Das silberne Pferd
Nach dem tragischen Tod seiner Schwester zieht Michael mit seinen Eltern nach Schottland. Dort kennen sie niemanden, so dass es ihnen schwer fällt, sich und ihren Hof über Wasser zu halten, denn für einige der Pferde scheint es einfach keine Käufer zu geben. Eigentlich sollte Michael in der Schule für den Abschluss büffeln, aber lieber hilft er bei der Arbeit, denn die Eltern können jede Hand, die zupackt, gut gebrauchen.
Eines Tages kundschaftet Michael einen verwilderten Pfad aus, der ihn zu einem Fluss führt. Dort lernt er Annie kennen, die so ganz anders ist als die Klassenkameraden: Annie trägt schwarze Kleidung, ist dunkel geschminkt, hat unzählige Piercings und Tattoos. Obwohl sie grundverschieden sind, ist Michael fasziniert. Seine Freude kennt keine Grenzen, als Annie zum Reiten regelmäßig auf den Hof kommt.
Dann jedoch überstürzen sich die Ereignisse: Michaels ständiges Fehlen in der Schule sorgt für Ärger. Wegen seiner Nachlässigkeit stürzt die Mutter vom Pferd und bricht sich das Schlüsselbein. Als Michael für den Wagen einen Parkplatz in der Nähe des Krankenhauses sucht, rammt er ein anderes Auto und er hat keinen Führerschein. Annies Vater, der einige Jahre im Gefängnis saß, kommt zu seiner Familie zurück. Was er ihr angetan hat, war offenbar so schlimm, dass Annie abhauen will. Michael möchte mit ihr gehen, doch der Fluss, der sie trennt, führt Hochwasser
Das silberne Pferd beginnt zunächst eher harmlos wie so mancher Pferde-Roman, der sich an junge Leserinnen wendet. Kompetent beschreibt die Autorin das harte Leben auf einem Hof, die Probleme, die manche Pferde beim Training machen, die notwendigen Auftritte bei Turnieren, um Käufer zu werben usw.
Schon nach wenigen Seiten wird jedoch klar, dass hier keine heile Welt aufgebaut, sondern eine Geschichte erzählt wird, der etwas Düsteres anhaftet. Der Reitunfall von Michael Schwester lastet auf der ganzen Familie und hat dafür gesorgt, dass jeder für sich allein versucht, mit der Tragödie fertig zu werden und sich auf seine Weise auf der Flucht befindet. Es gibt kein wirkliches Miteinander, das Familienleben wirkt mehr wie eine Geschäftsbeziehung.
Das wird dadurch verstärkt, dass sich Michael in einem Alter befindet, in dem man sich von den Eltern abnabelt, sich nichts mehr sagen lassen und mit dem Kopf durch die Wand will. Weder Frank und Jean noch die Lehrer können ihn erreichen. Allein Annie hat Zugang zu ihm, aber sie hat ihre eigenen Probleme, die nie so ganz ausgesprochen werden, was dem Leser reichlich Raum für Spekulationen bietet.
Den beiden jungen Menschen ist nur eine kurze Zeit des Glücks vergönnt. Bereits da hat man das Gefühl, es handle sich um die Ruhe vor dem Sturm. Michaels Grübeleien über das Lied Annam Water (Originaltitel), Annies Behauptung, sie brächte Unglück, und die unheilschwangere Atmosphäre, die man früh spürt, bereiten auf die folgende Tragödie vor.
Das Ende ist realistisch und passend, selbst wenn man sich etwas anderes gewünscht hätte. Es überrascht nicht unbedingt und bietet bloß einen Funke Hoffnung. Dadurch ist der Roman für Leser und Leserinnen ab 12 Jahren (Lese-Empfehlung von cbt) schwere Kost, und man möchte den Band lieber einem etwas reiferen Publikum ab 14 Jahren empfehlen, das mit den schwierigen Themen umgehen kann. (IS)
12. Feb. 2009 - Irene Salzmann
Der Rezensent
Irene Salzmann

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Irene Salzmann, Jahrgang 63, verheiratet, drei Kinder, studierte mehrere Semester Südostasienwissenschaften und Völkerkunde an der LMU München.
Schon seit Jahren schreibt sie phantastische und zeitgenössische Erzählungen, die zunächst in den Publikationen der nicht-kommerziellen Presse erschienen sind. In den vergangenen Jahren w...
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