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no. 12: haut
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Der Minirock -- die Enthüllung des Frauenbeins |
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von Andrea Reiff/Nadine Soeffing |
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In den 60ern begann der Siegeszug des Minirocks. Jede Frau trug ihn zu jedem Anlaß -- heute nicht mehr vorstellbar. Einige Gedanken und Theorien zum kürzesten Kleidungsstück der weiblichen Modewelt. |
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Wenn Doro ihre Eltern im Minirock besucht, bekommt sie von ihrem Vater zu hören: "Muß das denn sein?" Er kann das nicht leiden, und "Frauen sollten das nicht machen, nur um Männer zu beeindrucken". Ihre Mutter ist nicht minder pikiert, denn schließlich sind ihre Eltern streng gläubige Christen. Der Minirock verstößt gegen die Pietät! |
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Doch Augenblick mal. Haben ihre Eltern die Minimode in ihren Anfängen, das heißt in den 60er Jahren nicht selbst miterlebt? War es für ihre Mutter damals nicht auch normal, im superkurzen Minirock den Alltag zu bewältigen? Doro kann das nur bestätigen. Familienbilder aus den 60er und 70er Jahren zeigen ihre Mutter fast nur in Minis, und die waren sehr kurz. Da war die Mutter in ihrem Alter, also Mitte zwanzig |
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Unterlag der Minirock einem solchen Imagewandel, daß es sich heute nicht mehr 'ziemt', ihn zu tragen, oder sind Doros Eltern einfach nur alt geworden? Wie war es möglich, daß nach den 'spießigen' 50er Jahren die Saumlänge des Rocks so nach oben schnellte? War dies vielleicht nur eine ganz gewöhnliche modische Entwicklung und keinesfalls eine 'Revolution'? Wie konnte sich der Minirock Ende der 60er Jahre so in den Massen durchsetzen und den Status der Normalität erreichen? |
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Eine Reihe von namhaften Wissenschaftlern hat sich mit dem Phänomen 'Mode' auseinandergesetzt. Historisch reicht sie von Herbert Spencer, Georg Simmel und Thorstein Veblen über Edward Sapir und Alfred Kroeber bis hin zu Roland Barthes, Pierre Bourdieu sowie dem renommiertesten deutschen Modeforscher der Nachkriegszeit: René König. Das Wissen um die Mode und ihre Funktion ist groß, das Wissen um den Minirock nicht. |
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Woraus wird und wurde die Motivation geboren, einen Minirock zu tragen? Wie reagiert das Umfeld darauf? Welchen symbolischen Charakter hat er, und wie unterschiedlich wird der Minirock generations- und geschlechtsübergreifend wahrgenommen? Ist der Minirock Ausdruck eines Befreiungsschlags der Frauen oder steht er im Widerspruch zur Emanzipationsbewegung? |
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Erotik -- Nacktheit allein genügt nicht | ||||
Erotik bedeutet sexuelle Reizunterstützung durch Körperveränderungen: 'auf'reizen und verführen durch Bemalen, Schmücken, Verhüllen. Der Mensch wirbt durch sie für sich selbst. Erotik begreift sich als verhüllte, künstlich gesteigerte Sexualität. Nacktheit allein genügt nicht, um erotisch zu wirken. Erotik ist eine Kulturäußerung mit wechselndem Erscheinungsbild. Und nicht nur das: auch die erotische Dominanz der Geschlechter ist kulturabhängig. Lag im Barock das erotische Schwergewicht beim Mann (oder zumindest bei beiden Geschlechtern gleichartig), wobei entsprechend auch die männlichen Geschlechtsmerkmale modisch hervorgehoben wurden, so gab der Mann im Laufe des 18. Jahrhunderts die erotische Verführung an die Frau ab. Mit der Kürzung des Frauenkleides in den 1920er Jahren, der Erotisierung des Frauenbeins, wurde die Mode vielfältiger, lockerer, einfacher, und mit der Hosenmode schließlich erhielt die Frauenkleidung einen Facettenreichtum, welcher die Männer in den Schatten der Mode stellte. Erst im Zuge der Gleichberechtigung wird die männliche Erotik wieder aufgewertet. Aber trotzdem entblößt die Frau ihren Körper auch heute noch in einem höheren Maße als der Mann. |
