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no. 28: medien/slums -> favelafilme
 

Slumdog Millionaire und Favelafilme

Sichtbar werden und Zeigen

anhang

 

Anmerkungen

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[1] Ausdruck dieses Sichtbarwerdens ist auch der neuere Film Waste Land (2010), den die Huffington Post offenbar als "...the Slumdog Millionaire of documentaries" bezeichnet hat. Er ist u.a. von Fernando Meirelles, dem Autor der Cidade de Deus, produziert worden. Er zeigt, wie der in New York lebende brasilianische Fotograph Vik Muniz (*1961) in "Jardim Gramacho", einer Vorortsgemeinde von Rio de Janeiro, mit "Müllpflückern" arbeitet, die da den Abfall von Rio und Umgebung sortieren. In "Jardim Gramacho" befindet sich (zur Zeit der Dreharbeit -- die Schließung ist auf 2012 angekündigt worden) die wohl größte Mülldeponie von Südamerika. 7000 Tonnen werden da täglich entsorgt, 20000 Menschen wohnen in der umgebenden Favela, etwa die Hälfte davon arbeiten organisiert als "Catadores" ("Garbage Pickers", "Müllpflücker"). Diese suchen die Müllhalden nach recyclierbaren und verkäuflichen Materialien ab. Sie finden da auch Gegenstände, die sie selber interessieren -- Kleider, noch eßbare Konserven oder Bücher für die Bibliothek, welche der kluge und gebildete Tião für seine Gemeinschaft zusammenstellt. Vik Muniz fotographiert zunächst einzelne "Garbage Pickers" (die sich indessen mit wachsendem Stolz lieber "Recycable Materials Pickers" nennen). Zuweilen stellt er Szenen mit ihnen, mit Suelem und ihren Kindern etwa die kinderfreundliche heilige Jungfrau oder Jacques-Louis David's "Marat assassiné" -- dazu hat ihn und Tião eine entsorgte Badewanne inspiriert. Die gewonnenen Porträts projiziert er anschliessend enorm vergrössert auf den Boden einer leeren Halle und lässt die Catadores darauf ihren Müll verteilen: dunkle Fundstücke, wo das Bild dunkel, helle wo es hell werden soll. Auf diese Weise entstehen riesige Bilder aus pixelartig assortiertem Weggeworfenem. Diese hat Muniz anschließend wiederum fotographiert, die Fotos in Rio und anderswo ausgestellt und zugunsten der Catadores verkauft.
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[2] "Die Sichtbarkeit fliehen. Die Anonymität in eine offensive Position wenden (Fuir la visibilité. Tourner l'anonymat en position offensive)" rät das comité invisible, die Autorschaft von "Der kommende Aufstand (L'insurrection qui vient)", und fügt haßvoll bei: "Sich die Fressen derjenigen anzusehen, die in dieser Gesellschaft jemand sind kann helfen die Freude zu verstehen, dort niemand zu sein. (Voir la gueule de ceux qui sont quelqu'un dans cette société peut aider à comprendre la joie de n'y être personne.)" Den Propagandisten der Herrschenden sind die Vorteile des systematischen Anonymats längst bekannt, spätestens seit die Beherrschten im Rahmen der Demokratisierung Mitsprache im Staatswesen verlangen. Edward Bernays, der 'Vater der Public Relations', leitet sein klassiches Lehrbuch der Propaganda folgendermaßen ein: "The conscious and intelligent manipulation of the organized habits and opinions of the masses is an important element in democratic society. Those who manipulate this unseen mechanism of society constitute an invisible government which is the true ruling power of our country."
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[3] Auch die ProtagonistInnen von Jardim Gramacho geraten ausser sich angesichts der Publizität, des Geldes, der Aufwertung, welche ihnen Vik Muniz' Kunstprojekt verschafft hat. Tião Santos, der als toter Revolutionär in der Badewanne posiert hat, fühlt sich "wie ein Popstar", wie sein Bild teuer verkauft wird. 2009 besuchen die Beteiligten das Museum of Modern Art in Rio de Janeiro, sehen sich dort ausgestellt und bewundert und lassen sich freimütig interviewen. "Jetzt bin ich weltberühmt", sagt Irmã, die Köchin. Als Co-Regisseur fungiert in Lucy Walkers Waste Land übrigens João Jardim, der früher mit Murilo Salles, dem Autor von Como nascem os anjos zusammengearbeitet hat.
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[4] Der Begriff ist in den USA entstanden und wird vornehmlich dort genutzt. Als Tätigkeitswort heisst 'to swat' "eine Fliege totschlagen", "quetschen", "zerquetschen".
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Filmographie

 

Literaturhinweise

  • Avellar, José Carlos: Cinq fois la favela. In: Fábulas da favela, S. 90--104.
  • Bernays, Edward L.: Propaganda. Horace Liveright: New York 1928, S. 9.
  • Davis, Mike: Planet of Slums. London: Verso 2006 (deutsch Planet der Slums, Berlin 2007)
  • Komitee, Unsichtbares: Der kommende Aufstand. Aus dem Franz. übers. von Elmar Schmeda, Hamburg: Ed. Nautilus,2010 (Orig.: L'insurrection qui vient, la fabrique éditions, Paris 2007).
  • Fábulas da favela. In: 23e Festival International de Films de Fribourg (FIFF), 23e édition, 14--21 mars 2009, Ancienne Gare [Katalog], Fribourg (Suisse), S. 89--120.
  • Festival International de Films de Fribourg (FIFF), 23e édition, 14-21 mars 2009 [Katalog]. Ancienne Gare, Fribourg (Suisse), S. 89-120.
  • Presseunterlagen des Pathé-Filmverleihs, Zürich, zum Slumdog Millionaire.
  • Soares, Luiz Eduardo; Batista, André; Pimentel, Rodrigo: Elite da tropa. Rio de Janeiro: Editora Objetiva 2005.
  • Soares, Luiz Eduardo; Ferraz; Cláudio, Batista, André; Pimentel, Rodrigo: Elite da tropa 2. Rio de Janeiro: Nova Fronteira, 2010.
  • Svarup, Vikas: Q & A. New York 2005 [deutsch: Rupien! Rupien! Köln 2009].
  • UN-HABITAT, The Challenge of Slums: Global Report on Human Settlements 2003. United Nations Human Settlements Programme. London; Sterling, VA: Earthscan Publications 2003

 

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