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Wächter der Ewigkeit
Mit Wächter der Ewigkeit schließt Lukianenko seine inzwischen zu einer Tetralogie jeweils aus drei separaten Geschichten mit einer gemeinsamen Auflösung versehene Serie um die Dunklen und die Lichten ab. Dabei beantwortet er bei weitem nicht alle Fragen, die er im Verlaufe seiner interessanten Serie aufgeworfen hat. Den Leser beschleicht zuweilen im Verlaufe der eher bodenständigen Geschichten das Gefühl, als wolle sich der russische Autor die Tür für weitere Folgen ganz bewusst offen halten.
Im Gegensatz zu den vorangestellten Büchern wirken die einzelnen Episoden fast wie die Abenteuer eines übernatürlich begabten Geheimagenten, der vor seinen Vorgesetzten immer wieder an die Krisenherde Russlands und in diesen vorliegenden Fällen der Welt geschickt wird. Die erste Episode beginnt in Edinburgh zur Zeit des Festivals, als Viktor mit seiner Freundin Valerija dort Urlaub macht. Die beiden stammen aus Russland, und bei Viktors Vater handelt es sich nicht nur um einen bekannten Politiker, sondern auch um einen nicht-initiierten Anderen. Dieser Ausflug in touristische Regionen gibt Lukianenko die Gelegenheit, nicht nur über das Verhalten der Landsleute im Ausland im Allgemeinen, sondern über den globalen Sensationstourismis im Besonderen zu fabulieren. Auch wenn diese kleinen und gemeinen, aber zutreffenden Seitenhiebe die Atmosphäre der Geschichte deutlich auflockern, wirken sie nicht mehr so natürlich spontan wie im ersten Buch.
Wie es sich für die Wächter Serie gehört, beginnt die Geschichte mit einem Paukenschlag. Victor wird natürlich im Gruselkabinett zumindest kommerziell unter der Kontrolle der Lichten, die ihre Operationen mit Tourismusangeboten finanzieren von einem Vampir angegriffen und ausgesaugt. Dieser übernatürliche Anschlag ruft die Wächter der Nacht in Person von Anton auf den Plan.
In Edinburgh angekommen, kommt Anton in einem merkwürdigen Hotel eines alteingesessenen Vampirs unter, wo er das lichte Zimmer beziehen darf, das komplett in Weiß, Beige und Rosa eingerichtet ist. Bei seiner Befragung findet Anton heraus, dass der Vampir nichts davon weiß, dass einer seiner "Artgenossen" für die Tat im Gruselkabinett verantwortlich ist, also begibt sich Anton selbst dorthin und macht die Bekanntschaft eines verkleideten Angestellten, der die inzwischen geschlossene Einrichtung bewacht. Im Zuge seiner Ermittlungen erkennt er, daß man versucht, die Tat einem Vampir in die Schuhe zu schieben, da sich das ausgesaugte Blut im Boden befindet. Im Zuge seiner weiteren Ermittlungen kommt Anton auf die Spur des einzigen Nullmagiers, den es gibt: Merlin. Anscheinend ist dort vor vielen Jahren nicht nur ein wichtiges Objekt versteckt worden, sondern die Spur führt nach Usbekistan, da man einen alten Bekannten förmlich ausgraben muss, der über verschiedene Antworten verfügen könnte.
Lukianenko führt den Leser dieses Mail in eine Zone des Zwielichts, die handlungstechnisch im Grunde das Ende der Entwicklung darstellen sollte. Im ersten Roman ist immer wieder auf das brüchige Gleichgewicht zwischen dem Dunkel und dem Licht hingewiesen worden. Ein gegenseitiges Belauern nach dem großen Krieg. Mit Merlin wird nicht nur eben dieser Nullmagier vorgestellt, sondern eine Zone, in welche dieser erst eindringen kann, wenn er sämtliche Kräfte den Menschen entzieht und sich ein neues Tor öffnet. Merlin ist natürlich nicht der mächtigste Nullmagier der Geschichte gewesen, sondern nur einer von zweien dieser Art. Die zweite Nullmagierin ist Antons Tochter, die im Verlaufe des letzten Kapitels auf der Seite des Guten ihren ersten Auftritt als große Andere hat. Das sie etwas Besonders ist, über außergewöhnliche Kräfte verfügt, hat sich im Verlaufe der vorangestellten Geschichten angedeutet, der Leser hat aber den Eindruck, als wenn der Autor für sie extra eine große Konfrontation geschaffen hat. Dadurch hinterlässt insbesondere die letzte Geschichte einen sehr konstruierten, sehr starren Eindruck. Der Höhepunkt am Ende des ersten Buches mit seiner Mischung aus Realismus Lukianenko hat das ewig erscheinende Moskau mit seinen historischen Gebäuden und Plattenbauten sehr authentisch und plastisch für den obligatorischen Kampf zwischen dem Guten und Bösen eingefangen und Magie hat deutlich überzeugender, fließender gewirkt. Hinzu kommt, dass Antons Reisen eher wie Versatzstücke eines größeren Plots wirken. Charakter und Leser begeben sich in das schöne Edinburgh, das im Zwielicht allerdings einiges zu verbergen hat. Denn hier hat der große Merlin gewirkt, der einst ein Lichter war, dann aber zum Dunkel übergetreten ist. Das Lukianenko mit dieser Figur aus seinem bislang abgeschlossenen Kosmos heraustritt und sich den