Wladimir Majakowski: Wolke in Hosen

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Wladimir Majakowski: Wolke in Hosen

Majakowski-Wolke in Hosen

DAS LETZTE

Ferne,
empfange den Obdachlosen,
öffne dein Tal.

Wie ist der Himmel heute?
Zeig mich den Sternen!

Unten
in tausend Kirchen
singt das trauernde All den Choral:

„Requiem Aeternam…“

 

 

 

Vorwort

Die vier in diesem Band vereinigten großen Gedichte gehören nicht nur zeitlich zueinander. Die „Wolke in Hosen“, „Die Wirbelsäulenflöte“, „Der Mensch“, „Krieg und Welt“ – das ist der russische Werther, von 1915 wohlgemerkt!, der zwar die Verzweiflung kennt, aber auch die höhnische Kampfansage an die Unterdrücker, der davon träumt, „auf die Stirn einen Schlußpunkt mit Blei zu setzen“, aber auch den Tag verkündet, „so herrlich, daß Andersens Märchen um seine Füße krochen wie junge Hunde“. In diesen vier Gedichten hat sich Majakowski endgültig in Marsch gesetzt, mit dröhnendem, bitterem Gelächter, schön und zweiundzwanzigjährig, wie er sich selber sieht, kein Jüngling mehr, sondern ein ganzer Mann, Mann des großen Gefühls und Zerreißer der Gefühlchen.
Majakowski hat erzählt, wie die „Wolke in Hosen“ entstand, und welche Schwierigkeiten ihm die zaristische Zensur bei der Veröffentlichung des Gedichtes machte. Zuerst drohte man ihm mit dem Zuchthaus, das er übrigens schon als Sechzehnjähriger kennengelernt hatte, wegen seiner Verbindungen zu den Bolschewiki. Sechs Seiten wurden gestrichen einschließlich des ursprünglichen Titels „Der dreizehnte Apostel“. Majakowski nannte das Gedicht nun „Wolke in Hosen“: auch im Titel noch suchte er sich zu definieren, die Synthese von Grobheit und Zärtlichkeit, die Majakowski hieß. Die Gesellschaftskritik erscheint hier als Literatur- und Religionskritik und ist auf eigentümliche Weise mit Ausbrüchen persönlichster Schmerzen verbunden. Kein Verleger wollte das Gedicht nehmen; die verstümmelte erste Fassung publizierten die Briks, Majakowskis Freunde, und erst die dritte Auflage im Frühjahr 1918 enthielt alle bisher von der Zensur unterdrückten Stellen. Die Reaktion hatte das Werk richtig eingeschätzt: es handelte sich nicht einfach um eine beliebige futuristische Dichtung, sondern um einen unüberhörbaren politischen Protestschrei. Die Regierungsclique erschrickt vor der Vision, die bereits das Jahr 1916 im „Dornenkranz der Revolutionen“ erblickt; sie steht mit kaltem Grauen vor dieser Manifestation unbändiger Kraft. „Loslassen! Ihr könnt mich nicht halten!“ heult Majakowski. Die ihn aber als Frechling und Zyniker abtun wollen, warnt er:

Diese wenig schmeichelhaften Bezeichnungen konnten nur entstehen, weil seine (Majakowskis) Werke mit bemerkenswerter Oberflächlichkeit gelesen und absolut nicht verstanden wurden.

Die „Wolke in Hosen“, die wahrhaftig wie eine Windhose auf die Religion losfährt (wie man weiß, hat die Kirche im alten Rußland eine besonders finstere Rolle im Kampf gegen die Revolution gespielt), wendet sich vor allem gegen die schwächlichen Dichterlinge von der Art Sewerjanins, die die Scheußlichkeiten der Gegenwart mit humanitärem Geschwafel zudecken wollen.
Das Leid Majakowskis ist wirkliches Leid. Selbst die Leute, denen der Ausdruck dieses Leids in den Frühwerken des Dichters auf die zarten Nerven ging, mußten die Realität dieser Schmerzen einer gefolterten Menschheit begreifen. Es gibt Stellen in diesen Gedichten, wo Majakowski, im zweiten Kriegsjahr, nur noch tränenlos und mit heiserer, fast unhörbarer Stimme hervorstoßen kann:

Mutter!
Ich kann nicht mehr singen!
Die Chöre des Herzens qualmen wie Lunte.

