Die Kaffeehausmusik aus Smyrna und die klassische Epoche des Rebetiko des Piräus
(von Rihno Rhinozeros)
"Internationale Vereinigung gegen Sprachverhunzung!"
Aus Tiefe der längst versunkenen Zeit tauchen die
saftig-triefenden Lieder aus dem einstmals prachtvollen Smýrna und die deftigen
Musikanten des Piräus auf
Fragt ein Grieche einen Ausländer, was ihm zur griechischen
Musik einfällt, so wird der Hellene nicht selten Folgendes zur Antwort
erhalten: Sirtáki, Bousóuki, Theodorákis.
Aber ist das wirklich alles? Jene mitunter höchst
schmalzige Musik, die man beim Verzehr von Giros oder Souvlaki beim Griechen um
die Ecke mitserviert bekommt?!
Im Zuge aufkommender Popularität von sogenannter "Weltmusik", (ich
sage ganz bewusst lieber "Volksmusik" dazu), stößt der Interessierte
möglicherweise auf das Rebétiko. Aber selbst wenn man soweit vorgedrungen ist,
besteht immer noch die Gefahr, mit einem Abklatsch dieser populären
griechischen Musik konfrontiert - um nicht zu sagen - betrogen zu werden. Diese
oder jene "Kompania" (sagen wir einmal Gruppe) gibt Rebetiko von so und
so zum Besten - und wiederum haben wir es wahrscheinlich mit kitschigen Klängen
zu tun, die einzig und allein höchstens Urlaubsreminiszenzen zu wecken imstande
sind.
Demjenigen allerdings, der doch zwischen Tzatziki und
Bousouki unterscheiden möchte und ein wenig tiefer schürft, erschließt sich
im Rebetiko eine neue musikalische Dimension.
Selbst die Griechen wissen bisweilen nur wenig über das wirkliche Rebetiko,
bzw. es wurde ihnen nur wenig zu wissen erlaubt. Wie anders ist es erklärbar,
dass bis heute nur ein einziges ernsthaftes, von einem Griechen verfasstes
Standardwerk zu den Rebetika existiert.
Sein Verfasser, Ilías Petrópoulos, ein Intellektueller, (im besten Sinne - wenn
es den überhaupt gibt - des Wortes!), und Journalist, (in diesem Fall ist diese
Verknüpfung erstaunlicherweise sogar gegeben), wurde für dieses Werk besonders
in Griechenland von konservativen Kräften angefeindet - und man fühlte sich
bisweilen in die Zeiten der Metaxásdiktatur, oder auch der Militärjunta
(1967-1974) versetzt, wo alles, was mit Rebetiko zu tun hatte, als Kriminellen-
und Rauschgiftkultur, oder aber - wohl am "verwerflichsten" - als türkisch
bezeichnet worden ist.
Jawohl, als türkisch - wobei eine der wichtigsten Wurzeln dieser Musikrichtung
tatsächlich in der heutigen Westtürkei zu finden ist.
Oben erwähnte nationalistisch-reaktionäre Kräfte sind dafür mitverantwortlich, dass 1922 ca. 1,5 Mio. Griechen
ihre ca. 2500 Jahre alte Heimat verlassen mussten - soweit ihnen überhaupt noch
eine Flucht aus dem sogenannten "Kleinasien" gelang. Der "Großgriechische"
Größenwahn wurde 1922 in Smyrna ein Raub der Flammen. Zurück blieb ein ungeheurer
Flüchtlingsstrom, der im Mutterland Griechenland, das nach dem verlorenen Krieg
mit der Türkei wirtschaftlich ohnehin ausgeblutet war, nicht einmal ansatzweise
zu bewältigen und zu integrieren war - und das nur deshalb, weil gewisse Kreise
in Griechenland sich eingebildet hatten, diese Urgriechen heim ins Reich führen
zu müssen und dabei - so quasi im Vorübergehen - ein Griechenland der zwei Kontinente
und der fünf Meere schaffen zu können. All das erwies sich als unglaublicher
Trugschluss.
