Sylvia Plath: Ariel

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Sylvia Plath: Ariel

Plath-Ariel

PAPI

Du reichst nicht zu, du reichst nicht zu,
Nicht mehr länger, du schwarzer Schuh,
In dem ich gelebt habe wie ein Fuß,
Dreißig Jahre lang, arm und weiß,
Ohne Atmen und Niesen, Puh!

Papi, ich mußte dich töten.
Du starbst, bevor ich soweit war –
Marmorschwer, ein Sack voller Gott,
Scheußliches Denkmal, und ein grauer Zeh,
Groß wie ein Friscoseehund,

Und ein Kopf im unsteten Atlantik;
Bohnengrün wogt ins Blau ohne Ruh
In den Wassern vor dem schönen Nauset. –
Ich betete um deine Wiederkehr immerzu.
Ach, du.

In der deutschen Sprache, in der polnischen Stadt,
Plattgedrückt von der Walze
Der Kriege, Kriege, Kriege.
Doch der Name der Stadt ist häufig.
Meine polackischen Freunde

Sagen, es gibt ein zwei Dutzend, und
So konnt ich nie sagen, wo du
Deine Stiefel trugst, deine Wurzeln schlugst;
Ich stand vor dir angewurzelt im Grund:
Mir klebte die Zunge im Mund

In einer Stacheldrahtfalle voll Blut.
Ich, ich, ich, ich,
Ich fand niemals ein Wort an dich.
Ich dachte, jeder Deutsche seist du,
Und die Sprache obszön,

Ein ratterndes Knattern, ein Zug,
Der mich forttrug, als wär ich ein Jud.
Ein Jud nach Dachau, Auschwitz, Belsen.
Ich fing zu reden an wie ein Jud.
Ich denke, ich bin vielleicht ein Jud.

Schnee in Tirol, helles Bier in Wien,
Die sind nicht sehr rein und gut.
Mit meiner Großmutter Zigeunerin
Und mit meinen Tarockkarten glaub ich, ich bin
Vielleicht auch ein wenig ein Jud.

Meine Angst vor dir war stets absolut:
Dein Schnurrbart, und was deine Luftwaffe tut,
Und deine Rednergesten,
Und dein arisches Auge voll blauer Glut,
Panzermann, Panzermann, Tunichtgut!

Nicht Gott, du, nein, ein Hakenkreuz,
So schwarz, daß kein Himmel dahinter blaut.
Jede Frau liebt einen Faschisten,
Im Gesicht den Stiefel, und den, der sie haut,
Und das Herzverhau eines wie du, der das tut.

Du stehst an der Tafel, Papi,
Auf dem Bild, vor dem ich dich ruf:
Gespalten nur dein Kinn, nicht dein Huf.
Doch deshalb nicht minder ein Teufel; nein,
Nur ein Teufel, mit Stiefeln beschuht.

Du Schwarzer Mann trankst mein Herzensblut.
Man begrub dich, da war ich zehn. – Doch nie ruht
Der Teufel: Mit Zwanzig sucht ich den Tod,
Zurückkehren wollt ich in deine Hut;
Ich dachte, sogar noch die Knochen wär’n gut.

Doch sie holten mich raus aus dem Sack
Und leimten mich wiederum zu.
Seither weiß ich, was ich jetzt tu:
Ich mach ein Modell, das bist du,
Ein Mann in Schwarz mit Meinkampfgesicht,

Der die Folter liebt und das Blut.
Und ich sagte, ja, gut, ja, gut.
Nun, Papi, mit uns ist es endgültig aus.
Das schwarze Telefon, das riß ich heraus,
Daß die Stimme auf ewig jetzt ruht.

Wenn ich einen erschlug, schlug ich zwei im Nu –
Den Vampir der gesagt hat er war du;
Und ein Jahr lang trank er mein Blut,
Sieben Jahre, daß du es nur weißt:
Papi, bleib liegen, du bist ein Geist.

