Dichter geben Lampen Licht −
Sie selbst − verlöschen −
Dochten sie nur Funke sind
Wenn lebendig Licht
Ihnen eigen wie den Sonnen−
Linse wird dann jede Zeit
Rings ihre Strahlen
In den Umkreis streut −
ihre Gedichte voller Anmut und Eigensinn gehören zum Schönsten im Schatz der Weltpoesie. Unsere Ausgabe präsentiert eine Auswahl ihrer kürzeren Gedichte auf Amerikanisch und auf Deutsch in einer Übersetzung von Wolfgang Schlenker. Die 51 Gedichte sind Einladungen, Emily Dickinson in jedem Text neu zu entdecken. Das Spektrum ist groß (aber nicht beliebig), der Blick offen. Was man sieht, sieht man direkt. Oder in den Worten von Emily Dickinson: „Wenn ich ein Buch lese und es macht meinen ganzen Körper so kalt, dass kein Feuer jemals mich wärmen könnte, weiß ich, das ist Dichtung. Wenn ich es physisch spüren kann, dass meine Schädeldecke abgenommen wird, weiß ich, das ist Dichtung. Nur auf diese Art weiß ich es. Gibt es denn eine andere?“
Urs Engeler Editor, Ankündigung, 2001
Emily Dickinson auf Deutsch – schon Paul Celan hat sich daran erprobt. Mit dem jungen Wolfgang Schlenker ist es nun ein weiterer, ein heutiger Dichter, der sich der Herausforderung stellt. Ein halbes Hundert kürzerer und kurzer Gedichte präsentiert er unter dem Titel Biene und Klee. Die kompakte Edition entsagt jedem Hinweis auf Auswahlkriterien wie auf das übersetzerische Konzept. Über Letzteres sich ein Bild zu machen erlauben die mitgegebenen amerikanischen Originaltexte. Schlenkers einigermassen rigoros umgesetzter Entscheid für eine mit wenigen (fast immer nachvollziehbaren) Ausnahmen strikt am Denotationsraum des Einzelworts orientierte Übertragung muss akzeptiert werden; sie hat ihre gewinnbringenden Seiten.
Emily Dickinson, 1830 in einer Kleinstadt in Massachusetts geboren, 1886 in ihrem zum „Haus der Möglichkeit“, sprich: zur Eremitage erkorenen Geburtshaus, einer Nierenkrankheit erlegen, gilt als bedeutendste, als die erste Dichterin der angloamerikanischen Moderne überhaupt. Gegen 1800 Gedichte entstanden in der mit einem monumentalen Briefwerk verteidigten Klausur eines ganz nach innen – oder vielleicht treffender: in ein innerstes Aussen – gewandten Lebens. Sieben Gedichte konnte sie zu Lebzeiten – anonym – zum Druck bringen. Gelesen wurde sie erst nach ihrem Tod, eine dann rasch weltweite Resonanz als verlässlichster und mysteriösester „Geheimtip“ fand sie noch einmal Jahrzehnte danach. Dass Dickinsons Exerzitium der Verborgenheit höchsten ästhetischen Rang beanspruchen darf, belegt Wolfgang Schlenkers Auswahl aufs Eindrücklichste. Die Krisenrapporte eines in seine eigene Unabwesenheit verstrickten Ichs, aus dem heraus die Gedichte zu sprechen scheinen, werden in „Biene und Klee“ zu einer zwischen Unorten zirkulierenden frenetischen Flaschenpost, auf der unser eigener wie jeder andere Name sowohl als Adresse wie auch, und darin liegt wohl die intersubjektive Verbindlichkeit dieser grossenteils eher brandschwarzen als nur „dunklen“ Gedichte, als Absender durchschimmert.
Als Jubelrufe aus einer wie von innen umzingelten, in ein hypertrophes Nichts unablässig weiter expandierenden Welt stellen sich die Gedichte dar. „Circumference“ ist das gern gebrauchte Schlüsselwort der negativen Mystikerin aus Amherst. Von Wolfgang Schlenker durchweg als „Umkreis“ übersetzt, könnte es als „Umfangenheit“ gelesen werden, als sich fortwährend in ein knapp punktartiges Gegenteil verdrehendes Eingekreistsein. Fassungslosigkeit im buchstäblichen, im bittersten und schönsten Sinn kommt darin zu ihrem jeden Raumbegriff sprengenden Bild. Mitgesprengt wird Gegenwart, in einer geradezu monströsen Inversion kristallisiert sie zur erst- und letztgültigen Unterbrechung, zur gleichsam absoluten Zäsur. „Aber zu leben, umfasst / Das Sterben mehrfach – ohne / Den Aufschub tot zu sein –.“ Zwischen „Urplötzlichkeit“ und „Unsterblichkeit“ lässt die Dichterin ihre ausgebrannten Epiphanien durch „Jahrhunderte des August gehen“, heimgehen in ein nur von Verlassenheit bezeugtes Zugegensein, das „Mittag heisst“.