Jenes westtürkische Gestade mit dem Zentrum Smyrna (griech. Smírni), dem heutigen
Izmir, bildete einen Schmelztiegel verschiedenster Ethnien und Kulturen. Ironie
des Schicksals ist es wohl auch, dass selbst die Türken Smyrna - aus ihrer Sicht
- als ungläubige Stadt bezeichneten, zumal so viele nicht-muslimische Bevölkerungsgruppen
in ihr beheimatet waren (Griechen, Armenier,
Juden, andere Europäer etc.).
Dieses Smyrna war zu dieser Zeit eine blühende Hafenstadt
mit einem ausgeprägten Kulturbetrieb. In ihr erreichte nicht nur die
levantinisch-orientalische Kunst eine Hochblüte, sondern man war auch durchaus
westlichen Kultureinflüssen gegenüber offen.
Die Griechen in den westtürkischen Städten hatten sich damals nicht nur als Händler
einen ausgezeichneten Ruf erworben, sondern darüberhinaus gab es viele
erstklassige und ernsthafte (Berufs-)Musiker, die ihre Künste zumeist in den
Kaffeehäusern zum Besten gaben. Diese Kaffeehäuser waren im Gegensatz zu denen
im Mutterland, (auf dem Lande sind sie es zum Teil auch heute noch!), ein Ort,
den der kleinasiatische Grieche mit der ganzen Familie - also auch mit Frau
(sic!) und Kindern aufsuchte, um sich zu unterhalten. Eine Gepflogenheit, die im
patriarchalischen Griechenland gänzlich undenkbar war. (Das Kaffee als reiner Männertreff!)
In diesen Cafés traten Sänger und Sängerinnen auf, die sich von
orientalischen Instrumenten begleiten ließen. Solche Instrumente waren
beispielsweise die türkische Saz, (ein langhalsiges lautenartiges Instrument),
oder das Baglamá, (sagen wir, eine kleinere Version der Saz), natürlich auch
klassische orientalische Instrumente wie das Oud oder das zitherartige Kanon.
Zu dieser Zeit wurde selbstverständlich auch in Griechenland musiziert: Dort gab es eine
Art "fahrende Sänger", die von einer Taverne zur anderen zogen, bzw.
für eine gewisse Zeit ein Engagement annahmen und dann weiterzogen. Diese
Volksmusik war eher von den byzantinischen, liturgischen Gesängen bzw. von den
Revolutionsliedern des Unabhängigkeitskrieges von 1821 gegen die Türkei
beeinflusst.
Zumal, wie schon weiter oben erwähnt, diese Auftrittsorte eindeutige Männertreffpunkte
waren, herrschte in diesen Kneipen meistens ein rauerer Umgangston als im smyrnäischen
Kaffeehaus. Nicht selten waren diese Tavernen auch ein Anziehungspunkt für
gesellschaftliche Außenseiter, um nicht zu sagen auch für Zuhälter und
Kriminelle kleineren und größeren Kalibers. Vor allem die Zuhälter prägten
mit ihrem extravaganten äußeren Erscheinungsbild jenes Ambiente, in dem
musiziert wurde.
Eine punktgenaue Definition des Begriffes Rebétis haben
selbst die Griechen nicht geschafft.
Wahrscheinlich ist der Begriff, von dem sich letztlich der
Ausdruck Rebétis herleitet, türkischen Ursprungs und bezeichnet einen "Außenseiter",
oder "Rebell", einen "Unangepassten".
Eine andere Wurzel des Wortes "Rebétis" könnte auch im Persischen zu
finden sein: "Ru-beit" (pl. Rubayat) bedeutet Vierzeiler. Demnach ist
der Rebétis im Persischen schlichtweg ein "Liedermacher". Berühmt
ist die Rubayat des großen persischen Dichters Omar Khayam. Es sind durchwegs
Wein- und Tavernenlieder.
Während im türkischen "rebet" dem Rebetis zumindest noch
"Unbezwungenheit", "Unbändigkeit" zugebilligt wird, so
verkommen schließlich im Griechischen die Rebetes kurzerhand zu Strolchen und
Vagabunden, der halbseidenen und Unterwelt zugehörig. Andere Bezeichnung für
dasselbe sind: Mángas (pl. Mánges), Koutsaváki.
