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Klappe zu - Balg tot
Bitterböse Geschichten nennt Regina Schleheck ihre Kurzgeschichtensamlung. Doch der Untertitel ist eine starke Untertreibung. Diese Geschichten sind so furchtbar, grausam und bitter-bitterböse, dass selbst das Wort rabenschwarz noch eine Verharmlosung bedeuten würde. Und das wirklich böseste an dem ganzen Buch: Diese Geschichten sind so beängstigend normal, dass sie sich jederzeit in der eigenen Nachbarschaft abspielen könnten.
Regina Schleheck braucht keinen wahnsinnigen Serienkiller, keinen Amoklauf in der Schule, keine kriminelle Jugendbande: Eine einsame, schwangere Frau, ein LKW-Fahrer in der Innenstadt, ein Alzheimer-Patient oder die dominante Schwägerin, die die Frau ihres Bruders auf alle nur erdenkliche Weise kleinhält und ausbootet das ist alles, was die Autorin benötigt, um das Grauen des Alltags heraufzubeschwören und die Geschichte ihre denkbar schlimmste Wendung nehmen zu lassen.
In dem schmalen Bändchen von nur 120 Seiten kommen mehr als zehn Personen ums Leben. Manches sind einfach nur tragische Unfälle. So erfriert in der Titelgeschichte ein Säugling, der von seiner überforderten Mutter in einer Winternacht vor einer zugefrorenen Babyklappe abgelegt wird. Oder ein behindertes Kind kommt ums Leben, weil seine Mutter sich nach Jahren endlich einmal wieder mit einem Liebhaber treffen möchte und ihm darum ausnahmsweise die doppelte Dosis Schlafmittel verabreicht. Aber es gibt auch die ewig unterdrückte Ehefrau, die ihrer Schwägerin auf deren Geburtstagsfeier den Stuhl wegtritt und dadurch ihren Genickbruch verursacht, oder den großspurigen Frauenhelden, der nach vollzogenem Geschlechtsakt im Gebirge einfach einmal im Vollgefühl seiner Männlichkeit in eine Schlucht pinkeln muss und unerwartet einen Tritt ins Kreuz erhält.
Da ist von Vergewaltigungen die Rede, von gealterten Todesschützen an der Berliner Mauer, von Menschen, die ihre schwer behinderten Angehörigen pflegen und das alles leidenschaftslos und in trockenem, herbem Tonfall minutiös aufgezeichnet. Der Tod eines von einem Lastwagen überfahrenen Kindes wird ebenso detailgenau analysiert wie der Vorgang des Eindringens einer Samenzelle oder das leise Knirschen, das entsteht, wenn eine stahlblaue Kontaktlinse genussvoll zertreten wird.
Fazit
Diese Anthologie ist nichts für schwache Nerven, obwohl oder gerade weil die Autorin auf Gewalt-Exzesse, blutige Gemetzel und klassische Horror-Elemente verzichtet. Das Grauen, das diesen 24 Kurzgeschichten entsteigt, erfasst den Leser gerade wegen der alltäglichen Situationen, in denen es Gestalt gewinnt. Ein Buch, das unter die Haut geht und das niemand so leicht vergessen wird.
11. Apr. 2010 - Petra Hartmann
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Der Rezensent
Petra Hartmann

Website: http://www.petrahartmann.de
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*Jahrgang 1970
* lebt in Sillium.
*Sie studierte Germanistik, Philosophie und Politik und promovierte mit einer Arbeit über Theodor Mundt (1808 1861). Ausgebildete Redakteurin, arbeitete sieben Jahre lang für eine Tageszeitung. Derzeit ist sie freie Journalistin und Schriftstellerin.
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Kurzgeschichten - Rezensent: Elmar Huber |
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