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Der achte Tag der Schöpfung
| DER ACHTE TAG DER SCHÖPFUNG
Michael Szameit Buch / Science Fiction
Buntes Abenteuer, Gerd Michael Rose
2 Hefte Din A 6 Format mit Innenillustrationen, 32 Seiten, Mai/ Juni 2011 veröffentlich
Bestellanschrift:
Gerd-Michael Rose
Scharnhorststr. 36
99099 Erfurt
gmrose070159 @ freenet.de
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In zwei kleinen Einzelheften hat der Verleger Gerd- Michael Rose eine neue Novelle des 1950 in der Nähe von Cottbus geborenen Michael Szameit veröffentlicht. “Der achte Tag der Schöpfung” bezieht sich mehrmals auf eine außer Kontrolle geratene Welt, die ironischerweise sich - nach dem Gott den siebenten Tag zur Ruhe genutzt hat - selbst zu zerstören sucht. Fatalistisch resignierend erkennen seine Figuren, dass Gott nach dem Ruhetag nicht mehr aufgewacht ist.
Im Gegensatz zu seinen utopischen Romanen aus der DDR Zeit, die zwar zwischen den Zeilen soweit überhaupt durch Zensur möglich eine latente politische Kritik beinhalteten, und viel stärker angelehnt an seinen nicht ganz zufrieden stellenden Roman “Copyworld” (1997 bzw. 1999 veröffentlicht) versucht Szameit sich an einer Mischung aus Drogen induziertem Cyberpunk und Selbstzerstörungsphantasien sowohl bei seinen einzelnen opportunistischen Antihelden als auch auf politischer Ebene.
Obwohl sie für die Kerngeschichte kaum eine Rolle spielt, zeichnet Michael Szameit ein eher von den Regierungsdiktaturen des untergegangenen Sozialismus entlehntes oligarchisches Welt mit einer komplexen Überwachungsstruktur, entsprechend an Terrorbanden konzipierten Spezialeinheiten; Funktionäre, die ihre Machtbefugnisse missbrauchen und verschiedene politische Blöcke, die sich entsprechend der Doktrin des Kalten Krieges waffenstarrend gegenüber stehen. Viele Hintergründe dieser Welt wirken trotz ihrer futuristischen Ausrichtung fast archaisch antiquiert, sie kommen dem Leser insbesondere aus der vordergründig sozialkritischen Science Fiction der achtziger und neunziger Jahre vertraut vor. Nicht umsonst heißt die Stadt, in welcher die Handlung spielt, Novaropa, anscheinend befindet sie sich unter oder in einer Gletscherlandschaft, was allerdings von Michael Szameit zu wenig atmosphärisch stimmig extrapoliert wird. Später erfährt der Leser, dass es andere regional- politische Blöcke gibt, die sich waffenstarrend gegenüber stehen.
Szameits Protagonist Mark ist ein Drogendealer. Seine in den Laboren entstandenen künstlichen Drogen - sie kommen in Hoho Tüten - werden in unterschiedlichen Farbkategorien “ausgeliefert”, wobei mit der ausgesprochen seltenen und überteuren Droge “Yellow” ein Regenbogen - wahrscheinlich ein Symbol des ultimativen Trips - zusammengestellt werden könnte. Im ersten Heft begleitet der Leser Mark - ein junger Mann, der seine Drogen nicht nimmt, aber von seinen zahlreichen Kunden als zuverlässig, wenn auch geschäftstüchtig anerkannt wird - auf seinem Weg. Er verkauft jungen Mädchen die Droge, wobei die wenig attraktive “Teufelchen” bei ihm hängen bleibt. Zum ersten Mal verletzt er die Neutralität und beginnt eine eher opportunistisch hilflose Beziehung zu dem jungen Mädchen, die ihn eher beschämt als befriedigt. Er beliefert einen der Funktionäre, die gerade mit seinem fetten, schwammigen Köper über einen hilflosen Jungen in seiner Wohnung herfällt und ihn vergewaltigt. Hier verletzte Mark nach der Beziehung zu “Teufelchen” zum zweiten Mal seine Regeln und stiehlt weil er nicht bezahlt worden ist, einen USB Stick.