Dein schwarzes Herz durchbohrt jetzt ein Pfahl,
Und im Dorf die fanden dich niemals gut.
Sie tanzen und stampfen auf dir, du Graus.
Daß es immerzu du warst, das haben sie raus.
Papi, Papi, du Dreckstück, zwischen uns ist es aus.

 

 

„Das sind Gedichte,

die Russisches Roulette mit sechs Patronen im Lauf spielen“, schrieb der Lyriker Robert Lowell in seinem Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von Ariel, dem legendären nachgelassenen Gedichtband von Silvia Plath, die sich 1963 in London 30jährig das Leben nahm. Ariel ist ein Dokument radikaler und unsentimentaler Introspektion. Es sind Gedichte, die in suggestiven Bildern immer wieder um die gleichen Themen kreisen: die Ich-Identität der Autorin, die Qualen eines krankhaft zurückgenommenen Lebens und seiner Todesobsessionen.

Suhrkamp Verlag, Klapentext, 1973

 

Ariel bei Wikipedia

Um Sylvia Plath noch einmal ins Deutsche zu bringen

– Versuch und Begründung einer experimentellen Nachdichtung. –

Im Januar 1963 schreibt Sylvia Plath, seit kurzem in London ansässig, ein gutes Dutzend bester Gedichte, die auch ihre letzten sein werden, bevor sie sich, einen Monat danach, das Leben nimmt. Eins dieser Gedichte, zu dem sie sich vermutlich durch ein Modemagazin oder eine Frauenzeitschrift provoziert fühlte, ist den „Models von München“ gewidmet und lautet wie folgt:

THE MUNICH MANNEQUINS

Perfection is terrible, it cannot have children.
Cold as snow breath, it tamps the womb

Where the yew trees blow like hydras,
The tree of life and the tree of life

Unloosing their moons, month after month, to no purpose.
The blood flood is the flood of love,

The absolute sacrifice.
It means: no more idols but me,

Me and you.
So, in their sulfur loveliness, in their smiles

These mannequins lean tonight
In Munich, morgue between Paris and Rome,

Naked and bald in their furs,
Orange lollies on silver sticks,

Intolerable, without mind.
The snow drops its pieces of darkness,

Nobody’s about. In the hotels
Hands will be opening doors and setting

Down shoes for a polish of carbon
Into which broad toes will go tomorrow.

O the domesticity of these windows,
The baby lace, the green-leaved confectionery,

The thick Germans slumbering in their bottomless Stolz.
And the black phones on hooks

Glittering
Glittering and digesting

Voicelessness. The snow has no voice.

Ein starkes Gedicht. Erich Fried hat es 1974 in seiner Übersetzung von Sylvia Plaths Nachlassband Ariel erstmals auf deutsch veröffentlicht; und da liest es sich so:

Vollendung ist furchtbar, sie kann keine Kinder haben.
Kalt wie Schneehauch tamponiert sie den Schoss

Wo die Eibenbäume aufblühen wie Hydren,
Der Baum und es Lebens und der Baum des Lebens

Ihre Monde loslösen, Monat um Monat, zwecklos.
Die Blutflut ist die Flut der Liebe,

Das absolute Opfer.
Es heisst: Keine Götzen als mich mehr,

Mich und dich.
So, in ihrem Schwefelliebreiz, in ihrem Lächeln

Lehnen diese Mannequins heute nacht
In München, dem Leichenschauhaus zwischen Paris und Rom,

Nackt und kahl in ihren Pelzen,
Organgenlutschstangen auf Silberstäben,

Unerträglich, ohne Gedanken.
Der Schnee lässt seine Stücke von Finsternis fallen,

Niemand ist da. In den Hotels
Werden Hände die Türen öffnen und Schuhe

Hinstellen zum Polieren mit schwarzem Wachs,
Dass breite Zehen morgen in sie gehen.

