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Frankenstein - Das Gesicht

FRANKENSTEIN - DAS GESICHT

Buch / Horror

Der erste Band der neuen Frankenstein- Trilogie „Das Gesicht“ weckt nicht nur wegen des ominösen Covers voreilig ungute Erwartungen. Eine weitere thematisch ähnlich gestrickte Wiedererweckungsgeschichte? Ein abgebrochenes Fernsehmehrteilerprojekt? Der ansonsten mit der Neuinterpretation wirklich ausgebrannter Ideen oft verlässliche Dean R. Koontz als Namensgeber? Kevin J. Anderson – der handwerklich minder begabte Bestsellerautor mit dem Instinkt für plakative Stoffe und leichte Geschäfte als eigentlicher Verfasser des Textes? Alles Punkte, die gegen einen guten und interessanten Roman sprechen. Trotz dieser schwer zu überwindenden Hürden entpuppt sich „Frankenstein – das Gesicht“ nach den ersten hundert Seiten als interessante Science Fiction artig erweiterte Variation des ursprünglichen frankenstein´schen Schöpfungsgedanken: nicht nur neues Leben zu erschaffen, sondern einen neuen Menschentyp.

Dabei bezieht Koontz zumindest in der Konzeption und dem grundlegenden Aufbau seine soziologischen Ansichten oft mit einem konservativ- religiösen Touch mit ein. Oft führt in seinen Romanen eine kleine Sünde des Protagonisten zu einer mittelschweren Katastrophe. Ein innerer Katalysator löst eine Kette von äußerlichen, oft brutalen Ereignissen aus. Nur dank der Konzentration auf das Elementare – beispielhaft klassische Familienwerte wie uneigennützige Liebe, Treue und Vertrauen – kann die Gefahr schließlich unter größeren Opfern gebannt werden. Die Zukunft sieht nach dieser Katharsis deutlich besser aus. Die Art der Prüfungen erreichen in einigen seiner Romane fast biblische Ausmaße, die Bedrohung dagegen basiert oft auf wissenschaftlichen Fundamenten. Diese genreübergreifende Mischung aus modernem Horror und Science Fiction mit überzeugenden dreidimensionalen Charakteren und einer sich stetig steigernden Spannungskurve ist sicherlich das Markenzeichen von Koontzs Erfolg. Dazu kommt das konservative christliche Glaubensbekenntnis ohne die Verunglimpfung anderer Religionen. Insbesondere in diesem Bereich predigt Koontz mehr als einmal Toleranz gegenüber den anderen Religionsgemeinschaften. Er schwimmt noch mehr auf eine Anti-Technikwelle in seinen Büchern. Die Wissenschaftler sind oft Angestellte unübersichtlicher Konglomerate, denen der Profit über Menschenleben geht. Nicht selten spielen die – amerikanischen – Militärs im Hintergrund eine entscheidende Rolle. Nicht nur als Profiteure dieser waffentechnisch nutzbaren Erfindungen, sondern als Katalysator für Experimente am lebenden amerikaschen Bürger.

In „Das Gesicht“ scheint der Leser nach den ersten hundert Seiten den Fortgang der Handlung zu erkennen. Es werden verstümmelte Körper gefunden. Jedem fehlt ein anderes Organ. Mit der Überschrift der Trilogie „Frankenstein“ kann es sich nur um einen Wahnsinnigen handelt, der den vielen Filmen und dem ursprünglichen Roman Mary Shellys folgt und sich eine Gefährtin „zusammenbaut“. Kaum hat der Leser diese Prämisse akzeptiert, drehen die beiden Autoren die Handlung um. Sie haben auf der Grundlage des ursprünglichen Romans einzelne Charaktere extrapoliert und in eine gegenwärtige Handlung integriert. Sowohl das ursprüngliche Monster als auch Dr. Victor Frankenstein existieren noch. Aus Frankenstein ist ein ursprünglicher, opportunistischer und sadistischer „Unsterblicher“ geworden. Zweihundert Jahre alt hat er seine Kunst perfektioniert. Leidenschaftslos ohne moralische Skrupel folgt er seinem Weg zur perfekten Gefährtin. Äußerlich kann er inzwischen Kreaturen schaffen, die dem Menschen körperlich und intellektuell überlegen sind. Diese Kunstfertigkeit äußert sich in erster Linie in einer Reihe von männlichen Schöpfungen, deren Aufgabe die Vernichtung des Menschen und die Übernahme aller Regierungsgewalt in einer Diktatur unter Frankensteins gottgleicher Führung sein soll. Seine weiblichen Gefährten sollen schön und ihm gegenüber devot sein. Schönheit ist etwas, was er ihnen als Geschenk mitgibt, die masochistisch- devote Haltung sollen sie unter seiner strengen Führung lernen.