westlichen oder besser britischen Legenden öffnet, könnte ihm übel genommen werden. Eine überzeugende Begründung liefert der Autor nicht ab. Auf den ersten Blick hat man das Gefühl, als suche der Autor insbesondere im Westen neue Lesergeschichten für seine auf der russischen Seele basierende Sage. Und Merlin ist immer für einige Verkäufe mehr gut. Noch sind die originären Strukturen und originellen Idee seiner russischen Fantasysage in der Überzahl, aber das Pendel schwingt phasenweise verdächtig zu eher mittelprächtigen in der Gegenwart spielenden Mysterygeschichten aus. Das die Opposition aus drei großen Zauberern besteht, die auf der Suche nach dem großen Geheimnis auch mittels eines Kampfroboters und umgewandelten Menschen über Leichen gehen, ist ebenfalls nicht unbedingt innovativ oder sonderlich aufregend. Sobald der Handlungsbogen das vertraute Russland verlässt, gelingt es Lukianenko nicht mehr so überzeugend, neben einer packenden Handlung auch einen nachhaltigen Feinschliff im Hintergrund zu erschaffen. Dazu kommt, dass insbesondere der Protagonist Anton nicht mehr der Ratlose, der Suchende ist. Er hat die Organisation nicht nur durchdrungen und verändert, ihm gelingen Dinge, die in den ersten Bänden über seine eher latenten Kräfte hinausgingen. Er ist glücklich verheiratet, mit einer bezaubernden, aber mächtigen Tochter. Da er aber auch zu einem Anderen außerhalb der bislang bekannten Kategorien geworden ist, fällt ihm vieles zu leicht und Lukianenko nutzt diese großartigen Fähigkeiten zu oft, um sich aus seinen literarischen Fallen herauszuwinden. Nicht selten verlieren sich einige gut angelegte rote Fäden im wahrsten Sinne des Wortes im Nichts. Hier wäre es sinnvoller gewesen, Antons Fähigkeiten deutlicher zurückzufahren, seine Kombinationsgaben zu stärken und ihn zu einem normalen Mitglied der Garden in einer außergewöhnlichen Zeit zu reduzieren.
Aber die anderen Charaktere offenbaren viel Potenzial und vor allem nutzt der Autor zwiegespaltene Persönlichkeiten, um dem Leser nicht alles erklären oder gar zeigen zu müssen. Natürlich ist es zum Markenzeichen der Serie geworden, dass viele Figuren kein ehrliches Spiel treiben. Aber trotzdem schafft Lukianenko mit einigen Ideen, die Leser wieder zu überraschen und an der Nase herumzuführen. Bei einigen Figuren ist das Misstrauen durchaus berechtigt, bei anderen Charakteren amüsiert sich der Autor Lukianenko köstlich über die Unwissenheit des Lesers. Das er allerdings die einst mächtige Swetlana zu einer einfachen Hausfrau keine leichte Aufgabe per se mit einer zufriedenen Lebenseinstellung macht, gehört zu den Schwächen des Romans. Das Auslesen von Antons Wahrscheinlichkeitslinien kann man kaum als aktive Rolle charakterisieren. Da ausgerechnet Antons Tochter zu einer wichtigen Figur aufgebaut wird, wäre es sinnvoll gewesen, ihre Mutter Swetlana wieder näher an den Mittelpunkt des Geschehens heranzuführen. Immerhin hat Lukianenko über insgesamt drei Romane diese interessante und sympathische Figur mit viel Liebe zum Detail aufgebaut. Da wäre es eine nicht einmal große Geste gewesen, ihr zumindest eine adäquate, aber nicht tödliche Abschiedsvorstellung zu gewähren.
In insgesamt zwölf Geschichte hat der Russe seine Welt der Anderen und des Zwielichts präsentiert. Es ist wahrlich eine fantastische Welt, in welche der Leser mit einem wolligen Schauern und vielen Überraschungen gerne eingetaucht ist. Leider hat sich Lukianenko entschlossen, die einzelnen Facetten seiner Guten und Dunkeln nicht weiter zu extrapolieren. Er begnügt sich damit, den Unterschied zwischen den Anderen und den Menschen zu erklären. Er offenbart das Geheimnis des Zwielichts. Er vernachlässigt aber gänzlich die charismatischen Geheimdienstchefs Geser und Sebulon. Insbesondere in den ersten Geschichten lebten einige der direkten Konfrontationen von ihren undurchschaubaren Planspielen. Auf weitergehende Erklärungen verzichtet der Autor. Die Erklärungen wirken wie gegen die eigene Überzeugung angehängt. Trotzdem bleiben sie zum Teil unverständlich, undurchsichtig und negieren die dunkle Intention des ersten Buches. Das Happy- End steht in einem starken Kontrast zu den bisherigen Bänden. Die Spannung löst sich zwar nicht unbedingt in Luft auf, aber das Ventil, durch das sie entweicht, ist in die falsche Richtung gedreht. Wächter der Ewigkeit ist kein überragender Abschluss dieser interessanten Serie, zu wenige wirklich überraschende Ideen, eine routiniert geschriebene Arbeit. Aber wahrscheinlich doch nicht das befürchtete Ende im ewigen Konflikt zwischen den Dunklen und Lichten.
17. Jun. 2007 - Thomas Harbach
http://www.sf-radio.net/buchecke/horror/isbn3-4535...
Der Rezensent
Thomas Harbach

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