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Yin

YIN

Buch / Mystery-Thriller

In seinem neuen voluminösen Roman präsentiert uns Akif Pirinçci eine höchst bizarre apokalyptische Vision: Innerhalb weniger Monate wird die Hälfte der Weltbevölkerung durch einen heimtückischen Virus dahingerafft. Anders als bei AIDS oder Ebola erweist sich der Erreger allerdings als äußerst wählerisch; er tötet nämlich ausschließlich Männer.
Die meisten der überlebenden Frauen verfallen daraufhin in einen apathisch- passiven Schockzustand. In ihrer Trauer um die verlorenen Männer und Kinder vergessen sie vollkommen, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Nach und nach bricht daher die grundlegende Versorgung zusammen. Ganze Industriezweige wie die Rohstoffgewinnung und -verarbeitung oder die Müllbeseitigung verschwinden binnen kürzester Zeit. Die (sich langsam auflösende) Regierung versucht zwar, Frauen für typische ‘Männer-Berufe’ zu gewinnen, doch diese lehnen jede zu schmutzige oder schwere Arbeit unter Protest ab. Als Folge strebt die ‘neue Frauenwelt’ zielstrebig einem postmodernen Mittelalter zu, in dem Begriffe wie Elektrizität oder Auto ihre Bedeutung verlieren.
Nur einige wenige erkennen den Ernst der Lage und damit aber auch die Chancen, die sich daraus für sie persönlich oder die Frauen im allgemeinen ergeben könnten. Da ist z.B. Margit, eine hünenhafte, unattraktive Walküre, die sich ihre Umwelt schon immer nach ihren Bedürfnissen geformt hat. Bei ihrer kühl kalkulierten Lebensplanung schreckte sie selbst vor Kindesmord nicht zurück. Nachdem nun auch ihre restliche Familie dem ‘Yang-Virus’ zum Opfer gefallen ist, glaubt sie nun endlich ihre wahren Träume verwirklichen zu können. Sehr schnell erkennt sie, welches Gut in einer nur aus Frauen bestehenden Gesellschaft die größte Bedeutung erhalten wird: die Möglichkeit, Kinder zu gebären. Da die Fortpflanzung auf natürlichem Wege kaum mehr möglich ist, liegt es auf der Hand, daß Samenbanken die heiligen Tempel des neuen Reiches werden. Wer die Kontrolle über diese Banken hat, besitzt auch die wahre Macht. Und genau das ist es, wonach Margit sich sehnt. Mit allen Mitteln versucht sie, die uneingeschränkte ‘Herrscherin der Frauen’ zu werden.
Als Mittstreiterin gewinnt sie Viola, ein ehemals weltbekanntes Top-Model, das mittlerweile aber nicht einmal mehr ein Schatten ihrer selbst ist. Von einem Psychopathen entführt, mußte sie über zwei Jahre lang die unmenschlichsten Qualen erleiden. Als Margit sie aus einem Kellerverlies rettet, ist nicht nur ihr Äußeres gräßlich entstellt, Violas Psyche trägt die größten Narben davon. Durch die Folterungen ist die junge Frau zu einem gefühllosen, männerhassenden Monstrum mutiert.
Dreh-und Angelpunkt von "Yin” ist ein Genlabor, das gleichzeitig die größte Samenbank des Kontinents beherbergt. Die einzige noch verbliebene Mitarbeiterin, Angelika Markus, eine desillusionierte Ärztin, die nur zu gerne mit denen paktiert, die ihr die größten Vorteile verschaffen, erkennt nur zu gerne Margits Führungsanspruch an. Zusammen mit Vanessa, einer karrieresüchtigen Politikerin, schließen sie sich zu einem unheilvollen Quartett zusammen, das ihre Untergebenen durch Gebärerlaubnis oder -verbot kontrollieren will. Das Konzept scheint aufzugehen. Margit gründet ein ‘Reich der Vagina-Frauen’, das gegen die abtrünnigen ‘Mann-Frauen’ Krieg führt.