In der hier vorliegenden Charakterisierung folgt Frankenstein nicht nur einer Reihe von Mad Scientists, sondern ganz gezielt und wahrscheinlich beabsichtigt dunklen Mega- Kriminellen wie „Dr. Mabuse“ oder einem gothischen Blofeld, mit dem sich James Bond mehr als einmal auseinander setzen musste und dessen Ziel mehr als einmal die Schaffung einer neuen Rasse gewesen ist – siehe unter anderem „Im Geheimdienst ihrer Majestät“ oder „Man stirbt nur zweimal“. Zwar geben ihm Koontz und Anderson Zeichen seiner früheren Macht mit – er experimentiert in einem altem alter Gemäuer, früher ein Kloster und jetzt eine Privatklinik, lebt in einem schlossartigen Anwesen und spottet Gott bei jeder Gelegenheit. Dieser Figur fehlt allerdings das Charisma des Originals. Die wissenschaftliche Neugierde als Antriebsfeder fehlt diesem Charakter vollkommen und damit verliert er sowohl an Persönlichkeit als auch Tiefe. Die Autoren haben ihn auf einem schmalen Grad zwischen Macht und Allmacht angelegt. Seine sexuell deutlich pervertierte Ausrichtung findet im Handlungsaufbau keinen logischen Widerpart und wirkt eher wie ein notwendiger cineastischer Ausdruck, der zu einem Bösewicht zu gehören hat.

In seiner Ausrichtung erinnert allerdings Viktor Frankenstein nicht an seine Namensvetter aus der ursprünglichen Vision, sondern erscheint als Kopie von H.G. Wells Dr. Moreau. Genau wie dieser den Evolutionsprozess – an genetisch veränderten Tieren – kontrollieren wollte, überwacht Viktor Frankenstein seine Geschöpfe. Nur er kann sie neu erschaffen, eine Fortpflanzung untereinander ist im Gegensatz zum Sex nicht möglich. Wie Koontz/ Anderson sehr pointiert schreiben, vertraut Viktor Frankenstein niemandem außer sich selbst, Leben aus rein intellektuellen und ausschließlich rationellen Gründen zu schaffen. Dabei wird der Schöpfer Opfer seiner eigenen Schöpfung, denn insbesondere das erste Monster wird im Laufe der zweihundert Jahre menschlicher und beginnt Emotionen zu empfinden. Der Schöpfer dagegen agiert kalt und seine Kreaturen werden immer monströser. Im übertragenen Sinne könnte man von der alltäglichen Konfrontation zwischen Ich und Über- Ich sprechen, aber soweit wollen die Autoren nicht gehen.


Gänzlich im Einklang mit einem immer chaotischer werdenden Umfeld und einem Eingleiten der Kontrolle in gesellschaftssozialer als auch politischer Hinsicht steht der eigentliche Tenor des Buches. Gott hat schon lange die Kontrolle über die Menschen verloren und diese haben Gottes Geschenk – das Paradies Eden – in eine Lasterhölle verwandelt. Auch Viktor Frankenstein verliert trotz Computertechnologie, Kloning und Bioengineering die Kontrolle über seine Schöpfungen. Obwohl sie dem Menschen überlegen sind und dessen Platz in der Evolutionsleiter einnehmen sollen, agieren sie mit all ihren Schwächen und Eitelkeiten zutiefst menschlich. Sie geben mit ihren besonderen Fähigkeiten und ihren überlegenen Körper vor den hilflos ermittelnden Polizisten an. Sie setzen sich über die ihnen von Gott Frankenstein gegebenen Gesetze hinweg. Die letzte moralische Barriere fällt, als sie beginnen, sich gegenseitig zu töten. Mit diesem Tabubruch beginnt auch ihre im Geheimen aufgebaute Macht zu bröckeln. Der Verfall des Glaubens an Gott in industriellen Gesellschaften wird von den Autoren auf den Mikrokosmos dieser Geheimgesellschaft sehr geschickt und intelligent übertragen. Spätestens ab der Mitte des ersten Buches werden systematisch und erstaunlich vielschichtig die Erwartungen der Leser minutiös demontiert und eine neue Fiktion aufgebaut.