Das Rebetiko (pl. Rebétika) kann also als musikalische
Ausdrucksform einer städtischen Subkultur Griechenlands angesehen werden, als
eine Art musikalischer Schmelztiegel. (Einflüsse aus Byzanz, Persien und
Arabien.)
Im Vorspann des preisgekrönten
"Rebetiko-Films" von Kóstas Férris ist auch vom Drogenkonsum die Rede,
dem die Rebetes frönten. Dazu ist Folgendes zu sagen: Zu dieser Zeit wurde im
orientalischen Raum sehr häufig Haschisch konsumiert. In der Türkei war der
Konsum von Cannabis
ohnehin erlaubt, und auch in Griechenland wurde er anfangs nicht verboten. Es
ist weiters auch ein Faktum, dass nur ein einziger berühmter Rebetiko-Musiker
in Griechenland harten Drogen verfiel und daran zugrunde ging. Alle Anderen
haben zwar eifrigst geraucht, wurden dafür mitunter auch eingesperrt, exiliert,
zumindest aber verfolgt, letztlich aber sollte auch dieser Makel im Kontext
der damaligen Zeit und Gewohnheiten gesehen werden und nicht nur immer von reaktionären
Kreisen als einer der Hauptgründe verwendet werden, um diese Musik zu diffamieren.
Nach der Niederlage der Griechen im Krieg gegen die Türkei
und der Vertreibung der kleinasiatischen Griechen ins Mutterland kamen ehemalige
Musiker der Westtürkei mit ihren griechischen "Kollegen" im
Mutterland in Kontakt. Aus dieser Berührung entwickelte sich nach und nach das
"Piräus-Rebetiko", welches als die goldene Zeit dieser Populärkultur
angesehen werden muss. Die griechischen Musiker bewunderten ihrerseits den hohen
Standard ihrer ehemalig kleinasiatischen Kollegen, und diese wiederum entdeckten
zumindest musikalisch neue Facetten; z.B. das griechische Instrument schlechthin
- das Bousóuki.
Ich habe schon zuvor die verschiedenen türkischen Instrumente erwähnt, die
zweifellos mit dem Bousóuki in irgendeiner Form verwandt sind. Doch das Bousóuki
war ein Instrument, das aus der "Not" erschaffen wurde. Wenn nun
einmal ein Rebetis für irgendein mehr oder weniger grobes Delikt in den Knast
wandern musste, so vermisste er dort zumeist drei Dinge am meisten: Die Frauen,
die Musik und sein Haschisch. Haschisch war nur unschwer zu organisieren, und
war nun einmal der Rebetis bekifft, dann empfand er ungeheures Bedürfnis nach
musikalischer Ausdrucksform. Einerseits im Tanz - zumeist im schweren,
schleppenden Sebékiko, einem völlig improvisierten Einzeltanz, bei dem der Tänzer
seiner Fantasie der getanzten Figuren völlig freien Lauf lassen konnte. Dazu
aber brauchte er Musik, vor allem aber ein Instrument.
Der Grieche, seit jeher ein Meister der Improvisation, hatte damit nun wirklich
keine großen Schwierigkeiten: Ein ausgehöhlter Kürbis, eine Wassermelone, in
den/die man eine Holzstange hineintrieb, auf die man vier Saiten aus Gedärmen
spannte, und schon konnte es losgehen. Diese Instrumente konnte man leicht
herstellen, und ein Verlust bedeutete nicht viel, zumal die Materialien dazu sehr
leicht wieder beschafft werden konnten. Später ging man natürlich dazu über,
das gesamte Instrument aus Holz zu fertigen und mit Stahlsaiten zu versehen.
Leute, die sich im Gefängnis besondere Fertigkeiten im Bau derartiger
Instrumente erworben hatten, nützten das Erlernte natürlich sofort, sobald
sie wiederum in Freiheit waren, und etliche unter ihnen erwarben sich nach und
nach den Ruf von begnadeten Instrumentenbauern.
Besonders das kleine, wenn auch in seinem Tonumfang nur sehr bescheidene Baglama,
war im Knast sehr beliebt, zumal man es ja leicht verstecken konnte.
