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Sonntags ist die Stadt keine Stadt. Sonntags kommt die Urbanität
zum Erliegen. Vergebens versucht der Stadtbewohner einen Platz in seinem
Stammcafé zu ergattern, von seinem Lieblingsplatz (unbeobachtet,
am Fenster) ganz zu schweigen. Leute, die er hier nie zuvor gesehen hat,
bringen den Stadtbewohner um seine Gewohnheit. Parfums, die er zuletzt
bei einem Zwangsaufenthalt in der Provinz hat riechen müssen, dringen in
seine Nase. Gespräche werden ihm aufgezwungen, die nur dazu dienen,
Zugehörigkeit zur Stadt vorzugaukeln. Aussichtslos das Verlangen des
Stadtbewohners, sich hinter einer druckfrischen Zeitung zu verstecken,
denn sonntags gibt es nur Sonntagszeitungen, die schon am Vorabend
verteilt wurden. Überfüllt sind die Museen ("Und das soll Kunst
sein?"), allzureich besucht die Friedhöfe. Sonntags ist die Stadt
keine Stadt, ihre Nervosität läßt nach, der Verkehr verlangsamt und der
Handel erlahmt. Zu voll sind die Straßenbahnen, zu langsam ihr Takt.
Schwer, ein Taxi zu bekommen. Flughäfen voller Touristen. Wohin soll der
Stadtbewohner fliehen, wenn nicht in den Trost überflüssiger
Geldausgaben? Aber am Sonntag haben nur die Tankstellen geöffnet, Orte
also, an denen der Stadtbewohner auf Menschen trifft, die ins Grüne
fahren wollen. Ins Grüne! Am härtesten aber trifft den Stadtbewohner,
daß der Sonntag ein Tag ohne Nacht ist. Der Sonntag ist der Tag vor dem
ersten Arbeitstag, die Clubs und Bars lassen ihre Türen
geschlossen. Eine Stadt ohne Nacht ist aber keine Stadt. Armer
Stadtbewohner! Deprimiert schaltet er seinen Computer an, um in eine
Stadt ohne Sonntag zu fliehen: die Telepolis des Internet. Beinahe hätte
die gute alte Stadt ihn an den Cyberspace verloren ... wenn nicht
plötzlich Regen eingesetzt hätte. Zuerst fielen nur ein paar Tropfen auf
den Asphalt, liefen die Scheiben herunter, dann trommelte es sachte auf
Bauplanen, Autodächer, Start- und Landebahnen, die Luft roch feucht, der
Himmel wurde grau (das gefiel dem Stadtbewohner schon besser) und mit
einem Mal schüttete es unaufhaltsam. Undurchdringlich rauschte der
Regen, doch hinter seinem Zufallstosen schien eine geheime Ordnung zu
walten, die Logik eines verborgenen Zusammenhalts. Wie ein
Wellenschlagen klangen jetzt die Geräusche der Stadt, gingen ein in die
Regentschaft des Regens, verschwanden schließlich im Wasser. Es war, als
sei die Stadt am Meer, nein, als sei sie das Meer... Was eben
noch auseinanderstrebte, alle Differenzen und alles Disparate schienen
einstweilen vereint, ein großes Einverständnis erfaßte die Menschen und
ließ sogar unseren Stadtbewohner nicht unberührt. Für kurze Zeit war
Berlin eine wunderschöne Stadt.
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