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Eine derartige Autonomiebestimmung von Kunst ist schon bei Adorno nur mehr paradox möglich, als Zugleich von gesellschaftlichem Innerhalb und Außerhalb: "Gesellschaftlich aber ist Kunst weder nur durch den Modus ihrer Hervorbringung [...] noch durch die gesellschaftliche Herkunft ihres Stoffgehalts. Vielmehr wird sie zum Gesellschaftlichen durch ihre Gegenposition zur Gesellschaft, und jene Position bezieht sie erst als autonome. [...] Das Asoziale der Kunst ist bestimmte Negation der bestimmten Gesellschaft" (Theodor Adorno Ästhetische Theorie, S.335).
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Multikulturelle Literatur (z.B. türkisch-deutsche, oder jüdisch-deutsche Literatur) behandelt zumeist Identitätsfragen mit Blick auf das gesellschaftlich konstruierte Anderssein der betroffenen Person(engruppe). Dabei muß nicht immer die problematische Kategorie der Erfahrung herangezogen werden. Im Gegenteil, was die multikulturelle
Literatur der letzten Jahre auszeichnet, ist genau ihr (kritisches) Interesse daran, wie kulturelle Identität sozial und also kommunikativ konstruiert wird (vgl. z.B. die von Jamal Tuschick herausgegebene Textsammlung Morgen Land. Neueste deutsche Literatur).
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Definiert man literarische Kommunikation dennoch nach dem beschriebenen Schema, so kann man heute eine Literarisierung der modernen (Nachrichten-)Medien beobachten. Sowohl thematisch wie der Form nach konzentrieren sich moderne Reportagen zunehmend auf Sensibles und Idealistisches. Ich denke dabei nicht nur an den konstant (pseudo-) gesellschaftskritischen Ton z.B. des Spiegels, sondern gerade auch an die in den US Medien florierenden Erfahrungsberichte, die unter dem Deckmantel 'kritische Reportage' aus der emotionsgeladenen Darstellung individuell-tragischer Schicksale Kapital zu schlagen wissen.
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Siehe Luhmanns vier Sammelbände Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, und die für literarische Fragen besonders interessante Untersuchung Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimität. Für die folgenden Überlegungen, siehe besonders Luhmanns Aufsatz "Individuum, Individualität, Individualismus".
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[5]
Gerhard Plumpe "Kein Mitleid mit Werther", S.226.
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Ein ausführlichere Darstellung dieser Verschiebung von Konversation zu schriftlicher Kommunikation bietet Cornelia Bohn in ihrem Aufsatz "Schriftlichkeit als Generator für Modernität".
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[7]
Gerhard Plumpe "Kein Mitleid mit Werther", 226.
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"To be a pragmatist rather than a realist in one's description of the acquisition of full personhood requires thinking of its acquisition by blacks, gays, and women in the same terms as we think of its acquisition by Galilean scientists and Romantic poets. We say that the latter groups invented new moral identities for themselves by getting semantic authority over themselves. As time went by, they succeeded in having the language they had developed become part of the language everybody spoke. Similarly, we have to think of gays, blacks, and women inventing themselves rather than discovering themselves, and thus of the larger society as coming to terms with something new." (Richard Rorty "Feminism and Pragmatism", S.225 -- meine Übersetzung).
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Für eine sehr konzise Darstellung der gegenwärtigen Literaturdefinitionskontroversen (wenn auch ohne Berücksichtung systemtheoretischer Ansätze), siehe Jonathan Culler, Literary Theory. A Very Short Introduction.
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Vgl. David E. Wellbery "Das Gedicht: Zwischen Literatursemiotik und Systemtheorie", S.379.
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Zur Fiktionalität der Literatur, vgl. bes. Wolfgang Isers Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Iser geht dort ebenfalls zur im folgenden adoptierten Unterscheidung von fiktiver Realität und fiktivem Fiktivem aus. Auch die anschließenden Überlegungen zum Verhältnis von gesellschaftlicher und literarischer Kommunikation werden bei Iser über die strukturale Kopplung von Gegenstand und Diskurs sowie Diskurs und Diskursumwelt in vergleichbarer Weise entwickelt (vgl. bes. Wolfgang Iser "Mimesis->->->Emergenz".