Oh, die gezähmte Häuslichkeit dieser Fenster,
Die Babyspitzen, das grünbelaubte Backwerk,

Die dickfelligen Deutschen die schlafen in ihrem bodenlosen Stolz.
Und die schwarzen Telefone an Gabeln

Glitzernd
Glitzernd und verdauend

Stimmlosigkeit. Der Schnee hat keine Stimme.

Ich stelle nun, vier Jahrzehnte danach, die folgende Neuübersetzung zur Diskussion:

Furchtbar diese Perfektion, sie kann nicht fruchtbar sein.
Kalt wie Wehen von Schnee verschliesst sie den Schoss,
Wo Eiben wie Hydren in Blüte stehn,
Wo der Lebensbaum und der Lebensbaum
Ihre Monde entbinden, Monat für Monat, ohne Sinn.
Die Blutflut ist eine Liebesflut,
Ist absolute Opfergabe.
Will heissen: Kein Idol mehr ausser mir,
Ich und du.
So lehnen diese Models heute Nacht
mit schwefligem Charme und rundum lächelnd
Nackt in ihren Pelzen –
Der Schnee lässt in Fetzen seine Finsternis fallen,
Niemand ist vor Ort.
Der Schnee hat keine Stimme.

Ein starkes Gedicht, ja, und doch ‒ in meiner Fassung ‒ nur ein halbes Gedicht; denn ich habe den ganzen zweiten Teil – mit Ausnahme des Schlussverses – fortgelassen: Ein unstatthafter übersetzerischer Eingriff, zweifellos, und doch ist es mir, meine ich, gelungen, das Gedicht nachträglich vor der Autorin zu retten … vor seiner Verbiegung zur antideutschen Karikatur – mit München als Modezentrum und Leichenschauhaus, mit den „dicken Germanen“ als häuslichen Putzteufeln, mit deutschem Süssgebäck und deutschem „bodenlosem Stolz“ usf.
In der Friedschen Übersetzung wie im Original fallen die letzten sieben Strophen vom Rest des Gedichts qualitativ deutlich ab, und dies in formaler wie in gehaltlicher Hinsicht. Mir ist schon klar, dass Sylvia Plath den Gesamttext auf den Vergleich beziehungsweise die Gleichsetzung der perfekten, aber unfruchtbaren Modewelt mit dem gemeindeutschen, ebenso unfruchtbaren Perfektionismus ausrichtet und dass sie beides zum prallen authentischen Leben, das sich besonders heftig in der „Flut der Liebe“ kundtut, in Kontrast setzen will. Da aber im ersten Gedichtteil bereits der Kontrast zwischen Künstlichkeit und Naturhaftigkeit dezidiert herausgestellt wird, wirkt der nachfolgende zusätzliche Vergleich mit Deutschland und den Deutschen ebenso willkürlich wie überflüssig – diese zweite Hälfte des Gedichts könnte sich durchaus als eigenständiger Text behaupten, im vorliegenden Zusammenhang nimmt sie sich aus wie ein angehängtes Nota bene oder ein Postskriptum.
Meine Neuübersetzung hat – ich möchte das betonen – rein experimentellen Charakter, und es kommt bei meiner Fassung auch weniger auf den Text selbst an als auf die Fragen und Probleme, die er aufwirft, elementare Fragen … schlichte Probleme wie diese:
Kann die in der Zielsprache gekürzte Nachschrift des Gedichts noch als Übersetzung gelten? Bildet sie gegenüber dem Original eine Variante oder eine eigenständige Nachdichtung?
Darf ein Übersetzer seine Vorlage verändern, ergänzen, formal verbessern?
Wie wäre in diesen Fällen die Funktion von Autor und Übersetzer zu bestimmen beziehungsweise zu differenzieren?
Kann eine Übersetzung das Original qualitativ übertreffen? Wenn ja – soll sie das überhaupt?
Inwieweit kann eine eigenwillige, vom Original sich entfernende Übersetzung ihrerseits als Original gelten und wie wäre dann poetische Autorschaft funktional zu bestimmen?
Was brächte ein solcherart erweiterter Übersetzungsbegriff für die Lyriktheorie? Welche Konsequenzen hätte er für die Übersetzungskritik?
Und ausserdem:
Ist nicht auch jedes Originalgedicht mit Bezug auf seine literarischen Quellen und gemäss seiner Entstehung und Ausgestaltung so etwas wie eine Übersetzung?