„Klee“ und „Biene“ beleben den panischen Mittag als Namen für eine bedrängend Leere, dann wieder wie mechanisierte Natur, die gerade noch im somnambulen Tagtraum zu erfahren, zu leben ist: „To make a prairie it takes a clover and one bee, / One clover, and a bee, / And revery. / The revery alone will do / lf bees are few.“ Schlenkers Übersetzungsarbeit nähert sich im Schlussgedicht einer ziemlich eigenwilligen Interpretation. Dickinsons „prairie“ wird ihm zur „Lichtung“, das Wort „Klee“ zurn Naturgegenstand Kleeblatt. Dickinsons Bild der Welt als Wüste, in der die Verlassenheit der Wörter von der Verlassenheit der Dinge nicht mehr bestätigt wird, gibt er mit allzu deutlich nachhallendem „Bienengesumm“ an eine fast schon trivialpoetisch zu nennende metaphorische Idylle preis.
Emily Dickinsons in einem alles umgreifenden inneren Exil sich überdauernder „Mittag“ verbildlicht einen Aufschub, der nicht zuletzt von einem offenbar selbst erfahrenen, man ist versucht zu sagen: authentischen Tod im Leben spricht. Die daran sich nährenden zahlreichen, an der Biographie nachhaltig entflammten psychoanalytischen Spekulationen sind insofern von minderem Interesse, als sie über letztenends Allzumenschliches nicht hinausgelangen. Die Dichterin selbst sah sich als „das einzige Känguruh in all dem Schönen“, stellte aber noch diese verstörende Definition von Schönheit unter das Verdikt einer „Trübsal des Vermutens“.
Auch die wohl unumgänglichen Einordnungen ihres Werks in Kontexte der spätromantischen, der transzendentalen, der imaginistischen oder gar einer präsurrealistischen Literatur sind über begriffliche Eintrübungen bislang nicht hinausgekommen. Dickinsons Singularität erweist sich auch in Schlenkers interlinear orientierter Übersetzung. Auch wenn die Dichterin selbst sich durchaus nicht sicher war, ob sie immer „wörtlich verstanden“ werden wollte, kommt die elliptische Sprödigkeit ihrer submetaphorischen Bild- und Gedankenkonzentrate im Deutschen zu einer ganz eigenen Qualität.
„Wörtlichkeit“ scheint darin als das von irgendwelchen Verstehensakten nicht korrumpierbare ureigentlich Fremde aller Dichtung bewahrt. Die Einbussen an vielerlei Effekten etwa von Klang und Rhythmus dagegen sind nicht zu übersehen. Insbesondere Dickinsons sentenziös, dann wieder seltsam liedhaft komprimierte Metrik bleibt häufig auf der Strecke, ansatzweise umgesetzt scheint ihre Vorliebe für Alliterationen. Auch für ihre grossartig schrägen Assonanzen und Halbreime hat Schlenker ein gutes Ohr.
Das Problem „Dickinson Deutsch“ bleibt; es ist, sämtliche diesbezüglichen Versuche sprechen davon, auch mit einer ambitionierten freien Nachdichtung ohne Verluste nicht zu lösen. Doch was heisst da lösen. Dass solche „Verluste“ als zentral produktiver Mangel in der Ursprungssprache wie in der Übersetzung jedes Dichtwerks – wenn nicht in Sprache als solcher – wirken, wird gerade bei Dickinson evident. Ihr „silbernes Prinzip“ eines gleichsam experimentalhysterisch schielenden Blicks dürfte ihrem Werk den Status als immer neu zu entdeckendes, nie aufzulösendes, „nur“ zu lesendes noch lange Zeit erhalten.
Dass es, wie alle Wortkunst, im Grunde unübersetzbar ist, schmälert die Bedeutung, den Wert von „Biene und Klee“ nicht. Das hoch einzuschätzende Verdienst von Wolfgang Schlenkers Arbeit liegt vorab darin, die betörende Fremdartigkeit dieser von einer sehr fernen Glossolalie gestreiften, zwischen Ekstase und Abwinken erschriebenen „Intervalle körperlichen Einklangs“ in wohlerwogener, oft luzider Diskretion weitergeleitet zu haben.
„Wenn ich ein Buch lese, und es macht meinen Körper so kalt, dass kein Feuer jemals mich wärmen könnte, weiß ich, das ist Dichtung. Wenn ich spüre, dass meine Schädeldecke abgenommen wird, weiß ich, das ist Dichtung.“
Diese schaurige poetologische Grundbestimmung stammt von der amerikanischen Lyrikerin Emily Dickinson (1830-1886). Aus streng puritanischer Familie stammend, distanzierte sich Dickinson von den moralischen und religiösen Rigorismen der Eltern – sie glaubte weder an Erbsünde noch an Gnade, die Bibel war ihr nur noch ein „antique Volume“. Ihr Schreiben bewegte sich dennoch ein Leben und mehr als tausend Gedichte lang in den Bahnen eines unvollständig säkularisierten Christentums. Eine explosive Mischung aus religiöser Ekstase und formaler Aggression. Daher rührt Dickinsons blutrünstiger Anspruch an Literatur, das macht die „Klausnerin aus Amhurst“ auch für zeitgenössische Interpreten wie Camille Paglia interessant. In deren „Masken der Sexualität“ wird die Dickinson unumwunden als die „größte aller Dichterinnen“ bezeichnet und als ein weiblicher Marquis de Sade der Innerlichkeit.
