Ann Cotten: Nach der Welt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ann Cotten: Nach der Welt

Cotten-Nach der Welt

OSKAR PASTIOR: LISTEN ALS ENDPUNKT

In Oskar Pastiors „gewichteten Gedichten“ kommen nur Phrasen in Frage, deren Buchstaben zusammengezählt gemäß dem System A=1, B=2, C=3 etc. einen bestimmten Wert ergeben, zum Beispiel den eines vorgegebenen Namens oder einer Phrase, von der das Gedicht ausgehen soll. Ähnlich wie bei Anagrammen wird also durch von den Buchstaben abgeleitete und auf die Wörter angewendete Regeln determiniert, welche Wörter und Wortkombinationen in einer Zeile verwendbar sind und welche nicht, was das Spektrum der dichterischen Baumaterialien derart auf eine abzählbare Menge von Wörtern beschränkt. Anagramme und gewichtete Gedichte sind indessen nur in Sonderfällen unter dem Aspekt der Liste zu betrachten, nämlich wenn tatsächlich eine Aufzählung möglicher Bildungen vorliegt. Nicht immer, aber häufig ist dies ein Merkmal eher „roher“ anagrammatischer Arbeiten, nur manchmal besitzen auch raffiniertere Arbeiten aus dem einen oder anderen Grund einen solchen Listencharakter. Das Anagramm hat somit eine fast feindliche Beziehung zur Liste, da es sich im Entstehungsprozess von ihr sozusagen durch schriftstellerische Diskrimination loswinden muss. Dadurch aber ist die Listenstruktur als Subtext oder Gegenströmung auf einer tieferen Ebene mit- oder wiederherdenkbar. Pastior reflektiert diese problematische Beziehung von Textgenerationsmechanismen und Listen im Lipogramm „Noahs Arche“:

Hasen, Rehe, Haehne…

Ochsen hoeren es schon: Rochen-Choere schnarchen an
Charons Nachen heran – rohe Heroen schnorren an Neon-
Haaren – barsches Hosen-Rechnen, Oesen horchen noch…

Schoene Echsen naschen an sehr hohen Cocos-Nasen

Neros Ohren – ach, ne Rosen-Arena?

Aeonen schon, nach Sonnen; nachher so Sachen – Horn-
Scheren, Schaeren-Soehne, Hass, Rache, Herrscher-Ras-
en, Ehre, Hohn: sonore Schnarren, so nah – Shoa

Ach, Aschen-Haar, Schach-Narren, eher noch Rhone-Schnee,
Hennah-See, Echo, Ars, Eros, Ceres, Hora: anarcher Scho-
ner; ach so – Chronos Rachen