Die
kleinasiatischen Griechen waren spätestens seit ihrer Vertreibung aus ihrer
Heimat Kummer mehr als gewohnt: Sie hatten praktisch all ihr Hab und Gut auf
der Flucht verloren, wurden von der griechischen Regierung zumeist in der Gegend
von Piräus in miesen Quartieren untergebracht und mussten nunmehr mit einem
anderen Publikum vorlieb nehmen. Auch waren ihre Auftrittsorte nicht mehr die
mondänen Cafés von Smyrna, sondern eher die Haschkneipen im Piräus, die sogenannten
Tekédes. Die
Tekédes waren nicht selten irgendwelche alte verfallene Häuser
oder gar Hütten, in denen Musiker und Publikum auf schlichten Holzstühlen saßen
und den Musikern lauschten.
Waren es gehobenere
Tekédes, so gab es auch einen Wirt, bei dem man Kaffee und
vor allem den Argilé bestellen konnte. Der Argilé war nichts Anderes als eine
aus einer Kokosnuss hergestellte Wasserpfeife, aus der Haschisch geraucht wurde.
Der Wirt sorgte dafür, dass die Pfeifen nie ausgingen, und man kann sich gut
die schwere
Atmosfäre vorstellen, in der dann musiziert,
gesungen und getanzt wurde. Das ging dann solange gut, bis irgend jemand alle
bei der Polizei verpfiff, selbige den Teke stürmte, Instrumente und Argiledes
zerschlug und alle Anwesenden wieder einmal in den Knast steckte. Kaum waren
sie wieder draußen, begann alles von vorne.
Mathesis und der Hades!
Der Zeichner eines typischen Bildes
war - obwohl ein Nichtmusiker - eine der eigenartigsten und prägendsten Gestalten
des Piräus.
Nicht nur als Zeichner begabt, sondern auch als Textdichter, vermochte er das
mitunter Deftige des Rebetikomilieus sehr treffend einzufangen. Obendrein mit
reichlich Organisationstalent ausgestattet, konnte dieser auf seine Art doch
feinsinnigere Mensch von einem Moment zum anderen sein zweites Wesen offenbaren:
Es hieß von ihm, dass er mindestens einen Menschen umgebracht hätte.
Er selbst hatte zu seinem eigenen Tod eine nicht uninteressante Haltung. Als
er im Alter von 68 Jahren bereits schwer von seiner "Hoheit Krebs, die
nunmehr in seiner Kehle regierte" - wie er es ausdrückte -, gezeichnet
war, lehnte er die Narkose für einen Eingriff mit der Begründung ab, dass er
wach sein möchte, um die letzten Schmerzens seines Lebens bei vollem Bewusstsein
zu genießen.
Und er hatte sie genossen. Dann verabschiedete er sich, da dort, wo er nun hinginge
- in
den Hades, schon die alte Garde seiner
Zeit- und Künstlergenossen bereit wäre und nur auf ihn warte.
So spricht Mathesis.
Mit der Zeit allerdings hatten es auch die hartgesottensten
Rebetes satt, dauernd zwischen Knast und Freiheit zu pendeln und besannen sich
ihres eigentlichen Berufes als Musiker. Die besseren Tekezídes, also diese
Kneipenwirte, verstanden es ihrerseits selbstverständlich, sich mit der Polizei
zu arrangieren, und so mussten sie nicht mehr so oft fürchten, dass ihr Laden
geschlossen würde.
Ende der 1930er-Jahre war das Rebetiko inzwischen auch in großen Teilen der
Bevölkerung dermaßen populär, dass zwischen Obrigkeit und Musikern bzw.
Lokalbesitzern ein mehr oder weniger stillschweigender Konsens gefunden werden
konnte. Das Rebetiko war mittlerweile so beliebt, dass man nicht darauf
verzichten wollte, selbst wenn man wusste, dass die meisten Rebetes immer noch
Haschisch rauchten, um sich zu inspirieren, - mit einem Wort - einen anderen
Lebensstil als der Durchschnittsbürger pflegten, wenn auch - wie zumindest in
einem berühmten Rebetiko gesungen wird, der Argile bisweilen in die bürgerlichen
Salons Einzug gehalten hatte und dort "im Geheimen" genossen wurde.