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Trotz der primär erotischen Bedeutung modischen Verhaltens ist dabei die Erfüllung des Geschlechtstriebes keineswegs notwendig inbegriffen. Im Gegenteil: Man könnte sogar sagen, daß durch nichts der Geschlechtstrieb von seinem eigentlichen Ziel, der sexuellen Vereinigung, so stark abgelenkt werden kann wie durch das Spiel der Erotik in der Mode. Dies scheint ein Grundzug des weiblichen Einsatzes von Erotik zu sein, während der Mann häufig das Spiel der Frau mit ihrem Körper und mit allem, womit sie den Körper verdeckt oder auch entblößt, durchaus mißverstehen und als konkrete Einladung begreifen mag. |
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Dennoch: der Körper erscheint als erotischer Gegenstand. Sei es durch die Wirkung der Haut oder sekundärer Geschlechtsmerkmale wie der weiblichen Brust und die Enthüllung bestimmter Gliedmaßen. Dazu gehört in der westlichen Welt neben den Armen vor allem das Bein, das darum auch so gut wie durch die gesamte ältere Modeentwicklung hindurch bedeckt geblieben ist. In Europa entblößte erst die Mode des 20. Jahrhundert das weibliche Bein bis zum Knie und schuf gleichzeitig mit dem Seidenstrumpf ein Kunstwerk der Mode, das die Wade besonders modelliert, indem es sie mit einer hauchzarten Hülle umkleidet und dem natürlichen Reiz der nackten Haut die Glanzlichter von Seide, Kunstseide oder Nylon hinzufügt. |
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Die Entblößung des weiblichen Beins bedeutete eine Revolution, die ursprünglich viel intensiver war als die mit dem Minirock verbundene Entblößung des Oberschenkels. Aber was aus heutiger Sicht als eine rein erotische Lockung aufgefaßt werden kann, war damals vielmehr Ausdruck einer neuen Stellung der jungen Frauen in der Gesellschaft, insbesondere der Selbstdarstellung ihres Körpers. Nur so war es möglich, daß Mitte der 60er Jahre der Siegeszug des Minirocks einsetzte. |
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Kindlichkeit als neues modisches Leitbild | ||||
Die damenhafte Mode der 1950er Jahre fanden junge Frauen bieder und spießig. So meinte etwa die Modemacherin Mary Quant, sie sähen in ihr aus wie ihre eigenen Großmütter. Sie wollte, daß alle Menschen ihre kindliche Anmut behielten. Darum entwarf sie seit Ende der 50er Jahre ihre eigene Mode: kurze Hängekleidchen, die die jungen Frauen wie Schulmädchen aussehen ließen, Trägerröcke, enge Pullover und den Minirock. |
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Mary Quants junge Mode war vor allem auch für Leute gedacht, die sich teure Designerkleider nicht leisten konnten. Die neue Mode konnte sich in der westlichen Welt schnell durchsetzen, denn das gesellschaftliche Leitbild war: die (kindliche) Jugend. Und sie galt bald auch als modisches Leitbild. |
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Das kurze Hängekleid war das prägendste Kleidungsstück dieser Zeit. Gerade und einfach geschnitten, bunt und oft mit geometrischen Mustern bedruckt, meist aus Synthetikstoffen gefertigt, leugnete es weibliche Rundungen, zeigte viel Bein und ließ die Frauen wie kleine Mädchen aussehen. Entworfen waren die Kleider ursprünglich für sehr junge und dünne Frauen, deren kindliches Erscheinungsbild noch durch die Aufmachung des Gesichts verstärkt wurde, in dem die großen, schwarz umrandeten Augen dominierten. Schon bald trugen alle ob des Mangels modischer Alternativen diese neue Form. |
