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Der Aufbruch
Das stimmungsvolle Titelbild Timo Kümmels fasst den Inhalt des dritten „Kaiserkrieger“ Romans sehr gut zusammen. Die verschiedenen Welten – einmal die Besatzung des aus der Zeit des Ersten Weltkriegs in die Vergangenheit geschleuderten kleinen Kreuzers „Saarbrücken“ und dann das Rom unmittelbar vor Einsetzen der Völkerwanderung – beginnen sich scheinbar untrennbar miteinander zu vermischen. Während der erste Roman das Ausgangsszenario sehr gut extrapoliert hat, präsentierte „Der Verrat“ eine solide Actionhandlung. Der vorliegende Band „Der Aufbruch“ stabilisiert nicht nur die zahlreichen, direkt oder indirekt miteinander verbundenen Handlungsebenen, er könnte sogar als Dirk van den Boom philosophischer Teil der Serie durchgehen. Im direkten wie indirekten Mittelpunkt zweier elementarer Diskussionen steht Rheinberg, inzwischen Berater des Kaisers.
Er verfolgt eine für die Zukunft insbesondere des römischen Reiches wichtige verbale Auseinandersetzung zwischen dem Vertreter der staatlichen Kirche Ambrosius sowie Augustus. Ambrosius wehrt sich gegen eine Besteuerung von Spenden an die Kirche, während der eher verzweifelt um die Zukunft Romans angesichts der drohenden Völkerwanderung kämpfende Augustus die Kirche nur als Teil eines starken Staats akzeptieren kann. Dialogtechnisch sehr pointiert geschrieben erweist sich der Autor nicht nur als politischer Pragmatiker – wenn alle Menschen Steuern zahlen, sind die Lasten gleichmäßiger verteilt - , sondern als existentieller Atheist, der Glauben nicht von Kirchen sanktionieren lassen möchte. Der zweite aufrüttelnde Dialog findet gegen Ende des Buches zwischen Rheinberg und der ihm geschenkten Sklavin Aurelia statt. Vielleicht übertreibt der Autor bei der Zeichnung dieser wunderschönen wie intelligenten Sklavin ein wenig, aber das Gespräch über den freien Willen und die Menschenwürde ist sehr gut, sehr nuanciert ohne ins Belehrende abzudriften geschrieben worden. Alles handelt es sich auch um ein Gespräch, in welchem Mann sich zum wiederholten Male nicht vorstellen kann, das er von einer sehr schönen Frau geliebt wird. Hätte Rheinberg Aurelia die Freiheit geschenkt, um sie Augenblicke um ihre Hand zu bitten, wäre ihm in den späteren Kapiteln einiges erspart geblieben.
Zwischen diesen beiden signifikanten Szenen liegen eine Reihe von einzelnen Handlungsabschnitten, in denen Dirk van den Boom eher die kommenden Ereignisse sehr solide vorbereitet, als den eigentlichen Konflikt – die Stärkung des dekadenten Roms gegen die eindringenden von den Hunnen vertriebenen Barbaren – vorantreibt. Zu den interessanten Passagen gehört die erste Mittelmeerquerung dank der Kombination römischer Schiffbaukunst und preußischer Ingenieurtugend mit einem kombinierten Segeldampfschiff – von Timo Kümmel wie schon angesprochen auf dem sehr schönen Titelbild festgehalten -, welche dem römischen Reich nach der „Entdeckung“ des Brandweins den Kaffee als „Gegengift“ bescheren soll. Dirk van den Boom hat sich neben den umfangreichen historischen Recherchen ebenso viel Mühe mit seiner „Alternativwelt“ gegeben wie es zum Beispiel S.M. Stirling in seiner „Nantucket“ Trilogie bzw. Eric Flint in den ersten Bänden seiner „1632“ Serie gemacht haben. Die Idee, ein auf den ersten Blick waffentechnisch der Vergangenheit überlegender kleiner Kreuzer könnte das bisher sehr wackelige Gleichgewicht der Kräfte richten, hat der Autor schon im ersten Band zur Seite geschoben. Es geht auf der einen Seite darum, den kleinen Kreuzer seetauglich zu halten – das muss, um gegen das aggressive Mittelmeerwasser vorzugehen, ein Trockendock ausgehoben zu werden , auf der anderen Seite aber auch die Vorräte an Munition und Kohle zu ergänzen bzw. alternative Waffen zu schaffen. In Ägypten selbst folgt der Plot allerdings ein wenig zu sehr dem bekannten Schema. Staunend betrachten insbesondere die Crewmitglieder der „Saarbrücken“ das ihnen fremde Land. Sie werden auf der einen Seite freundlich aufgenommen, müssen auf der anderen Seite kleinere Konflikte überstehen, die im Gesamtplot untergehen. Anschließend geht die Reise weiter gen Osten durch einen inzwischen in Vergessenheit geratenen Kanal. Zwar ist das Auslaufen des exotischen Schiffes unter römischen Kommando, aber deutschen Maaten im Maschinenraum humorvoll unterhaltsam geschrieben, danach verliert dieser hoffentlich in den nächsten Romanen wieder besser integrierte Handlungsarm an Faszination.
