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Blaue Kugel

BLAUE KUGEL

Paul Alfred Müller
Buch / Science Fiction

Dieter von Reeken
Roman eines phantastischen Abenteuers
Neuausgabe des erstmals 1938 und zuletzt 1954 erschienenen Romans
Broschüre, 181 Seiten, 11 Abbildungen, Vorbemerkungen
17,50 € — 978-3-940679-46-8

Herausgeber Heinz J. Galle und Verleger Dieter von Reeken setzen ihre Werksausgabe der Schriften Paul Alfred Müllers mit einem ausgesprochen interessanten, teilweise über Macht und Machtmissbrauch philosophierenden utopischen Abenteuerstoff fort. Heinz J. Galle und Dieter von Reeken weisen im informativen Vorwort auf Müllers Ideenrecycling hin. Die Grundidee in „Blaue Kugel“ – das Auffinden eines offensichtlich außerirdischen kugelförmigen (!!!) blauen Raumschiffes in einem der höchsten Gipfel der Anden gefangen, auf dessen Versteck nicht nur unnatürlich geformte Steine hinweisen und in dessen Umgebung aus unerklärlichen Gründen die Schwerkraftfelder der Erde aufgehoben sind – findet ihren Ursprung in „Der Schleier des Condors“ (Sun Koh Band 20, fünf Jahre vor „Blaue Kugel“) erschienen, während die Folgen dieses außerordentlichen Fundes (die drei aus unterschiedlichen sozialen Schichten stammenden Freunde bringen die blaue Kugel dank ihrer innovativen Phantasie wieder zum Fliegen) im zwölften Heft der „Jan Mayen“ Serie ("3000 Stundenkilometer") kompakter, aber deckungsgleich beschrieben worden sind. Im Gegensatz zum „Jan Mayen“ Abenteuer geht Freder van Holk deutlich tiefer in die Details und sieht die Habgier reicher Industrieller als Ausgangspunkt der folgenden dramatischen Ereignisse.
Hannibal Valerian Roxas (in der Erstauflage hieß er noch Houston Valerian Kent) schwingt sich dank der scheinbar grenzenlosen Macht der „Blauen Kugel“ zu einem in den Tiefen seines Herzens wohlwollenden Diktator auf, nachdem skrupellose Kapitalisten und Politiker seine Geliebte getötet und seine Mutter zu Tode erschreckt haben. Dieses Ergreifen fremder Technik auf den ersten Blick zum Wohle der ganzen Menschheit kommt dem Leser – wie die Herausgeber herausarbeiten – sicherlich aus den ersten Bänden der „Perry Rhodan“ Serie sehr bekannt vor. Nur wurde das Raumschiff der Arkoniden auf dem Mond und nicht in den Anden gefunden, wobei Paul Alfred Müller seine Helden im letzten Viertel des Buches zum Erdtrabanten steuert. Bis dahin unterscheiden sich allerdings „Blaue Kugel“ und K.H. Scheers Konzept der „Rhodan“ Serie. Während Scheer deutlich martialischer vorgeht und mit Perry Rhodan über einen Prototyp des klassischen Helden verfügt, differenziert Paul Alfred Müller sehr geschickt zwischen Aktion und Reaktion.
Anfangs treibt die sehr unterschiedlichen Freunde Entdeckerstolz und wissenschaftliche Neugierde. Sie sind bei der Untersuchung des Raumschiffes auf sich alleine gestellt, eine indirekte Begegnung mit den Erbauern außerhalb ihrer zurückgelassenen Aufzeichnungen findet erst gegen Ende des Buches statt.
Nach der ersten ausgesprochen negativen Begegnung mit der Öffentlichkeit im Allgemeinen und dem korrupten Megakapitalismus im Besonderen wollen sie sich ganz auf die eigen betriebene Forschung konzentrieren. Sie benutzen die Waffen der „Blauen Kugel“ – natürlich blaue Strahlen -, um sich gegen offensichtlich falsche Anschuldigungen und einen Mordverdacht zu wehren. Die Entführung Roxas Freundin inklusiv ihres tragischen Todes schockieren den jungen Mann, der Tod seiner Mutter durch Herzinfarkt – sie sollte ebenfalls entführt werden – bringt das Fass zum Überlaufen. Er bemächtigt sich der blauen Kugel und möchte die Menschheit zum Frieden zwingen. Als