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Der modische Prozeß hatte sich in sein Gegenteil verkehrt. Traditionell entstand Mode in den privilegierten Schichten und wurde dann von den anderen übernommen. Hin und wieder hatte es das umgekehrte Phänomen gegeben. In den 60er Jahren aber wurde dieser umgekehrte Weg zum Prinzip der modischen Entwicklung. Und das blieb so bis in unsere Tage: Die Haute Couture übernimmt Moden, die von Jugendkulturen hervorgebracht werden. |
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Wandel der Wahrnehmung -- von kindlich zu weiblich | ||||
Während der Minirock damals zu jedem Anlaß üblich war, ist er heute ein ambivalenzbehaftetes Kleidungsstück, das in diesem Ausmaß in der Männermode kein Pendant findet. Seit seiner Erfindung in den 60er Jahren unterlag er einem ständigen Imagewandel. War der Mini damals noch Ausdruck von Kindlichkeit, so ist er heute Ausdruck von Weiblichkeit, die eindeutig verknüpft ist mit dem Aspekt der Erotik. In den 60er Jahren ließ sich dieser erotische Aspekt sicherlich nicht vollständig ausblenden, doch gerade Ende der 60er war das Tragen eines Minirocks dermaßen zur Normalität geworden, daß er nur noch als Modeerscheinung wahrgenommen wurde und nicht als 'erotischer Reiz'. Je kürzer der Rock, umso modischer war er. Was uns aus heutiger Sicht nur erstaunen kann. |
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Die Rocklänge -- ein 'Wirtschaftsbarometer'? | ||||
1990 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel mit der Überschrift: "Röcke als Börsenbarometer". Der Autor, Klaus Simon, vertritt dort die Meinung, daß ein Zusammenhang von Rocklänge und Börsenindex besteht und bezieht sich dabei auf verschiedene Untersuchungen von Börsenspezialisten, die genau dies zu beweisen versuchen. Danach sollten zwischen waden- bis knöchellangem Saum und Rezession, sowie zwischen knie- bis oberschenkellangem Saum und Wirtschaftsboom Zusammenhänge bestehen: "Rutscht der Rocksaum nach oben, steigt der Börsenindex." |
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Für die Modeexpertin Ingrid Loschek ist diese These nicht haltbar, und sie entgegnet: "Die Mode ist keine geheimnisvolle Macht, sie ist kein vorausweisendes Barometer, aber ein Spiegel der Zeit ist Mode allemal." Loschek schlägt alternativ als These vor, daß die Saumlängen als Spiegel der allgemeinen Lebenseinstellung zu interpretieren sind, und zwar in Verbindung mit der Ab- oder Unabhängigkeit der Frau vom Mann und damit ihren persönlichen Selbstverwirklichungsmöglichkeiten. |
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Eine sehr kurze Mode setzt sich in Zeiten durch, in denen die Frau ein vom Mann relativ unabhängiges Leben führt, wie in den 20er und 60er Jahren durch den gestiegenen Gelderwerb junger Frauen und nach 1965 zusätzlich durch die 'sexuelle Freiheit' dank der Pille. Die Frauen konnten sich als Kumpan des Mannes und unabhängig von ihm darstellen, auch in der Mode. Zu dieser Zeit tauchte die Hose für die Frau auf und setzte sich durch. Dagegen kleidete sich die Frau in den 30er und 50er Jahren mit Mieder, Büstenhalter, betonte ihre Wespentaille und ihre weiblichen Rundungen, ein Frauenbild wie es vom Durchschnitt der Männer geschätzt wird und eine stärkere Bindung der Frau an den Mann symbolisiert. In einer Zeit wirtschaftlicher Rezession oder anfänglicher Steigerung fallen stärkere Partnerbindung und betont weibliche, verhüllende Kleidung auf. Unbestritten ist, daß das gesamte Lebensgefühl und die Selbstdarstellung in konjunkturstarken beziehungsweise -schwachen Zeiten unterschiedlich sind. |
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Wer darf 'Mini' tragen? | ||||
Eine kleine, nichtrepräsentative Umfrage soll die aktuelle Bedeutung des Minirocks weiter illustrieren: |