Während „Der Aufbruch“ nicht nur Titel bestimmend ist, sondern die erste Hälfte des Buches auch positiv neugierig machend, aber wie schon angesprochen letzt endlich nicht ganz befriedigend dominiert, konzentriert sich Dirk van den Boom ein wenig gegen die Geschlossenheit des Plots in der zweiten Hälfte auf die verschiedenen anderen Handlungsebenen, die manchmal ein wenig zu uninteressant erscheinen. Die Liebesgeschichte zwischen der aus gutem Hause stammenden und inzwischen schwangeren Julia sowie einem vom Bord geflüchteten Besatzungsmitglied des kleinen Kreuzers funktioniert schon im zweiten Band der Serie eher mechanisch. Hier agiert Dirk van den Boom ein wenig zu sehr am Rande des Kitsches, wenn sich die Liebenden – er kurz vor dem Aufbruch seines Regiments, sie lieblos verheiratet und von dem „Saarbrücken“ Offizier schwanger – durch einen mehr als glücklichen Zufall begegnen. Die Meuterer und Verschwörer des zweiten Bandes agieren weiterhin im Hintergrund und versuchen natürlich in den Gegenlagern politisch- militärischen Einfluss zu erlangen. Im Vergleich zur „Haupthandlung“ um Rheinberg sind diese Passagen weniger überzeugend. Die Zeichnung der potentiellen Antagonisten zu eindimensional. Während die „Kaiserkrieger“ fast durch die Bank sittsam und rein – keine Akzeptanz der Sklaverei; ehrliche Beziehungen, welche in Ehe münden könnten – sind, dürfen die Schurken sich mit minderjährigen Sklavinnen vergnügen. Das Herz des Autors schlägt zumindest in dieser Hinsicht für die Bösen und folgt damit einigen sadistisch voyeuristischen Beschreibungen in Stirlings Trilogie.
Auf anderen parallel laufenden Handlungsebenen agiert Dirk van den Boom dank seiner zahlreichen, aber leicht voneinander zu unterscheidenden Charaktere wie auf einem überdimensionalen historischen Schachbrett. So erscheint „Der Aufbruch“ nicht negativ als Buch, in dem die Protagonisten und die Leser atmen holen können. Die von Dirk van den Boom entworfene historische Welt ist überdurchschnittlich gut recherchiert. Die von den Zeitenwanderern initiierten Veränderungen breiten sich langsamer aus als ihr Ruf. Hier unterscheidet der Autor sehr geschickt zwischen dem Überlebenstechnisch notwendigen sowie dem Angenehmen – siehe das Brennen von Brandwein im zweiten Band -, wobei der Fokus auf der Bewaffnung des römischen Reiches liegt. Militärisch solide beschrieben versuchen Rheinberg und seine Männer die Stärken der römischen Legionen durch ihre im Grunde provokanten sozialen Vorschläge – keine Sklaven bedeutet auch mehr Männer, die ihre Heimat gegen die Angreifer verteidigen würden – hervorzuheben. Im Gegensatz zu Rheinberg weiß der Leser, das die Gegenseite an archaischen Handgranaten wie ebenfalls leichter Artillerie arbeitet. Obwohl das Thema einer möglichen Veränderung der Gegenwart immer wieder latent angeschnitten wird, sehen die Protagonisten ihr gegenwärtiges Überleben als wichtiger an. Mehrmals wird aber auch die Hoffnung impliziert, das eine Verhinderung des Untergangs des römischen Reichs und damit des Vordringens der Hunnen ihren Verwandten in der Gegenwart eine bessere Zukunft bescheren wird. Für die bisherige Serie positiv handelt es sich bei der Mannschaft der „Saarbrücken“ um entschlossene Männer – sowohl was das Gute als auch das Böse angeht -, die weniger über Zeitparadoxa oder Zeitschleifen diskutieren als das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen.
Wie schon angesprochen passiert für den Gesamtplot weniger auf der ersten unmittelbaren Handlungsebene, sondern die wichtigsten Geschehnisse laufen überwiegend im Hintergrund ab. Am Ende kommt es zu zwei kurzen Eruptionen von Gewalt mit sehr unterschiedlichen Auswirkungen auf die kommenden Ereignisse. Mit einer bislang als historisch „tot“ geltenden Persönlichkeit fügt der Autor den Antagonisten eine interessante, nuanciert charakterisierte Figur hinzu, welche die etwas zu übertrieben gezeichneten Meuterer der „Saarbrücken“ zumindest abschnittweise ersetzen könnte.
Dirk van den Boom bereitet in „Der Aufbruch“ den Plot der nächsten Bänden im Grunde über den gesamten Handlungsverlauf vor. Das macht den vorliegenden Roman für Neueinsteiger uninteressant. Wer sich schon in den ersten beiden Abenteuern mit dieser historisch vertrauten, ungemein lebendigen und doch dank der „Saarbrücken“ jetzt starken Veränderungen unterliegenden Welt auseinandergesetzt hat, wird eher zwischen den Zeilen viele ergänzende Informationen erhalten. Die wenigen Actionszenen sind über den Handlungsbogen verteilt, erscheinen aber wie Kompromisse an ein intellektuell gut unterhaltenes Publikum. „Der Aufbruch“ ist vielleicht der ruhigste Roman, den Dirk van den Boom in seiner Karriere bislang verfasst hat. Es ist aber auch der Roman, der auf den unterschiedlichen insbesondere politischen Ebene nicht nur überzeugt, sondern sehr gut unterhält. Es ist eine für den nicht selten schwierigen Mittelabschnitt ganzer Romanserie – von Trilogien ganz zu schweigen - überzeugende Festigung der „Kaiserkrieger“ Welt mit gut charakterisierten sehr unterschiedlichen Protagonisten sowie einem weiteren historisch ausgesprochen überzeugenden Hintergrund.
20. Okt. 2011 - Thomas Harbach
Der Rezensent
Thomas Harbach

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