Besonders hervorgetan hat sich mit seiner Liebe zum Rebetiko und mit seinen zum
Teil sogar persönlichen Freundschaften zu Rebetes der Polizeichef von Saloniki,
Níkos Mouschoundís.
Als nämlich Mitte der 1930er-Jahre in Athen wieder einmal gegen die Rebetes
"scharf gemacht worden war", flüchteten sich viele von ihnen nach
Saloniki, wo ihnen von Mouschoundis bereitwillig "Asyl" gewährt
wurde. Dieser Mouschoundis war eine einmalige Erscheinung: Selbst ein
fanatischer Sammler von Rebetiko-Schellacks, (er besaß mit über 5.000
Schellacks eine der größten Privatsammlungen), gewährte er den Manges ein
Maximum an Freiraum, bzw. wusste er ganz genau, wie mit ihnen umzugehen war. Er
sprach ihre Sprache, kannte ihre Gepflogenheiten und wusste nahezu immer ganz
genau, was seine "Schützlinge" so trieben.
Während in Athen die scheinbare Wundermedizin der Firma
Bayer mit Namen "Heroin" bereits ihre ersten Opfer forderte, hatte
Mouschoundzis in der Drogenbekämpfung seine eigenen unorthodoxen Methoden. So
soll er eines Tages alle Drogenhändler Salonikis in sein Büro eingeladen haben
und ihnen Folgendes zu verstehen gegeben haben: "Haschisch könnt ihr auf
den Markt werfen. Wenn ich euch erwische, sperre ich euch einfach ein. Wen ich
aber mit Heroin erwische, der stirbt in den Kellern der Polizei." Und an
die Adresse einiger dreister Athener Dealer, die den Markt in Saloniki mit
Heroin überschwemmen wollten, meinte er, sie sollten sich wieder nach Athen
scheren und nie mehr wieder in Saloniki blicken lassen, andernfalls würde er
ihnen die "Eier ausreißen!". Und anscheinend verstanden sie die
Botschaft, denn zu dieser Zeit soll es in Saloniki niemals ein ernstes Problem
mit harten Drogen gegeben haben. Nachdem der Polizeipräsident dieses Problem
gelöst hatte, konnte er sich wieder ganz dem Genuss des Rebetikos hingeben, mit
vielen Größen des Rebetikos - unter Anderem auch Márkos Vamvakáris - in
seinem Büro allmorgendlich Kaffee trinken und - vom schlauen und berühmten
Musiker Vasílis Tsitsánis nicht ohne Hintergedanken forciert - selbigem als
Trauzeuge zur Seite stehen.
Wo Popularität erkennbar wird, dort bleibt auf längere
Sicht auch nicht die Verkommerzialisierung derselben aus. Endlich wagten auch
die Plattenfirmen, Rebetika aufzunehmen, was allerdings leider dazu führte, dass
auch viele Musiker erkannten, dass man damit eine schöne Stange Geld verdienen
könne, auch wenn dies nach und nach dazu führte, dass das Rebetiko immer
seichter wurde, immer leichter, bis letztlich oftmals nichts mehr davon übrig
blieb.
Auch wenn die Obrigkeit gegen die Rebetes und ihr Rebetiko wetterte, sie als
Outlaws und Drogenwirrköpfe abstempelte und einsperrte, so darf nicht übersehen
werden, dass schlussendlich diese dem Durchschnittsbürger zumeist mehr oder
weniger zwielichtig erscheinende Atmosfäre des Tekes dafür verantwortlich ist,
dass die Rebetika ihre Qualität erhielten - nämlich ihre unglaubliche
Spontaneität und Ungekünsteltheit, die Verkörperung urgriechischer
Eigenschaft: Sich dermaßen in den Schmerz hineinsteigern zu können, dass
dieser dadurch wiederum einigermaßen erträglich wird.
Die wirklichen Rebetika sind - wie es ein Rebetis einmal trefflich ausgedrückt
hat - einfache Lieder, geschrieben von Rebetes für Rebetes, bzw. für Personen,
die sich zumindest ein klein wenig in sie hineinfühlen können.
