Main Logo
LITERRA - Die Welt der Literatur
Home Autoren und ihre Werke Künstler und ihre Werke Hörbücher / Hörspiele Neuerscheinungen Vorschau Musik Filme Kurzgeschichten Magazine Verlage Specials Rezensionen Übersicht
Neu hinzugefügt
Rezensenten
Genres
Sammelkategorien Interviews Kolumnen Artikel Partner Das Team
PDF
Startseite > Rezensionen > Thomas Harbach > Science-Fiction > Schattenlichter
emperor-miniature

Schattenlichter

SCHATTENLICHTER

Buch / Science-Fiction

Theodore Roszaks Roman „Flicker“ ist vielleicht der erste Director´s Cut eines Buches im Angesicht der anstehenden Verfilmung durch den eher verehrten als erfolgreichen Regisseur Darren Aronofsky liegt eine „Verlängerte“ Buchfassung vor.
Der Roman ist ursprünglich in den neunziger Jahren erschienen und wurde eher als Geheimtipp von wenigen Insidern empfohlen. So veröffentlichte der kleine britische ANDROMEDA Verlag lange Zeit lobende Hinweise auf den Roman des eher für die Schaffung der Phrase „Gegenkultur“ und seine sozilogischen Texte bekannten Autoren Roszak. Der Roman verschwand kurze Zeit später aus den Regalen, obwohl er immer eine Pflichtlektüre für Cineasten darstellte und zusammen mit Tim Lucas „Throat Sprockets“ und Ramsey Campbells „Acient Images“ eines der wenigen Bücher war, das das Phänomen Film von einer ernsten und ernsthaften Seite anging. Im Gegensatz zu Lucas erotischer Faszination und Campbells eher mythischen Ansatz nähert sich Roszak in seinem umfangreichen Roman typischen Elementen der Gegenkultur in Kombination mit inzwischen unsäglich zu nennenden Verschwörungsromanen und beschreibt auch in dieser verlängerten Fassung eine verrückte Geschichte, deren Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen und dessen dunkles Herz ein neues Armageddon im Angesicht von Playstation und Computer beschreibt. Dabei scheut er sich nicht, bekannte und weniger bekannte, aber historische Hollywoodpersönlichkeiten in seine Geschichte zu integrieren. „Flicker“ – ein besserer Titel als die deutsche Übersetzung „Schattenlichter“ – ist die Geschichte einer Verführung und gleichzeitig eine verführerische Geschichte, eine exzentrische Tour de France durch verschiedene Seelenlandschaften und ein bizarrer Verschwörungsplot, geplant, geplant und schließlich mit teuflischer Geduld ausgeführt.

Um einen größeren zeitlichen Spielraum zur Verfügung zu haben, beginnt Roszak seinen Roman nicht in der Revivalwelle den letzten Jahrhunderts, als sich die Filmkritik – zum Teil von den interessierten Fans begünstigt, aber auch der Auseinandersetzung mit den verbotenen Filmträumen der eigenen Jugend – mit der Stummfilmzeit und der Drive- In Filmen der fünfziger Jahre auseinandersetzen begann und in den oft unterbezahlten Regisseuren Künstler zu erkennen glaubte. Er versetzt seinen Ausgangspunkt in die fünfziger Jahre zurück, als das Arthousetheater begonnen hat und die ersten Revivaltheater entstanden. Als Intellektuelle sich mit Begriffen wie Komposition und Montage im Bereich des Filmes auseinandersetzten und die erste Jagd nach verlorenen Filmen und fehlenden Szenen begann. Als Film allerdings fast ausschließlich in den abgedunkelten, oft alten Sälen der überdimensionierten Filmpaläste stattfand und noch nicht in das Pantoffelkino des kleinen Mannes eingedrungen ist. Aus dem Film wurde Kunst und eine kleine Handvoll Intellektueller in seinen Bann schlug. Zu diesen gehört der pockennarbige Jonathan Gates, Universitätsstudent , dessen cineastisches Interesse mit der angedeuteten Erotik in den Dschungelgirl Serials und den europäischen Kunstfilmen. Er gerät unter die Fittiche Clare Swans, einer älteren, analytisch hochbegabten Kritikerin mit einem unstillbaren sexuellen Appetit. Für diesen Charakter nahm sich Roszak augenscheinlich die Kritikerin Pauline Kael als Vorbild. Als Gegengewicht etabliert Roszak sehr geschickt den Ex-Freund Swans, einen ebenfalls jungen Filmvorführer, dessen Interesse mehr im Bereich der Hardware und Spezial Effekts liegt, der im Gegensatz zur Swan auf sehr junge Mädchen und weiche Drogen steht.
Der Katalysator der Ereignisse Max Castle – der vierte Handlungsträger – ist weniger aus Fleisch und Blut als eher eine Fata Morgana. Ein vergessener Filmregisseur mit einem unauffälligen Oevre. In den 20er Jahren einer der neuen Stars des deutschen Films und den UFA Studios , ist Max Castle zu Beginn der Machtergreifung durch die Nazis nach Hollywood geflohen. MGM gab ihm die Chance, an einem ihrer größten und populärsten Epen mitzuwirken. Aus verschiedenen Gründen, nicht zuletzt in der diktatorischen Person Castles begründet, scheiterte die Zusammenarbeit. Eine neue Heimstatt konnte er schließlich bei Universal und Monogram finden, wo er low grade Horror und exploitation Filme drehte. Titel wie SHADOWS OVER SING SING und KISS OF THE VAMPIRE begleiteten seinen Weg. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschwand Castle auf dem Meer unter nie geklärten Umständen und seine Filme gerieten in Vergessenheit. Bis Jonatahn Gates in ihnen etwas zu entdecken glaubte und sich auf die mühevolle Suche machte, dessen Werk zu entdecken und selbst zum Mann zu werden.

