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Metamorph
Matthias Oden stellt in seiner Sammlung Metamorph fünfzehn groteske Geschichten in fünf Themenblöcken a drei Texten zusammengefasst vor. Im Gegensatz zu Episodenromanen wie Jörg Kleudgen Cosmogenesis oder Jeff van der Meers Die Stadt der Heiligen und Verrückten sind die einzelnen Episoden/ Kurzgeschichten nicht miteinander verbunden. Matthias Oden wechselt nicht immer glücklich die Erzählperspektive. So hätten einige der Kurzgeschichten wie zum Beispiel Lass immer Töne um Dich sein in der intimen, näheren Ich- Erzählerperspektive als Kontrapunkt gegenüber der vorhersehbaren Handlung eindrucksvoller gewirkt.
Matthias Oden läutet mit Lass immer Töne um Dich sein seine Trilogie der Töne ein. Die einzige Geschichte der Trilogie aus der dritten Person erzählt. Der Protagonist Schellack kauft in einem Spielzeugladen einen Schellenmann als Marionette. Schnell wird ihm das ständige Gebimmel zu viel. Auf der anderen Seite kann er sich dem Bann auch nicht entziehen. Es wäre technisch sinnvoller gewesen, den Bogen zur dritten abschließenden Geschichte Das Schellenland zu schlagen anstatt Das orange Orchester mit einer etwas anderen Thematik zwischen die beiden Texte zu platzieren. In Das Schellenland sucht der Ich- Erzähler in Asien den ultimativen Drogenkick und landet zuerst in seinen Visionen in einem grotesken Land, das leider vorhersehbar in den Drogenvisionen des Ich- Erzählers oder vielleicht doch der Realität in unsere Gegenwart hinüberwechselt. Die beste Geschichte dieses Themenabschnitts ist Das orange Orchester, in dem Ich- Erzähler hinter das Geheimnis einer Musikgruppe kommt, die für die Armen der Stadt spielen. Wie in den folgenden Themenblöcken versucht Matthias Oden die Spannung allerdings auch die grotesken Bilder zu steigern, wobei die zugrunde liegenden Ideen entweder nicht zufrieden stellend extrapoliert - Lass immer Töne um Dich sein oder zu früh für den Leser erkennbar Das Schellenland sind. Alleine die bizarren Bilder, die Matthias Oden stellvertretend für den Leser in den Bildern seiner Protagonisten erzeugt, bleiben länger in Erinnerung.
Die drei Geschichte der Trilogie des Reisens sind von sehr unterschiedlicher Qualität. Der schwächste Text ist Business Class; eine Vignette. Aus Afrika bringt das UNO Corps einen dunklen Gast mit in die Staaten, der seine unheilige mörderische Tätigkeit auf die neue Welt ausdehnen möchte. Zugfahrt ist ein Beweis, das groteske Bilder und exzentrische Charaktere nicht ausreichen, um eine Geschichte zu tragen. Klaus N. besteigt den falschen Zug, der nicht nach F.-Stadt (ausreichende, wenn auch platte Anspielungen auf den PR Chefredakteur?) fährt, sondern in die Unendlichkeit. Stilistisch sehr intensiv geschrieben mit interessanten Figuren besteht der Plot aus den surrealistisch grotesken Bildern und einer Pointe, die weit im Vorwege erkennbar ist. Warum Matthias Oden aus den Ideen nicht mehr macht, ist eine der Fragen, die sie sich der Leser bei einigen der hier versammelten Geschichten stellt. Die letzte Story der Trilogie der Reise und gleichzeitig der einzige reine Science Fiction Beitrag zeigt, dass Matthias Oden Stil und Plot gut miteinander verbinden kann. In Das Schellenland überwog der einfallsreiche Hintergrund, in der Cyberpunkstory Emo Boy die Quest. In ferner Zukunft kann alles in Ampullen gekauft werden. Freude, Trauer, sexuelle Begeisterung und