LETZTES UPDATE: 21.10.2014; 08:59
Diese Seite vorlesen lassen Diese Seite als Lesezeichen hinzufügen

75 Jahre Novemberpogrom

"Jene, die es nicht erlebt haben, werden nie wissen, wie es war; die es wissen, werden nie sagen, nicht wirklich, nicht alles." Elie Wiesel

Unterpunkte anzeigen Die Novemberpogrome ("Reichskristallnacht")

Am Morgen des 7. November 1938 übergaben Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris der französischen Polizei einen 17-jährigen Juden, Herschel Grynszpan. Dieser wurde eines Schussattentats auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath beschuldigt. Grynszpan gab an, er habe auf die Notlage seiner Eltern und weiterer 17.000 polnischstämmiger Jüdinnen und Juden hinweisen wollen, die aus Deutschland ausgewiesen worden waren.

Zwei Tage nach der Bekanntgabe des Todes von Ernst vom Rath wurde in ganz Deutschland ein gegen die jüdische Bevölkerung gerichteter und von langer Hand geplanter Pogrom in Gang gesetzt. Diese „Entladungen des Volkszorn“ in der Nacht von 9. auf 10. November 1938 wurden von Reichspropagandaminister Josef Goebbels als „spontane Vergeltungsmaßnahmen“ gegen ein „Weltjudentum“ als angeblichen Drahtzieher des Attentats gerechtfertigt. Ein Eingreifen der Polizei wurde untersagt.

In Wien wurden im Verlauf des Pogroms, der hier nicht nur eine Nacht, sondern mehrere Tage dauerte, 42 Synagogen und Bethäuser in Brand gesteckt und verwüstet. Tausende jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden, so sie nicht bereits in den Monaten vorher „arisiert“ worden waren, geplündert, zerstört und beschlagnahmt. Insgesamt 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp unter 4.000 davon in das Konzentrationslager Dachau.

Auch in den Bundesländern wurden Synagogen und Gebetshäuser zerstört sowie Geschäfte und Wohnungen von noch nicht vertriebenen Jüdinnen/Juden geplündert und beschlagnahmt. Der von Staats- und Parteiführung angeordnete Pogrom bot den NS-Machthabern einen willkommenen Anlass zur Durchführung und Legitimierung der völligen Ausschaltung der Jüdinnen/Juden aus dem Wirtschaftsleben. Am 12. November 1938 wurde in einer Sitzung im Reichsluftfahrtsministerium unter dem Vorsitz Hermann Görings, dem Beauftragten für den Vierjahresplan, eine Verordnung beschlossen, die Jüdinnen/Juden verbot, ein selbstständiges kaufmännisches Unternehmen bzw. Handwerk zu betreiben.

Nach dem „öffentlichen“ Novemberpogrom 1938 erhielt die Verfolgung einen neuen Charakter: Nun begann die „stille“ Eliminierung der Jüdinnen/Juden. Auch die Zeugnisse ihrer religiösen Kultur fielen der Vernichtung zum Opfer.

Am 3. Dezember 1938 trat eine weitere Verordnung in Kraft, Jüdinnen/Juden konnten gezwungen werden, Gewerbebetriebe und Grundbesitz unter bestimmten Auflagen zu veräußern. Weiters war es ihnen verboten, Grundbesitz sowie Juwelen, Gold etc. zu erwerben oder freihändig zu veräußern. Wertpapiere mussten in einem als jüdisch gekennzeichneten Depot bei der Bank deponiert werden. Außerdem musste die jüdische Bevölkerung die im Novemberpogrom angerichteten Schäden mittels einer „Sühneabgabe“ bezahlen, das war die Judenvermögensabgabe, die 25 % des angemeldeten Vermögens umfasste und neben der Reichsfluchtsteuer zu den später dann im Abgeltungsfonds 1962 (!) wenigstens zum Teil entschädigten diskriminierenden Abgaben zählte.

Quellen: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands, www.erinnern.at

Unterpunkte anzeigen Anweisung Reichskommissar Josef Bürckel bzw. NSDAP-Gauleiter Odilo Globocnik

Auszug aus der Anweisung des Reichskommissars Josef Bürckel bzw. des NSDAP-Gauleiters von Wien, Odilo Globocnik, betreffend Handhabung und Weiterverwendung von beschlagnahmtem jüdischen Eigentum

Wien, den 17. November 1938

"Anweisung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich.