Darum gerade wird in den Gedichten, in denen persönliches mit weltweitem Leid verschmilzt, die Dichtung des Sozialismus geboren. Seine Arbeit ist für Majakowski eine ernste, eine tragische Sache: er erblickt sich selber, mit Worten auf Papier genagelt; aber er sieht in seiner eigenen nur die allgemeine Tragödie und wird zum Rebellen, und auch dann keineswegs zum verzweifelten Abenteurer, sondern zum verzückten Propheten, der, nachdem er die Verruchtheit des Imperialismus durchschaut hat, den kommenden Menschen besingt, jenen Menschen, der dem Reich „Leprosorien“ entronnen ist.
Im Oktober 1915 war Majakowski zum Militär eingezogen worden. Wir besitzen eine wichtige Äußerung von ihm über diese Epoche. „Eine lausige Zeit“, schreibt er, „ich winde mich durch und zeichne Vorgesetztenporträts. In meinem Kopf reift ,Krieg und Welt‘, in meinem Herzen ,Der Mensch‘.“
Der Kopf ist dem Herzen voraus. Was in der „Wolke“, der „Wirbelsäulenflöte“, im „Menschen“ anklingt, ist in „Krieg und Welt“ gedacht, gewußt. Majakowski hat gewisse Illusionen über den Charakter des imperialistischen Krieges – dem er übrigens von Anfang an mit Abscheu gegenüberstand – verloren; sein revolutionärer Optimismus ist gewachsen. Nirgendwo sonst finden wir eine so wuchtig-polyphone Abrechnung mit den Kriegsverbrechern, nirgendwo sonst begegnen uns hinreißender die Geschöpfe der Zukunft. Wir wissen, daß Majakowski in diesen Jahren sehr viel Whitman gelesen hat, und wir finden ohne Mühe Anklänge an den großen amerikanischen Dichter einer echten menschlichen Demokratie. Aber ich behaupte, daß Majakowski seinen Vorgänger bei weitem übertrifft in der Erkenntnis der realen Kräfte und Gegenkräfte der Zeit, in der Macht der poetischen Beschwörung, im Strahlen der Wirklichkeit werdenden Utopie. Von hier an darf Majakowski mit Recht von sich sagen, daß er ein „Bolschewist der Kunst“ sei; von nun an versteht es sich, daß Majakowski die Oktoberrevolution als seine Revolution ansieht und in den Smolny zur Arbeit geht. Von diesen Gedichten aus führt ein gerader Weg zu den Dichtungen „Wladimir Iljitsch Lenin“ und „Gut und Schön“, in denen Majakowski zehn und zwölf Jahre später sein Höchstes geben wird, in denen er einen neuen Abschnitt der Zukunft visiert. Jener Zukunft, deren er damals schon so sicher ist, daß er uns in den frühen Versen von „Krieg und Welt“ zurufen kann:

Wälz der Verzweiflung Lawine von der Brust,
Entfeßle den Tastsinn fürs kommende beßre Sein!

Stephan Hermlin, Vorwort

 

Dieser Band umschließt die frühen Gedichte

des jungen Majakowski. Ihre Entstehungszeit fällt in die Jahre des ersten Weltkrieges. Ihn attackiert der Dichter mit aller Stimmgewalt und Leidenschaft, die ihm zu Gebote stehen. Schon sie kennzeichnen Majakowski als eine sich außerhalb des Gewohnten und des herkömmlichen entfaltende Begabung und als den zukünftigen bedeutendsten Lyriker der Sowjetepoche. Mit ihrer sprachlichen Kühnheit, ihrem ungeheuerlichen Pathos und mit ihrer fast die Zeilen sprengenden Bildkraft sind die Gedichte ein Ereignis in der Entwicklung der sowjetischen Lyrik. Sie galten bisher als unübersetzbar. Die Leistung des Übersetzers, A.E. Thoß, mag daran ermessen  werden.

Verlag Volk und Welt, Klappentext, 1949

 

„Papier für die Lebenden!“

1
Majakowski hat nicht „Widmungskitt und Memoirenkitsch“ verhöhnt, damit wir die jetzt wieder unverdrossen an unsere „Gedächtnisgitter“ klatschen, Dem Denkmäler bauen? Aus welchem Material wohl? Und sowieso: „Ich legte drunter Dynamit…“ Es sei denn, man erinnerte sich, daß er den Ozean zum Freund hatte, den „älteren Bruder der Revolution“. Es sei denn, man nähme diesen Vers zum Entwurf:

Wär zufällig
aaaaaich
aaaaaaaadie Vendomesäule, –
ich heiratete
aaaaaden Konkordiaplatz.