Anspielend auf den genetischen Korridor, den ein Vorgang wie die Rettung des absoluten Minimums an genetischer Variation im Tierreich über eine Sintflut hinweg darstellt, nutzt das Gedicht die Enge (la contrainte) des Lipogramms, um die einer Arche zu spiegeln („so nah“). Die Enge ist auch das Skandal on einer Liste, man vergleiche die Empörung der nicht genannten oder vermeintlich falsch kategorisierten („Du stellst mich in eine Reihe mit A, B und C?!“) und weiters die existentielle Unmöglichkeit der Zugehörigkeit zu einer Menge überhaupt. (Der kratylische Einwand zu Heraklit, welcher meint, man könne nicht zweimal in denselben Fluss steigen: man könne es auch nicht einmal tun. Groucho Marx: I would never want to belong to a club that had me as a member.)
Bei Pastior, verbunden mit der Oulipo, liegt der Begriff des Potentiellen nicht weit entfernt. Die Enge des Gedichts ist noch enger als die theoretische seiner lipogrammatischen Regel: im Gedicht wird nur eine Auswahl der darin möglichen Bildungen von Tier- und Lebewesennamen genannt? Gleichzeitig spielt Pastior auf eine sehr böse historische Selektion an, und auf den Prozess ihrer Aneignung als Mythologie im Wort „Shoa“; zitiert Paul Celans Gedichtzeile „Dein aschenes Haar Sulamith“ aus der „Todesfuge“.
Der Umgang damit, dass manches aufgrund einer durchgeführten willkürlichen Regel und manches ohne systematischen Überbau nicht da ist, also vernichtet wurde, hat mit den Phänomenen zu tun, die wir oben bei Heimrad Bäcker sahen. Eine merkwürdige Geschichte tut sich beim Wort Schoa auf. Üblicherweise gibt es einen großen Apparat an wohldurchtheoretisierten Gründen, warum man sich dafür entscheidet, Schoa anstelle von Holocaust oder anderen Bezeichnungen zu sagen. Hier besteht der Grund im Lipogramm. Der Theorieapparat ist nicht ausgeschaltet, aber gewissermaßen einen Schritt in den Hintergrund versetzt. Die sonst als absoluter Sonderfall in der Geschichte eingegangenen durchgedrehten Perversionsakte der Nazis sind hier eingereiht, wie etwa bei Christensen die Atombombe, in die Aufzählung der Natur- und Kulturelemente, die als Beispiele für unsere Welt in die Arche kommen. Die Arbitrarität der Überlieferung, der Erinnerung, des Verfalls, der Auswahl ist überliefert in der arbiträren Autorität des Lipogramms.

Einen Sonderfall bilden die „Gewichteten Gedichte“, die von der Gematrie, also der aus der Kabbala stammenden Tradition der Wortsummen Gebrauch machen und dieser Technik mit dem „Pastiorschen Algorismus?“ eine zweite Stufe verleihen. Dabei wird, grob dargestellt, in einem ersten Schritt von einer beliebigen Wortfolge deren Zahlwert gemäß der Zuordnung A=1, B=2 etc. errechnet und in der Folge der Zahlwert des Zahlwortes dieser Summe, dann der Zahlwert des Zahlwortes jener Summe etc. Diese mathematischen Folgen münden alle in einer berechenbaren Zahl von Schritten in eine rekursive Schlaufe.
Der Mathematiker Ralph Kaufmann schreibt über dieses Verfahren: Letztendlich kann man sagen, daß die Iteration die Entropie des Wortes, welches einen hohen Informationsgehalt hat, erhöht und somit den Informationsgehalt erniedrigt. Alle Worte münden in die eine Folge oder einen der beiden Fixpunkte. Die Kenntnis dieser Folge oder des Fixpunktes enthält so gut wie keine Information über das ursprüngliche Wort. Das Wort wird sozusagen durch einen dynamischen Prozess statistisch verteilt.

Um auf einen vorhin angeschnittenen Punkt zurückzukommen: dieses systematische Zerstören von Sinn, dieses Sprengen von Hermeneutik mit den Mitteln der Mathematik, diese völlige Auslieferung von allem, was Sprache angeblich vermag, an die Entropie spricht ein utopisches Verlangen danach an, dem Bedeuten der Sprache zu entkommen, ja, das Bedeuten an sich zu zerstören. Die Auswahl der auf diese Weise zu zerstörenden Wortfolge ist die letzte kontrollierte Handlung des Dichters vor dem schon vollautomatischen Takeoff in die Bedeutungslosigkeit. Als virtuelle Sinnzerstörungsmaschine ist das pastiorsche Verfahren möglicherweise die gründlichste bekannte Maßnahme gegen Bedeutung, und mit ihr nicht nur gegen Dichtung, sondern gegen die gesamte Kulturgeschichte, deren Unzulänglichkeit einer der Beweggründe für Dichtung ist. Zugegeben hat dies nur marginal mit der Liste zu tun. Die Signifikanz dieser Methode besteht indessen, für Listen wie für Dichtung allgemein, darin, einen Extrempunkt im Umgang mit Sinn, dessen Konservierung und Permutierung abzustecken und eine einigermaßen radikale Ansicht der Positionen von Autorin, Welt und (erfasster) Struktur darzustellen. Die Liste besteht in diesem Verfahren in den folgenden Tabellen; sie sind unveränderlich. Axiomatisch aufgebaut, besitzen sie eine Absolutheit, die sonst jeglicher Dichtung mit gutem Grund fremd ist.