Rebetiko kann deshalb wohl niemals vollständig theoretisch erklärt oder
beschrieben werden - Rebetiko muss einfach gefühlt werden.
Die Weiterentwicklung des Rebetiko durch Maitre Vasilis
Tsitsanis
"Ich wünsche, als ein demütiger Schüler von Vasilis
Tsitsanis angesehen zu werden!" (Mikis Theodorakis, weltbekannter
griechischer Komponist und leider bisweilen auch Politiker)
"Tsitsanis erinnert uns daran, dass wir eine große
Kultur besitzen!" (Jannis Tsarouchis, berühmter griechischer Maler)
VASILIS TSITSANIS
(Geboren 1917 in Tríkala/Thessalien, gestorben in Athen 1984)
Der "Maitre" des Rebetiko schlechthin -
oder vielleicht sogar noch darüber hinaus. Niemand, der sich ernsthaft
mit dem Rebetiko auseinandersetzen will, darf über Tsitsanis
hinweggehen. Vasílis Tsitsánis war nicht nur ein Virtuose auf seinem
Instrument, dem Bousouki, sondern darüber hinaus auch der Komponist der
griechischen "Volksmusik".
Zwar ging auch er zunächst durch die harte Schule der
Unterweltskneipen und
Tekédes, doch hat er sich niemals wirklich innerlich mit
ihnen identifiziert, und er erkannte auch sehr bald die Begrenztheit in
musikalischem Ausdruck und Thematik, die diesem Milieu bisweilen innewohnte.
Tsitsanis, der ein wirklicher Vollblutmusiker war und neben dem Bousouki auch
sogenannte klassische Instrumente wie z.B. Violine beherrschte, wollte ursprünglich
gar nicht Musiker werden. Nach der Matura brach er nach Athen auf, um dort Jus
zu studieren und spielte eigentlich nur so "nebenbei" am Abend in
verschiedenen Lokalen.
Bald jedoch wurde die Öffentlichkeit auf ihn aufmerksam - und zwar auch ein
sogenanntes gehobeneres Athener Bürgerpublikum. Natürlich spielte auch die Zeit für
ihn. Während des Krieges und der deutschen Okkupation waren naturgemäß fast
alle Lokale geschlossen, und so widmete er sich in dieser Zeit intensiv dem
Komponieren, sodass er nach der Befreiung durch die Alliierten auf einen reichen
Fundus an Musikstücken zurückgreifen konnte, die er dann auch auf Platte
aufnahm. Durchwegs alles unsterbliche "Hits", die sich bis heute noch
- allerdings in verschiedenen Qualitätsgraden der Darbietung - größter
Beliebtheit erfreuen und dadurch unsterblich wurden.
Tsitsanis verließ vor allem nach dem Krieg mit seiner Musik
die "Heimstätten" des klassischen piräotischen Rebetiko, die
Tekédes,
Bordelle und Elends- und Kleinkriminellenlokale.
So bestritt er beispielsweise in einem Interview in den späten 1970er-Jahren,
jemals in seinem Leben selbst Haschisch geraucht zu haben - ein Umstand, der
relativ unwahrscheinlich erscheint, zumal er - trotz späterer Distanzierung von
diesem Umfeld - in dieser Umgebung "groß" geworden war und dort den
Grundstein für seine späteren Erfolge gelegt hatte.
Bezeichnenderweise - oder wie das Schicksal so oft treffend Regie führt - hat
es Tsitsanis wie zum Trotz doch gewagt, auf seiner allerletzten Aufnahme (1980)
mit dem Titel "I Litanía" ("Die Litanei") einige seiner ersten Rebetika
mit den Originaltexten, die sich eindeutig auf das ursprüngliche Milieu
bezogen, also explizite Kifflieder, aufzunehmen. Aber auch hier zeigte sich der
Weitblick des Meisters. So z.B. im Lied "Argile mou" ("Mein Argile") in
dem er singt, dass der Argile sich eines Tages aus seinem ursprünglichen Umfeld
des Tekes zurückziehen wird und auch in die Salons der Reichen Eingang finden
wird - so wie das Rebetiko selbst.
