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Die Anbetung

DIE ANBETUNG

Buch / Horror

Mit „Odd Thomas“ bewegt sich Dean Koontz nicht nur zufällig in den Bereich des „The Sixth Sense“, sondern gegen Ende der kurzweilig zu lesenden, aber nicht immer sonderlich griffigen Handlung nutzt er dessen Plot eigennützig, aber nicht unbedingt notwendigerweise aus. Leider kann die hier präsentierte Idee nach dem ebenfalls zu sehr simplifizierten und suggestiven Film niemanden mehr überzeugen. Die Stärke Koontzs liegt in der verblüffend einfachen, aber effektiven Charakterisierung seiner Handlungsträger. Ihrem Schicksal folgt der Leser auch in den manchmal zu einfachen und zu bekannten Handlungssträngen. Koontz ist kein Manipulator wie King, dessen Stärke sein slangartiger Stil und die Kombination übernatürlicher Ereignisse mit einer scheinbar unerschütterlichen Gegenwart ist. Sobald King die realistische Umgebung verlässt – siehe „The Dark Tower“ und die epischen Fortsetzungen – erscheinen seine Bücher undifferenziert und nicht mehr präzise genug. Im vorliegenden Roman gibt es allerdings eine unüberbrückbare Distanz zwischen dem Handlungsträger und der Intention des Autoren.

Der Kontrast zwischen der Realität und der fiktiven Welt der Toten – eine Art Twillight Zone, wobei der Autor keine Informationen über deren Hintergrund seiner Handlung hinzufügt, sondern nur ihre Inkarnation beschreibt – ist das belebende Element dieses Buches.
Das liegt aber im Understatement begründet, dessen sich Koontz öfter bedient und dem subtilen Humor .Ein Beispiel wäre Elvis auf der Rückband eines Autos auftauchend und tief im eigenen Grübeln vergraben.
Die oft so typische Ich-Erzählerebene nimmt vielen Szenen allerdings die Spannung, denn der Leser weiß, dass der Titel gebende Charakter Odd Thomas die Ereignisse auf jeden Fall überleben wird. Anfänglich nutzt Koontz den ungewöhnlich selten im Horrorroman eingesetzten stilistischen Trick, mit dem Leser direkt Kontakt aufzunehmen. Mit sanfter Ironie setzt der Ich- Erzähler seinen Lesern seine bizarre Welt auseinander. Er ist stolz darauf, Grillchef in einem kleinen Fastfoodrestaurant zu sein. Er schätzt dieses simple Leben, liebt seine Verlobte und potentielle Braut – diese Beziehung ist die letzte Plotebene des Buches und wirkt rückblickend insbesondere in Kombination mit der eigentlichen Handlung unüberzeugend und konstruiert - und spricht mit Toten. Diese antworten ihm nicht. Sie sind stumm. Sie zeigen ihm aber ihre Geheimnisse. So kann der junge zwanzigjährige Mann gleich zu Beginn der Polizei einen Tipp geben, den Mörder eines jungen Mädchens zu überführen. Insbesondere der örtliche Polizeichef glaubt seinen Fähigkeiten.