Bevor näher auf die aktuellen Bezüge des Romans zum tatsächlichen und historischen Hollywood eingegangen werden soll, eine Anmerkung. Roszak spielt in Person seines Protagonisten mit dem typischen, aber oft in den Hintergrund gedrängten Thema des Horrorgenres, dem intellektuellen Reifeprozess. Die Suche nach verschwundenen Castle Filmen und die Beziehung zu der viel älteren Swan macht aus Gates noch keinen Mann, erst die Erkenntnis, die Kunstwelt und die sexuelle Umklammerung verlassen zu müssen, um ein Mann zu werden, öffnen Gates die Türen. Sobald er die Schwelle überschritten hat, ermöglicht es diese Transformation ihm, sein bisheriges Schaffen aus einer gänzlich anderen, neuen Perspektive zu betrachten und die richtigen, wenn auch mit apokalyptischen Folgen behafteten Schlüsse zu ziehen. Eine vergleichbare Quest musste der farblose Protagonist in Lucas „Throat Sprockets“ genauso hinter sich bringen, wie schon in der themenbedingten Anlage Ramsey Campbells einsame Helden.

Aber die Faszination „Schattenlichters“ liegt in der Kombination seines frankenstein´schen Schöpfers – Max Castle – mit dessen Kreaturen – den überwiegend billigen Horrorproduktionen - . Dabei bevorzugt Roszak einen sehr behutsamen, langsamen und intelligenten Charakteraufbau. Filmtechnisch könnte man von slow motion sprechen. Aus den verschiedenen Anspielungen formt sich ein Amalgam von Fritz Leiber, Edgar G.Ullmer, Karl Freund und natürlich Josef von Sternberg. Alles Regisseure, die auf dem Höhepunkt ihrs Schaffens die Heimat verlassen mussten und in Hollywood nie an ihre alte Größe, ihre intellektuelle Freiheit und ihre erzählerische Klasse heranreichten. Sie bildeten knappe zehn Jahre nach ihrer Auswanderung das dunkle schlagende Herz des auch heute noch verehrten Film Noir. Die Untersuchung von Castles Filmen über die künstlerischen Bestandteile hinaus und ohne Bezüge zu ihrem Unterhaltungswert fördert ein neues Element aus dem Dunkel des Kinos ans Tageslicht. Oberflächliche Vergleiche zu David Cronenbergs fleischlichen Ergüssen werden offensichtlich und schnell fällt im Zusammenhang mit Castles Filmen ein einziges Wort: sie sind unrein. Das bezieht sich nicht auf ihre Oberfläche, sondern tief zwischen den einzelnen Bildern, irgendwie im Film selbst – im Flicker – finden sich Botschaften. Dabei funktioniert Castles Film als Betäubungsmittel, das seine mysteriösen Botschaften direkt dem Unterbewusstsein übermittelt.

Dieser Trick gilt als so alt wie das Kino. Generationen von Kritikern diskutieren über den Einfluss einzelner Bilder und ob man damit das Unterbewusstsein manipulieren kann.
Neben den Totenkopfschädel, den Hitchcock über Norman Bates Portrait am Ende von Psycho legte, und einigen Versuchen im Exorzisten gilt – ebenfalls von Friedkin – „Cruising“ als das bekannteste Beispiel dieser von der Allgemeinheit negativ aufgenommenen filmischen Spielerei. In „Crusing“ überlagerte er mehrere Messerstechereien mit Bildern von homosexuellen Anal Sex. Hätten Zensoren damals die Möglichkeiten heutiger DVD und VCR Player gehabt, hätte man dem Film sicherlich eher ein „x“- Rating als schließlich das öffentlich freundlichere „R“ für restricted gegeben. Theorien, das diese Art von Techniken schon seit Beginn des Kinos eingesetzt worden sind, gibt es viele. Roszaks Stärke liegt er in der Umsetzung dieser Ideen in eine Verschwörungstheorie und einen mysthischen Kontext. Damit trifft er den Zeitgeist heute zehn Jahre nach der Entstehung seines Buches viel besser als wahrscheinlich geplant oder gedacht. In einer Zeit, in der die Republikaner diese Technik für ihren Wahlkampf einsetzen oder große Lebensmittelkonzerne damit die Reize und Sinne ihrer Kunden motivieren wollen, kann man das Kino näher an eine Jahrhunderte alte Verschwörung rücken. Viele Kritiker ziehen sich inzwischen auf eine Betrachtung sinnloser schnellfeuerartiger Filmschnitte zurück, deren Wurzeln in der MTV Videoclip Generation liegen, aber deren Argumente sind weiterhin schwach. Das Unterbewusstsein lässt sich durch absichtlich versteckte Botschaften beeinflussen und selbst das schnellste Schnittfeuerwerk erreicht nicht die gleiche Wirkung wie ein oder zwei versteckte Bilder in einer fortlaufenden Handlung. Vielleicht begünstigt die Unfähigkeit, einen Film in Ruhe zu sehen und eine Handlung sich entwickeln zu lassen, diesen Prozess, sie ist aber auf keinen Fall ein Auswuchs dieser Entwicklungen.