Es sei denn, man hielte sich an sein Einverständnis mit einer Lösung, von der er schrieb:

Neu und schön fand ich das Cervantes-Denkmal, eine Kopie desjenigen von Sevilla. Ein erhöht gelegener Platz, rundherum steinerne Sitzbänke, in der Mitte ein Springbrunnen, sehr vonnöten bei der mexikanischen Hitze. Bänke und niedrige Wände sind belegt mit Fliesen; darauf einfache Darstellungen in der Art der Volksbilderbogen, die die Abenteuer Don Quijotes erzählen. Klein zu beiden Seiten – der Don und Sancho Pansa. Kein Bildnis des schnurr- oder spitzbärtigen Cervantes. – Statt dessen zwei Schränkchen mit seinen Büchern…

So nur – inmitten der Erfindungen seiner Phantasie, zu ebener Erde – werden wir mit Majakowski reden können. Er war nicht der Freund des Ozeans und als Vendomesäule nicht verliebt in den Konkordiaplatz, damit wir seine Riesengestalt anstaunen, sondern damit wir unsere Zaghaftigkeit aufgeben und mit ihm und vor allem mit uns nicht anders umgehen als er mit den Elementen, Bauwerken und Dichtern:

Ich weiß noch:
aaahier war ich einst
aaaaaaSchota Rustaweli
und liebte
aaadie Königin
aaaaaaTamara.

2
Majakowski ging gegen angesichts „kleiner Tatsachen Alltagstop“, gegen „Scheinliebe der Glucke. Kleinliebe des Kückens“ und gegen die üble Nachrede :

Merkt auf, ihr Leser!
aaaaaBleibt unverdorben!
Sagt jemand,
aaaaaich wäre mit Churchill intim
und hätte um Coolidges Tante geworben,
so bitt ich:
aaaaamißtraut nicht mir,
aaaaaaaaaasondern ihm!

Aber er hat die konkreten Schwierigkeiten seiner Tage nicht metaphorisch überrannt: sein Gedicht verhandelte die Angelegenheiten der Stunde, „Tamara und der Dämon“ (1924) zum Beispiel ist nicht nur (was viel wäre ohnehin) die grimmig-fröhliche Umkehrung der altes Legende von der männermordenden Fürstin, mündend in ein Gelage, an der auch Lermontow teilnimmt (der das Sujet vor neunzig Jahren schon einmal verwendet hatte), sondern gleich noch ein origineller Lokaltermin in den aktuellen Kunstdebatten. Jessenin kommt vor, der betrunken auf der Polizei krackeelt hatte. Pasternak – der „schreibtolle Exarch“. P.S. Kogan, der „Kunstwart“ – er war bis 1929 Präsident der Staatlichen Akademie der Kunstwissenschaften. Und Lunatscharski, dem der Sprecher des Gedichts zutraut, er hätte den brausenden Terek, den „Heidenspektakel“ eigens „hier / organisiert / auf der Reise ins Bad“. Wir haben gut lachen. Die Leute lebten und waren im Amt.
Freilich gab es für diesen souveränen, gleichberechtigten Umgang eine Bedingung: man durfte mit sich selbst auch nicht zimperlich sein. Das höre man sich an:

Da steh ich,
aaavon Bedauern und Wut durchrauscht,
daß die wildschönen
aaaaaaaaaFelsregionen
in blöder Verblendung
aaaaaaaaaich
aaaaaaaaaaaaumgetauscht
gegen Rummel,
aaaRuhm,
aaaaaaRezensionen
Mein Platz
aaawär hier,
aaaaaanicht in Schöngeist-Revuen,
ich pfiffe
aaaauf Zeilenhonorare –
und heulte,
aaabis daß die Stirnadern glühn,
und risse
aaaam Draht der Gitarre.
Ich kenn meine Stimme:
aaaaaaaaaaaaein scheußlicher Ton,
doch ein unüberhörbares
aaaaaaaaaaaaRöhren.