Aus dem umfangreichen Euvre – zu Dickinsons Lebzeiten wurden ganze sieben Gedichte veröffentlicht – hat der deutsche Lyriker Wolfgang Schlenker „51 shorter Poems“ übersetzt. Die Auswahl „Biene und Klee“ ist keine Spielwiese für literaturwissenschaftelnde Psychoanalytiker – Schlenker betont das explizit „Literarische“ mit einer Akzentsetzung auf dem sich jüngst wieder im Schwange befindlichen Naturgedicht.
To make a prairie it takes a clover and one
bee,
One clover, and a bee,
and revery.
The revery will do,
If bees are few.
In der Übersetzung:
Für eine Lichtung braucht\’s Klee und eine
Biene,
ein Kleeblatt, und Bienengesumm,
Und Träumerei.
Die Träumerei allein tut’s auch,
Falls Bienen rar.
Die Abfolge von höchstem und tiefstem Vokal, „i“ und „u“ in „bee-revery-do-few“ lässt den Bienenflug ansteigen – um im Verschwinden dem Traum das Feld zu überlassen, dem ironischen Nichts des Gedichts. Revery. Was heißt aber „rar“, und wozu die – für deutsche Ohren – pseudophilosophische „Lichtung“?
„Nichts heißt die Wucht / Zur Erneuerung der Welt.“ Dickinson schreibt aus dem Geist des Beinahe-Verschwindens, der äußersten Verknappung, um von einem Nullpunkt her Welt neu erstehen zu lassen, von einem Gedankenstrich aus. Sie geht dabei höchst ökonomisch vor und kommt ohne schwere Existenzialvokabel aus, auf Verzögerung folgt heftig beschleunigt:
How slow the Wind – how slow the Sea –
how late their Feathers be!
(Wie langsam der Wind – wie langsam das Meer –
wie spät wird ihr Gefieder!)
Aus!
Oder:
An Hour is a Sea
Beetween a few, and me –
With them would Harbour be –
(Eine Stunde ist ein Meer
Zwischen wenigen, und mir –
Mit denen Hafen wär –).
Der Vorteil der zweisprachigen Ausgabe: Nach einiger Zeit liest man nur noch den englischen Text und rätselt über syntaktische Verdrehungen und Kontraktionen zu Liebe, Tod oder Rätsel.
The Riddle that we guess
We speedily despise –
Not anything is stale so long
As Yesterday’s Surprise.
(Haben das Rätsel wir erst gelöst
Ist’s plötzlich ganz banal –
Rascher wird nichts von gestern sein
Als was Gestern Überraschung war.)
Ein Gedicht, nicht nur morgens zu lesen.
− Als Emily Dickinson Anfang 30 war, beschloss sie, nie mehr vor die Tür zu gehen. In ihrem Haus in Massachusetts schuf sie große Poesie. −
Wer als Schriftsteller heute was auf sich hält, der fährt nicht nur wochenlang als Lesereisender durch die Lande, der lebt auch an mindestens zwei Orten der Welt: Amsterdam und Mallorca, Zürich und Guatemala, Berlin und Wewelsfleth, Paris und New York , so steht es immer häufiger in den Kurzbiografien der Verlage.
Emily Dickinson ist einfach ihr Leben lang in Amherst geblieben, einem kleinen College-Städtchen in Massachusetts. 1830 wurde die Lyrikerin in dem vom Großvater erbauten Haus geboren, in dem sie vor 125 Jahren, am 15. Mai 1886, gestorben ist. Mit Anfang 30 beschloss sie, keinen Fuß mehr vors Gartentor zu setzen. In den letzten Jahren hat sie, von altem neuenglischen Adel – der Großvater hatte das bekannte Amherst College mitbegründet –, nicht mal mehr die Zimmertür weiter als einen Spalt geöffnet.
Und doch hat sie, mitten im 19. Jahrhundert, moderne Weltliteratur geschaffen. Paul Celan hat ihre Gedichte übersetzt, Carla Bruni hat sie gesungen, mit Gottfried Benn wurde sie verglichen. Donna Leon schwärmt für die „nie erreichte Eindringlichkeit und Kraft“ ihrer zur Essenz destillierten Sprache, in Salingers Fänger im Roggen erklärt eine der Figuren Emily Dickinson zur wichtigsten Kriegsdichterin Amerikas.
Dabei schrieb diese gar nicht über den Bürgerkrieg, der ihr Land zu jener Zeit so heftig erschütterte, dass es fast daran zerbrochen wäre. Ihr Schlachtfeld war die Seele. Zweifel und Verzweiflung, Abschied und Tod, Liebe und Einsamkeit gehören zu den wiederkehrenden Themen der Dichterin, die auch kühn, frech und ironisch sein konnte, deren Verse immer äußerst knapp, ohne erklärenden Titel und – anders waren. „Sag alles wahr, doch sag es schräg“, lautete ihr Motto.
