SIE NAHMEN
Die Tschechen traten auf die Deutschen zu
und spuckten… (Vgl. Märzzeitungen 1939)
Sie nahmen schnell und mit Großmannsmut:
Sie nahmen den Berg und was unter ihm ruht,
Sie nahmen die Kohle, sie nahmen den Stahl,
Sie nahmen das Blei, und sie nahmen Kristall.
Sie nahmen den Zucker, sie nahmen den Klee,
Sie nahmen die Ferne, sie nahmen die Näh,
Sie nahmen den Westen, sie nahmen den Nord,
Sie nahmen den Süden und Osten fort.
Sie nahmen den Honig, sie nahmen das Bad,
Sie nahmen das Heu, und sie nahmen den Grat,
Sie nahmen das irdische Eden, jedoch:
Sie nahmen kampflos den Kampf uns noch!
Sie nahmen Geschütz, und sie nahmen Geschoß,
Sie nahmen uns Erze und Freund und Genoss’ –
Wir haben noch Spucke, und die ist für sie:
Uns ganz zu entwaffnen, das schaffen sie nie.
Paris, 9. Mai 1939
übertragen von Karl Mickel
Marina Zwetajewa war eine Frau mit der unternehmenden Seele eines Mannes, entschlossen, kämpferisch, unbezähmbar. Ungestüm, gierig, ja reißend drang sie im Leben und in der Kunst auf Endgültigkeit und Entschiedenheit; sie kam weit und war allen voraus.
Boris Pasternak
FÜR MARINA ZWETAJEWA
Was wandelbar schien, gewinnt an Sinn und Gestalt,
die Lüfte, die dich bis zu den Sternen trugen,
der Gürtel um deine Taille, dein ungelenker Gang
und der Klang deiner scharfkantigen Gedichte.
Erlöst Strömende, Entfesselte,
Brennende, dich freizügig Verschwendende,
stell dir vor: wir hätten uns niemals getrennt,
die Wasser der Zeit mündeten in eine Quelle.
Nimm diese Hand aus dem Fluß der Jahre!
Entzweie nicht, was ineinander fließt,
Herrscherin abgründiger Wasser:
trenne nicht, was zusammenströmt.
Arseni Tarkowski, 1941
(Übersetzung: Martina Jakobson)
Katharina Kohm: Die Begegnung an der Naht. Zu der Vortragsreihe Zwiesprachen VI: Katharina Schultens über Marina Zwetajewa am 25.1.2016 im Lyrik Kabinett
signaturen-magazin.de
Hans Gellhardt: Achmatowa – Pasternak – Zwetajewa
Bettina Wöhrmann: Der Granatapfelkern Persephones
Ostragehege, Heft 64, 2011
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