 

 

 

Inhalt

 

  1. Prolegomena

Einleitung

Definition

– Merkmale der Liste: Ein Selbstversuch
Optik – Inhalt – Die Liste als totales Paradigmakonstrukt – Listen von Sätzen – Tabellen

– Die Liste und das Konkrete
Das Konkrete der konkreten Poesie (1) – Mimesisfragen – Das Konkrete der konkreten Poesie (2) – Listen sind nicht konkret – Die Liste als Montage – Konkrete Poesie spielt mit deinem Gehirn – Listen spielen mit deinem Gehirn – Daraus folgt

Rhetorische Figuren

 

  1. Liste als 0-Form

– Die Herrenliste
Listen und Wahrheit (1): Im Wandel letzterer – Listen und Logik – Listen und Wahrheit (2): Im Windschatten der Wahrscheinlichkeit – Ernst Jandl und der Listenwitz – Serien – Abgeschlossenheit – Heimrad Bäcker: Die Liste als Machtinstrument – Der Zufall als rhetorisches Instrument – Listen als Erinnerungsinstrumente

– Konstellationen als Listen: Probleme einer Utopie

– Theatermaterial
Ein paar Stücke von Konrad Bayer –
Margret Kreidls „Regieanweisungen“

 

  1. Liste als Anti-Erzählung

– Liste versus Narration
Etwas zur Ekphrasis – Georges Perec: Listen und Verschwinden – L’anti-hasard: Zur oulipotischen Poetik

– Liste als Gerüst

– Inventur
Spoerri et. al.: Topographie des Zufalls – Peter Waterhouse: Mitschrift aus Bihai und Krajina – Martin Kubaczek: Somei – Francis Ponge: Cahiers du bois de pins – Elke Erb: Sonanzen – Daniel Falb – Monika Rinck: Begriffsstudio – Inger Christensen. Alfabet

 

  1. Liste als Rhythmusinstrument

– Listen als Ausgangspunkt

–Oskar Pastior: Listen als Endpunkt

Zusammenfassung

Glossar

Nachwort von Wendelin Schmidt-Dengler

Bibliographie

 

Einleitung

In jeder Aufzählung finden wir zwei widersprüchliche Versuchungen; die erste besteht darin, ALLES zu erfassen, die zweite darin, wenigstens einiges zu vergessen; die erste möchte die Frage endgültig abschließen, die zweite sie offen lassen; zwischen dem Erschöpfenden und dem Unvollendeten scheint mir somit die Aufzählung vor jedem Gedanken (und vor jeder Einordnung) das eigentliche Erkennungszeichen für dieses Bedürfnis zu sein, alles zu benennen und miteinander zu verbinden, ohne das die Welt („das Leben“) für uns orientierungslos bleiben würde: es gibt unterschiedliche Dinge, die sich dennoch ein wenig ähneln; man kann sie in Reihen zusammenfügen, innerhalb derer es möglich ist, sie zu unterscheiden.

 

