster St. Gallen gebracht, wo er ein weltfernes Leben führte, bis ihn ein gefährlicher Auftrag weit in den Osten bringt. Schon bald wird klar, dass er ein Kind zweier Welten ist: Mönch und Christ auf der einen Seite und Großweiser ungarischer Abstammung auf der anderen. Das scheint auch Stephanus innere Konflikte zu erklären, doch bleiben Restzweifel an seiner wahren Identität bis zum Schluss.
Er ist kein Held sondern eine Person, die einfach nur am Leben bleiben möchte und sich der jeweiligen Situation anpasst, Höhen und Tiefen erfährt, bis er endlich zurück nach Hause darf doch was ist sein Zuhause? Der Volksstamm, dem er angehörte, scheint nicht mehr zu existieren, ist verschwunden, die Gefolgsleute von Gejüza-her trachten ihm nach dem Leben, und in St. Gallen wartet gar sein größter Feind auf ihn.
Erfahrene Leser ahnen schon bald die Zusammenhänge und setzen das Puzzle nach und nach zusammen, denn der Autor streut regelmäßig Informationen ein. Es wird nie zu viel verraten, aber immer genug, um logische Folgerungen zuzulassen und ein rundes Gesamtbild zu ergeben. Die letzten Teile werden erst am Ende hinzugefügt, so dass die Spannung gewahrt bleibt.
Das hier geschilderte Mittelalter ist eine Welt der Intrigen und Machtkämpfe, eigennütziger Zweckbündnisse und Rache-Aktionen im Kleinen wie im Großen. Man blickt hinter die Klostermauern, wo es den Mönchen meist viel besser geht als der normalen Bevölkerung, und erfährt von gefälschten Aufzeichnungen und wenig christlichen Ränken. Die Tyrcen erscheinen kultivierter als die Völker Mittel- und Westeuropas, doch auch sie kennen grausame Gesetze und Regeln. Man lernt einige ihrer faszinierenden Mythen kennen, die geschickt mit der Handlung verwoben wurden. Allerdings vermeidet es der Autor zu werten oder anzuklagen; der Leser darf sich selbst seine Meinung bilden.
Das Buch ist routiniert geschrieben und weist nur selten Längen auf, meist dann, wenn Stephanus und Alberich zu viel fabulieren, doch wird der Leser schon nach den ersten Seiten in den Bann der Geschichte gezogen und lässt sich ebenso mitreißen wie die Hauptfigur.
Schätzt man historische Romane und sucht nach seltenen Settings, sollte man Dem Herrscher der Seelen eine Chance geben. Róbert Hász verbindet vertraute Klosterintrigen mit den Mythen und der Geschichte der Ungarn zu einer zwar ruhigen, aber interessanten und unterhaltsamen Erzählung.
21. Jun. 2008 - Irene Salzmann
Der Rezensent
Irene Salzmann

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Irene Salzmann, Jahrgang 63, verheiratet, drei Kinder, studierte mehrere Semester Südostasienwissenschaften und Völkerkunde an der LMU München.
Schon seit Jahren schreibt sie phantastische und zeitgenössische Erzählungen, die zunächst in den Publikationen der nicht-kommerziellen Presse erschienen sind. In den vergangenen Jahren w...
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