Felix Philipp Ingold

The Bar Fly Ought to Sing

– Über Sylvia Plath nach ihrem Selbstmord. –

Die amerikanische Literaturzeitschrift Tri-Quarterly widmete ihre im Herbst 1966 erschienene Nummer der am 11. Februar 1963 gestorbenen Sylvia Plath. Für diese Ausgabe bat der Herausgeber Charles Newman unter anderem Anne Sexton um einen Beitrag über ihre Freundschaft mit Sylvia Plath. Sie schrieb daraufhin die folgenden kurzen Erinnerungen an Gespräche über Tod und Lyrik nieder, die sie mit Sylvia Plath bei „drei extrastarken Martinis“ in Boston geführt hatte. Anne Sexton starb am 4. Oktober 1974; auch sie beging Selbstmord.

Ich kann für Sylvia nur eine kleine Skizze beisteuern und zwei Gedichte – eines, geschrieben für sie, als die Nachricht von ihrem Tod kam, und das andere, geschrieben im Jahr darauf, geschrieben für uns beide und für den Ort, an dem wir uns trafen…. „eins mit sich, kommen Selbstmörder manchmal zusammen…“
In Boston trafen wir uns hin und wieder. Wir sind in derselben Kleinstadt, in Wellesley, aufgewachsen, aber sie war ungefähr vier Jahre jünger als ich, und wir haben uns nicht kennengelernt. Und wenn wir es hätten, frage ich mich, ob wir damals Freundinnen geworden wären – sie war so klug, so reif für ihr Alter und entschlossen, etwas Besonderes zu sein, wohingegen ich, ein pickeliges Ding, das nur Jungs im Kopf hatte, in den meisten Fächern eine Niete war und mich nie für etwas Besonderes hielt. Kennengelernt haben wir uns erst, als sie mit Ted Hughes verheiratet war und in Boston lebte. Wir begegneten uns, weil wir Dichter waren. Kamen zusammen, nicht irgendwelcher Förmlichkeiten, sondern der Wahrheit wegen. Sie hörte, und George Starbuck hörte es ebenfalls, daß ich in einen von Robert Lowell geleiteten Kurs an der Boston University ging. Beide stießen nach mir dazu, schlossen sich mir an, und schweigend kreisten wir auf unserer Umlaufbahn um diese Klasse. Wenn wir damals überhaupt mal etwas sagten, machten wir uns unweigerlich zum Narren. Wir wußten zuviel darüber, um zu reden. Schweigen war klüger, wenn wir es denn fertigbrächten. Wir versuchten es, jede auf ihre eigene Weise, zeigten manchmal unsere Gedichte her, sei’s vor einem Schlächter, sei’s vor einem Liebenden. Beide machten wir weiter. Vor den Augen des Vaters verhielten wir uns so still wie möglich.
Nach dem Seminar zwängten wir uns auf die Vorderbank meines alten Ford, und ich chauffierte uns schnell durch den Verkehr zum Ritz oder in die Nähe des Ritz. Ich parkte immer verbotenerweise in einer LADEZONE und sagte fröhlich zu ihnen: „Geht schon in Ordnung, wir wollen ja einen laden!“ Und dann gingen wir, beide bei George untergehakt, ins Ritz und tranken drei oder vier oder zwei Martinis. George hat in Bone Thoughts, seinem ersten Gedichtband, sogar eine Zeile darüber. Er schrieb: „Mit zwei süssen Ladys schwanke ich aus dem Ritz.“ Sylvia und ich, die Schlafbringerinnen, die Todbringerinnen, waren diese süssen Ladys.