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Wer darf eigentlich einen Minirock tragen? Silke, 35 Jahre alt, gelernte Damenscheiderin und studierte Designerin, setzt die Meßlatte sehr hoch an. Sie meint, "daß ein Minirock entzückend aussieht an einem jungen Mädchen... weil, also da bin ich heikel, da darf nichts dran sein, da muß die Haut straff sein und überhaupt, dann sieht das gut aus... es muß alles perfekt sein, schmale Hüfte, schmale Beine, die Waden, schlanke Fesseln... und wer hat das schon?" Ja, wer hat das schon? |
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Raimund, 52 Jahre, ist der Meinung, daß jede Frau mit einem "Intellekt" und einem Sinn für Ästhetik darauf achten wird, die "Idealfigur und Normmaße" zu besitzen, bevor sie sich mit einem Minirock zeigt. "Er verschönert nur, wenn schon etwas schön ist." Sven, 27 Jahre, honoriert jeden Mini, unabhängig der Beine, mit einem Blick. Aber "als Freundin möchte ich so eine auch nicht haben." Im Grunde aber geben sich alle Interviewpartner tolerant: Jede Frau darf einen Minirock tragen, wenn sie das will. |
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Vor allem Männer, in diesem Fall passive Betrachter, freuen sich über jeden kurzen Rock, der ihnen über den Weg läuft. Und wie Raimund treffend formuliert, ist der Minirock "Stimulans für den Mann, in dem Sinn, daß er sich mit der eigenen Sexualität auseinandersetzen muß. Der Mann muß lernen, weibliche optische Reize nicht als Aufforderung zum Geschlechtsverkehr mißzuverstehen, sondern passiv zu genießen". |
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Frauen sind da viel kritischer. Heute bewerten Frauen den Minirock an einer anderen Frau sehr argwöhnisch, lehnen ihn meist als "degradierend" ab und unterstellen eben dieser Frau die Absicht, Männerblicke auf sich ziehen zu wollen. Der Mini ist für sie dann immer "ganz bewußt eingesetzt". Frauen nehmen sich in diesem Moment als Konkurrentinnen wahr und entwickeln unerbittliche Schönheitsideale. Frauen, die die Minimode in den 60ern mitgemacht haben, lehnen den Minirock heute kategorisch ab, denn er hat seine kindliche Unschuld verloren und wirkt, so Monika, 55 Jahre, nur noch "ordinär". |
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Aber genau in diesem Punkt läßt sich eindeutig eine Diskrepanz in der Bewertung des Minirocks durch Frauen feststellen. Auf der einen Seite wird er als Widerspruch zur Emanzipation empfunden. Eine Frau, die heute Minirock trägt, wird als "Schlampe!" bezeichnet oder mit "Mensch hast du's nötig!", kommentiert. Negativer kann ein Kleidungsstück wohl nicht konnotiert werden. |
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Auf der anderen Seite geben viele Frauen an, ab und zu selbst gerne einen Mini zu tragen. Aber nur in Momenten, in denen sie sich sehr weiblich und selbstbewußt fühlen. Neugierige Männerblicke schmeicheln dann genau den Frauen, die den Minirock generell als sexistisch bezeichnen. Besonders überraschend war die Aussage von Karin. Sie ist 32 Jahre alt, tendentiell feministisch und seit über 15 Jahren lesbisch. Der Minirock bedient ihrer Ansicht nach männliche Strukturen. Während des Interviews stellte sich aber heraus, daß sie zuweilen selbst einen Minirock trägt. Dann findet sie sich "sehr weiblich, schön und selbstbewußt". |
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Übrigens ist es wieder soweit: In Mode- und Frauenzeitschriften wird das 'Comeback' des Minirocks propagiert. Diesmal mit blickdichten Leggings und keuschen Pumps getragen. Das freut nicht nur alle Minifans, sondern machtauch wieder Mut angesichts der anhaltend schwachen Konjunktur! |
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