Auf Grund der Besprechung von heute früh ordne ich an:

1.) Die Polizei übernimmt die Sicherung der geschlossenen jüdischen Geschäfte und der Warenlager, die durch Parteidienststellen angelegt wurden. Nach Bedarf ist die Assistenz heranzuziehen die Schutzstaffel und die Standarte Feldherrnhalle.

2.) Nach Durchführung dieser Sicherungsmassnahmen sind jene Geschäfte, die völlig unversehrt geblieben sind und auf Grund der Planung arisiert werden sollten, wieder dem normalen Arisierungsweg zuzuführen. Sofern schon kommissarische Verwaltungen eingesetzt waren, haben sie ihre Tätigkeit fortzusetzen. Sofern komm. Verwalter noch nicht bestellt waren, der jüdische Inhaber aber im Zuge der Ereignisse entfernt wurde, sind komm. Verwalter einzusetzen.

3.) Alle übrigen Geschäfte sind der Liquidation zuzuführen, also auch solche, die zur Arisierung bestimmt waren, aber im Zuge der Aktion beschädigt bezw. ihrer Waren ganz oder teilweise entblöst wurden. Für diese zur Liquidation vorgesehenen Geschäfte ist als Komm. Verwalter der Giro- und Kassenverein zu bestellen.

4.) In allen Geschäften, die zur Liquidation kommen und in den Warenlagern bei den Parteidienststellen ist eine Inventarisierung der Waren durchzuführen. Die von den Parteidienststellen eingeleiteten Massnahmen in dieser Hinsicht sind so rasch als möglich durchzuführen und müssen als Grundlage für die weitere Behandlung herangezogen werden.

5.) Die Verwertung der Warenbestände hat durch Ausschüsse zu erfolgen, die unter verantwortlicher Leitung des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit gebildet werden, und zwar in jedem Kreis aus Vertretern der gewerblichen Organisation des betreffenden Geschäftszweiges und einem Referenten der Vermögensverkehrsstelle. Diese Ausschüsse haben die Inventuraufnahmen zu vervollständigen. Auf Grund dieser vervollständigten Inventare erfolgt die Übernahme der Warenbestände. Bis dahin bleiben die verwahrenden Stellen für die Sicherung verantwortlich. Nach dieser Übernahme geht die Verantwortung auf die übernehmenden Stellen auch dann über, wenn die Waren zunächst noch an der alten Stelle gelagert bleiben.

6.) Die Verwertung der Warenbestände erfolgt nach Weisungen des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Leicht verderbliche Waren sollen dabei der NSV zur Verfügung gestellt werden. Im übrigen ist dafür zu sorgen, dass diese Waren in erster Linie solchen Geschäften zugeteilt werden, die infolge der Gebietsschutzabkommen an Warenmangel leiden und politisch einwandfrei sind. Bei der Verwertung ist die Preisbildungsstelle einzuschalten sowie die Handelskammer und das Kreiswirtschaftsamt.

7.) Der Kauf von Wohnungseinrichtungsgegenständen bei Juden wird auch für die Parteigenossen zugelassen. Der Kauf bezw. Verkauf darf nur zu einem Preis erfolgen, welcher von einem Schätzmeister bestätigt ist, der vom Gauwirtschaftsamt aus der Liste der gerichtlich beeidigten Schätzmeister genommen ist.

gez. B ü r c k e l

Zu vorstehender Anweisung des Reichskommissars erlasse ich folgende Ausführungsbestimmungen:

1.) Wertgegenstände, wie Gold, Silber, Schmuckgegenstände, Geld, Wertpapiere u.s.w., sind sofort durch die Kreisleiter einzuziehen und ihrerseits in den Tresor, der morgen mündlich bekannt gegeben wird, ab morgen Nachmittag 2 Uhr bis längstens übermorgen Nachmittag 12 Uhr einzuliefern. Den Kreisleitern wird von mir später die Ablieferung ihrer Wertgegenstände bestätigt.

2.) Die in den von der Partei eingerichteten Lagerstätten sowie in den Parteidienststellen lagernden Waren sind in ein Inventarverzeichnis aufzunehmen.