In die Bar des Ritz, die eigentlich keine typische Bar ist, sondern eher ein Salon, sehr vornehm, dicker dunkelroter Teppichboden, rote Ledersessel um artige Tischchen, die Kellner weiß gekleidet und schrecklich diskret, wo man gleich, wenn man die fünf samtbespannten Stufen hinabging, wußte, das ist was – dort hinein gingen wir. Die Kellner verstanden ihr Handwerk. Sie bedienten die Elite von Boston oder zumindest die Prominenz. Wir hofften immer, daß sie uns verkennen und fälschlich für sonderbare Hollywood-Typen halten würden. Irgendeine Erklärung mußte es ja geben für unserer Bücher, unsere Schneestiefel, die Berge von Gedichten, unser seltsames Gebaren, die hektischen, hitzigen Gespräche – und immer ein Trio, das einmal in der Woche an ihrem kleinen, schicken Tisch hockte.
Oft, sehr oft sprachen Sylvia und ich ausführlich über unsere ersten Selbstmordversuche, gingen sie in allen Einzelheiten durch – und das bei Kartoffelchips, die es dort gratis gab. Selbstmord ist schließlich das Gegenteil eines Gedichts. Sylvia und ich vertraten oft gegenteilige Ansichten. Mit verzehrender Intensität sprachen wir vom Tod, beide davon angezogen wie die Motten vom Licht. Kamen gar nicht wieder los davon! Sie erzählte die Geschichte ihres ersten Selbstmordversuchs in schönen, liebevollen Einzelheiten, und ihre Schilderung in der Glasglocke ist ja die gleiche Geschichte. Es ist ein Wunder, daß wir George mit unserem egozentrischen Verhalten nicht deprimierten. Statt dessen waren wir alle drei, sogar George, stimuliert davon, als ließe der Tod jeden von uns in diesem Augenblick ein bißchen realer werden. Und so machten wir weiter, jede auf ihre Weise, dachten nicht mehr an Lowell und die Gedichte, die hinter uns lagen. Die Gedichte, die hinter uns lagen, das war bloße Technik – von Bestand zwar, das schon, aber im Grunde vorbei. Wir sprachen über den Tod, und das war für uns das Leben, das hatte Bestand, uns zum Trotz, oder vielmehr unseretwegen, unserer unverwandten Blicke, unserer Finger wegen, die die Gläser umklammerten, drei Augenpaare, die nur darauf fixiert waren, was einer von uns, egal wer, gerade sagte. Ich weiß, es klingt seltsam, derartig vom Tod fasziniert zu sein (man debattiert erst gar nicht darüber, ob es krankhaft sei – man weiß es –, da gibt es keine Ausflucht), und mir ist klar, daß die Leute das nicht verstehen. Alle Jahre, immer wieder fragen sie mich: „Warum, warum bloß?“ Hier folgt deshalb das Gedicht, das für uns beide, die süssen Ladys aus dem Ritz, sagt, warum. Ich denke wirklich manchmal, daß es die Antwort ist, die Sylvia auch gegeben hätte. Sie hat es seitdem für mich in so vielen Gedichten gesagt – darum will ich es in einem meiner Gedichte für uns sagen…

STERBEN WOLLEN

Da du fragst, meist weiß ich gar nichts mehr davon.
Ich gehe in meinen Kleidern, man sieht mir die Reise nicht an.
Dann kehrt die fast unsägliche Lust zurück.

Nicht einmal dann hab ich was gegen das Leben.
Ich kenn sie, die Grashalme, die du erwähnst,
die Möbel, die du in die Sonne gerückt hast.

Aber Selbstmörder haben eine besondere Sprache.
Wie Zimmerleute fragen sie nur:
welches Werkzeug,
niemals jedoch:
warum bauen.

Zweimal habe ich mich so einfach erklärt,
habe den Feind besessen, den Feind gegessen,
seine Kunst, seine Magie übernommen.

