Herr der Ratten
| HERR DER RATTEN
Buch / Fantasy
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Handlungsort dieses Fantasy- Romans ist das Herz der Welt, eine mittelalterlich anmutende Stadt, in der allerdings höchst ungewöhnliche Bewohner hausen. Die Menschen bilden in der sozialen Hierarchie nur die niedrigste Stufe; über ihnen rangiert eine höchst anthropomorphe Rattenrasse, hünenhafte, übermenschengroße Nager, die sich auf zwei Beinen bewegen und auch sonst sehr menschliche Verhaltensmuster zeigen. Die wahren Herren des Herzens der Welt sind allerdings Gott- Dämonen, alptraumhafte, kathedralengroße Gargoyles aus lebendem Fels. Jedem der 36 Bezirke der Stadt steht einer dieser monströsen Dekane vor. Sie selbst bezeichnen sich als Inkarnation der Vollkommenheit. Alles, was sie tun, ist gut. Ohne Ausnahme. Als einzige Rechtfertigung dafür führen sie lediglich ihre göttliche Natur an. Verständlicherweise wächst der Unwille ihrer Untergebenen.
Zu diesem Zeitpunkt kommt Lucas in die Stadt, ein junger Mann, der an der Universität des Verbrechens studieren will. Der Candoveraner ist der älteste Sohn des Königs von Ordona; er zieht es aber vor, unerkannt zu bleiben. An der Uni lernt Lucas die katayanische Studentin Zar- bettu- zekigal kennen, die dort als Königsgedächtnis ausgebildet wird. Die junge Frau (augenscheinlich menschlich aber mit einem langen Schwanz - eine Art Hybride?) hat die Begabung, Gespräche und andere wichtige Ereignisse objektiv und äußerst präzise - Wort für Wort - wiederzugeben. Ein lebendes Diktiergerät.
Beide Studenten werden in eine großangelegte Verschwörung verwickelt, deren Ziel es ist, die Macht der Dekane zu brechen. Zu diesem Zweck schließen sich sogar die eigentlich wenig wohlgesonnenen Parteien der Menschen und Ratten zusammen. Durch Verrat wird die geheime Versammlung der menschlichen Gilde- Meister und Ratten- Lords jedoch blutig aufgelöst. Eine Heer von Akoluthen (fliegende Gargoyles unter dem Befehl der Dekane) bringt Tod und Verderben. Die wenigen Überlebenden flüchten sich in das weitverzweigte Kanalsystem der Stadt und treffen dort auf verstoßene Rebellen. Der Kopf der Verschwörer, der Ratten- Priester Plessiez, erläutert den Ausgestoßenen seinen Plan, mittels Magia und Nekromantie eine Pest in der Stadt zu verbreiten, um so die Dekane in die Knie zu zwingen. Unter der Bedingung, völligen Straferlaß zu bekommen, erklären sich die Rebellen zur Mithilfe bereit. Sie vertrauen dabei Plessiez Beteuerung, sie seien gegen die Seuche immun. Ein tödlicher Irrtum.
Der Anschlag gelingt; aber die Seuche kennt weder Freunde noch Feinde. Tausende von Menschen und Ratten fallen der Pest zum Opfer. Und auch die Gott- Dämonen spüren, wie ihre Kräfte schwinden. Die Macht der Nekromantie scheint umfassender und gewaltiger zu sein, als dies sich ihre Erzeuger jemals hätten träumen lassen.
Bevor alles in ein totales Nichts zusammenstürzt, kann die Katastrophe jedoch in letzter Minute abgewendet werden. Doch nichts wird mehr so sein wie zuvor.
Mary Gentle entwirft mit "Herr der Ratten ein üppiges Fantasy- Gemälde, dessen Farbenpracht den Leser aber nicht selten so blendet, daß er vergißt, mit welchem Detail er sich gerade befaßt hat. Die bildreiche Sprache der Autorin muß hierbei unter zwei Aspekten betrachtet werden: auf der einen Seite erzeugt Gentle eine überzeugende gotisch- mittelalterliche Atmosphäre, die an Victor Hugos "Glöckner von Notre- Dame erinnert, zum anderen erschwert der schwelgende, mäandrierende Stil aber einen Zugang zu ihrer durch und durch paradoxen Welt, in der fünf Himmelsrichtungen (Norden, Westen, Süden, Osten und Austen) existieren und ein Kreis fünf 90 Grad- Winkel besitzt. Man hat eigentlich schon Mühe genug,der zuweilen weitverzweigten Handlung und den jeweiligen Protagonisten zu folgen, ein gleichzeitiges Hinterfragen dessen, was man hier eigentlich liest, wird aber nahezu unmöglich. Mary Gentle unternimmt zudem auch nicht den kleinsten Versuch, einige der kryptischen Vorgänge zu erhellen. Was ist dies für eine Welt, in der U- Bahnen fahren und die Fotografie bereits bekannt ist, in der aber gleichzeitig gotische Kathedralen im Licht von Öllampen erbaut werden? Ein Parallel- Universum? Die lebenden Stein- Wesen der Gott- Dämonen bilden dabei lediglich ein Fragezeichen unter vielen.
"Herr der Ratten besitzt ein durchaus interessantes Setting, der Roman verliert sich aber zu sehr in seinen verdrehten Paradoxien und wird dadurch zu einem alles andere als leichtverdaulichen Fantasy- Werk. Empfehlenswert daher nur für ausdauernde Hardcore- Fantasy- Fans mit einem Faible fürs Enigmatische.
Mary Gentle: "Herr der Ratten ("Rats And Gargoyles)
Heyne Verlag, München 1996
Heyne Bd. Nr. 06/5364; Hc.; 672 Seiten; DM 19,90
Aus dem Amerikanischen von Alfons Winkelmann
18. Dez. 2006 - Andreas Wolf
Der Rezensent
Andreas Wolf

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* Andreas Wolf, auch als Autor unter dem Pseudonym
ARTHUR GORDON WOLF bekannt,
* Jhg. 1962
* Pendler zwischen dem Bergischen Land und dem Niederrhein, wo er als Lehrer an einem Gymnasium arbeitet
* schreibt Rezensionen für das Magazin "phantastisch!" sowie Short - Stories, Erzählunge...
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