Beweis seiner Macht möchte er in den wichtigsten Ländern mit ausreichender Vorwarnung Bauwerke oder Goldmienen, militärische Einrichtungen oder Symbole einer zu ehrgeizigen Regierung zerstören. Seine Drohungen erschrecken aber nicht immer. In einer der auf den ersten Blick absurd erscheinenden Passagen des Romans freuen sich die Franzosen, den Eifelturm als Symbol eines vergangenen Jahrhunderts Kosten effizient loszuwerden, um auf dem wertvollen Grundstück etwas Neues errichten zu können. Die mit einer undurchdringlichen Glasschicht von der Blauen Kugel überzogene Diamantenmiene in Südafrika könnte eine neue Industrie begründen und einige Japaner freuen sich, den hässlichen Neubau eines gigantischen Hochhauses wieder loszuwerden. Die Karikatur des Machtgehabes – der Roman entstand ja 1938 unter den Augen der mitten in den Kriegsvorbereitungen steckenden Nationalsozialisten – nimmt nicht nur die nächsten Plotelemente vorweg, sondern stellt moderne, fast demokratisch wirkende Einsichten einer Diktatur des Stärkeren gegenüber. Paul Alfred Müllers Vorgehensweise – bei einer ähnlichen Ausgangsprämisse – stellt den größten Unterschied zu K.H. Scheers späterer „Rhodan“ Serie sowie Manfred Langrenus 1958 veröffentlichten Roman „Reich im Mond“ dar. Müller zeigt nicht nur die zumindest vordergründig sinnlosen Folgen Roxas Drogebährden, er geht sogar einen Schritt weiter. In einer für die Kompaktheit des Romans ungewöhnlich ausführlichen Sequenz versucht Roxas einen Grenzkonflikt zwischen Paraguay und Bolivien auf diplomatische Weise zu lösen. Er lädt Politiker beider Länder an Bord seiner blauen Kugel ein. Wortgewandt und intelligent politisch verschlagen vertritt jeder der Männer die Position seines Landes. Überfordert kann Roxas keine zufriedenstellende Lösung anbieten. Während als Gipfel der Ironie die beiden Diplomaten angesichts der eigenen (schauspielerischen) Leistung zufrieden das Raumschiff wieder verlassen, muss Roxas erkennen, das es keine wirklich beide Seiten zufriedenstellende Lösung gibt. Weiterhin gibt es frustriert auf, da ein gewaltsames Unterbinden der Grenzstreitigkeiten mehr Konfliktpotential heben würde als es den Aufwand wert ist. Ohne belehrend zu schreiben, macht sich Paul Alfred Müller über die Politik im Allgemeinen und die Menschheit im Besonderen lustig. Im Gegensatz zur späteren Rhodanserie und dem realpolitischen Umfeld mit Sendungsbewusstsein und Weltmachtphantasien der Nazis zeigt Paul Alfred Müller auf einer zugänglichen Ebene die Hilflosigkeit der sogenannten dritten Macht, deren technologische Überlegenheit im Grunde an der fast stoischen Dummheit der Menschheit verpufft. Auf der anderen Seite hat Roxan bei seinen vorbeugenden Machtdemonstrationen auch neben einigen offensichtlichen Gangstern und ihren Auftraggebern Unschuldige getötet. Über diese Kollateralschäden geht Müller dagegen emotionslos hinweg und entwertet die ansonsten interessanten wie lesenswerten Exkurse in die schmutzigen Niederrungen der Politik nachhaltiger als beabsichtigt. Roxan kommt durch diese niederschmetternden Erkenntnisse zur Besinnung und kehrt reumütig zu seinen Freunden zurück. Gemeinsam suchen sie sich eine neue Aufgabe. Die Charakterisierung der handelnden Protagonisten – obwohl die Dialoge für die von Heinz Galle und Dieter von Reeken als Vorlage verwandte Nachkriegsausgabe gestraffter und das an Klamauk erinnernde Necken überwiegend gestrichen wurden ist hauchdünn und auf einem Hans Dominik Niveau. Funktional agierend dienen sie als klassische Vertreter von Müllers Ideen und wirken in seinem umfangreichen Gesamtwerk eher austauschbar.