So singt er: "[...] jetzt spielen sie Kopf oder Zahl mit ihrem Leben, die
an der Nadel hängen. Die harten [Drogen], die jetzt in den Garconnieren
konsumiert werden, in der Gesellschaft mit dem Tod - oh Argile, der du dich aus
dem Teke davongemacht hast. [... ]"
Die strengen Drogengesetze im heutigen Griechenland, (auf das Rauchen eines
Joints stehen heute 2,5 Jahre härteste Gefängnisstrafe!), machten nicht einmal
vor der Popularität eines Tsitsanis halt: So wurde er sogar noch posthum für
seinen Titel "Das Schiff aus Persien" wegen Drogenverherrlichung
angeklagt. Dieser Alleingang eines übereifrigen Staatsanwalts löste jedoch
mehr Empörung als Verständnis innerhalb der Bevölkerung aus, noch dazu wo
sich Tsitsanis auf eine wahre Begebenheit stützte: Das Schiff
"Gloria" wurde mit elf Tonnen Haschisch aus Persien im Piräus
beschlagnahmt - darüber singt Tsitsanis. Einfach feststellend, erzählend,
weder Sympathie bezeugend, noch Anklage erhebend.
Wie dem auch immer sei, muss dennoch gesagt werden, dass Tsitsanis in seiner
Glanzzeit heikle - sowohl politische als auch gesellschaftliche - Themen
zugunsten virtuoser Musik und Komposition ausgespart hat.
Es sei an dieser Stelle freilich noch angemerkt, dass nach dem griechischen Bürgerkrieg
und dem Sieg der rechtskonservativen Kräfte über die kommunistischen
Widerstandskämpfer eine strenge Zensur eingeführt worden war, die alle auch
nur ansatzweise "zwielichtigen" - jedoch dieses Milieu so treffend
charakterisierenden - Texte verbot. Tsitsanis hatte daraufhin viele seiner
ursprünglichen Liedtexte umgeschrieben und entschärft. Dort, wo beispielsweise
im "Urtext" die Rede davon war, dass jemand, der Haschisch geraucht hatte, von
selbiger Substanz berauscht wurde, stand plötzlich statt des Wortes Haschisch: Ouzo.
Man könnte meinen, dass dies für die Musik an sich nicht so
wichtig sei, doch ganz stimmt dies nicht, denn die Einheit von Musik und Text
machte erst das "Aroma" des zwar schweren, doch gleichzeitig urwüchsigen Rebetiko aus.
Die Zensur sollte sich als geeignetes Werkzeug der Obrigkeit
erweisen: Man verbot das Rebetiko nicht in seiner Gesamtheit, sondern höhlte es
quasi "von innen" aus: Als nämlich nicht mehr von den Haschkneipen,
der Argile, von rasender Liebesleidenschaft und Eifersucht, von Heimatlosigkeit
die Rede sein durfte, sondern nur mehr von der kleinen Eleni oder
Katherina, von den herrschaftlichen Palästen, von denen der kleine Mann träumen
durfte, änderte sich selbstverständlich auch die musikalische Form: Dort, wo
früher einmal Spontaneität, geniale Einfachheit und passende Derbheit (vgl. den
us-amerikanischen Blues!) einen wirklichen einzigartigen Stil prägten, haben derart
saftlose Texte auch eine entsprechend kraftlose und zum Teil sogar kitschige
Musik hervorgebracht. Das Rebetiko war nunmehr anscheinend tot - man hatte es
langsam und sanft umgebracht. Was übrig blieb, ist das, was heute den
Nichtgriechen oftmals höchstens sentimental, schmalzig, bisweilen sogar
kitschig entgegentönt.
Tsitsanis selbst blieb bisweilen davon nicht verschont. Die
Leute waren umerzogen worden: Man wollte nichts mehr vom Teke wissen, das Smyrnäische
galt als Türkisch, und Rebetes waren höchstens Kriminelle. Nachdem nun auch die
Plattenindustrie ins Spiel eingegriffen hatte, war dem Kommerz Tür und Tor geöffnet.