3
Majakowski ging gegen die dämonische Attitüde, gegen die „religiöse Anbetung“ der Kunst, gegen die kleinliche Besorgtheit um das bißchen Originalität. Aber er hat die Poesie nie für rational auflösbar gehalten, und er hat verbissen gekämpft gegen lediglich angemaßte Poesie.
Sein Nachruf auf Welemir Chlebnikow, der sein Lehrer war und von dem er sagte, seine Biographie sei „ein Beispiel für die Dichter und ein Vorwurf für poetische Geschäftemacher“, schloß: „Hört – doch endlich auf mit den Hundertjahrfeiern und den Ehrungen in Ausgaben nach dem Tod! Aufsätze über die Lebenden! Brot für die Lebenden! Papier für die Lebenden!“
Majakowskis Parteilichkeit ist nicht zu trennen von seiner professionellen Bewußtheit. Die vielgerühmte Experimentierarbeit am Vers, das „Gebrumm“ des „Tonstroms“, die Suche nach dem „komprimierten, konzentrierten, sparsamen Wort“ – das alles ist so sehr an sein Gesamtverständnis von der Funktion des Dichters, von der unbedingten Öffentlichkeit aller Angelegenheiten der Gesellschaft gebunden, daß es nur ganz neu, das heißt auf anderen Wegen erreicht werden kann, wenn eine Majakowski-Nachfolge nicht im Sumpf der Epigonalität landen soll. Und die Anstrengung solcher Wege, ihr Risiko, ihre Ungebahntheit hat Majakowski uns beschrieben:

Unbekannt, woher dieses grundlegend dumpfe Getön kommt. Für mich bedeutet es jederlei innern Widerhall eines Tones, eines, Geräuschs, einer Schwingung oder sogar im allgemeinen den wiederholenden Nachhall einer jeden Erscheinung, welcher ich tönenden Ausdruckswert beimesse. Einen Rhythmus kann das Rauschen der immer wiederkehrenden Meeresbrandung auslösen, ebenso das Hausmädchen, das allmorgendlich die Tür zuwirft, was in ständiger Wiederholung lärmvoll durch mein Bewußtsein klappert; schließlich sogar die Umdrehung der Erde, die bei mir, wie in einem Laden für anschauliche Lehrbehelfe, karikierenderweise, mit dem pfeifenden Auf- und Abschwellen des hierbei erzeugten Windes behaftet ist.
Das Bestreben, die Bewegung zu organisieren, die Geräusche ringsum zu ordnen, ihren Charakter, ihre Eigentümlichkeit herauszufinden, ist eines der Hauptanliegen aller dichterischen Arbeit: die rhythmische Vorfabrikation.

4
Majakowski ging gegen die Einebnung der dichterischen Subjektivitäten. Er hat sein Licht nie unter den Scheffel gestellt. Seine Nachwirkung berechnete er auf „dreihundert Jahr“. Und im gleichen Gedicht – „Gespräch mit dem Steuerinspektor über die Dichtkunst“ – heißt es vernichtend:

Diese
aaaheutigen
aaaaaaOden und Gedichte,
umbrüllt vom Jubel,
aaaaaaaaavom Klatschen umkracht,
gehn einst
aaaals Spesen
aaaaaaein in die Geschichte
dessen,
aaawas zwei, drei von uns
aaaaaaaaavollbracht.

Und doch kam er nicht allein und kam nicht ohne Kämpfe. Heute sieht es gelegentlich so aus, als habe er angesichts des bedauernswerten Zurückbleibens von Legionen anderer Dichter allein die Bürde der Erneuerung getragen, Sicher: Schon die Zeitgenossen waren geneigt, in ihm, wie Boris Pasternak, den „Gipfel der poetischen Situation“ zu sehen (vor der Revolution), und selbst Anna Achmatowa, die Majakowski 1921 fast aus der russischen Poesie „hinausgesäubert“ hätte. schrieb 1940 im Gedicht „Majakowski im Jahr 1913“:

Was du berührtest. schien anders
Als es bisher war. An dessen Zerstörung
Du gingst, zerstört liegts, In jeglichem Wort
Pulste das Urteil.
(Deutsch von Rainer Kirsch)

Doch lebhaft sollten wir uns für die Situation interessieren, deren „Gipfel“ Majakowski war und für das, „an dessen Zerstörung“ er ging. Es war eine menschenfeindliche Welt. 1916 hieß es in „Billiger Ausverkauf“:

Ihr Leute!