Auf diese Weise, schwer und gedankenvoll,
wärmer als Öl oder Wasser,
hab ich ausgeruht, Sabber am Mundloch.

An meinen Körper auf des Messers Schneide hab ich nicht gedacht.
Sogar die Hornhaut war weg, der letzte Rest Urin.
Selbstmörder haben den Körper seit jeher verraten.

Totgeboren, sterben sie nicht immer, können aber,
geblendet, eine Sucht nicht vergessen, so süss,
daß sogar Kinder lächelnd hinschauen würden.

Sich all das Leben unter die Zunge zu stopfen! –
das wird von ganz allein zur Leidenschaft.
Der Tod ist eine triste Knochenfrau, geschunden, sagtest du immer,

und doch wartet sie auf mich, Jahr für Jahr,
um behutsam eine alte Wunde zu tilgen,
meinen Atem aus seinem elenden Gefängnis zu befreien.

So eins mit sich, kommen Selbstmörder manchmal zusammen,
wüten gegen die Frucht, einen aufgepumpten Mond,
lassen das Brot, das sie mit einem Kuß verwechselten, liegen,

lassen das Buch achtlos aufgeschlagen,
lassen etwas ungesagt, den Hörer neben der Gabel
und die Liebe, egal welche, eine ansteckende Krankheit.

Und so eins mit uns, kamen wir zusammen und fragten nie: warum bauen – fragen nur: welches Werkzeug. Das war unsere Faszination. Ich kann und will nicht die Gründe dafür angeben, warum wir beide bauen wollten. Weder steht es mir zu, über Sylvias Warum zu sprechen, noch habe ich den Wunsch, Ihnen meines preiszugeben. Doch ich sage, kommen Sie, stellen Sie sich uns vor bei unseren sporadischen Zusammenkünften, wie wir, verzehrt von unseren Leidenschaften und unserer ansteckenden Krankheit, fünf Schüsseln kostenlose Kartoffelchips vertilgten und viele Martinis zu uns nahmen.