Die Anführerinnen der ‘Gegenseite’ sind ebenfalls ‘gebrannte Kinder’: Da ist Helena, eine gescheiterte Journalistin, die die vom Vater entbehrte Liebe nun in übersteigertem Maß auf Pferde überträgt, oder die schöne Lilith, deren Naivität sie in die Prostitution brachte, wo sie gänzlich die Fähigkeit, zu lieben, verlor. Halbwegs ‘normal’ scheint nur Cora zu sein, eine ehemalige Jetpilotin, deren Töchter von Margit entführt wurden. Cora wurde auf diese Weise gezwungen, alle noch verbliebenen Samenbanken mit Fliegerbomben zu zerstören. Als sie mit knapper Not einem Mordanschlag entgeht, sinnt sie nach Jahren der Entbehrung und blutiger Kämpfe nicht nur auf Rache, sie will auch endlich ihre Kinder wiedersehen.
Eine letzte, alles entscheidende Schlacht kündigt sich an. Eine Schlacht, die bestimmen wird, welche Frauen-Gruppe das Fortbestehen der weiblichen (oder vielleicht gar männlichen?) Menschheit sichern wird.

Obwohl der Autor in seinem Nachwort heftig dementiert, mit "der anderen Hälfte des Himmels” abrechnen zu wollen, so muß man "Yin” dennoch als kollossalen Rundumschlag betrachten, der allerdings auch an der männlichen Seite kaum ein gutes Haar läßt. "Yin” ist giftigste Gesellschaftskritik: Männliche und vor allem weibliche Neurosen werden der Lächerlichkeit preisgegeben, politische Systeme jedweder Couleur werden schonungslos hinsichtlich ihrer spezifisch manipulierten Rollenmodelle bloßgestellt. Pirinçci übt zudem harte Kritik am überbordenden Konsumterror, der selbst vor der ‘Ware Leben’ nicht halt macht. Wenn eine Gesellschaft einerseits die Abtreibung befürwortet, andererseits aber die künstliche Befruchtung billigt, dann - so läßt uns der Autor wissen - ‘spielt’ sie auf unmoralischste Weise mit dem kostbarsten Gut, das sie besitzt.
Der Roman ist dramaturgisch recht spannend aufgebaut und stilistisch auf hohem Niveau, und doch fehlt etwas, was das Buch als durchweg gelungen betrachten ließe. Zuweilen lacht man laut über Pirinçcis Wortwitz, oft, allzuoft allerdings bleibt einem das Lachen im Halse stecken. "Yin” ist schwerverdauliche Kost, die mit Härte und Brutalität nicht spart. Diese "Schweigen-der-Lämmer”-trifft-”Schöne-neue-Welt”-Ästhetik durchzieht das gesamte Buch, ohne auf einen ausgleichenden Gegenpol zu treffen. Eine leichte, distanzierte Ironie sucht man hier vergeblich. Angesichts der Tatsache, daß die Handlung zu oft analytisch-philosophischen, metapherbeladenen ‘Klagegesängen’ weichen muß, wird die Intention des Autors deutlich: "Yin” ist kein Roman, der en passant Gesellschaftskritik übt, sondern eher umgekehrt: Pirinçcis zuweilen defätistisch anmutende Menschen- und Gesellschaftsbild ist Ausgang einer romanhaften Handlung. Weniger ‘Dozieren’ und mehr ‘Erzählen’ hätten "Yin” sicher recht gut getan, denn das, so wissen wir nicht erst seit "Felidae”, beherrscht Akif Pirinçci meisterlich.

Akif Pirinçci: "Yin”
Goldmann Verlag, München 1997
Hc.; 832 Seiten; DM 49,90

19. Dez. 2006 - Andreas Wolf

Der Rezensent

Andreas Wolf
Deutschland

Total: 84 Rezensionen
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* Andreas Wolf, auch als Autor unter dem Pseudonym
ARTHUR GORDON WOLF bekannt,

* Jhg. 1962

* Pendler zwischen dem Bergischen Land und dem Niederrhein, wo er als Lehrer an einem Gymnasium arbeitet

* schreibt Rezensionen für das Magazin "phantastisch!" sowie Short - Stories, Erzählunge...

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