Stampft, staubt! dürft Boulevards, Kornfelder zertreten
Rennt, lauft! von Ecken und Enden unsres Planeten:
denn heute grad
wird auf der Nadeshdinskaja
zu Petrograd
die kostbarste Krone gratis verkauft.

Nicht wahr?
als Preis für ein menschliches Wort –
spottbillig, zumindest!
Nun los, geh,
mach den Versuch
mach den Versuch,
tja, such:
wo du es findest!

Umgebung und Vorarbeit zeigen Majakowski in einem ständigen Austausch mit Gleichgesinnten und Kontrahenten. Dir Kunstarbeiter seiner Umgebung waren dabei keine „Unter-Majakowskis“, sondern selbständige, auf ihre Weise störrische und in ihre Sache verliebte Leute: Der Dichter und Maler David Burljuk, der frühe Futurist, der Majakowski „entdeckte“ und später in den USA sozialistische Kunst machte. Der Dichter Sergej Tretjakow, der nach 1930 den deutschen revolutionären Künstlern Brecht, Eisler, Heartfield, Piscator, Becher, Wolf und Graf durch die Demonstration der eigenen Arbeitsweise auch Majakowski handhabbar machte. Der Regisseur Wsewolod Meyerhold, der Stücke Majakowskis Stücke Mysterium buffo, Wanze und Schwitzbad inszenierte. Doch Verbündete hatte er auch bei den Fotomonteuren – Alexander Rodtschenko, bei den Dokumentaristen des Films – Dsiga Wertow, bei den Komponisten Sergej Prokofjew und Dmitri Schostakowitsch, bei den Karikaturisten – die Kukryniksy, bei den Literaturwissenschaftlern – Viktor Schklowski und Juri Tynjanow (die freilich verkappte Schriftsteller waren).
Waren die Freunde schon anders, wie anders waren erst seine Opponenten. Und nicht um das Literatengezänk ging es da natürlich, sondern um die grundsätzliche Zugehörigkeit zur sozialistischen Literatur. Im Juli 1930 erschien Majakowskis Name nicht im Rapport der proletarischen Schriftsteller der RAPP (deren Mitglied der Dichter kurz vor seinem Selbstmord geworden war) an den 16. Parteitag der KPdSU. In dem in der Literaturnaja gaseta veröffentlichten Protest Bruno Jasienskis vom Internationalen Büro für revolutionäre Literatur gegen diese Diskriminierung wird zugleich darauf hingewiesen, daß eine parallel erschienene Bilanz der proletarischen Literatur ohne die Namen Demjan Bedny, Wsewolod Wischnewski, Majakowski, Besymenski und Gladkow sei. Doch auch unmittelbar unter den Dichtern gab es scharfe Debatten um den ergiebigen Weg. So warf zum Beispiel Ilja Selwinski Majakowski vor, er versäume über seiner Jagd nach Aktualität (slobodnewnost) das eigentlich Zeitgenössische (sowremennost), vernachlässige die philosophische Sinngebung der geschichtlichen Vorgänge.
Diese schwierigen Kämpfe um die Arbeitsweisen und das Selbstverständnis des sozialistischen Schriftstellers gehören zum Bild des Dichters und müssen um so genauer überliefert werden, je weiter wir uns von ihnen entfernen. Noch 1934 auf dem Ersten Unionskongreß der Sowjetschriftsteller war Majakowski heftig umkämpft. Nikolai Bucharin, der das Hauptreferat über die Entwicklung der sowjetischen Poesie hielt, orientierte auf die Sprachkultur Boris Pasternaks und Ilja Selwinskis. Die Freunde Majakowskis -Nikolai Assejew und Semjon Kirssanow, aber auch junge Dichter, etwa Alexej Surkow, widersprachen, 1935 erst übte dann Stalins Satz, Majakowski sei und bleibe der beste und begabteste Dichter der Sowjetepoche, den entsprechenden Eindruck aus. Man begreift das Komplizierte dieser Entscheidung, die mit der Durchsetzung Majakowskis auch seine Kanonisierung einleitete, wenn man sich erläuternder Sätze Boris Pasternaks aus seiner Autobiographie Menschen und Situationen erinnert:

Es gab zwei berühmte Sätze über die Zeit. Daß man besser, daß man fröhlicher lebe und daß Majakowski der beste und begabteste Dichter der Epoche sei und bleibe. Für den zweiten Satz dankte ich dem Autor in einem persönlichen Brief, weil er mich vor dem Aufblasen meiner Bedeutung bewahrte, dem ich Mitte der dreißiger Jahre zur Zeit des Schriftstellerkongresses ausgesetzt war. Ich liebe mein Leben und bin mit ihm zufrieden. Ich brauche keine zusätzliche Vergoldung. Ein Leben außerhalb der Verborgenheit und Unbemerkbarkeit, ein Leben im Spiegelglanz der Ausstellungsvitrine ist für mich undenkbar.