Danach verließen wir schwankend das Ritz und gaben unser letztes Geld in der Caféteria des Waldorf aus – für ein Essen, das siebzig Cent kostete. George hatte es nicht eilig. Er trennte sich gerade von seiner Frau. Sylvias Ted konnte wohl warten oder hatte mit seiner eigenen Arbeit zu tun, und ich mußte sowieso in der Stadt bleiben, weil ich um 19 Uhr einen Termin bei meinem Psychiater hatte (ich wohne außerhalb). Wir waren ein komisches Trio.
Inzwischen habe ich erfahren, daß Sylvia schon in ihrer Kindheit beschlossen hatte, eine Große zu werden, als Schriftstellerin zumindest. Davon habe ich damals eigentlich nichts gespürt. Irgend etwas sagte mir, auf sie zu setzen, doch ich fragte mich nie, warum. Ich war so entschlossen, auf mich selbst zu setzen, daß ich nicht recht merkte, welche Richtung sie in ihrer Arbeit einschlug. Lowell sagte damals, daß ihm ihre Sachen gefielen und daß er der Meinung sei, ihre Gedichte kämen immer gleich aufs Wesentliche. Ich war nicht dieser Ansicht. Ich fand, ihre Gedichte gingen gerade am Wesentlichen vorbei. (Es waren frühe Gedichte Sylvias – Gedichte, im Entstehen begriffen, Gedichte, mit denen sie auf etwas hinarbeitete.) Ich sagte zu Mr. Lowell, daß ich der Ansicht sei, sie wiche dem Wesentlichen aus, und zwar womöglich deshalb, weil sie sich so auf die Form konzentrierte. Die Form eines Gedichts war Sylvia enorm wichtig, und jeder gute Dichter hat ja auch eine eigene, ganz gleich, wie er sie nennt – freier Vers oder was immer. Die Form ist unverwechselbar seine eigene – oder eben nicht. Sylvia hatte damals ihre ganz eigene Form noch nicht gefunden. Diese frühen Gedichte steckten alle in einem Käfig (und es war noch nicht mal ihr eigener Käfig). Ich fand, sie hatte noch keine eigene Stimme gefunden, war im Grunde nicht frei, sie selbst zu sein. Daß sie geschickt war, wußte ich natürlich – intensiv, geschickt, empfänglich, die seltsame, blonde, wunderschöne Sylvia.
Wir wechselten ein paar Briefe zwischen England und Amerika. Die besitze ich natürlich noch. Sie erwähnt meine Gedichte, und vielleicht habe ich ihr während des Schreibens welche geschickt – ich bin nicht sicher. Die Zeit der LADEZONE war vorüber, und nun schickten wir ab und zu Luftpostbriefe hin und her. George war in Rom. Er schrieb nie. Er ließ sich scheiden und heiratete drüben noch einmal. Sylvia schrieb von einem Kind, vom Bienenzüchten, von einem zweiten Kind, meinen Gedichten – fröhliche, plaudernde Briefe, und dann, wir hatten nichts mehr voneinander gehört, starb sie.
Nach ihrem Tod, ihre letzten Gedichte lagen im Druck vor, las ich, daß sie meinen Namen in einer Sendung des BBC genannt hatte, mich erwähnt hatte als jemanden, der sie in ihrer Arbeit beeinflußt habe. Persönlich hat sie mir davon nie etwas gesagt. Damals hätte sie so etwas gar nicht ausgesprochen – jedenfalls nicht so kraß, so direkt. Sie hatte mich und Robert Lowell (bißchen arg zusammengewürfelt, Sylvia!) genannt, hatte gesagt, sie sehe hier den Durchbruch zu persönlicher Erfahrung in der Lyrik. Ich glaube, wir hätten ihr zeigen können, was Mut ist – Mut, es zu sagen, wie es ist. Mir hat das vor allem W.D. Snodgrass gezeigt. Vielleicht hat er auch Robert Lowell beeinflußt – ich kann nicht für ihn sprechen. Aber kommen wir zu den Tatsachen. Ich glaube, daß Sylvias Einflüsse verborgen sind, wie bei den meisten von uns, und wenn man überhaupt einen Einfluß nennen wollte, müsste man bei Theodore Roethke beginnen. Ich weiß noch, daß ich Sylvia einmal nach England schrieb, nachdem The Colossus herausgekommen war, und dem Sinne nach sagte:

Wenn Du nicht aufpaßt, Sylvia, wirst Du noch Roethke übertreffen.

Sie schrieb zurück, daß meine Vermutung stimme und daß er ihre Arbeit stark beeinflußt habe. Glauben Sie mir, niemand spricht über seine wirklichen Einflüsse – und schon gar nicht im Radio oder im Fernsehen oder in Interviews. In Wirklichkeit lag ich wohl falsch, und sie hat mich angelogen. Und mit vollem Recht. Ich äußere mich nie zu so etwas, und sie war in solchen verborgenen Dingen noch klüger als ich. Dichter verbergen ihre Einflüsse nicht nur, sie vergraben sie regelrecht. Es waren ja auch nicht ihre Zeilen, die mich an Roethke erinnerten – es war die Bereitschaft zur Bildhaftigkeit, die Art und Weise, wie beide sich (und Sylvia in ihren letzten Gedichten sogar noch mehr) auf ihre Bilder stürzen und dann an sie glauben. Kein Zweifel – zum Schluß brach Sylvia aus ihrem Käfig aus und kam mit dem bilderbesessenen, kühnen Roethke angestürmt. Aber vielleicht verbarg sie ihre sogenannten Einflüsse noch viel tiefer, tiefer als irgend jemand wagen würde zu suchen, und wenn es so wäre, kann ich nur sagen:

Viel Glück.