Der Gedankenstrich, die Leerstelle par excellence, war ihr Markenzeichen, gehörte zu ihr „wie die Sommersprossen auf ihrem Busen“, wie die Übersetzerin Lola Gruenthal bemerkt. Gerade das Geheimnisvolle ihrer Literatur wie ihres Lebens forderte die Nachgeborenen heraus, die Lücken mit reichlich eigenen Spekulationen und Projektionen zu füllen. Waren die von ihr so leidenschaftlich adressierten Liebhaber zum Beispiel real oder der Fantasie entsprungen?
Gerade mal sieben ihrer 1775 Gedichte sind zu ihren Lebzeiten erschienen, und selbst die nicht in der von ihr vorgesehenen Form. Die einzigen Bücher, die es von ihr gab, waren die von ihr selbst genähten, die sie in die Truhe steckte; der einzige Preis, den sie je bekam, war einer fürs Brotbacken.
Heute füllt die Sekundärliteratur ganze Bibliotheken. Posthum wurden bei ihr Agoraphobie und Epilepsie diagnostiziert, von den einen wurde sie für lesbisch, von den anderen für psychotisch erklärt. Worauf sie selbst die beste Antwort mit einem ihrer Gedichte gab:
Wahnsinn ist oft der höchste Sinn –
Für den, der ihn versteht –
Und Sinn – der tollste Wahnsinn oft –
Nur die Mehrheit
Entscheidet hier wie überall –
Wer zustimmt – ist gesund –
Wer abweicht – ist gefährlich – und
Braucht Ketten wie ein Hund.
Emily Dickinson war, darüber zumindest herrscht Einigkeit, eine empfindsame Seele, aber auch ein selbstbewusstes Wesen. „Klein bin ich, wie’s Zaunkönige sind, meine Haare keck wie in ihrem Igel die Kastanie – und mein Auge wie der Rest Sherry, den der Gast im Glas läßt“, so schildert sie sich Thomas Wentworth Higginson, ihrem angehenden Freund und Förderer. Denn Emily Dickinson hatte sich durch ihren äußerlichen Rückzug keineswegs ganz von der Welt gelöst, sie kommunizierte eifrig mit ihr: mit hunderten Briefen, die sie wie ihre Gedichte polierte, in die sie oft Verse integrierte. Sie hielt sich die Menschen nur vom Leib.
Sie kannte sie auch so. Ihr Werk ist ein einziger Triumpf der Fantasie. Auch ohne je das Meer gesehen zu haben, erklärte sie, sie wisse, wie die Wogen gehen.
Das frühere Bild von Emily Dickinson – ein scheues, ängstliches Fräulein – ist heute weitgehend abgelöst von der Ansicht, dass ihr inneres Exil eher selbst gewählt war. Dass sie sich genommen hat, was Virginia Woolf Jahrzehnte später für die Frauen fordern sollte: einen Raum für sich allein. Gerade die äußere Beschränkung erlaubte ihr demnach, Grenzen zu überschreiten, die die puritanische Gesellschaft ihr als Frau zog.
Ich wohne in der Möglichkeit –
Ihr Haus ist im Vergleich
Viel schöner – tür- und fensterreich –
Als die Alltäglichkeit –.
Sie wollte frei wie eine Biene sein, schrieb sie ein andermal. In ihrem großen Schlafzimmer, wo sie vom Schreibtisch vor dem Fenster den geliebten Garten und das Leben auf der Hauptstraße im Blick hatte, war sie frei, zu denken und zu dichten, was sie wollte. Geist und Fantasie waren die Flügel, mit denen sie sich auch über Gott und die Kirche erhob, die die streng puritanische Gesellschaft Neuenglands beherrschte. Der religiösen Wiedererweckungswelle jener Zeit hat sie sich verweigert.
Ist Gott ein Arzt? Man redet
Von seiner Heilungskraft –
Doch gibt es keine Medizin,
Die Tote leben macht –
Ist Gott Finanzminister?
Man sagt, wir schulden viel –
Jedoch bei dieser Transaktion
Halt ich mich aus dem Spiel.
Als moderne Frau hatte sie ausgezeichnete Schulen besucht, und obwohl es für den strengen Vater nur ein Buch gab (die Bibel), hatte sie selber Shakespeare und Keats und Brontë verschlungen. Als junges Mädchen lebte sie ein geselliges Leben, nahm an Schlittenpartien und Scharaden teil. Erst als ihre Freundinnen anfingen zu heiraten, merkte sie offenbar, dass sie anders war. Als „einziges Känguru im Schönen“ beschrieb sie sich.
Aber sie war nicht allein. Nach dem Tod der offenbar nicht sehr warmherzigen Eltern teilte sie sich das große Haus, das heute Museum ist, mit der ebenfalls unverheirateten Schwester Lavinia. Gleich nebenan wohnte der geliebte Bruder Austin mit seiner Frau Susan, die ihre engste Freundin war und der sie zu Lebzeiten viele Gedichten schickte, in ihrem Anwesen „Evergreens“.
