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Der Krieg der Zukunft vor 100 Jahren
Der Krieg der Zukunft vor 100 Jahren. Antikriegs- und Kriegsutopien von P. Berendt, Carl Grunert, Anton Oskar Klaußmann, Bertha von Suttner u.a. aus den Jahren 1900-1912. 7 vergessene klassische deutsche Science Fiction Erzählungen mit Einleitung, Nachwort, 20 zumeist ganzseitigen Originalillustrationen, Biographien und Bibliographie herausgegeben von Detlef Münch
D-44201 Dortmund : synergen Verlag 2006 150 S. 24,80
Die neueste Veröffentlichung Detlef Münchs stellt einige kürzere Kriegsutopien bzw. Aufsätze zum Krieg der Zukunft zusammen, wie sie in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg im Gefolge von Chesneys Battle of Dorking auch im deutschen Sprachraum ungemein populär waren und zum Teil enorme Auflagen erzielten (Auflagenangaben findet man in Henning Frankes Der politisch-militärische Zukunftsroman in Deutschland 1904-1914. Ein populäres Genre in seinem literarischen Umfeld (Frankfurt am Main, Bern, New York, 1995). Die beiden Beiträge von Anton Oskar Klaußmann, Das Ende der Luftschifffahrt (1903) und Der Luftkrieg der Zukunft (1908) stammen aus der Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, wo sie in der Rubrik Mannigfaltiges erschienen. Der erste, satirisch-humoristische Beitrag, gibt sich als Auszug des Vortrages eines englischen Gelehrten, gehalten 1962 bei einem Internationalen Kongress zur Abstellung der bei der Luftschifffahrt und im Luftverkehr entstandenen Übelstände. Der Redner beklagt den Schmuggel durch Luftfahrzeuge, der nicht einzudämmen ist, die Rücksichtslosigkeit der Luftschiffer, die allerlei Gegenstände achtlos von oben herabwerfen, Brände verursachen, und auch die Lärmbelästigung der Menschen unten, aber auch die furchtbaren Zerstörungen durch Bombardements aus der Luft. Das Ergebnis ist, dass der Luftverkehr insgesamt verboten wird. Im zweiten Text kommt es zu einem Krieg zwischen England und Deutschland. Die Engländer haben die Luftüberlegenheit, aber die Deutschen entwickeln eine Geheimwaffe, die elektrische Wirbelströme in der Luft erzeugt, welche die Luftschiffe zum Absturz bringt; das Ergebnis ist ein für beide Seiten ehrenvoller Friede (S. 18).
Carl Grunerts Im Fluge zum Frieden (1907, zuerst erschienen in Reclams Universum 1907) und kürzlich in dem Kurzgeschichtenband Grunerts Zukunftsnovellen von Dieter von Reeken nachgedruckt (2005) präsentiert ebenfalls eine kriegsentscheidende Erfindung. Das Deutsche Reich protestiert zwar gegen die dritte internationale Friedenskonferenz im Jahre 192*, aber obwohl es dank der Erfindung des Auslandsdeutschen Draco, der sie selbstverständlich dem Deutschen Kaiser zur Verfügung stellt, dem angreifenden Feind, der Atlantischen Union, die ihre Flotte aufmarschieren lässt, haushoch überlegen ist, wird diese Waffe nur zur Verteidigung eingesetzt. Es handelt sich um pfeilschnelle, unverwundbare Drachenflieger, mit denen z.B. auch Truppen im Buckingham Palast angelandet werden können.
Der anonyme Bericht Der Krieg der Zukunft, erschienen 1909 im 30. Jahrgang von Das Neue Universum, setzt ebenfalls ganz auf die Luftmacht, hier das Luftschiff, riesige Zeppelins, die keinen Orkan zu fürchten brauchen: Sie waren in der Luft zu Hause, wie ein Wasserschiff im Wasser. (S. 35). Interessant ist, dass der Autor in den Ballons Luftschläuche postuliert, die sich bei Verletzung durch ein Projektil selbsttätig wieder schließen. Aber auch Maschinen schwerer als Luft gewinnen an Bedeutung und werden zu gepanzerten Luftfestungen. Ein Krieg zwischen Asien und den USA wurde von der amerikanischen Luftflotte entschieden. Es sind die Amerikaner, die einen überraschenden Luftschlag gegen die feindliche Flotte führen und sie völlig vernichten. Ein folgendes Wettrüsten resultiert in einem neuen Krieg im Jahre 1980 und einem Patt, das zum Frieden führt. Die Größe der Verluste nimmt den kriegführenden Parteien die Lust auf weitere Kriege.
