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Die Fürsten des Nordens
Selbst über eine Generation nach ihrer Entstehung sind Poul Andersons Nacherzählungen der nordischen Sagen in einem modernen Gewand exzellente Anfangslektüre, um sich in der gewalttätigen, melancholischen Welt der überdimensionalen wilden Wikingerkrieger und ihrer reichhaltigen Götterwelt zu tummeln. Mit Die Fürsten des Nordens der englische Originaltitel The Last Light of the Sun scheint sich auf die ewige Nacht in den nördlichen Regionen zu beziehen fügt der kanadische Autor eine weitere Facette hinzu. Vor dem Hintergrund seiner bisherigen Romane kombiniert er klassische Sagenelemente mit einzelnen, eher fragmentarischen Ausflügen in den Bereich der Fantasy. Der Roman spielt zur gleichen Zeit wie The Lions of Al-Rassan und dem Doppelband Lord of Emperors / Sailing to Sarantium. In diesen Romanen hat er Kulturen beschrieben, die sich nicht zuletzt aufgrund der politischen Verstrickungen am Rand der Dekadenz und dem inneren Zerfall befinden. Mit den verschiedenen rauen Völkern des Nordens hat er Kulturen entwickelt, deren archaische Kraft und deren Willen sie noch zu einem aufstrebenden Volk machen, von einer eigenständigen Kultur lässt sich nicht in Ansätzen sprechen. Die Struktur seines Romans ist von überraschender Simplizität, auch wenn er die Handlung auf mehreren Ebenen parallel vorantreibt. Im Gegensatz zu den Epen konzentriert sich Kay auf Einzelschicksale, aus denen sich etwas Größeres ablesen lässt. Damit negiert er auch die Tendenz von manch historischem Roman, die Geschichte nur aus der Perspektive der Sieger zu schreiben. Seine Geschichte beinhaltet neben den obligatorischen Helden eine Handvoll von Charakteren, die als historisches Beiwerk nur die Zeit und das Milieu, in dem sie leben, dreidimensionaler erscheinen lassen. Die imaginäre Off- Erzählerstimme, die an einigen Stellen die Kapitel ein- und ausleitet, weißt auf diesen Fakt sogar gesondert hin. Mit diesen kleinen Bemerkungen durchbricht Kay immer wieder die klassische Erzählstruktur, um dem Geschehen unnötig einen Hauch der Irrealität einer Sage zu geben. An anderen Stellen kann dieser omnipotente Erzähler der allerdings aus der relativen Zukunft das Geschehen für Dritte aufzubreiten scheint mit Hinweisen und Drohungen die Stimmung der kommenden Ereignisse beeinflussen und latent Spannung erzeugen. Dabei hat die eigentliche Geschichte diese künstlichen Hinweise nicht nötig.
Insbesondere zu Beginn erzählt Kay in einem wichtigen Handlungsstrang eine fast klassische Geschichte. Junger potentieller Held wird durch eine Tat des Vaters in Armut gestürzt, stiehlt ein Pferd, will fliehen, wird von einer Hexe manipuliert, einem jungen hübschen Mädchen, das sich als angeheiratete Verwandte entpuppt, gerettet, auf einen anderen Pfad gesetzt, in einer Söldnerstadt rettet ihn die ehrliche Hure mit dem Herz aus Gold, im Zweikampf besiegt er den Hauptmann der Söldnerarmee, der ihn unterschätzt hat und schon beginnt seine Karriere. Stellenweise ist der Leser seinem eindimensional beschriebenen Charakter meilenweit voraus. Es bleibt das Gefühl hängen, als wenn sich Kay von seinem Hintergrund hat verzaubern lassen. Fast klischeehaft zeigt er an diesem Protagonisten auf, dass im Grunde alles schon Geschichte geworden ist. Jede Handlung, jeder Traum, jede Reaktion auf andere Ereignisse, wie in einem Teppich fügen sich diese kleinen Teile zu dem großen Bild zusammen, das später als historische Sage erzählt wird. Kays Geschichte wird nicht nur durch die zahlreichen und blutigen Schlachten erzählt und geformt, für den Autoren in dieser monumentalen Aufgabe ist jedes Individuum wichtig. Dieses Bild entwickelt er dank seiner zahlreichen Nebenfiguren. Auf den ersten Blick erschweren sie die gängige Lektüre des Buches, zu oft fragt sich der Leser, in welchem Zusammenhang mit dem eigentlichen Plot und den Helden diese Charaktere stehen. Hat man erst einmal akzeptiert, dass diese Protagonisten das Umfeld farbenprächtiger gestalten sollten und die verschiedenen politischen, wirtschaftlichen und natürlich auch kriegsbedingten Veränderungen reflektieren, akzeptiert der Leser sie nicht nur, er verfolgt die diversen Schicksale mit größerer Aufmerksamkeit als die ehr unterdurchschnittliche Haupthandlung.