Majakowski wurde dann zwangsweise eingeführt, wie die Kartoffel zur Zeit Katherinas. Das war sein zweiter Tod. An dem ist er unschuldig.

Zugespitzt weist Pasternak auf das wichtigste Problem der Majakowski-Nachfolge: Wer ihn aus den Kämpfen seiner und unserer Zeit herauspräpariert, beraubt ihn seiner Kraft.

5
Majakowski war gegen das Geschäker mit der Tragik, aber für die große Ausbildung der Empfindungen. Er war nicht der Meinung, daß mit der Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaft unsere Empfindungen und die unserer Dichter in einer lauen Mitte zusammenfallen würden, sondern immer kräftiger hervorzubringen seien. Dies zu verteidigen schrieb er seine Stücke Wanze und Schwitzbad, die bei uns zu wenig gespielt werden, und die Satiren der ausgehenden zwanziger Jahre, deren einige im ersten Band der fünfbändigen Majakowski-Ausgabe des Verlags Volk und Welt zu lesen sind, Stücke und Gedichte waren eine Verteidigung der revolutionären Phantasie gegen das „Grinsen“ alter und neuer Spießer, von dem Lenin 1917 in Staat und Revolution geschrieben hatte:

Vom bürgerlichen Standpunkt aus fällt es leicht, eine solche Gesellschaftsstruktur als ,reine Utopie‘ hinzustellen und darüber zu grinsen, daß die Sozialisten jedem das Recht zusichern, von der Gesellschaft ohne jegliche Kontrolle über die Arbeitsleistung des einzelnen Bürgers eine beliebige Menge Trüffeln, Automobile, Klaviere u.a.m. zu erhalten. Die meisten bürgerlichen ,Gelehrten‘ beschränken sich bis auf den heutigen Tag auf dieses Grinsen und verraten dadurch nur ihre Unwissenheit und ihre eigennützige Verteidigung des Kapitalismus.
Unwissenheit, denn es ist keinem Sozialisten je eingefallen, zu ,versprechen‘, daß die höhere Phase der Entwicklung des Kommunismus eintreten wird; die
Voraussicht der großen Sozialisten aber, daß sie eintreten wird, hat nicht die heutige Arbeitsproduktivität und nicht den heutigen Spießer zur Voraussetzung.

Für diesen Kampf freilich bedürfe es der Integrität: Man habe, schrieb Majakowski 1926, mehr gegen das Wort „Bohème“ gekämpft als gegen die Sache, denn Karrierismus und Ränkemacherei lebten fort. Doch:

Sogar die Kleidung des Poeten, sogar die Art des häuslichen Gesprächs mit seiner Frau sollten anders sein, nämlich geprägt durch den Inbegriff seiner poetischen Produktion.

Das allein, diese Einheit von Mann und Vers, für die er mit dem Leben einstand, machte Majakowski zum Vertrauensmann der Sozialisten in seinem Land und in der Welt, der noch auf seinen Paß einen Vers machen konnte:

Mit Wolfszähnen wollt ich
aaaden Amtsschimmel
aaaaaafassen,
ich spotte
jedes gestempelten Scheins.
Jeden Aktenwisch
aaawürd ich dem Teufel überlassen
jedes Amtsformular.
aaaBis auf eins…
Das will ich
aaaaus breitem Hosenbausch
aaaaaaziehn –
meines Daseins
aaaunschätzbaren Lohn
Da, lest,
aaabeneidet mich,
aaaaaaseht,
aaaaaaaaawer ich bin:

Bürger der Sowjetunion.