Ihre Gedichte sprechen für sich selbst. Ich brauche nicht darin herumzuschnüffeln, um irgendwelche fernen Verwandtschaften aufzuspüren. Das lehne ich ab. Vielleicht habe ich sie dazu ermutigt, selbst etwas zu wagen, und mehr hätte sie nicht sagen sollen. Es ist ja auch das einzige, das unsere Gedichte gemeinsam haben. Ausgenommen den Tod – ja, den haben wir gemeinsam (und es gibt sicher so viele andere Dichter mit diesem Thema, daß sie eine ganze Bibliothek füllen). Egal, was herauskommt, wenn wir ganz tief graben. Das ist unwichtig. Wichtig sind ihre Gedichte. Diese letzten Gedichte sind verblüffend. Sie heben die Zeit auf. Und was den Tod angeht –

SYLVIAS TOD
für Sylvia Plath

O Sylvia, Sylvia,
mit einer Totenkiste voller Steine und Löffel,

mit zwei Kindern, zwei Meteoren,
die ziellos durch das winzige Spielzimmer irren,

mit deinem Mund in das Backblech,
in den Dachbalken, ins stumme Gebet,

(Sylvia, Sylvia,
wohin bist du gegangen,
nachdem du mir
aus Devonshire schriebst,
daß du Kartoffeln ziehst
und Bienen züchtest?)

was hast du mitangesehen,
wie hast du dich bloß hineingelegt?

Diebin! –
wie bist du hineingekrochen,

hinuntergekrochen allein
in den Tod, den ich so lange schon heftig ersehnte,

den Tod, von dem wir sagten, wir wären über ihn hinaus,
den Tod, den wir an unseren mageren Brüsten trugen,

den Tod, über den wir so oft sprachen, wann immer
wir in Boston drei extratrockene Martinis kippten,

den Tod, der von Analytikern und Heilungen sprach,
den Tod, der wie Frischvermählte sprach, die Grabstellen haben,

den Tod, dem wir zuprosteten,
die Gründe und dann die ruhige Tat?

(In Boston
fahren
die Sterbenden Taxi,
ja, wieder der Tod,

diese Heimfahrt
mit
unserem Jungen.)

O Sylvia, ich entsinne mich des schläfrigen Trommlers,
der auf unsere Augen einschlug mit einer alten Geschichte,

wie sehnten wir ihn herbei,
wie einen Sadisten oder einen New Yorker Schwulen,

sein Geschäft zu erledigen,
eine Notwendigkeit, ein Fenster in der Wand oder ein Kinderbett,

und seit jener Zeit hat er gewartet
unter unserem Herzen, unserem Geschirrschrank,

und ich begreife jetzt, daß wir ihn aufbewahren
Jahr um Jahr, alte Selbstmörderinnen,

und ich verspüre bei der Nachricht von deinem Tod
ein schreckliches Gelüst danach, wie nach Salz.

(Und ich,
ich auch.
Und jetzt, Sylvia,
du wieder,
wieder mit dem Tod,
jene Heimfahrt
mit
unserem Jungen.)

Und ich, die Arme ausgestreckt zu diesem Ort aus Stein,
sage nur,

was ist denn dein Tod,
wenn nicht ein altes Zubehör,

ein Muttermal, herausgefallen
aus einem deiner Gedichte?

(O Freundin,
da der Mond nun mal verdorben
und der König dahin
und die Königin am Ende ihrer Weisheit ist,
sollte die Barhockerin singen!)

O winzige Mutter,
auch du!
O komische Herzogin!
O blondes Ding!

Anne Sexton, Neue Rundschau, Heft 3, 1997
[Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz]

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer + 1 + 2 + ArchivKLG +
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Nachruf auf Erich Fried: Die Zeit

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Knollenfried“.

 

 

Zum 50. Todestag der Autorin:

Fabienne Hurst: „Wie die junge Frau auf einer Kochreklame“
Der Spiegel, 11.2.2013

Fakten und Vermutungen zur AutorinIMDb

 

Sylvia Plath liest ihr Gedicht „Daddy“.

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