Da endete der Hausfrieden allerdings schon. Austin legte sich nämlich eine Geliebte zu, mit der er regelmäßig im Esszimmer der Schwestern schlief. Mabel Loomis Todd, die nach Emilys Tod deren Lyrik zum ersten Mal veröffentlichte, kannte die Poetin nur vom Hören: Bei ihren Unterhaltungen blieb Emily Dickinson hinter der verschlossenen Tür, ein Phantom, das zum Abschluss des Gesprächs dem Gast vom Dienstmädchen ein Glas Sherry, eine Blume oder ein Gedicht servieren ließ. Dickinson, so die Literaturwissenschaftlerin Diana Fuss, hatte einen feinen Sinn für Theatralisches. So trat sie vorzugsweise in weißem Kleid auf – weshalb sie in Amherst den Spitznamen „weiße Nonne“ trug.
Ihre Geschwister fanden ihren radikalen Rückzug nicht wunderlich. Jeder von ihnen habe seine Aufgabe, erklärte Schwester Lavinia, und Emilys Job war es zu denken. Auf ihrem Totenschein stand unter „Beruf“: Zuhause.
An Stoff mangelt es ihr dort nicht. Da ist der Blick aus dem Fenster: „Schauen Sie heut Nacht hinaus“, empfiehlt Emily einem Briefpartner, „Der Mond kutschiert wie ein Mädchen –/ durch eine Stadt aus Topas.“ Und das Interieur: Allein die Türen, die sich in den Versen ständig öffnen und schließen. Für Diana Fuss sind sie eine zentrale Metapher in der selbst gezimmerten Welt der Emily, für Einsamkeit, Abschied, Tod, aber auch für Erinnerungen, Abgeschiedenheit, Sicherheit. Die Türschwelle als „feine Linie zwischen dem Endlichen und Unendlichen, dem Sterblichen und Unsterblichen, dem Menschlichen und Göttlichen“, so Fuss. Als Möglichkeit, Grenzen zu überschreiten.
I dwell in Possibility –
A fairer House than Prose –
Von tausendsiebenhundertfünfundsiebzig Gedichten, die sich in Emily Dickinsons Nachlaß fanden, wurden zu Lebzeiten der Lyrikerin sieben veröffentlicht. Zwar hielt die Autorin ihre Arbeiten nicht direkt verborgen, doch beschränkte sie sich darauf, einen Teil der auf lose Blätter geschriebenen, sodann päckchenweise verschnürten und in einer Truhe aufbewahrten Verse zu kopieren und – manchmal in variierenden Fassungen – an Bekannte zu schicken, an ungefähr dreißig Adressaten, von denen sie jedoch nur einen, Mr. Thomas Wentworth Higginson, literarisch ins Vertrauen zog. Mr. Higginson, ein Mann aus einem puritanischen Neuengland-Geschlecht, der bald darauf als Oberst in der Bürgerkriegsarmee kämpfte und verwundet wurde, hatte gerade im Atlantic Monthly einen Artikel veröffentlicht, der, unter dem Titel „Brief an einen jungen Mitarbeiter“, schreibenden Anfängern Ratschläge erteilte, als sich Emily Dickinson im April 1862 dazu entschloß, brieflich sein Urteil einzuholen: „Ich habe bisher keine Poeme verfaßt – nur ein oder zwei – bis zum letzten Winter – geehrter Herr –“ Diese Angabe, die die Dichterin über sich selbst machte, entsprach freilich keinesfalls den Tatsachen, denn zu jener Zeit existierten bereits (wie später eindeutig aus dem Nachlaß hervorgehen sollte) an die dreihundert Gedichte.
Emily Dickinson unternahm, als sie sich an Higginson wandte, den einzigen ernsthaften Versuch, mit ihrer Lyrik an die Öffentlichkeit zu gelangen. Doch entsprang das Motiv für ihr Handeln wohl weniger literarischem Ehrgeiz als einer psychologischen Notwendigkeit. Das geht aus einer Bemerkung hervor, mit der die sonst so scheue Dichterin dem fremden Higginson mitteilte, wie sehr sie litt und wie unumgänglich es für sie war, schreibend den Pegel ihres Unglücks zu senken:
Ich war vom Entsetzen gepackt – schon seit September – ich konnte mit niemandem darüber sprechen – und so singe ich jetzt wie ein Junge in der Nähe des Friedhofs – weil ich mich fürchte.
Dieser Satz, vorgetragen in der für die Dichterin so charakteristischen Art abrupten und durch Gedankenstriche zusammengehaltenen Sprechens, ist sieht man von programmatischen Äußerungen innerhalb des künstlerischen Werkes ab – das poetologische Credo Emily Dickinsons, die im übrigen von Mr. Higginson zwar manchen Zuspruch erfuhr, nicht aber die (insgeheim wohl ersehnte) Förderung.