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Siehe David Roberts "Die Paradoxie der Form in der Literatur". Roberts hält fest, daß der Roman vermöge des re-entrys von Fiktion und Wirklichkeit sich selbst beglaubigt. Mit der Unterscheidung von Fiktion und Wirklichkeit soll natürlich keine Realität im ontologischen Sinne evoziert werden (was die Unterscheidung sofort dekonstruierbar machte), vielmehr handelt es sich hier um eine Beobachtungsdirektive. Eine genauere Bestimmung beider Seiten dieser Unterscheidung würde von der jeweiligen Konstruiertheit beider Begriffe oder Sphären ausgehen. Konstruiertheit kann dabei aber nur noch dann mit Fiktionalität gleichgesetzt werden, wenn wiederum von einer nicht-konstruierten Realität ausgegangen würde. Eben das scheint angesichts der heutigen Theorielage nicht mehr plausibel zu sein.
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[13]
Bianca Theisen "Zur Emergenz literarischer Formen", S.225f.
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Luhmann deutet einen solchen "Realitätseffekt" des Kunstsystems verschiedentlich an (vgl. bes. "Weltkunst", S.13 und Die Kunst der Gesellschaft, S.230ff), ohne ihn aber gesamtgesellschaftlich verorten zu wollen. Dabei meine ich, daß die Literatur gerade hierin (mehr als in ihrem Interesse am "Undarstellbaren") eine Funktion übernimmt, die traditionell der Religion zukam. Luhmann sieht die Leistung der Religion u.a. eben darin, "Realität zu konstituieren, indem sie etwas für Beobachtung bereitstellt, was nicht unter diese Kategorie fällt" (Die Religion der Gesellschaft, S. 60). Literatur beginnt diese Funktion im 18. Jahrhundert vor dem Hintergrund der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft zu übernehmen.
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Wir folgen hier der Logik des Formkalküls, wie es der englische Mathematiker George Spencer-Brown entwarf, wonach jedes Beobachten ein Unterscheiden voraussetzt, das einen markierten und einen unmarkierten Raum schafft (siehe Spencer-Browns Laws of Form).
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Wer davon ausgeht, daß die Massenmedien die Realität verzerren, mag sich auf systemtheoretisch nicht haltbarem Terrain befinden, d.h. "im Grunde den alten Essenzkosmos voraussetzen" (Luhmann Die Realität der Massenmedien, S.20); das ändert aber wenig daran, daß die Massenmedien eben dadurch, daß sie einen solchen Verzerrungseffekt bemerkbar machen, zur Konstruktion eines solchen Realitätshorizontes (wie philosophisch veraltet er auch sein mag) beitragen.
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Diese These mag nicht nur unser gesellschaftliches Leiden an der Realität erklären helfen, es macht vielleicht auch verständlich, warum uns die Welt vor dem 18. Jahrhundert mit ihren Zeremonien, Perücken, Umzügen, etc. derart märchenhaft erscheint (das Märchenhafte schließt natürlich negative Erfahrungen, Kriege, Hungersnot, vom Wolf gefressen werden, etc. nicht aus). In der vormodernen Gesellschaft fehlte es noch an einer sozial verbindlichen Unterscheidung von Fiktion und Realität, wie es wohl auch an der Notwendigkeit fehlte, einen gemeinsamen Realitätshorizont auszudifferenzieren.
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"Just because it's on the radio doesn't mean we have to suspend belief in the evidence of our senses." (Don DeLillo White Noise, S.22-3 -- hier, wie im folgenden: meine Übersetzung).
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"Is it raining [...] or isn't it" (Don DeLillo White Noise, S.23.)
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[20]
"I wouldn't want to have to say" (Don DeLillo White Noise, S.23.)
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"My truth means nothing" (Don DeLillo White Noise, S.23.)
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[22]
" 'Now' comes and goes as soon as you say it" (Don DeLillo White Noise, S.23.)
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[23]
"How do I know that what you call rain is really rain?" (Don DeLillo White Noise, S.24.)
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- Bohn, Cornelia: Schriftlichkeit als Generator für
Modernität. In: Graevenitz, Gerhart von (Hrsg.): Konzepte der Moderne.
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