Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Magazine Verlage Specials Rezensionen Übersicht
Neu hinzugefügt
Rezensenten
Genres
Sammelkategorien Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Rezensionen > Andreas Wolf > Horror > Puls
emperor-miniature

Puls

PULS

Buch / Horror

Stephen King ist ein sehr konservativer Mensch, beinahe schon ein anachronistisches Ur- Gestein, das alle Entwicklungen der Moderne mit kritischem, oft argwöhnischem Blick verfolgt. Diese Mentalität scheint allerdings schon Voraussetzung für seinen Job als Horror- Schriftsteller zu sein; nicht selten muss er in den Tiefen der menschlichen Seele und damit verbunden in den längst verschollenen Mythen und Sagen graben, um die Ängste des Menschen der Neuzeit klar herausarbeiten zu können.
Die Schrecken des 21. Jahrhunderts sind in ihrer Auswirkung kaum anders als die des Mittelalters, ihre Auslöser allerdings sind recht verschieden.
King hat in seinem Werk schon oft über das unheimliche Eigenleben von Maschinen geschrieben, ob Wäschemangler, Trucks, Autos oder Computer, stets öffneten diese Errungenschaften des menschlichen Erfindungsreichtums gleichzeitig auch verborgene Türen, die zivilisatorisch überwunden geglaubte Atavismen unaufhaltsam wieder hervorbrechen ließen. Das Fazit, das sich daraus ergibt, lautet: Die Umwelt des Menschen mag sich zwar in rasanter Weise ändern, der Mensch jedoch hat sich in seiner Evolution nicht weit von den Anfängen seiner Spezies fortbewegt. Tiefe Ur- Ängste lauern ebenso in seinem Wesen, wie der raubtierhafte Trieb zum Überleben.
Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich King einem weiteren Kult- Objekt der Moderne zuwandte: Dem omnipräsenten Handy.
Clay Riddell hat eigentlich allen Grund, mit sich und der Welt zufrieden zu sein. Soeben hat er bei einem Bostoner Verlag zwei seiner Comic- Romane verkauft. Clay macht sich gerade Gedanken, wie er den Erfolg mit seiner von ihm getrennt lebenden Frau und seinem Sohn feiern soll, als plötzlich um ihn herum das totale Chaos losbricht.
Ohne Vorwarnung und offensichtlich ohne jeglichen Grund fallen mit einem Mal Menschen übereinander her. Wie wilde, tollwütig gewordene Tiere benutzen sie dabei Fingernägel und Zähne. Oder aber sie machen mit ihren Autos Jagd auf ahnungslose Fußgänger.
Der kollektive Wahnsinn wirkt sich allerdings unterschiedlich auf die Menschen aus; während ein Großteil zu blutgierigen Zombies mutiert, springen andere schreiend aus dem Fenster.
Doch was ist die Ursache? Handelt es sich etwa um einen Terror- Anschlag mit Gift- Gas? Clay ist jedoch von der tödlichen Massen- Hysterie nicht angesteckt worden. Kann es vielleicht etwas damit zu tun haben, dass alle Menschen, die Clay beobachtete, kurz zuvor mit ihrem Handy telefoniert haben?
Der schockierte Comic- Zeichner findet einen weiteren ‚Normalen’, einen Mann namens Tom McCourt, der sich ihm auf seinem Weg durch ein apokalyptisches Boston anschließt. Unterwegs retten sie ein junges Mädchen vor den Angriffen der mordlüsternen Wahnsinnigen. Die ungleiche Gruppe muss sich fortan gegen eine Überzahl von Feinden verteidigen. Clay hat dabei nur eine Sorge: Seine Frau und er selbst besitzen kein Handy, sein Sohn Johnny hat jedoch erst vor kurzer Zeit ein Handy zum Geburtstag geschenkt bekommen. Er muss alles versuchen, damit Johnny nicht mit dem Gerät telefoniert. Doch wie? Die gesamte Infra- Struktur des Landes ist zerstört: Straßen sind durch unzählige Unfälle nahezu blockiert; überall ist der Strom ausgefallen und niemand weiß, ob die Verwendung des Festnetzes wirklich sicher ist.
Wie es scheint, bilden die Handy- Verrückten seltsame Gruppen, beinahe Schwärme wie Zugvögel oder Fische. Offensichtlich scheinen sie über ein kollektives Bewusstsein zu verfügen. Und sie lernen. Der wahnsinnige Feind besteht keineswegs nur aus Instinkt getriebenen Zombies, er bildet sogar Fähigkeiten heraus, die die der ‚Normalen’ sogar übersteigen. Und dann nehmen sie telephatisch Kontakt mit Clay und seinen Freunden auf. Man will offenbar, dass sie einen bestimmten Ort aufsuchen. Ist es möglich, dass hinter all dem Chaos ein dunkler Plan verborgen liegt? Die kleine Gruppe der ‚Normalen’ beschließt notgedrungen, den Weisungen des unsichtbaren Anführers der Wahnsinnigen zu folgen.