Die Lyrikerin war 1830 in Amherst, Massachusetts, geboren worden, einer Kleinstadt von ausgesprochen kalvinistischem Gepräge. Der Vater, ein erfolgreicher Rechtsanwalt, der eine Zeitlang sogar in Washington Kongreßmitglied war, richtete ihr Empfinden und Denken frühzeitig auf einen Ernst aus, den sein puritanischer Geist noch hinter den unscheinbarsten und alltäglichsten Dingen walten sah und der so umfassend, so beanspruchend war, daß Freude und Heiterkeit keinen Platz finden konnten, es sei denn, sie waren auf die majestätische Traurigkeit des Welthintergrundes bezogen und erfuhren von dessen absolutem Sein ihre Legitimation.
Emily Dickinson, die schon in ihrer Schulzeit blaß und nervös gewirkt hatte, entwickelte sich bald zu einem sehr eigentümlichen Menschen von großer Scheu und gelegentlichem Humor. Und nachdem sie im Alter von dreißig Jahren damit begann, sich ausschließlich weiß zu kleiden, bekamen auch die Freunde der Familie sie fast nie mehr zu sehen; ja, nach 1882 versteckte sie sich sogar dann in einem dunklen Nebenraum, wenn die Nachbarin, Mrs. Todd, ins Haus gekommen war, um Emily auf dem Klavier Scarlatti, Bach oder Beethoven vorzuspielen.
Obwohl die Dichterin, die sich – vermutlich wegen ihres wenig vorteilhaften Aussehens – seit der Kindheit nicht hatte photographieren lassen und die sich seit 1870 überhaupt nicht mehr aus der Obhut des heimischen Grundstücks begab (ihre weitesten Wege führten bis in den Garten), sehr bemüht war, die häusliche Fürsorglichkeit der ebenfalls jüngferlichen Schwester Lavinia ohne allzuviel Ironie zu ertragen, entwickelte sie doch gegen ihre Familie eine sanfte Resistenz, etwa, indem sie die Kirchenbesuche unterließ oder das bigotte Verhalten der Eltern tadelte:
Vater und Mutter sitzen im Feiertagsstaat im Wohnzimmer, und sie lesen natürlich nur Zeitungen, von denen sie genau wissen, daß in ihnen nichts Fleischliches steht.
Emily besaß also durchaus die Fähigkeit, die Ursachen der persönlichen Misere in der moralischen Engstirnigkeit des Milieus zu erkennen. Und ihr wacher Verstand erwies sich als recht nützlich, wenn es galt, der verletzten Sensibilität in boshaften Episteln Luft zu machen. „Sie meinen“, so schrieb sie beispielsweise an Higginson, kaum daß sie Kontakt mit ihm aufgenommen hatte, „ich bewege mich ,verkrampft‘ voran… Hätten Sie denn Zeit, jener ,Freund‘ zu sein, den ich Ihrer Ansicht nach benötige? Ich bin von Gestalt ziemlich klein, und auf Ihrem Schreibtisch würde ich bloß wenig Platz in Anspruch nehmen…“ In einem anderen Brief an Higginson finden sich die Worte, die ungewöhnlich schonungslos die Angehörigen charakterisieren:
Ich habe einen Bruder und eine Schwester. Meine Mutter hält nicht viel vom Denken, und mein Vater hat immerfort mit seinen Papieren zu tun, da kriegt er nicht mit, was wir machen. Zwar kauft er mir viele Bücher, doch legt er mir nahe, sie nicht zu lesen, denn er befürchtet, die Bücher könnten meinen Geist verwirren. Alle hier sind – von mir abgesehen fromm; und sie beten jeden Morgen zu einem unsichtbaren Wesen, das sie ,ihren Vater‘ nennen.
Mit Hilfe ihres Spottes gelang es Emily, die (frühzeitig ins Kosmische transponierte) Verzweiflung allmählich in einen erträglichen Dauerschmerz zu verwandeln; so daß sie wenigstens 1881 – also fünf Jahre vor ihrem Tod – mit sublimer Selbstironie zu sagen vermochte: „Mein Widersacher wurde alt – / Wir sind nun langsam quitt –“.
Als dann die ersten posthumen Auswahlbände erschienen, gab es fast augenblicklich Spekulationen über die Gründe, die dazu geführt haben mochten, daß die Dichterin unverheiratet geblieben war. Und heute, da die Legenden, die das Werk zu überwuchern drohten, als Phantastereien entlarvt worden sind, wissen wir von zwei Männern, die, zu verschiedenen Zeiten und jeder auf seine Weise, eine Rolle in Emily Dickinsons Leben gespielt haben. Der eine, Benjamin Franklin Newton, hatte als Jurastudent in dem Dickinsonschen Anwaltsbüro gearbeitet; und durch ihn wurde Emily mit den Arbeiten der Brontë-Schwestern wie auch mit der Poesie Emersons bekannt. Dennoch kam der große Schock, den die Dichterin erfuhr, wohl weder dadurch zustande, daß der Freund eine Ehe einging, noch dadurch, daß er bald starb. Vielmehr war es die Zuneigung zu einem anderen Mann, zu dem Reverend Charles Wadsworth von der presbyterianischen Kirche in Philadelphia, die Emily in ihre bräutlich-weiße Trauer trieb: „A solemn thing – it was – I said – / A Woman – white – to be –“. Charles Wadsworth, ein schon älterer verheirateter Mann und Vater, war, obwohl Emily ihm wahrscheinlich nur selten und kurz begegnet ist, seit 1854 immer mehr zur zentralen Figur allen Erlebens geworden. Und als Wadsworth 1861 einem Angebot folgte und nach San Francisco an die Calvary Church ging, begann jener Lebensabschnitt, in dem das Wort Calvary (= Golgatha, Schädelstätte) zu einer Schlüsselmetapher wurde. „At last, to be identified!“, „Endlich zu wissen, wer man ist!“ –:
Unverhofft fand die Dichterin ihre existentielle Bestimmung, nach der sie gesucht hatte, nun, als sie sich herausgefordert sah, die eigene Identitätslosigkeit zu bezeugen.