Fritz Mierau, Sinn und Form, Heft 1, Januar/Februar 1975

 

MAJAKOWSKI IM JAHR 1913

Nicht dich im Ruhm kannt ich, ich erinnre
Mich an den Aufgang nur, deinen stürmischen, doch
Kann sein das ist mein Recht, ich lenk die Erinnrung
Auf jene Jahre, die fern sind.
Kraftvoller schlugen die Töne, neue
Stimmen schwirrten im Vers, die jungen
Hände, nicht faul: dräuende
Gerüste richteten sie auf.
Was du berührtest, schien anders
Als es bisher war. An dessen Zerstörung
Du gingst, zerstört liegts. In jeglichem Wort
Pulste das Urteil.
Einsamer du, selten zufrieden, du triebst
Das Schicksal voll Ungeduld, immer
Wußtest du: bald, heiter
Zogst du zum großen Kampf, frei.
Und schon, wir hörtens im Widerhall, dumpf brausend,
Trugst du Gedichte vor, Flut,
Zornig schielte der Regen, ungestüm
Gingst du mit der Stadt in den Streit.
Und, noch niemals gehörter, flog dein
Name, Blitz in den stickigen Saal;
Heute, vom ganzen Land bewahrt,
Tönt er wie ein Signal zum Kampf.

1940

Anna Achmatowa
Übersetzung: Rainer Kirsch

 

MAJAKOWSKI IM JAHRE 1913

Hab’ dich nicht gekannt in Ruhmestagen,
Kenn’ nur deinen stürmischen Beginn;
Heute aber möchte ich es wagen:
Rufe Tage auf, die lang schon hin.
Deine Verse härteten sich stetig,
Neue Stimmen strömten da zuhauf…
Deine Hände waren immer tätig,
Zogen drohend Baugerüste auf.
Alles, was berührt von deinem Finger,
Blieb nicht, wie es war vor deiner Zeit;
Was von dir zerstört – zerstört blieb’s immer,
Urteil sprechend stand dein Wort bereit.
Einsam oft und oftmals unzufrieden,
Sehntest du dein Schicksal rasch herbei,
Wußtest: bald nun würdest du dich üben
In dem großen Kampfe froh und frei.
Antwort kam schon von der Fluten Tosen
In den Versen, als du sie uns last;
Selbst der Regen schien sich zu erbosen,
Mit der Stadt hast du im Streit gerast.
Und dein Name, den noch niemand nannte,
Flog als Blitz in jenen schwülen Saal,
Bis man ihn im ganzen Lande kannte.
Heute tönt er als ein Kampfsignal.

3.–10. März 1940

Anna Achmatowa
Übersetzung: Kay Borowsky

 

WLADIMIR MAJAKOWSKIJ 1913

Kannt’ ich Dich auch nicht im Glorienscheine,
Wußt’ nur wie Du aufbrachst, sturmbereit,
Darf ich doch erinnern, wie ich meine,
Heut’ an jenen Tag aus ferner Zeit.

Kraftgeschwellte Töne sprengten Wände,
Neue Laute drängten sich zuhauf;
Unermüdlich türmten junge Hände
Ungeheure Baugerüste auf…

Das was Du berührt, verlor den Schimmer,
Nichts verblieb an seinem alten Ort;
Das was Du zerstörtest, blieb’s für immer,
Unerbittlich Urteil jedes Wort.

Einzelgänger warst Du, unzufrieden,
Triebst das Schicksal selbst zur Eile an;
Wußtest, eh der große Streit entschieden,
Trittst Du frei und heiter in die Bahn.

Und der Sturmflut Heulen, laut vernehmlich
Kündet jedes Wort, das Du uns sprachst;
Regen schielt’ aus schrägen Augen grämlich,
Als die Ruh’ der Stadt Du zornig brachst.

Und ein Name, unbekannt, ein neuer
Blitzgleich flog er durch den dumpfen Saal;
Heut bewahrt das ganze Land ihm Treue,
Damals dröhnt’ er laut – ein Kampfsignal…

(1940)

Anna Achmatowa
Übersetzung Xaver Schaffgotsch

 

Christine Gölz: Wladimir Majakowski

Zum 85. Geburtstag von Wladimir Majakowski:

Fritz Mierau: Majakowski lesen
Sinn und Form, Heft 3, Mai/Juni 1978

Fakten und Vermutungen zum Autor + Erinnerungen + Tribute +
IMDb + Pennsound

 

Wladimir Majakowski – Dokumentarfilm Teil 1/2.

 

Wladimir Majakowski – Dokumentarfilm Teil 2/2.

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