Mit den Erlings hat Kay natürlich eine Hommage an die Wikinger in ihren Langbooten geschrieben. Sie leben vom Plündern der umliegenden Reiche, die Gesetze sind genauso hart wie das Leben in einem unwirtlichen Land. Nur wer ein wenig Land sein Eigen nennen kann, beginnt quasi als despotischer Kleinschollenbesitzer in dieser Kultur zu leben. Wer sein Land verliert, weil er gegen die Gesetze verstößt, ist schlimmer bestraft als mit dem Tod, denn auch seine Familie und seine Kinder werden ihr Leben lang unter der Schande des Vaters zu leiden haben. Die Geschichte dieses Volkes zieht sich an Hand eines Einzelschicksals in diesem Fall der schon beschriebene, Pferde stehlende Jüngling Bern durch den Roman. Ab der Mitte des Buches beginnt Kay allerdings eine interessante Gegenposition zu entwickeln. Eines der Völker, das von Berns Volk mit schöner Regelmäßigkeit überfallen wird, beginnt einen Widerstand zu organisieren. Dessen König hat sich mit einigen seiner Mannen auf eine abgeschiedene Festung zurückgezogen und beginnt diese auszubauen. Mit kleineren Streifzügen in der Umgebung beginnt der Widerstand, dem sich mehr und mehr freie Krieger anschließen. Dieses Nationengründen im kleinsten Nenner bis hin zur obligatorischen großen Schlacht ist eine faszinierende Facette des Buches. Hier konzentriert sich Kay fast ausschließlich auf die Kultur und den Versuch, mit organisiertem Widerstand die gefürchteten Feinde zu besiegen. Das der erste große Sieg auf falschen Informationen für den Feind basiert, wird in den Geschichtsbüchern nicht einmal mehr eine Randnote einnehmen. Allerdings macht es sich Kay auch in seiner Struktur ein wenig zu einfach. Die Wikingerabkömmlinge sind grundsätzlich verschlagen, böse, brutal, arrogant, ihre Feinde sind nachdenklich und eher vom Wesen her Künstler. Keine seiner Figuren ist wirklich abgerundet, sie stehen in einem ständigen Konflikt mit der eigenen Herkunft und hinterfragen alle ihre Handlungen mehr und minder stark. Diese Vorgehensweise beginnt den Leser spätestens ab Mitte des Buches zu ermüden. Einige der wilden Wikingerartigen Krieger müssen ihren bisherigen Lebensweg hinterfragen, um als Volk überleben zu können. Hier gelingt es Kay, insbesondere bei den älteren, im Grunde nur im Kampf und nicht im Frieden erfahrenen Figuren überzeugende Nuancen zu entwickeln. Plötzlich werden aus den eher eindimensionalen Protagonisten abgerundete Charaktere. Insbesondere Thorkell Berns Vater gewinnt in dem in der zweiten Hälfte des Buches natürlich explodierenden Vater- Sohn Konflikt an Gestalt. Dabei bemüht sich Kay, diesem altbekannten Stoffe neue Facetten abzuringen. In diesem Fall ist er nicht sonderlich erfolgreich, aber dank der ausführlichen Exposition wird der Leser von dem Geschehen in seinen Bann gezogen und akzeptiert fast fatalistisch wie die Charaktere die unterschiedlichen, vielleicht doch von den ominösen und grausamen Göttern vorbestimmten Lebenswege.
Die Fürsten des Nordens ist keine leichte Lektüre. Das hat auch mit Kays Tendenz zu tun, möglichst viele Informationen in einem kompakt geschriebenen Roman zu integrieren. Unter dieser Prämisse leidet die Handlung insbesondere zu Beginn des Buches. Kämpft sich der Leser durch den gewöhnlich erscheinenden Stoff und akzeptiert einige eher unwahrscheinliche Plotwendungen und Vorgaben, dann eröffnet sich insbesondere in der zweiten Hälfte des Buches das immer wieder interessante Panorama einer jungen Kultur, die unsicher auf den eigenen Beinen stehend seine Stimme sucht und einen neuen Lebensweg findet. Insbesondere der Hintergrund des Buches mit seinen imposanten Naturbeschreibungen, einer sehr guten Widergabe des rauen nordischen Klimas und dem nicht einfachen Überlebenskampf auch ohne die mörderischen Horden beginnt schließlich das Interesse des Lesers zu fesseln und überdeckt einige im Verlauf des Endes einige zu konstruierte Passagen. Guy Gavriel Kay ist kein Autor für die Massen, sehr bewusst bemüht er sich, nur wenige Elemente der Heroic Fantasy in seine Romane zu integrieren. Er gibt ihnen eine eigenständige Persönlichkeit mit historisch politischen Ecken und Kanten. Akzeptiert der Leser diese Vorgabe, wird er mit einer Mischung aus Information und Aktion auf einem gehobenen Niveau ansprechend unterhalten. Sucht er nur profane Unterhaltung, wird er sich in diesem vielschichtigen Kultur und den einsamen Weiten des Nordens verlieren.
16. Jun. 2007 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/fantasy/isbn3-492...
Der Rezensent
Thomas Harbach

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