Stimulation, natürlich Snuff und Todessehnsüchten. Emo- Boy ist einer der Süchtigen, immer auf der Suche nach dem nächsten Schuss. Sein Dealer, ein schmieriger Ladenbesitzer, hat einen Auftrag für ihn, der ihm nicht nur viel Geld einbringt, sondern ihm die Möglichkeit gibt, 50 Ampullen auf eigene Rechnung in einer der Abfüllfabriken außerhalb der molochartigen Großstadt abzufüllen. Das der Auftrag gefährlich, sogar lebensgefährlich ist, ist Emo- Boy nicht klar. Die Atmosphäre der Geschichte ist dunkel, aber nicht nihilistisch. Die künstlichen Emotionen sind zu einem festen Bestandteil dieser dahin treibenden Gesellschaft geworden, wobei Geld immer noch die Welt regiert. Emo Boy ist im Grunde am falschen Ort zur falschen Zeit. Seine Reise zur Abfüllfabrik, die Begegnung mit einem Mädchen und schließlich die finale Konfrontation sind souverän aufeinander aufgebaut. Die bizarren Hintergrundbilder sind gut mit der Handlung vermischt, wobei Matthias Oden entgegenkommt, das die Protagonisten ganz bewusst als Schemen gezeichnet worden sind. Emo Boy ist tragisches Opfer wie süchtiger Täter zugleich. Das Ende der Story ist folgerichtig und konsequent, die Pointe wirkt aber ein wenig aufgesetzt. Unabhängig von dieser Schwäche ist Emo Boy aufgrund der originellen Grundidee, der guten nicht überhasteten Umsetzung und dem bizarren Hintergrund einer der Höhepunkte der ganzen Sammlung und wertet die hinsichtlich der verwandten Ideen unterdurchschnittliche Trilogie der Reisen entscheidend auf.
Die Trilogie des Fleisches wendet thematisch dem Horror zu. Dabei versucht Matthias Oden mit einem überfließenden, aber in der Konzentration auch künstlich wirkenden Stil die inhaltlichen Schwächen seiner Geschichten zu überdecken. Der beste Idee versteckt sich in der Liebesgeschichte Tumorfrucht zwischen einem Arzt und einem Tumor, den er aus dem Körper eines kranken Patienten herausoperiert hat. Bizarre Liebesgeschichten hat der Leser inzwischen in den unterschiedlichsten Horrorromanen bis zu Artexzessen wie Zulawskis Posession kennen lernen können. Alleine die offene, den Leser direkt ansprechende Pointe sowie die Verpflanzung der Idee auf eine neue Generation fügen dem eher fragwürdigen Bodyhorrorsubgerne neue Impulse hinzu. Biorama beschreibt die Taten eines offensichtlich wahnsinnigen Künstler, der junge schöne Frauen als Teil seiner Kunst sieht und entsprechend mordet, um sie für sich wieder zusammen zu setzen. Dabei dauert der Augenblick der künstlerischen Ekstase nicht lange an. In Schweiß verwandelt sich ein dicker, unattraktiver und am Rand zum Psycho wandelnder Angestellter in der Kantine in Schweiß, um sich an seinen Kollegen und Kolleginnen zu rächen. Während Biorama eine bekannte und inzwischen auch nicht mehr originelle Idee stilistisch mittelprächtig präsentiert, rutscht Schweiß von der guten Grundidee ausgehend in einfache Primitivsprache an, in der alle Frauen sexgierige Schlampen sind, die dem Schweiß des Protagonisten verfallen. Ob die Opfer dem psychotischen Täter wirklich etwas angetan haben bleibt ebenso ungeklärt wie die Plotpointe eher aufgesetzt und nicht konsequent genug wirkt. Alle drei Geschichten der Trilogie des Fleisches wirken eher wie notgedrungen herunter geschrieben bzw. frühe Arbeiten Matthias Odens, deren Form ähnlich gequält erscheint wie die Frauen in der Auftaktgeschichte. Aus den Bioramen wird keine große Kunst, aus den Geschichten leider keine ansprechende Unterhaltung.
