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Sturmwarnung
| STURMWARNUNG
Buch / Belletristik
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Nach dem Berlinkrimi Bang Bang stirbt aus der Feder von Rob Alef und der Kurzgeschichtensammlung Der fünfte Erzengel von Andreas Gruber legt der Berliner Shayol Verlag mit The Big Blow aus der Feder Joe Landsdale eine weitere Paria Arbeit vor. Die Geschichte erschien in kürzerer und ursprünglicher Form unter dem gleichen Titel in der Anthologie Offenbarungen von Douglas Winter schon einmal in deutscher Sprache. Im Jahr 2000 veröffentlichte der amerikanische Kleinverlag Subterranean Press die jetzt auch auf Deutsch vorliegende Novelle. Joe Landsdale hat in seiner bisherigen Karriere mehr als ein Dutzend Romane geschrieben nach humorvollen Horror- und Open Airkinoparodien konzentriert er sich inzwischen mehr auf außergewöhnliche Krimis, viele in seiner texanischen Heimat angesiedelt und mehr als zweihundert, oft bitterböse Kurzgeschichten. Im Laufe seiner Karriere erhielt er neben dem British Fantasy Award, dem Edgar Award auch sechsmal den Bram Stoker Award. Neben Horror und Krimis zählen insbesondere gotisch angelegte Western und Comics zu seinen Spezialitäten. In letzteren mischt er die einzelnen Genres kunterbunt durcheinander und seine Stories sind von explizierten Sex und brutalem Crime durchsetzt.
Zum zweiten Mal steht die texanische Stadt Galveston 1900 von einem Wirbelwind und einer Sturmflut fast gänzlich zerstört und Hunderte der Einwohner getötet mit ihrer schrecklichen Geschichte im Mittelpunkt einer phantastischen Geschichte. Sean Stewart in seinem opulenten Roman Galveston beschreibt die Ereignisse von einer magisch mythischen Seite her, Joe Landsdale präsentiert den Sturm und seine Auswirkungen als Gottesurteil.
Galveston, Texas an einem Tag zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Ein Fremder namens McBride kommt in die Stadt. Aus seiner Perspektive beschreibt Landsdale plakativ eine von Weißen beherrschte Stadt, eine Generation nach dem verlorenen Bürgerkrieg, äußerlich vom Makel der Sklaverei befreit, innerlich korrupt, verfault und immer noch mit den gleichen Ansichten wie vor der blutigsten inneramerikanischen Auseinandersetzung. McBride ist ein weißer Boxer, den die Mitglieder des Sporting Clubs angeheuert haben, um den farbigen amtierenden Champion ihres Clubs vernichtend zu schlagen. Der Prolet McBride provoziert die Stadtväter mit seinem Verhalten. Ein Sadist gegenüber Frauen, von sich selbst eingenommen, aber mit einem scharfen Auge für die eigentlichen Verhältnisse hinter den Kulissen der Stadt gesegnet. Nach und nach wird er mit seinem extrovertierten Wesen die Geheimnisse einzelner Stadtväter gnadenlos offen legen. Sein verkommenes Wesen passt in eine so verkommene Stadt. Schnell stellt Landsdale klar, dass sich die Beiden gesucht und gefunden haben.
Der Kontrast zu McBrides lautem Wesen ist der introvertierte farbige Jack. Er hat mit harter Arbeit sich boxerische Fähigkeiten angeeignet und das perverse Vergnügen der Stadtväter, Blinde gegeneinander antreten oder Farbige von ihren besser ausgebildeten Boxern zu Brei schlagen zu lassen, durchkreuzt. Er ernährt seine große Familie, die in einer armseligen Hütte am Stadtrand wohnt. Furchtlos tritt er seinem technisch überlegenen Herausforderer entgegen und ignoriert den Ratschlag, die Stadt fluchtartig zu verlassen.
Neben diesen beiden Kontrahenten beschreibt Landsdale in der Tradition der großen Katastrophenfilme der siebziger Jahre eine Reihe von Einzelschicksalen: die junge Familie in ihrem noch nicht fertig gestellten Haus mit einem Neugeborenen, die Tochter aus gutem Hause, die schließlich dem Drang eines Verehrers erliegt und ihm ihre Unschuld schenkt, um dann von ihm sogleich verlassen zu werden oder die Puffmutter, die McBrides aggressiver Sexualität sehr schnell unterliegt.
Ihr unsichtbarer Gegner ist der Sturm, der sich über dem Golf von Texas zusammenbraut. Seine Entstehung beschreibt Landsdale an Hand einer Reihe von Telegrammen verschiedener Wetterämter. Weitere Authentizität erhält der Text durch entsprechende Zeitangaben zu Beginn eines jeden Kapitels. Dem Autoren gelingt es überraschend eindrucksvoll, dem seelenlosen Meer eine Persönlichkeit zu geben. Voller Ironie wird das erste Opfer beschrieben die entjungferte junge Frau möchte sich standesgemäß ertränken, schreckt vor ihrer Tat zurück und wird dann urplötzlich ein Opfer des rasant steigenden Wassers. Andere Szenen sind tragisch und ergreifend schön.