Diese intime Handlungsebene durchbricht Michael Szameit nur mit Zwischenschnitten auf den Programmier Kako, dessen Arbeit eher impliziert beschrieben wird. Er ist ebenfalls ein Kunde von Mark - der Programmierer und Spion(?) oder Terrorist (?) Kako - und braucht eine Drogenmischung, um seinen Kopf frei zu halten. Am Ende laufen diese beiden Handlungsebenen über das Geschäft hinaus ein wenig zu konstruiert zusammen. Dem Leser ist nicht klar, ob Mark nur das Opfer einer geschickten Falle geworden ist, deren Ziel die Ausschaltung eines wichtigen Opportunisten ist. Dann müsste die an die Big Brother Ideen aus George Orwells “1984” erinnernde staatliche Überwachungsmacht sehr viel mehr über Mark wissen, als dieser ahnt. Oder es ist ein reiner Zufall, der durch den Diebstahl des USB Sticks und den Abruf der Daten die Spezialeinheiten innerhalb von wenige Minuten auf der Szene erscheinen lässt. Dieser Punkt - so plottechnisch relevant er auch ist - wird von Michael Szameit nicht ganz sorgfältig herausgearbeitet.
In einem Punkt überzeugt allerdings “Der achte Tag der Schöpfung” und unterstreicht, dass sich Michael Szameit als Autor von seinen überdurchschnittlichen, aber nicht selten auf der emotionalen Ebene nicht überzeugend ersten zu Zeiten der DDR entstandenen Werken weiterentwickelt hat. “Der achte Tag der Schöpfung” konzentriert sich in erster Linie auf subjektive Stimmungen. De Hoho Tüten haben inzwischen die Gefühlswelt ersetzt. Wahre Gefühle scheinen eine “Mode” der Vergangenheit gewesen zu sein, auch wenn sich die verletzlich emotionalen Protagonisten wie “Teufelchen” - die im Verlaufe des stringenten Plots neben ihrer Drogenabhängigkeit, dem ersten Sex mit Mark auch eine Massenvergewaltigung zu überstehen hat - diese Zeit zurückwünschen. Mark dagegen wirkt anfänglich wie ein cooler, von sich selbst überzeugter Dealer, dem es in erster Linie ums Geschäft geht. Erst als er langsam die Mauern überschreitet - die Beziehung zu Teufelchen, der Diebstahl des USB Sticks und schließlich auch die erste Einnahme der HoHo Drogen, deren Wirkung on Michael Szameit ambivalent auf einem LSD Niveau eingesetzt wird - wird er zu einem Mensch, der fatalistisch zusammen mit Teufelchen eine folgenschwere Entscheidung trifft. Das Werkzeug dieser Entscheidung ist bis dahin von Michael Szameit eher wie eine Art MacGuffin von einer Situation zur nächsten weiter getragen worden, ohne das die von Mark Kunden Kako präsentierten Argumente wirklich überzeugend erschienen sind. Das Ende seiner Geschichte ist folgerichtig deprimierend fatalistisch, scheint aber aus einer gänzlich anderen Zeit herüber gedriftet zu sein. Die angestrebte Schockwirkung stellt sich nicht ein und die von Michael Szameit vielleicht beabsichtigte Wirkung kommt gute zwanzig bis dreißig Jahre zu spät. Im Zeitalter des Terrorismus wären entweder eine deutlich ironischere Lösung - alles nur ein Bluff - oder andere Kontrahenten sinnvoller gewesen.
Trotz der angesprochenen Schwächen unterhält “Der achte Tag der Schöpfung” dank Michael Szameits ausgesprochen lesenswerten, wenn auch teilweise zu wenig zynisch distanzierten Stils, den pointierten Dialogen und einigen handlungstechnischen Versatzstücken, welche die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln. Michael Szameit bemüht sich, sein Publikum auf durchaus unterschwellig kritische Weise zu unterhalten und nicht zu belehren. Während Mark noch ein wenig zu eindimensional, zu stereotyp gezeichnet worden ist, sind es die Nebenfiguren wie die lebendige Tote “Teufelchen” auf der Suche nach einer romantisch verklärten Zeit, in der sie auch eine Existenzberechtigung haben könnte, die dem Leser länger im Gedächtnis bleiben. Eine solide Novelle, welche Gerd Michael Rose im Rahmen seiner bunten Abenteuer mit interessanten Titelbildern und etwas zu künstlich erscheinenden Innenillustrationen veröffentlicht hat.
Michael Szameit hat im letzten Jahr in Kleinstauflage einige seiner Kurzgeschichten teilweise neu veröffentlicht. Mit dieser Novelle unterstreicht der Autor, dass er trotz der langen, sicherlich wirtschaftlich bedingten Pausen zwischen seinen Arbeiten wenig verlernt und immer noch gut wie teilweise kritisch unterhalten kann.
11. Jun. 2011 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

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