Wie sehr sich das Kino in den letzten zehn Jahren weiterentwickelt und die erweitertete Neuausgabe dieses Romans eingeholt worden ist, zeigt sich in einem der damals wahrscheinlich satirisch überzeichneten Charaktere: dem heranwachsenden Videoregisseur Simon Dunkle. Zum weiteren Verständnis ist notwendig, sich daran zu erinnern, dass MTV zu dieser Zeit als frischer Wind angesehen worden ist und sich das amerikanische Kino von erwachsenen Erzählkonzepten und – strukturen zu verabschieden begann. Wenn Dunkle im Roman damit droht, die erzählerische Form des Kinos zu vernichten, wirkt das eher nostalgisch naiv... heute hätte er in Hollywood kein Problem, seine destruktiven Filme zu drehen.

Im Kern setzt sich „Schattenlichter“ allerdings mit den Dingen auseinander, die wir als grundlegend betrachten und deren Verlust uns nicht sogleich auffällt: dramatisch menschliche Geschichten und Leidenschaften, fürs Auge der Kamera in Szene gesetzt, emotional reife Geschichten. Das er zwischen den Zeilen eine Art christlich rechte regierungsseitige Beeinflussung aller Medien suggeriert, ist einer der Aspekte, der heller denn je scheint. Der beschrittene Weg ist wie der ganze Roman ein Labyrinth aus Rätseln, Hinweisen und Schlüsseln. Auf den ersten Blick scheint der Plan durch die Nutzung eines inzwischen vergessenen Regisseurs fehlgeschlagen, doch unter der Oberfläche und im Laufe der Erkenntnisse des jungen Filmstudenten scheint sich die komplette Situation als Trockenübung herauszustellen. Und der Ernstfall ist erst in diesem Moment eingetreten.

„Schattenlichter“ ist die Geschichte des Kinos, es ist eine Geschichte dieses wunderschönen Mediums, eine dunkle Sage voller Abgründe und Schatten, aber es ist eines der Bücher, das uns daran erinnert, warum Menschen lieber in engen Seitenstrassen, auf unbequemen Sitzen, von alten Projektoren abgestrahlte längst vergessene Filme sehen als sich der Verdummungsmaschine auszusetzen, die inzwischen mit der Kombination aus Fernsehen und Kino eine tödliche Allianz gebildet hat. Von dieser konnte Roszak vor zehn Jahren noch nichts ahnen, sonst hätte sein Buch noch bitterer geklungen. So bleibt es einer der interessantesten Romane über dieses Medium aus dem Genre heraus... keine trockene Übung, sondern über weite Strecken eine fesselnde Lektüre.

Theodore Roszak: "Schattenlichter"
Roman, Softcover
Heyne 2005

ISBN 3-4535-3032-2

22. Jan. 2007 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/science_fiction/i...

Der Rezensent

Thomas Harbach
Deutschland

Total: 732 Rezensionen
März 2018: keine Rezensionen



[Zurück zur Übersicht]

Manuskripte

BITTE KEINE MANUS­KRIP­TE EIN­SENDEN!
Auf unverlangt ein­ge­sandte Texte erfolgt keine Antwort.

Über LITERRA

News-Archiv

Special Info

Batmans ewiger Kampf gegen den Joker erreicht eine neue Dimension. Gezeichnet im düsteren Noir-Stil erzählt Enrico Marini in cineastischen Bildern eine Geschichte voller Action und Dramatik. BATMAN: DER DUNKLE PRINZ ist ein Muss für alle Fans des Dunklen Ritters.

LITERRA - Die Welt der Literatur Facebook-Profil
Signierte Bücher
Die neueste Rattus Libri-Ausgabe
Home | Impressum | News-Archiv | RSS-Feeds Alle RSS-Feeds | Facebook-Seite Facebook LITERRA Literaturportal
Copyright © 2007 - 2018 literra.info