Es geht uns darum, herauszufinden, wie Listen funktionieren, und ihre Relationen zu anderen Textformen deutlich zu machen. Die Charakteristik, vor oder nach einem ausformulierten Gedanken zu sein, bedeutet, die Liste ist die Erscheinungsform einer Präsupposition, oder mehrerer. In aufgeschriebener Form – im Gegensatz beispielsweise zu „versteckten“, in andere Texte eingegangenen Listen – markiert die Liste die Stelle, an der Präsuppositionen sich zu expliziten Behauptungen oder Annahmen materialisieren.
Der Fokus auf die konkrete Poesie ergibt sich aus der Tatsache, dass hier bestimmte Dinge besonders klar an der Oberfläche sichtbar gemacht wurden. Die KP (Konkrete Poesie) reduziert die Breite der jeweiligen Aufgaben, strippt Teile der Sprache auf die einfachsten Erscheinungsformen gedanklicher Strukturen herunter, die in sich schon komplex sind, was in der fokalen Reduktion deutlich wird. Diese Skelettierung überschneidet sich in vielen Fällen mehr oder weniger mit der, die vorliegt, wenn man eine Liste schreibt. Weiters ist ihr Erkenntnisinteresse auf genau die kognitiven Phänomene ausgerichtet, die uns an Listen interessieren. Nachdem die Menge der KP wiederum, bei näherer Untersuchung, eine mehr historisch als textlich definierte ist, ist es sinnvoll, ihre Grenzen nicht automatisch als die der Untersuchung zu übernehmen. Vollständigkeit quer durch die Literatur dagegen könnte kaum einmal in lebenslänglicher Arbeit erreicht werden, weswegen wir uns auf eine Auswahl beschränken, anhand welcher die Thesen unserer skizzierten Typologie sich formieren und demonstrieren.
Diese sozusagen sekundäre Funktion der Primärtexte als Material, anhand dessen bestimmte Theorien erarbeitet werden sollen, verlangt natürlich gewisse Vorsicht in der Handhabe. Ein Verständnis oder ein Gebrauch von Dichtung als schieres Material für Forschungsergebnisse über Listen wäre einigermaßen absurd. Gleichzeitig ist Erkenntnisgewinn durch Dichtung ein wichtiger Gedanke und eine gute Antwort auf die Frage, was Literatur überhaupt soll. Der kritische Punkt liegt in der Tatsache, dass gute Dichtung die Erkenntnis ist – es ist nicht möglich, sie hinter sich zu lassen, wenn man die Erkenntnis erkennt, oder ihr in irgendeiner Weise die Erkenntnis auszuquetschen und nur die Hülle zurück ins Regal zu stellen – auch wenn wir uns aus praktischen Gründen gezwungen sehen, doch gerade auf eine solche Weise mit Erinnerungen an gelesene Texte zu leben und nicht mit den Texten selbst, einfach weil wir uns nicht ständig in einer Lektüre aufhalten können, schon gar nicht in mehreren gleichzeitig. Eine dem Prinzip des l’art pour l’art verpflichtete Auffassung von Literatur als Genuss in einer Poetik der Sinnlichkeit wiederum, oder als Wert an sich, als Kostbarkeit (mit problematisch undefinierten Wertmaßstäben) in der Präsenz greift unserer Ansicht nach genauso zu kurz wie eine, die die Dichtung in den Dienst der Gesellschaft stellt. Es muss daher eine Balance gefunden werden, sodass Gedichte, anhand derer etwas demonstriert wird, gleichzeitig als Werke mit sonstigen Aspekten geachtet werden, obwohl für Bemühungen, ihnen in einer wohlabgerundeten Analyse „gerecht zu werden“, hier kein Platz ist. So sei hier allgemein eine Erklärung unseres Respekts für Gedichte vorausgeschickt, gleichzeitig seien alle Werturteile suspendiert. Wir werden mitunter Gedichte behandeln, die wir nicht für besonders gute Gedichte halten, weil sich gerade an ihnen oft ein bestimmtes Prinzip gut demonstrieren lässt, und wir werden diese Gedichte nicht als solche etikettieren.
Abgesehen von der definitorischen Macht, die wir der Autorin oder dem Autor eines Gedichts einräumen, indem wir unter anderem in Betracht ziehen, was auch immer als Listengedicht bezeichnet wird, gehen wir von einer den Autor oder die Autorin kaum beachtenden close reading aus. Sekundäre Äußerungen der AutorInnen, wie beispielsweise Mons zahlreiche poetologische Essays, werden rezipiert und in die Untersuchung eingebunden, es wird ihnen aber kein besonderer Status gegenüber anderer Sekundärliteratur – wovon im Übrigen keine unmittelbar auf Listen bezogene vorliegt – verliehen.
In der Einleitung haben wir das Wort „Form“ gewählt, um nicht mit dem scheinbar unproblematischeren Wort „Methode“ oder ähnlichem dem Vorwurf der begriffstechnischen Regression bloß aus dem Weg zu gehen. Tatsächlich geht es eben nicht um Methode – die ist Sache jeder Dichterin allein und ein ganz anderes Problem – sondern dartun, auf welche Weise die Liste, formloseste, aber rigideste aller Gestalten, als Form, oder als ein Komplex formaler Effekte begriffen werden kann, von denen immer eine Teilmenge in Gedichten oder als Gedichte in Erscheinung tritt. Aus diesem Grund greifen wir auf scheinbar hoffnungslos veraltete Begriffe wie Wesen zurück, gerade, um die mittlerweile zur Norm gewordene fixe Definition zugunsten rhizomatischerer, wabernderer oder amoebenhafterer Begriffe zu vermeiden.

