Heike Willingham: kurze aufenthalte an winzigen orten

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Heike Willingham: kurze aufenthalte an winzigen orten

Willingham/Ponte-kurze aufenthalte an winzigen orten

FREI SIND WIR IN GRENZEN SCHÖN

wenn wir absehen von der naturgegebenheit
unserer inneren anteile
daß sich etwas erstreckt und mitwirkt
an uns dessen entfaltung in uns zu dringen
der raum fehlt der körper das auge
das sinnliche maß des umwurfs

nichts war so groß wie die müßige zeit
an den anfangskanälen früherer herkunft
ein sumpf um ein weiteres stecken
ein zufluß aus kälte aus rufen
aus offensichtlicher dahingewehtheit
von all der strenge im ausdruck
ein sich überlassen können

ein fließen von langen schrecken gefolgt

 

 

 

TURGOR
an
Cara Crewes alias Heike Drews

es war einmal ein  kleiner junge, der saß unweit der beredten, der stillen frauen am tor in der sonne und sah ihnen zu und hörte ihr lachen. sie banden blumen zu sten, wuschen wäsche, schlachteten schweine und rührten das blut. sie hängten die schinken in die essebrauten allerlei salben und bier. sie bekreuzigten sich, spuckten sich über die schulter und klopften auf holz. sie zündeten feuer an und verstanden die sprache der tiere. sie sangen.
es war aber zur gleichen zeit ein kleines dchen, das saß jeden tag unweit des anderen tores, wo es den beredten, den stillen nnern zuhörte und zusah. die fingen vögel und drehten sich zigaretten. sie spielten laute, schnitzten engel und bergmänner. sie füllten mehl in säcke und pflckten schwarze johannisbeeren. sie bekreuzigten sich, spuckten sich und so weiter. sie konnten in den wolken lesen, das wetter voraussagen und: sie sangen.
nun trafen sich das kleine mädchen und der kleine junge viele jahre später auf einer brücke, in einem brunnen, auf einem berg, in einem tal, in einer theaterkulisse und in einem lichtspieltheater, und gingen von da an gemeinsam. sie brannten lehm zu steinen und bauten sich ein haus mit zwei fenstern. durch das eine blickten sie auf den atlantischen ozean, durch das andere auf den mount everest. mit den mondphasen zogen sie abwechselnd von dem einen in das andere zimmer. im frühling lobten sie den krokus und das schneeglöckchen, im sommer die erdbeere und die birne, im herbst das kartoffelfeuer und den weinstock, und im winter lobten sie den winterschlaf und die vierschanzentournee. sonne mond und sterne lobten sie das ganze jahr über außerdem. sie hatten sieben kinderdie allesamt mützen trugen wie man sie den hyazinthen aufsetzt. sie selbst trugen mützen aus ammonshörnern und donnerkeilen, nach denen sie im meere tauchten und in den gebirgen gruben. ihre kindeverließen sie frühzeitig um sich, wie sie selbst sagten, zu versachlichendas waren wiedergeburten des brokratischen zeitaltersdie beiden ließen sich davon nicht in ihrer liebe stören, tranken gern alkohol und wußten noch in späteren jahren mancherlei gedichvon dylan thomas und von raja lubinetzki auswendig herzusagen.

Ulrich Zieger

Fakten und Vermutungen zur Autorin

 

 

Heike Willingham spricht ab Minute 2:11 über die Zeitschrift Herzattacke, in der sie Mitherausgeberin ist.

 

Heike Willingham liest am 8.3.2016 für planetlyrik.de Gedichte aus dem Band Supermoon.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

0:00
0:00