Auch Bertha von Suttner postuliert in ihrem Aufsatz Der Frieden in 100 Jahren, ihren Beitrag in Arthur Bremers Sammelband Die Welt in hundert Jahren (1910), dass die Mächtigkeit der Vernichtungswaffen, vor allem in der Luft, die Menschen zum Frieden zwingen wird. Eine friedensstiftende Rolle billigt sie auch den Religionen zu, vom heutigen Fundamentalismus hat sie sich nichts träumen lassen. P. Berendts Der Herr der Lüfte (1912) aus dem 24. Jahrgang von Deutschlands Jugend ist ein Musterbeispiel dafür, wie Jugendliche durch Schriften, die vorgaben, gute Literatur zu sein, chauvinistisch verseucht wurden. Die Geschichte sieht wie Der Krieg der Zukunft einen rassistisch angehauchten Konflikt zwischen Abendland und Morgenland voraus. Ein Mann, der sich Armenian nennt, der Eroberer der Lüfte, der Erde und des Meeres, raubt, um seinen Rassenkrieg zu finanzieren, die Bank von England aus. Per Luftschiff landen die Räuber und bohren sich von oben in die Räume, unter Hinterlassung einer Zettelnachricht, dass er da war. Armenian wird bei dem Überfall angeschossen und lässt sich ausgerechnet von Dr. Henze, einem berühmten Spezialisten für Luftschifferkrankheiten in Zürich, verarzten und zahlt mit neu geprägten englischen Goldmünzen! Mit einem Fahrzeug, das Auto, Luftschiff und Unterseeboot in einem ist, gewinnt Armenian auch ein internationales Luftrennen in Konstantinopel.
Das bewegt die Europäer zur Rüstung gegen den frivolen Feind, der ihnen genau genommen ja nur kindischerweise eine lange Nase dreht, aber nichts Zielführendes unternimmt. In Deutschland wird biegsames Glas und Porzellan erfunden und daraus ein Riesenluftschiff konstruiert, dessen Achse von einem Schacht durchzogen ist, in dem sich die Propeller befinden. Das Luftschiff ist auch eine Art Flugzeugträger, es führt kleinere Flugzeuge an Bord, und ist mit allerlei neuen Erfindungen, vornehmlich Waffen, aber auch Funkgeräten von der Größe einer Taschenuhr. Zu den Waffen gehört eine Art griechisches Feuer, also Napalm, das von Wasser nicht gelöscht werden kann.
Armenius haust unter den Ruinen von Babylon in einem unterirdischen Höhlensystem, wo sich seine Fabriken und Hangare befinden. Dr. Henze landet mit seinem gläsernen Luftschiff genau dort und fordert von dem Mann im Namen der Gerechtigkeit Rechenschaft. Armenius lacht die Deutschen nur aus, weil er aus dem Erdinneren Elektrizität erzeugt, was nur den asiatischen Völkern zugute kommen soll, weil die Europäer verweichlicht seien. Mit Fernsehern und Fernhörern vermag er alles zu verfolgen, was in der Nähe passiert, er hat eine Batterie, die große Energien speichern kann, und er kann Blitze schleudern. Er will auch die Sonnenenergie einfangen. Und er philosophiert über die Beherrschung der Naturkräfte, die nur Sklaven der Menschen seien, worauf ihm Dr. Henze entgegnet, dass über den Naturgesetzen die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit wohne. Das wird gleich mit einem Luftbombardement bewiesen, Dr. Henze irrt zwischen den explodierenden Lufttorpedos herum, doch wird das Luftschiff schwer beschädigt.
Ein bescheidener deutscher Gelehrter, Dr. Rudolf Müller, dessen größte Freude, neben seinem Beruf, darin bestand, mit seiner Tochter Annaliese in seinem Privatlaboratorium gemeinsam zu experimentieren (S. 77) und der sich habituell die Frage stellt, ob die Technik die Poesie verdrängen muss, und ob man durch Chemie, Physik und Naturwissenschaft deutschen Idealismus verlieren muss (S. 77) bietet Armenian oder Armenius mit einer eigenen Erfindung paroli: der Gewinnung von Elektrizität aus der Luft.
Es ist mir möglich, bis 50000 Pferdestärke elektrische Energie in einem Akkumulator von Handtaschengröße und 5 Kilo Gewicht aufzustapeln. Edison ist geschlagen. Aber daran ist noch nichts Besonderes. Ich setze nur eine Spiralfeder auf einen Bügel des Akkumulators, drehe an einem Hebel und so ziehe ich die Elektrizität direkt aus der Luft und presse sie in den Akkumulator. Bis jetzt konnten wir die Elektrizität nur direkt durch Motoren erzeugen.
Das Tollste aber ist, ich kann die aufgestapelte Kraft auf einmal entweichen lassen, natürlich nur in Gestalt eines Blitzes und diesen Blitz kann ich hinleiten, wo ich will. (S.81)
Die Tochter, die als Helferin des Vaters selbst eine talentierte Wissenschaftlerin ist und für die Frauen in der Wissenschaft kämpft, weiß darauf, was sie zu sagen hat, das ist eine Freude, da wird die Menschheit staunen. Ihr selbst ist es gelungen, Radium aus Meerwasser durch Einleiten einiger Säuren zu gewinnen. Radium, das geheimnisvolle Element, von dem man sich die Lösung der Energieprobleme der Menschheit erwartet, man braucht dann gar keinen Strom mehr, sagt der Herr Professor.