Ann Cotten, Vorwort

 

Nachwort

Wer sich auf eine Literatur einlässt, die bei Freund oder Feind in den Verdacht gerät, avantgardistisch zu sein, unterzieht sich, will er ernst genommen werden, einer spröden Aufgabe. Was könnte spröder sein als sich nach der Funktion von Listen in der Literatur zu fragen! Dabei handelt es sich bei diesen Listen um keine Erfindung der Moderne: Wer kennt nicht die endlosen Aufzählungen im Alten und Neuen Testament, die meistens Genealogisches präsentieren? Berühmt ist auch der Katalog der Schiffe im zweiten Buch der Ilias, der die sich anbahnende spannende Erzählung von den Folgen des Konflikts zwischen Agamemnon und Achill unterbricht, um in mehr als dreihundert Versen genaue Informationen von der Größe der griechischen Landetruppen zu vermitteln, eine Partie, die dem Dichter doch recht wichtig gewesen sein dürfte, da er sie eigens mit einem Musenanruf einleitet. Die Aufzählung ersetzt an dieser Stelle die Erzählung; dies erzeugt in der Ilias ein wunderliches und zugleich belebendes Nebeneinander, und in der Folge hat die Konkurrenz der beiden Prinzipien die theoretische Reflexion poetologischer Grundsatzfragen zwar befruchtet, aber in der Forschung doch nie zu einer konsequenten Betrachtung der Funktion dieser Kataloge oder Listen geführt.
In ihrer Studie hat sich Ann Cotten diesem Phänomen in einem Zusammenhang gewidmet, in dem es sich als besonders tragfähig erweist, und zwar im Bereich der Konkreten Poesie, wobei dieser Begriff nicht Opfer einer eng gefassten Definition wird, sondern in weitherziger weitherzig-praktikabler Auslegung viele Texte zulässt, die sich als Listen begreifen lassen, um die Untersuchungsergebnisse durch eine große und verlässliche Induktionsbasis auch abzusichern. Ann Cotten bietet so eine Lesart der Avantgarde und der nicht mimetischen Literatur, der durchwegs der Rang eines Unternehmens mit enzyklopädischem Anspruch zuerkannt werden kann, auch wenn die Unmöglichkeit, diesen einzulösen, umstandslos zugegeben wird. Die Verfasserin bekennt sich in Bezug auf die Definition der Liste zum „Wabern der Bedeutung“ und damit auch zu einer Offenheit, die mittelbar den behandelten Texten zu verdanken ist. Wer dem hier eingeschlagenen Weg folgt, dem werden in einer schönen Synthese Perspektiven auf Autoren wie Ernst Jandl, Heimrad Bäcker, Franz Mon, Reinhard Priessnitz, Konrad Bayer, Margret Kreidl, Peter Waterhouse, auf Martin Kubaczek, Elke Erb und Oskar Pastior eröffnet; der Gang der Darlegungen berührt aber auch Oulipo, Inger Christensen und Francis Ponge – insgesamt also die Werke wichtiger Autorinnen und Autorinnen, um die sich die Literaturwissenschaft meist herumgedrückt hat, da sie sich von ihren Konventionen schwer lösen kann und in ihrer didaktischen Befangenheit die Paraphrase von Inhalten der Analyse des Funktionierens sprachlicher Mittel vorzieht. Es geht aber nicht um das Profil der einzelnen Verfasserinnen und Verfasser, sondern darum, die „Logik des Produziertseins“ (Adorno) anhand illustrativer Beispiele zu erschließen und die Rolle von Poesie, die Erkenntnis ist, dem Leser plausibel und von Fall zu Fall einsehbar zu machen. Kein leichtes Unterfangen, gewiss, aber die umsichtige Diskussion von Listen ist – so legt es der Essay in seiner Gesamtheit überzeugend nahe – vielleicht der Königsweg, der zur Erkenntnis führt, dass Poesie Erkenntnis sein kann.