Die gestaute Lebenskraft, die sich künftig nicht einmal mehr auf illusionäre Art nutzen ließ, konnte nur noch mit Inbrunst auf ein Absolutes transzendiert werden, auf ein Absolutes, das freilich nicht mehr gleichgesetzt wurde mit dem Begriff eines heilen Jenseits. Denn Sentenzen wie
This World is not Conclusion.
A Species stands beyond –
Diese Welt ist nicht das Ende.
Ihr folgt noch etwas nach –
stehen Verse gegenüber, die vom Leben keine Zukunft und vom Tod keine Unsterblichkeit mehr erwarten:
Das Herz sucht Lust zuerst,
Und dann, Erlaß vom Leid,
Und dann, ein Stillungsmittel,
Das jeden Schmerz betäubt,
Und dann, zur Ruh zu gehn,
Und dann, in letzter Not,
So es sein Inquisitor will,
Das Anrecht auf den Tod.
Hineingewachsen in eine Tradition frustrierender Normen, brachte die Dichterin zwar die Energie auf, die zu einer asketischen Lebensweise nötig war; ihre Lyrik aber, der problematische Gewinn aus Verzicht und Abgeschiedenheit, konnte und kann lediglich mit Einschränkungen als religiös gelten. Ähnlich wie zwei Jahrhunderte zuvor die mexikanische Nonne Juana Inés de la Cruz, so war auch Emily Dickinson gezwungen, ihre christlichen Wertvorstellungen in Relation zu den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu setzen, mit dem Resultat, daß die Idee einer paternistischen Weltordnung an Bedeutung verlor und sich ein Verlangen nach Naturhaft-Bewußtseinslosem einstellte: „The Grass so little has to do / I wish I were a Hay –“, „So wenig hat das Gras zu tun / ich wünscht, ich wär ein Heu –“.
Emily Dickinson brachte in ihren Versen Stimmungs- und Bewußtseinslagen zum Ausdruck, die andere Poeten nur in konventioneller Sprache oder in theoretischer Terminologie formulieren konnten. Ob es sich darum handelte, die Unwahrheit tradierter Sprüche zu entlarven („Man sagt, ,die Zeit bringt Linderung‘ – / Die Zeit hat nie gelindert“); oder ob sie die Erde als ein relativierbares System kausaler und räumlicher Zuordnungen beschrieb („,Morgen‘ – heißt ,Melken‘ für den Farmer – / Für Teneriffa heißt es – Dämmerung“): stets gelangen ihr, die alle Erlebnisse tief in sich eindringen ließ, Verbalisierungen, die Umschmelzungen und Neuschöpfungen waren: „Es klang, als kämen die Straßen gelaufen / Und dann – standen die Straßen still –“ Oder: „Lustig – ein Jahrhundert zu sein – / Und zu sehn – wie die Leute passieren –“.
Diese Lyrikerin, die sich an der Bibel, an Shakespeare, an den englischen Metaphysikern sowie an Keats und an den Brownings geschult hatte, schrieb Gedichte, die, wenn sie (anders als die welthaltigen Poeme ihres Zeitgenossen und Landsmannes Walt Whitman) auch noch metrisch gebunden waren, dadurch bereits etwas extrem Modernes hatten, daß sie häufig mit einer frappanten Gnome beziehungsweise mit einer unkonventionellen Metapher zuzupacken verstanden: „Drowning is not so pitiful / As the attempt to rise.“ Oder: „The face I carry with me – last – / When I go out of Time –“ Oder: „Much Madness is divinest Sense – / To a discerning Eye –“. Anschließend an solche Formulierungen wurde dann der stoffliche Komplex meist nur noch abgewandelt. Doch stets erwiesen sich Ironie und Paradoxon als Mittel, die vor Rhetorik ebenso bewahrten wie vor Sentimentalität:
My life closed twice before its close;
It yet remains to see
If Immortality unveil
A third event to me,
So huge, so hopeless to conceive
As these that twice befel.
Parting is all we know of heaven,
And all we need of hell.
Schon zweimal schloß vor seinem Schluß
mein Leben, laßt nun sehen,
ob Ewigkeit zum dritten Mal
mir zuteilt solch Geschehen,
so unbegreiflich hoffnungslos
wie die zwei ersten Fälle.