Die Völker Asiens vereinigen sich gegen Europa, weil ihnen aber unsere humanitäre Veranlagung, Bildung und Kultur fehlt, nutzen sie ihren niederen Instinkten entsprechend alles aus (S. 85). Ganz anders da die Europäer, vor allem die Deutschen, die zeigen müssen, dass ihr Geist die Welt beherrscht. Unbesiegbar sind sie nicht nur durch ihre Erfindungen, sondern vor allem, weil wir mit deutscher Treue und Ehrlichkeit, mit deutschem Mut und Gemüt kämpfen. Die kaukasische Rasse war ja schon stets allen anderen an Intelligenz und Klugheit über gewesen und weil die anderen Rassen weder durch Kultur noch Zivilisation, weder durch Wissenschaft noch Kunst bewiesen hatten, etwas leisten zu können, deshalb fürchtete man sie nicht (S. 89). Aber jetzt übernehmen sie alles von den Europäern. Die altruistischsten Europäer sind natürlich die Deutschen: Ohne Hintergedanken stellt sich der Germane in den Dienst der Menschheit, des Fortschritts wegen: nicht persönlichen Vorteil sucht er, nicht Ehre und Titel; die Gerechtigkeit und Wahrheit allein bestimmen sein Handeln. (S. 90). Und so weiter geht der Schmus vom Deutschen als Gewissen und Seele der Welt (S. 91).
Mit einigen hundert Autoflugbooten und Blitzapparaten will Armenius Europa verwüsten und bedrängen und sturmreif machen, der aber natürlich richten sie nichts aus gegen Flugschiffe, die nur erhabenen Menschenzielen dienen, und das Ergebnis ist vorhersehbar nach einem weiteren Streitgespräch des Armenius mit Dr. Henze. Besiegt, sprengt sich der feige Schurke mit allen seinen Erfindungen in einem Selbstmordattentat in die Luft und will auch das treue deutsche Mädchen Annaliese in die Luft sprengen. Sie überlebt jedoch und will nach dem 8. September 1922, dem Tag ihrer Verlobung, nur noch die deutsche Frau sein, die für ihren Gatten lebt und sorgt. Die ganze Wissenschaft war für die Katz, wenn sie nur am häuslichen Herd kochen darf. Die Geschichte endet mit Deutschland über alles. Amen.
Auch in Der Todessturz. Eine Szene aus der letzten Seeschlacht der Erde (1912) aus Das Neue Universum, 33. Jg., gibt es, so um 1932 herum, eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen dem aufstrebenden Asien und Europa, die in einer Seeschlacht zwischen einer chinesisch-japanischen und einer europäische Flotte mündet, die mit riesigen Panzerschiffen, gepanzerten Flugzeugen und schon Flugzeugträgern (auf beigegebenen Abbildungen deutlich erkennbar) ausgefochten werden. Die Schlacht wird mit einem Kamikazeangriff auf eine japanische Stahlfestung, der Selbstaufopferung eines englischen Fliegers, entschieden, und auch in dieser Erzählung sind die Gräuel der Schlacht eine solche Lehre, dass es vermutlich keine Kriege mehr geben wird.
Die entscheidenden Waffen in diesen Erzählungen sind meist Luftschiffe und Flugzeuge, der Einsatz der Luftmacht wird zugleich unterschätzt wie überschätzt; unterschätzt hinsichtlich der Zerstörungen, die Luftangriffe anrichten können; überschätzt hinsichtlich der Auswirkungen dieser Zerstörungen. Die Menschheit hat sich in der Praxis durch viel größere Gräuel nicht vom Krieg abhalten lassen.
Interessant, oft viel interessanter als die meist doch ziemlich naiven Texte, sind die beigegebenen Originalillustrationen. Sie geben aber Aufschluss über die Einstellungen und Haltung der damaligen Zeit, die häufig von Chauvinismus und Furcht vor der gelben Gefahr geprägt war. Die Broschüre enthält auch eine Einleitung und ein Nachwort Münchs, Kurzbiographien der Autoren (soweit etwas über sie bekannt ist), eine Auswahlbiographie von Kriegsutopien, ein Verzeichnis der Sekundärliteratur, ein Abbildungsverzeichnis und eine Auflistung lieferbarer Titel deutscher Science Fiction bis 1914.
27. Feb. 2007 - Dr. Franz Rottensteiner
Der Rezensent
Dr. Franz Rottensteiner

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Franz Rottensteiner
wurde am 18.01.1942 in Waidmannsfeld/Niederösterreich geboren.
Studium der Publizistik, Anglistik und Geschichte an der Universität Wien,
1968 Dr. phil.
Rund 15 Jahre Bibliothekar an einem Forschungsinstitut, daneben Tätigkeit für verschiedene Verlage, unter ander...
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