Wendelin Schmidt-Dengler, Nachwort

 

Wie funktionieren Listen eigentlich

und vor allem – in welchen Relationen zu anderen Textformen? Warum schaffen manche Texte ihren Erkenntnisschub gerade aufgrund eingebauter Listenmechanismen, ohne deswegen Listen zu sein, und warum hören umgekehrt Listen, sofern sie wirklich Listen sind, mit der Literarizität auf?
Der Liste wie der Konkreten Poesie, schreibt Ann Cotten, ist eine gewisse Nacktheit gemeinsam, eine Reduktion auf wenige sprachliche Effekte, die dadurch mit großer Klarheit ausgestellt sind und durchaus auch im Sinn einer Versuchsanordnung lesbar sind.
Nach der Welt dokumentiert eine despriptive Erfassung möglichst vieler Spielarten von „Listenartigkeit“ in der Literatur und illustriert diese mit zahlreichen Beispielen aus der Gegenwartsliteratur.

Klever Verlag, Klappentext, 2008

 

Beiträge zu diesem Buch:

Martin A. Hainz: Listen überlisten
fixpoetry.com, 20.7.2016

anonym: Listenreich
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. 12. 2008

Vincent Kling: Ann Cotten, Nach der Welt
Modern Austrian Literature, Heft 4, 2009

 

Hugo-Ball Preis 2017:

Ann Cotten – Shootingstar der Lyrikszene. Vorgestellt von Theo Schneider | Seit 1990 vergibt Pirmasens den Hugo-Ball-Preis in Erinnerung an den berühmtesten und dort lange geschmähten Sohn der Stadt. U.a. hat ihn Oskar Pastior erhalten, Cees Nooteboom und Feridun Zaimoglu. Die jüngste Preisträgerin ist Ann Cotten. Die Wiener Autorin galt lange als Wunderkind und Shootingstar der deutschen Lyrikszene. Inzwischen hat sie eine ganze Reihe von Titeln veröffentlicht, die sie als äußerst vielfältige Autorin zeigen. Den Hugo-Ball-Preis erhielt Ann Cotten, so die Begründung der Jury:

… für ihr eigenwilliges und originelles Werk, in dessen Texten sich Politik, Philosophie und ästhetisches Kalkül zu oszillierenden Gebilden verbinden, die sich gleichermaßen der Revolte wie der Schönheit verschrieben haben.

In SWR2 Lesezeichen am 15.4.2017 unterhält sich Theo Schneider mit der Autorin über ihre Literatur und ihre Gemeinsamkeiten mit Hugo Ball und Ann Cotten liest aus neuen Texten.

 

Fakten und Vermutungen zur Autorin + KLG
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum +
Autorenarchiv Susanne SchleyerBrigitte Friedrich Autorenfotos
shi 詩 yan 言 kou 口

 

Ann Cotten und Antye Greie alias AGF (EPHEMEROPTERAE IX), 2015.

 

Ann Cotten im Gespräch mit Alexander Kluge: Im Urwald, wo die wilden Wörter wohnen.

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