Schwarzer Klee eröffnet die Trilogie des Leidens. Eine Vampir ganz bewusst in Anführungszeichen gesetzt Vignette, die handlungstechnisch rudimentär und hinsichtlich ihrer Stimmung zu distanziert, zu konstruiert erscheint. Die Frage der Perspektive mit dem seine Frau tötenden Protagonisten überzeugt leider ebenso wenig. Die Pointe ist klar erkennbar, auf weitergehende Erläuterungen verzichtet der Autor ebenso wie in Zimmertürerscheinungen, deren Titel zumindest die Wahnvorstellungen(?) des Erzählers charakterisiert. Auf den ersten Blick die originellste Idee der drei hier versammelten Geschichten, wobei Matthias Oden sich frustrierenderweise nicht zum ersten mal in diese Sammlung weigert, die angeblich phantastischen oder möglicherweise nur dem aufkommenden Wahnsinn seiner Protagonisten entstammenden Phänomene ausführlicher zu beschreiben. Sich alleine auf Stimmungen zu verlassen, funktioniert in einzeln erscheinenden Kurzgeschichten, aber die Kompakt seines hier versammelten Werkes verlangt einfach Variationen. Zumindest in den letzten beiden Trilogien des Fleisches und des Schmerzes wirkt nicht nur die Auswahl der Geschichte eher willkürlich. Biorama hätte sehr gut in die letztere Trilogie gepasst, während Schwarzer Klee auch eine fleischliche Geschichte ist . Hinzu kommt, dass bei einer Zusammenfassung der beiden Trilogien zu einer und der Verzicht auf einige Texte die Qualität der Trilogien deutlich angehoben hätte. Biorama, Schweiß und mit Abstrichen Zimmertürerscheinungen hätte eine qualitativ bessere Trilogie des fleischlichen Leidens abgegeben.
Den Abschluss der Sammlung bildet die Trilogie des Endes. Es geht um den Untergang der Menschheit. Die Eröffnungsgeschichte Der Bote in Gelb erinnert an den Roman des Pulpautoren Robert W. Chambers. Der Erzähler behauptet arrogant, ganze Staaten und ihre Bevölkerungen, die schon der Dekadenz als Zeichen ihrer inneren Schwäche anheim gefallen sind, beeinflussen und schließlich auf der letzten großen Feier in den Untergang führen zu können. Stilistisch ansprechend geschrieben bleibt es bei einem Manifest. In Die Gedankenrebellin kommt es zu einem Krieg der Gedanken (?) gegen die Menschen. Während es in Der Bote in Gelb keine Beweise für seine Behauptungen anbietet, gibt es in Die Gedankenrebellion keine Hintergrundinformationen über den Katalysator der Katastrophe bzw. deren Abläufe. Die Geschichte ist sehr kompakt geschrieben, leidet aber unter den rudimentär entwickelten Charakteren. Zumindest die Ausgangsidee ist originell und eher für eine Novelle denn eine Kurzgeschichte geeignet. In der abschließenden Vignette Tote Träume beginnt die endgültige Vernichtung der Menschheit wieder aus einem imaginären denn wirklich überzeugenden Anlass. Stilistisch im Vergleich zu Der Bote in Gelb ruhiger, zurückgehaltener erzählt hätte dieser Story das Element der positiven Übertreibung einiger anderer Geschichte besser getan.
Die fünf Trilogien mit jeweils drei Geschichten sind ein ambitioniertes und mutiges Projekt, dem Matthias Oden mit einer Handvoll stilistisch wie auch inhaltlich überzeugender Geschichten zur Zufriedenheit seiner Leser Rechnung trägt. Fast fünfzig Prozent der Texte sind entweder auf der ausführenden oder inhaltlichen Ebene nicht zufrieden stellend. Entweder werden bekannte Ideen wie in der Trilogie des Fleisches präsentiert oder die Ausgangsprämissen wie in Zimmertürerscheinungen oder Die Gedankenrebellion zu wenig extrapoliert. Stimmungen und Andeutungen reichen manchmal nicht aus. Auf der anderen Seite gibt es kleine Perlen wie Emo Boy oder Das orange Orchester, die neben der fordernden Struktur die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln. Erzähltechnisch ist die Sammlung ansprechend und einzelne Texte sehr anspruchsvoll. Matthias Oden ist ein talentierter Schriftsteller, dessen Entwicklung zu beobachten ist. Metamorph zeigt in dieser Richtung gute Ansätze, aber auch einige frustrierende Oberflächlichkeiten.
12. Sep. 2010 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

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