Neben einer geistigen Patenschaft der späteren Rhodantheorie scheint Paul Alfred Müller direkt oder indirekt auch Erich von Däniken – der sich laut „Perry Rhodan Chronik“ auch für Science Fiction interessierte und durchaus mit „Sun Koh“ aufgewachsen sein könnte – mit seiner Theorie der Götter aus dem All beeinflusst zu haben. Deutlich explizierter als im „Sun Koh“ Abenteuer 20 dargestellt rätseln die Freunde nicht nur über die seltsamen Funde im Hochgebirge der Anden, sondern stellen direkt eine Verbindung zu den Mayas und ihrer durch die Spanier zerstörten Hochkultur her. Leider wird diese Idee nicht weiter extrapoliert, ein Zusammenhang zwischen dem Aufblühen der Majakultur und dem abgestürzten Raumschiff mit einer offensichtlich humanoiden Besatzung – spontan fallen jüngeren Leser die Arkoniden der Perry Rhodan Serie ein – wird allerhöchstens sehr oberflächlich angedeutet.
Auf der wissenschaftlich technischen Seite findet sich im ersten Kapitel ein fast zu umfangreicher, etwas belehrend geschriebener Exkurs in die Grundlagen der Physik (Magnetismus, Erdanziehungskraft), die Freder van Holk im letzten Viertel des Romans um die vor dem Zweiten Weltkrieg populäre Hohlwelttheorie ergänzt. Während die Anhänger der Hohlwelttheorie insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts der wissenschaftlichen Fortschritte immer mehr resignierten, ist Freder van Holk – wie Heinz J. Galle in seinem Vorwort herausarbeitet – den buchstäblich umgekehrten Weg gegangen. In der Vorkriegsausgabe fliegen die drei zum Teil geläuterten Protagonisten um den Mond herum zum Mars, wo sie der Tradition der kaiserlich wilhelminischen utopischen Literatur den roten Planeten untersuchen und auf kleinwüchsige Marsmenschen treffen. Dabei spannt Freder van Holk den Bogen über Hörbigers Welteistheorie bis zur Atlantis Saga. Rückblickend ohne die Originalpassagen zu kennen hätte dieser Exkurs wahrscheinlich den Fokus noch weiter von der grundsätzlich abenteuerlich unterhaltsamen Idee eines Raumschifffundes in den Anden abgelenkt und den Plot zu sehr an die Pulpideen amerikanischer Autoren herangerückt. Statt Marsianern melden sich die Erbauer des kugelförmigen Raumschiffs mittels Funk bei den drei Freunden. Diese Idee wird wenig subtil in den insbesondere im Schlußviertel wirklich abenteuerlich exotisch beschriebenen Plot integriert. Zusätzlich wird in der vorliegenden Fassung des Romans ab dem achten Kapitel die Hohlwelttheorie von den Protagonisten als Alter Egos des Autoren zu euphorisch diskutiert. Der Leser hat das Gefühl, als könne die Blaue Kugel den lange herbeigesehnten Beweis für die Hohlwelttheorie liefern. Das wirkt teilweise ein wenig zu überambitioniert bis ins Belehrende hinaus, liest sich aber aus entsprechender Distanz unterhaltsamer als wahrscheinlich eine Begegnung mit kleinwüchsigen Marsianern. Die Erde erscheint den Reisenden wie ein Trichter, in den sie hereinblicken und nicht die ansonsten vertraute Erdkugel. Diese Passagen runden die bis dahin ausgesprochen kompakt, manchmal fast ein wenig hektisch aus verschiedenen bekannten wie für Paul Alfred Müller markanten Heftromankapiteln zusammengestellten Roman zufriedenstellend ab.
„Blaue Kugel“ gehört ohne Frage zu den unterhaltsamsten Romanen aus Paul Alfred Müllers Feder. Seine ausgesprochen stringente wie kompakte Erzählstruktur lässt sich am vorliegenden Text sehr gut ablesen. Wissenschaftlich technische Ideen – sowohl eine weltumspannende Radiobotschaft als auch die Überwachung der Umgebung des Raumschiffs mittels Fernsehkameras oder die blauen, jegliche Materie vernichtenden Strahlen – streut Paul Alfred Müller im Gegensatz zu den physikalischen Exkursen beiläufig ohne die Aufmerksamkeit des Lesers groß auf die Erfindungen lenkend in die manchmal ein wenig zu klischeehaft und aus „Sun Koh“ bzw. „Jan Mayen“ bekannte Handlung ein. In Bezug auf die von Paul Alfred Müller geschriebenen Hohlweltromane mischt er Ideen klassischer Space Opera – Außerirdische sind technisch den Menschen überlegen – mit frühen Göttern aus dem All und dem von Gewinnmaximierung sowie Herrschsucht geprägten niederen Instinkten der Menschheit, denen – nach einem zugestandenen Reifeprozess – die drei letzt endlich vereinten Freunde entgegenstehen.
Wie alle Bände der Paul Alfred Müller Werksreihe hat Herausgeber Dieter von Reeken den vorliegenden Paperback nicht nur mit einem informativen Vorwort seines Nachlassverwalters Heinz J. Galle versehen, sondern zahlreiche Titelbilder der einzelnen Auflagen sowie der Vorbilder „Sun Koh“ /“Jan Mayen“ bzw. einer Zeichnung aus dem ersten Rhodan Heftroman „Unternehmen Stardust“ illustriert.

26. Mai. 2011 - Thomas Harbach

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

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