Scheiden – das weiß man vom Himmel bloß –
und das reicht für die Hölle.
Emily Dickinson, die mit kritischer Vehemenz den Kommerzialismus Neuenglands anprangerte, wenn sie sagte „Ihr Reichen – lehrt mich – arm zu sein“, war sich, zumindest bis zu einem gewissen Grade, der gesellschaftlichen Besonderheit ihrer Lage bewußt. Doch wenn sie auch spürte, daß es ihre spezifischen Umstände waren, die sie zu Untätigkeit und zu femininer Wesenlosigkeit verurteilten, so erschöpfte sie sich keinesfalls in der Attitüde bloßen Protests. Dazu war sie seelisch zu stark in metaphysischen Vorstellungen gefangen:
Die Abdankung des Glaubens
Engt das Verhalten ein –
Besser einem Irrlicht folgen
Als im Finstern sein –
Diese Verse, vermutlich vier Jahre vor dem Tode geschrieben, lassen erkennen, daß die Dichterin letztlich eine elegisch-ironische Wartestellung zwischen christlicher Religiosität und naturwissenschaftlichem Erkenntnisdrang eingenommen hat. Emanzipationswille brachte für sie, die den Denkkategorien ihrer Zeit und den Bedingtheiten ihres Milieus nicht völlig Entwachsene, keine faktische Befreiung, sondern im Gegenteil ein intensiviertes Kerkererlebnis, zumal es ihr nicht möglich war, die sexuelle Komponente ihrer Situation schon so klar zu erkennen, wie das später etwa der junge Eliot oder – nach ihm – Robert Creeley vermochte, ein Lyriker, der sich dem Puritanismus bereits programmatisch widersetzen konnte.
Für die Dichterin aus Amherst gab es noch keinerlei Gelegenheit, die eigene Problematik im Gespräch, im kreativen Dialog mit einer größeren Öffentlichkeit oder auch nur einer eingeweihten Minderheit zu klären. Emily Dickinson war gezwungen, ihren Konflikt, mochte er noch so dynamisch nach außen drängen, zu verinnerlichen. Weil ihr jedoch die soziologisch-psychologischen Wechselwirkungen weitgehend unbewußt blieben, kam es zu einem immensen Affektstau, der sich in abrupter Bildhaftigkeit entlud. Der Raum, in den hinein die Dichterin projizierte, war eine pantheistische Region, die jedoch konkreter war als die (mehr intellektualistisch beschaffene) Bezugswelt der Transzendentalisten. Von Kindheit an mit den Erkenntnissen der Botanik, der Astronomie und der Chemie vertraut, ging es Emily Dickinson darum, die „einfachen Nachrichten der Natur“ einzufangen und mit einer Genauigkeit weiterzugeben, die ihrer Poesie trotz einer bestimmten konjunktivistischen Beschaffenheit die Qualität empirisch-sensualistischer Faßbarkeit verlieh:
Eine Wiese zu schaffen brauchts
Nur eines Klees und einer Biene.
Eines Klees und einer Biene sowie
Eines bißchen Träumerei,
Das Träumen allein schon reicht,
Falls es an Bienen mangelt.
Hans-Jürgen Heise, aus: Hans-Jürgen Heise: Das Profil unter der Maske, Claassen Verlag, 1974
EMILY UND ICH
In ihrem zugigen Dachzimmer
schreiben wir gemeinsam unsere Briefe an die Welt.
Ihre Lampe flackert, das Licht schwach.
Im Fensterrahmen breitet sich das letzte Sonnenlicht
über die Häuser von Amherst.
Sie ließ mich ein, als ich prahlte ich sei niemand,
und schickt mich jetzt nach unten,
um mehr Papier zu stibitzen –
Briefumschläge, betont sie – Briefumschläge.
Ich krieche die knarrende Treppe hinunter.
Versuche lautlos die schwingende Küchentür zu öffnen.
Alle sind fort außer ihrem pfeifenrauchenden Vater,
der keinen Cent für Papier ausgeben mag.
Er sieht nicht, wie meine Hand die Holzkiste hebt,
in die er den Abfall wirft.
Ich siebe alle Briefumschläge heraus.
Bringe sie nach oben zu Emily,
und unser fieberhaftes Entfalten beginnt.
Wie sie zusammenzuckt, wenn ich den kleinsten Riss mache.
Dieser Teil braucht Zeit – das sorgfältige Lösen,
das Glätten.
Sie reicht mir eine Feder, ein Tintenfass.
Wir machen uns an die Arbeit.
Was ich nie vergessen werde
ist ihr Schatten an der Wand – ihre Hand,
und die Feder groß, schnell,
und ihr Haar – nicht straff gebunden,
sondern offen, frei – fast möcht ich sagen,
wild.
Pamela Porter
Übersetzung: Helmbrecht Breinig und Susanne Opfermann
Ute Woltron: Der Garten der Frau in Weiß
Kerstin Fritzsche: Die große Liebe lebte nebenan
Emily Dickinson: The Poet In Her Bedroom.
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