Koontzs Roman ist im dunklen, aber tiefsten Herzen Amerikas verwurzelt. So sieht Thomas als einziger die so genannten Bodachs, seltsam formlose Kreaturen, die von unmittelbar bevorstehenden Gewalttätigkeiten wie magisch angezogen sind. Diese Idee erinnert nicht nur im Aufbau, sondern auch in der effektiven Ausführung an den Richard Gere Film „Die Mothmann Prophezeiungen“. Subtil setzt in diesen Szenen Koontz seine schriftstellerischen Mittel sehr gezielt ein. Solange er die Katastrophen andeutet, wirkt das unheimliche Auftreten dieser widernatürlichen Wesen unheimlich. Leider gelingt es dem Autoren anschließend nicht, diese gewaltige Bedrohung wirklich effektiv umzusetzen. Wenn Odd Thomas bei einem potentiellen Gewalttäter Poster von Gewalttätern wie dem Oklahoma Bomber oder obligatorisch Osama Bin Laden findet, dann schraubt die Erwartungshaltung insbesondere in der Zeit nach dem 11. September zu hoch. Der Roman kumuliert zwar in einem spannenden Showdown, der ironischerweise ein markantes Beispiel für das Bilderbuchamerika ist, das der außen stehende Betrachter heute mehr als früher in der Vorbushzeit sich in seinen Alpträumen ausmalt, doch der Funke springt nicht über. Zu sehr konzentriert sich Koontz in nicht überzeugender Weise auf seinen Hauptprotagonisten, der als Erzähler und Identifikationsfigur Pluspunkte sammeln kann, aber als klassischer Hero eine Fehlbesetzung ist. Auch setzt Kootz seine Vorgaben nicht konsequent genug, vor allem nicht gezielt genug um. In mehr als einer Szene tauchen die Bodachs auf und weisen auf grausame Verbrechen hin. In der entscheidenden Szene fehlen diese unerklärlicherweise. Sie hätten sich viel früher auf die Fährte des Attentäters heften müssen. Es ist nicht nur dieses eine Mal, dass Koontz scheinbar seine dieser Geschichte zugrunde liegende Welt vergisst, sondern auch das bislang bekannte Szenario auf dem Kopf stellt. Im Grunde scheint Odd Thomas nur über seine besonderen Fähigkeiten zu verfügen, wenn es plotopportun ist. Gegen Ende des Buches wäre es notwendig, insbesondere die hellseherischen Fähigkeiten zu nutzen, um eine Gefahr auszuweichen… und prompt funktioniert diese Fähigkeit hier nicht. Sinnvoller wäre es, diesen Ausfall des sechsten Sinnes in der vorangestellten Geschichte öfter zu nutzen, um klarzustellen, dass mann/Thomas sich nicht auf diesen Sinn verlassen kann. So stellt Koontz sehr deutlich heraus, dass bislang aller Vorhersagen eingetroffen sind und damit er während des Showdowns überhaupt über ein Spannungselement verfügen kann, muss er die bisher geltenden Gesetze außer Kraft setzen.

Bevor man sich die Schwachstellen des Buches weiter vor Augen führt, ist es wichtig zu erwähnen, dass der Roman nur knappe 450 Seiten im Original umfasst und fast gänzlich an einem einzigen Tag spielt. Das wird dem Leser erst im Nachhinein wirklich bewusst. Koontz gibt sich sehr viele Mühe. Er sucht neue Wege, das kaum vorhandene Handlungsgerüst durch andere stilistische Elemente zu beleben. Die einzelnen Charaktere – allerdings in erster Linie die Guten und nicht die finsteren und selten effektiv sowie dreidimensional inszenierten Bösewichte – werden nicht zuletzt durch die Integration ihrer Hintergrundgeschichten und ihre einzelnen Beziehungen zu Odd Thomas definiert.. Insbesondere die Beziehung zu seiner jungen Freundin Stormy Llewellyn wird romantisch, aber überzeugend beschrieben. In den gemeinsamen Szenen lernt der Leser am ehesten Odd Thomas als Menschen und nicht als Sprachrohr der Toten kennen. Weitere gute Ideen ist die Elvis- Manie seiner Chefin und die Beziehung zu einem skurrilen örtlichen Krimitautoren. Keine dieser Beziehungen ist perfekt, doch Koontz bemüht, sich jede mit einzigartigem Leben zu erfüllen. Aus dieser scheinbar perfekten Harmonie überzeugender Figuren heraus kann Koontz das Grauen entfesseln und – wie in vielen anderen seiner Romane – die Ursachen des unsagbaren Bösen untersuchen. Im Gegensatz zu vielen seiner bisherigen Bücher bemüht er sich nicht, das Unbekannte jenseits unserer Wahrnehmung zu untersuchen, sondern sucht die Wurzeln vielen Übels in den Herzen scheinbar normaler Männer und Frauen.

Dabei versteift sich Koontz nicht nur auf einen ungewöhnlichen, aber nicht gänzlich überzeugenden Charakter, sondern scheint im Zuge der neo- konservativen Bewegung auf alte Werte zurückgreifen zu wollen: Odd Thomas ist ein Kirchengänger – obwohl er übernatürliche Begegnungen hat, die sich immer mit der Kirchenmoral übereinstimmen -, er trinkt nicht, er raucht nicht, selbst Flüche sind nicht opportun. Obwohl er eine junge Freundin hat, lebt er im Zölibat bis zur Ehe. Im Grunde der Musterschwiegersohn, wenn ihm nicht ein wenig Ambition und Perspektive fehlen würde. Mit dieser Anhäufung von Tugenden gibt Koontz seinem Protagonisten keine Reibungsfläche und dem Leser im Grunde keine Identifizierungsmöglichkeiten. Es werden die neuchristlichen Moralvorstellungen dieses neuen Zeitalters immer und immer wieder heruntergebetet. Durch die Ich- Erzählerebene hat der Autor nicht einmal die Möglichkeit, eine gewisse ironische Distanz in die Handlung einzuflechten. Wahrscheinlich war das auch nicht die Absicht Koontzs. Wie schon in vielen anderen seiner Bücher werden Verbrechen gegen die Familie – in erster Linie Ehebruch und Alkoholismus – konsequent und brutal bestraft. Dabei gelingt es ihm, eine perfekte Familie vorzuheucheln, in der der „Verbrecher“ automatisch an die Wand gestellt gehört. Perfekter, ehelicher Sex, intelligente und mit beiden Beinen im Leben stehende Frauen und Männer, gesunde Kinder und natürlich mindestens ein Hund und eine Katze als Haustiere. Das das Leben jede Sekunde zu Ende sein kann und man nur auf die nächste Stufe der Evolution wechseln kann, wenn man sich aller irdischen Anhängsel entledigt hat, ist eine weitere Botschaft, die Kootz spürbar und stetig, aber selten konsequent oder überzeugend einsetzt.