Kurz vor dem Aufprall des Meeres an der Küste Galvestons vergleicht einer der Stadtbewohner die herannahende Katastrophe mit Gottes Zorn. Wie Sodom und Gomorra hat sich die Küstenstadt versündigt. Beispiele finden sich in Hülle und Fülle in dieser kurzen Geschichte. Und jetzt will sie Gott nicht mehr in seinem Garten Eden dulden. Fast sentimental wendet Landsdale die Geschichte an ihrem Höhepunkt in eine märchenhafte Fabel. Dem einzigen wirklich unschuldigen Bewohner der Stadt ein Baby werden zwei Schutzengel an die Seite gestellt. Unwillkürlich erinnert sich der Leser an den immer wieder verfilmten Westernstoff der Three Godfather. Das der Autor mit dieser ungewöhnlich, fast klischeehaften Wendung der Ereignisse durchkommt, liegt unter anderem an Landsdale faktisch neutralen Beschreibungen und seinen profanen, dem Volk vom Mund abgeschriebenen Dialogen. Alles wirkt dreckig, unrein und vergiftet. Auch wenn der Sturm einen unbeschreiblichen Schaden hinterlässt, in den Straßen Leichen und Viehleiber treiben und nichts mehr bewohnbar ist, hat er eine Handvoll der exzentrischen Charaktere innerlich gereinigt. Die Katharsis der griechischen Literatur findet ihre Wiedergeburt in der Pulpfiktion der Gegenwart.
Ein Manko des Textes ist seine Kürze. Der Leser hat kaum die Möglichkeit, sich intensiver mit den sehr unterschiedlichen Charakteren auseinanderzusetzen. Der Autor malt sich sie in grellen, aggressiven Farben. Alles extreme Figuren, mehr oder minder verdorben. Sex und Sexualität in allen Variationen vom ersten Mal über normalen ehelichen Sex, dem fast an Sado- Maso Rituale erinnernden Verkehr mit den Prostituierten bis zur Homosexualität mit all ihren Schuldgefühlen beherrschen seine Protagonisten beiderlei Geschlechtes. Unwillkürlich hat der Leser das Gefühl, dass man zu seinen Schwächen stehen muss, um in Landsdales noch von der Frontiermentalität beherrschten Stadt überleben zu können. Es ist kein Zufall, dass mit McBride der sich selbst genauso prostituiert wie die Frauen, mit denen er sich umgibt und Jack für den der Sport über allem steht und der deswegen keine Frau und damit keinen Sex an seiner Seite duldet die beiden extremsten Charaktere überleben. Obwohl McBride sich auf den ersten Blick als verdammenswerten Egoisten und Provokateur in Szene setzt, ist er in seinem Inneren ein Sportsmann auch wenn es zu dieser Zeit im Boxsport keine Regeln und deswegen keine Grenzen gegeben hat -, der die Leistung seines Gegners schließlich anerkennt. Jack möchte mit diesem Kampf die rassistischen Vorurteile der weißen Bevölkerung ein bisschen auflockern. Das er sich gerne in der Rolle des Märtyrers sieht, bestreitet er nicht. Er ist kein Feigling und verfügt über einen gesunden Menschenverstand. Trotzdem reizen ihn die Extreme und damit wird er zu einem Spiegelbild McBrides.
Alle anderen Figuren sind von Landsdale zwar skizzenhaft herausgearbeitet worden, sie wirken allerdings eher mit Karikaturen und tragen das Wort Opfer quer über die Stirn geschrieben.
Der Leser lernt Galveston am ehesten durch die Augen McBrides kennen. Als dieser in der Stadt ankommt und zum Sporting Club gefahren wird, beschreibt der Autor pointiert und voller Ironie den Hintergrund der Kulisse. Die Szenerie ist gerichtet, die drei Protagonisten treffen per Bahn, zu Fuß und über das Meer ein. Die später beschriebene Zerstörung des Ortes vollzieht sich an kleinen, eindrucksvollen Beispielen. Das in den Sportclub eindringende Wasser, das Schiff vor der Küste, von der Ankerkette gerissen und ein Spielball der Wellen und schließlich die Familie, die im nicht fertig gestellten Dachaufbau ihres Hauses gefangen wird. Wie deren aller Leben vorher blitzlichtartig vom Autoren beleuchtet worden ist, so ist auch deren Ende: schnell, gewaltsam und einsam. Mit knapp einhundertsechzig großzügig bedruckten und illustrierten Seiten ist die Novelle und kein Roman, wie es der Vorblatt der deutschen Ausgabe fälschlich suggeriert kurzweilig zu lesen. Ihr fehlt aber der Raum, den Hintergrund und die einzelnen Charaktere weiter zu entwickeln. Zu schnell weht der rücksichtslose Wind Menschen, Tiere und eine Gemeinde hinweg. Die ewige See nimmt sich das Land zurück, das der Mensch ihr unter großen Mühen abgerungen hat, .
The Big Blow wird vom Shayol Verlag in einer handlichen Paperbackausgabe mit sehr schönen, stimmungsvollen Zeichnungen von Marcus Rössler untermalt. Der deutsche Titel Sturmwarnung ist unglücklich gewählt. Mit seinem Wortspiel The Big Blow verbindet der Autor geschickt den ultimativen Sturm mit dem K.O. Schlag beim Boxen.
Selbst der deutsche Titel der ursprünglichen Fassung Der große Knall hätte besser gepasst.
Dagegen bemüht sich Marcus Rössler mit seinem Titelbild, die Urgewalt des Orkans stilisiert in Szene zu setzen. Die Übersetzung von Hannes Riffel ist über weite Strecken stimmig, nur den Slang der oft provozierenden Dialoge hat er nicht adäquat umsetzen können. Trotz dieser Schwächen ist Sturmwarnung eine grelle, lesenswerte und mit Anspielungen reich gesegnete Katastrophengeschichte. Vielleicht auch nur eine texanische Geschichtsstunde, sperrig, bösartig und teuflisch unterhaltsam.
Joe Landsdale: "Sturmwarnung"
Roman, Softcover, 166 Seiten
Shayol 2005
12. Jan. 2007 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/horror/isbn3-9261...
Der Rezensent
Thomas Harbach

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