Mit der Anordnung des Reichskommissars und mit meinen hierzu erlassenen Ausführungsbestimmungen muss die an sich berechtigte Empörung gegen die Juden abgeschlossen sein. Es ist nun Sache der Partei und aller verantwortlichen Führer dafür Sorge zu tragen, dass keinerlei Auswirkungen mehr geschehen. Ihr habt alles getan, was zur Sicherung deutschen Volksgutes notwendig war. Es ist jetzt ebenso Eure Pflicht dafür zu sorgen, dass nichts mehr passiert, was irgendwelchen ungesetzlichen Charakter hat. Mir sind für die Respektierung dieser Anordnung die Kreisleiter verantwortlich. Ich weise aber darauf hin, dass der politische Leiter, der gegen obige Anordnungen verstösst, rücksichtslos gemassregelt werden wird. Es ist selbstverständlich, das sich die Kreisleiter für das Tun und Handeln aller Gliederungen der Partei und sonstiger Stellen verantwortlich fühlen und entsprechende Sicherungsmassnahmen treffen.

gez. G l o b o c n i k

Verteiler:
1.) Kreisleiter
2.) Ortsgruppenleiter
3.) Gauwirtschaftsamt

Zur Kenntnis an:
1.) Reichskommissar
2.) Reichsstatthalter
3.) Minister für Wirtschaft und Arbeit
4.) Staatssekretär für das Sicherungswesen
5.) Bürgermeister der Stadt Wien
6.) SA-Brigaden 90 und 91, SA-Gruppe Donau
7.) SS-Oberabschnitt Donau, SS-Abschnitt XXXI
8.) NSKK-Motorgruppe Ostmark
9.) NSFK-Gruppe 17
10.) HJ-Befehlsstelle Süd-Ost
11.) Reichsarbeitsdienst
12.) Reichsluftschutzbund
13.) Reichsnährstand
14.) Alle Gauämter und angeschlossenen Verbände."

Unterpunkte anzeigen Eldon Walli, nationalsozialistischer Radiojournalist, berichtet

Eldon Walli, 25jähriger Radiojournalist, ein illegaler Nationalsozialist der ersten Stunde, berichtet am 10. November 1938 für den nationalsozialistischen Rundfunk live aus der abgebrannten Leopoldstädter Synagoge in Wien:

„Wien 10. November. ... Wir stehen mit unserem Mikrofon in dem großen Leopoldstädter Judentempel. Ihn heute noch so zu bezeichnen ist eigentlich etwas geschmeichelt. Denn die erbitterten, arischen Einwohner dieses Bezirkes haben nach dieser ruchlosen Tat von Paris es sich nicht nehmen lassen, um auch hier ihren abgrundtiefen Hass gegen das Judentum zu bezeigen. Der Judentempel war in wenigen Minuten ein Raub der Flammen.

Und wenn wir uns jetzt hier in diesem orientalischen Kuppelbau umsehen, dann ist von dem eigentlichen Tempel, von diesem prunkvollen und mit viel Geld erbauten Gebäude nur mehr das Gerippe, das alte Gerüst übrig geblieben. Und dieses Gerüst ist schon so baufällig, dass das Wahrzeichen des Judentums auf das sie besonders in Wien so stolz waren, hoffentlich in wenigen Tagen zur Ganze dem Erdboden gleichgemacht wird, und zur Gänze hier in Wien verschwinden wird.

Die Wiener Bevölkerung, die immer mit erbittertem Grimm in der Tempelgasse an diesem Prunkbau vorbeigegangen ist, steht jetzt auf der Straße und jeder möchte gerne hereinsehen, möchte sich überzeugen wie es hier aussieht und ob tatsächlich alles so ist wie es ihnen ums Herz ist – nämlich so, dass man es nicht wieder aufbauen kann.

Die Juden können es sich nur selbst zuschreiben, dass es soweit gekommen ist und das werden hier alle die hier um mich herumstehen bestätigen können. Bei uns ist der Tempeldiener, d.h. nicht der Tempeldiener – ist vielleicht schlecht ausgedrückt – sondern der Tempelportier, der bisher die Aufgabe hatte, über dieses Gebäude zu wachen. Bezeichnenderweise hat man wieder einen Arier zu diesem schönen Geschäft genommen, … da ist sich ein Jude nämlich zu schade, wissen Sie. Juden haben nur Interesse Arbeiten zu verrichten und zu vollbringen, die möglichst wenig beschmutzte Hände verschaffen und möglichst viel Geld in den Sack bringen. ...“

Zitiert nach der Niederschrift eines Ausschnittes der Radiosendung vom 10.11.1938 (Quelle: Hörspuren – Audio Guides Wien, 1938).

Bericht im Originalton auf der Seite der Österreichischen Mediathek: Eldon Walli