Mit der extrem konservativen Position, die Kootz in diesem Buch einnimmt, gewinnt er nicht die Sympathien der Leser. Sehr schnell baut sich eine Distanz zwischen Odd Thomas und eben diesen Käufern/Konsumenten auf. Der Autor verzerrt manipulierend die Perspektive und zeigt auf, dass das Leben der meisten Jugendlichen – immer noch eine Hauptzielgruppe seiner actionorientierten und oft suggestiven Romane – aus Videospielen und Rapmusik besteht. Wer sich vor beiden schützt und beim Sex nicht allzu wild voranschreitet, der hat schon einmal die Fahrtkarte in den Himmel in der Hand. Ein weiterer Fehler ist das Missverhältnis zwischen der scheinbaren Lebenserfahrung seines zwanzigjährigen Protagonisten er hat bislang nicht die Umgebung der kleinen Stadt verlassen – und Beispielen seiner Bildung – so finden sich Hinweise auf Shakespeare und William Blake als Demonstration eines breiten Wissens. Koontz gelingt es nicht, diese beiden so unterschiedlichen Ebenen überzeugend zu kombinieren und so wirken manche Bemerkungen arrogant und überzogen als förderlich. Im Grunde repräsentiert Thomas die Art junger Leute, die sich in erster Linie vor Dingen fürchten, die Bekannten, Nachbarn oder Freunden passiert sind. In seiner ganzen Handlungsweise wirkt Thomas selten Lebenserfahren oder von seiner eigenen Maxime, das Leben in vollen Zügen zu genießen, da man jederzeit mit dem Tod rechnen kann, überzeugt. Und wie kann Kootz als Autor einen Charakter auf die Bühne stellen und über das Leben philosophieren, der überdeutlich es selbst noch nicht ansatzweise gelebt hat oder die Intention hat, es überhaupt zu leben?

Trotz seiner Erfahrung als Autor kann Koontz in diesem Fall die Schwächen des Buches nicht überdecken. In der Vergangenheit funktionierte es oft bei ihm mit einer überzeugenden Charakterisierung der einzelnen Protagonisten. Er erweckte bei seinen Lesern Mitgefühl für das Schicksal dieser Figuren. Kaum war die reine Logikebene ausgeschaltet, konnten einzelne Bestandteile seiner Bücher zwar nicht besser harmonieren, aber der Leser sah über diese Schwächen hinweg. Zusätzlich zur Handlungsebene zeigt „Die Anbetung“ erhebliche Schwächen in der Charakterisierung des Handlungsträgers und stößt seine Leser eher vor dem Kopf als das er sie geschickt und intelligent durch eine dunkle, düstere Handlung führt. Zu oft erinnern Teile des Buches an bekanntere, aber nicht unbedingt bessere Filme wie „The Sixth Sense“ oder „Die Mothmann Prophecys“. Während man bei diesen Filmen sich vielleicht zwei Stunden gut unterhalten fühlt und erst später die durch geschickte Inszenierung überdeckten Lücken im Plot erkennt, zerfällt der Handlungsbogen dieses mehr als vierhundertfünfzig umfassenden Romans sehr schnell zu Staub. Zurückbleibt eine erzkonservative Motivation der Belehrung und nur wenige skurrile und unterhaltsame Szenen in einem geradlinig, routiniert, aber leblos geschriebenen Text.

Dean Koontz: "Die Anbetung"
Roman, Softcover, 478 Seiten
Heyne 2006

ISBN 3-4530-1644-0

12. Jan. 2007 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/horror/isbn3-4530...

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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