Meinung:

„Puls“ ist eigentlich ein typischer King, doch leider reicht dieses Kriterium diesmal nicht aus, um den Roman als gelungen zu bewerten. Die durchaus interessante Idee eines über Handys übertragenen Signals, das weltweit zum Wahnsinn führt, hätte problemlos auf 250 Seiten abgehandelt werden können. „PULS“ hat jedoch 531 Seiten. Und wie schon in einigen Romanen zuvor, trägt die 300seitige Aufblähung nicht zur Qualitätssteigerung bei. Ganz im Gegenteil. Gelang es King früher fast spielerisch, die Hauptgeschichte mit zahllosen packenden Nebengeschichten zu verknüpfen und dabei ganz nebenbei versteckt Kritik an gesellschaftlichen Missständen zu üben (Werbung in „Cujo“; kleinstädtische Bigotterie in „In einer kleinen Stadt“; Fanatismus in „Sie“, die Institution der Ehe in „Das Bild“, „Das Spiel“ und „Dolores“ usw.), ermüdet King diesmal den Leser mit Details, die weder die Handlung weiter bringen, noch dabei helfen, das Geschehen in einem komplexeren Licht zu betrachten. Kritiker haben King schon immer Geschwätzigkeit vorgeworfen, bei „Puls“ trifft dieser Vorwurf eindeutig zu. Zudem ist es wenig förderlich, wenn man sich bei der Lektüre an Szenen aus „Das letzte Gefecht“ oder „Der Dunkle Turm“ erinnert fühlt, wo ebenfalls eine kleine Gruppe durch ein nahezu entvölkertes Amerika marschierte. Dort allerdings wurde das Geschehen dramaturgisch wesentlich überzeugender präsentiert.
Ähnlich wie schon zuvor Greg Bear mit seinem Roman „Stimmen“, so scheitert auch King am Thema „Handy“. Übrig bleibt ein aktionistischer Thriller ohne Tiefgang, der sein Potential nur zu einem sehr geringen Teil ausspielt. Vor einer vollkommenen Bruchlandung bewahrt King den Roman nur, weil er die Handlung keine Sekunde zu früh abbricht.
Ein Trost bleibt dem geneigten Leser: Kings nächster Roman kommt schon im Oktober. Und „Lisey’s Story“ (aus dem einige Passagen als Vorabdruck in „Puls“ enthalten sind) kann eigentlich nur besser werden. Falls nicht, denkt der Rezensent ernsthaft darüber nach, ein gewisses Haus in Maine mit einem Nachfahren von Cujo zu besuchen.

Info:

Stephen King: „Puls“ („Cell“)
2006, Heyne Verlag, München
Hc.; 560 Seiten, € 19,95
Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner

07. Dez. 2006 - Andreas Wolf
http://www.phantastisch.net

Der Rezensent

Andreas Wolf
Deutschland

Total: 84 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen

* Andreas Wolf, auch als Autor unter dem Pseudonym
ARTHUR GORDON WOLF bekannt,

* Jhg. 1962

* Pendler zwischen dem Bergischen Land und dem Niederrhein, wo er als Lehrer an einem Gymnasium arbeitet

* schreibt Rezensionen für das Magazin "phantastisch!" sowie Short - Stories, Erzählunge...

[Weiterlesen...]



[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info