Zumindest in „Das Gesicht“ enthalten sich allerdings die Autoren eines Kommentars. Sie liefern keine Erklärung dafür, warum die Schöpfung aus dem Ruder läuft, sie zeigen nur die Folgen. Diese Schwäche ist auch in einer Reihe von allein stehenden Koontz- Romanen zu beobachten. So elegant, geradlinig und spannungsorientiert er auch schreiben kann, so wenig gelingt es ihm, seine Intention über die eigentliche Handlung hinaus in Worte zu fassen und zu extrapolieren. Nicht selten verlieren sich die guten Ansätze in einer immer komplexer und rasanter werdenden Actionhandlung. Am Ende des Buches sind Leser, Protagonisten und Autor dann froh, mit einem blauen Auge das Geschehen überstanden zu haben. Für philosophische Diskussionen bleibt weder die Zeit noch der Raum noch die Energie. Im Rahmen einer Reihe von Romanen könnten Koontz und Anderson diese Ebene noch einflechten, in „Das Gesicht“ bleibt es bei diversen Anspielungen und manisch überdrehten inneren Monologen Frankensteins. Dieser wirkt trotz seiner über zweihundert Lebensjahr und der Beherrschung modernster Technik immer noch wie ein Anachronismus in einer menschenverachtenden Realität. Das perfide Vorgehen seiner Kreaturen wirkt dagegen eleganter und zeitgemäßer als das bombastische egozentrische Verhalten des selbst ernannten Gottes. Darum möchte man zumindest zu Beginn dieser Serie mehr über die faszinierenden Schöpfungen als den Schöpfer selbst wissen. Unbewusst folgen die Autoren damit den Boris Karloff Verfilmungen, in denen das Monster die Aufmerksamkeit der Zuschauer gänzlich in Beschlag genommen hat.

Der Roman lebt von seinem cineastischen Stil und der stellenweise sehr konträren Mischung zwischen pseudointellektueller Auseinandersetzung und reinen, notwendigen Actionsequenzen. Die Mischung aus moderner Handlung und gotischer Atmosphäre, angesiedelt in New Orleans lässt die stellenweise arg konstruierte und über thematisierte Schöpfungsdiskussion vergessen. Frankensteins Technik ist allerdings losgelöst von jeglicher realistischer wissenschaftlicher Basis und wirkt stellenweise wie ein Fremdkörper. Wenn die Monstren Aliengleich aus den Körpern ihrer „Väter“ schlüpfen müssen, so entbehrt diese Art der Fortpflanzung – insbesondere fürs Fernsehen tricktechnisch sehr gut in Szene gesetzt – nicht einem gewissen Schaudern. Im Gesamtkontext erscheinen sie allerdings zu plakativ und bemüht. Je mehr Koontz und Andersons die Magie des Victor Frankensteins im gleichen Maße entblättern wie seine Arroganz in den Vordergrund stellen, verliert der Roman überraschend an Effektivität. Im Gegensatz zu Dean Kootzs Solowerken kann diese Koproduktion das hohe Tempo insbesondere im dritten Viertel des Buches nicht halten. Intelligent, sehr ruhig und spannungsgeladen ist der Aufbau, dann kommt die Passage des Zweifels – als Fiktion ist Frankenstein ja Volksgut, die Schwierigkeit besteht für die Autoren in der Integration dieser Figur in die Realität gut ausgebildeter Polizisten – und schließlich vorgeblich die Katharsis. Zu sehr erinnert die eigentliche Absicht der Autoren an die überdimensionalen James Bond Filme und viele Szenen, die im Kino oder einem Fernsehfilm sehr gut gewirkt haben, erscheinen auf dem Papier seltsam distanziert und indifferent. Trotzdem unterhält das Buch mit einem befriedigenden Abschluss – im Gegensatz zur Politik der offenen Enden – über weite Strecken überraschend gut und stellt einen über weite Strecken interessanten Versuch der Neuinterpretation und der Extrapolation einer altbekannten Geschichte dar.

Dean R. Koontz/Kevin J. Anderson: "Frankenstein - Das Gesicht"
Roman, Softcover
Heyne 2006

ISBN 3-4535-6504-5

12. Jan. 2007 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/horror/isbn3-4535...

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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