Tsitsanis aber besann sich gegen Ende seines Lebens noch einmal seiner
grandiosen Fähigkeiten und auch seiner Wurzeln. Die Militärdiktatur war gottseidank schon längst Geschichte,
und vor allem die studentische Jugend, die
u.A. die Junta mit zu Sturz gebracht hatte, wollte auf einmal wieder die
schweren Tekelieder hören. Einen weiteren Ansporn zu einem letzten, aber umso
eindrucksvolleren künstlerischen Höhenflug erhielt Tsitsanis, als Vertreter der
"UNESCO" beim "Meister" selbst vorstellig wurden und ihn baten, einige
seiner Nummern darzubieten, zumal man vorhatte, eine Art Katalogisierung der
Musik der verschiedenen Ethnien durchzuführen. Das mehr als erbauliche Produkt
dieses Projekts der "UNESCO" dokumentiert eine der letzten Langspielplatten des
"Maitre" mit dem Titel "To chárama", was soviel wie
"Der Tagesanbruch" bedeutet. Tsitsanis fühlte sich vom Vorhaben der
"UNESCO" sehr geschmeichelt und bot sein ganzes Können und seine Erfahrung auf.
Was dabei herauskam, ist eine sagenhafte Platte, auf der der "König des Rebetiko" es schafft,
den Hörer um Jahrzehnte in die goldene Zeit des
Rebetiko zurückzuversetzen. Entgegen der - leider auch heute (mit wenigen
Ausnahmen) - üblichen Gepflogenheit, mit elektrisch verstärkten Instrumenten
zu spielen (ein Graus!) packte er sein akustisches Bousouki aus, versammelte
alte Weggefährten aus seiner Anfangszeit in einem Hinterzimmer seines eigenen
Lokals, und nachdem sie mit dem Vertreter der "UNESCO" ziemlich gebechert hatten,
wurde in den frühen Morgenstunden alles live, lediglich unter Zuhilfenahme
eines einfachen Tonbandgerätes in den "Kasten" genagelt . Diese
Aufnahmen geben genau das wieder, was das Rebetiko in seiner Glanzzeit
ausmachte. Dies erkannte wohl auch die französische Academie Charles Cros und
zeichnete diese Aufnahme mit einem Preis aus.
Obgleich "König Tsitsanis" zweifellos seiner inneren Einstellung
zufolge nie ein "Kind des Tekes" war, tragen jedoch seine Begabung und
sein Schaffen dazu bei, dass all jene bekannten und unbekannten Rebetes des Piräus
nie völlig in Vergessenheit geraten werden. Einmal werden sich die Leute weniger,
dann werden sie sich wieder mehr für das Rebetiko interessieren - aber ganz
vergessen werden wird es nie! Es wird ewig leben, als ein wichtiger Bestandteil
des griechischen Volkes, als lebendiges Dokument seiner eigenen Geschichte und
Kultur!
Wer fühlen will muss hören:
MÁRKOS VAMVAKÁRIS: BOUZOUKI PIONEER 1932 - 1940
(Rounder CD 1139) [1998 erschienen]
Man täte dem "Patriarchen" des Bousouki unrecht,
ihn auch nur eine Stufe unter Tsitsanis zu stellen. Er ist einfach anders, warum
also vergleichen?
Dem in allem überbordenden Tsitsanis steht der auf der griechischen Insel Siros
in extrem armen, fast "viehischen" Verhältnissen geborene Márkos
Vamvakáris gegenüber.
Als Katholik, mit dem römischen Ritus bestens vertraut, war er in seinem Spiel
und seinen Liedern jedoch geradezu schlicht protestantisch. Seine Stimme
einzigartig, inbrünstig und originell, allem Unglück der Welt gegenüber
abgeklärt - oder auch bewusst darin aufgehend.
Von Jugend an an den elendigsten Arbeitsplätzen tätig, (Zeitungsausträger war noch ein
beruflicher Höhepunkt, daneben Schlächter, Kohlenträger, etc. ), sah er eine
Fluchmöglichkeit höchstens im Erlernen des Bousouki - und wenn ihm alles gar
zu schwer wurde, dann eben im Argile, den er nur allzu häufig als Seelentröster
verwendete. Wahrlich, er hat inhaliert, und er bestreitet es auch nicht. Wie
denn auch? Er hätte es ja gar nichts bestreiten können, denn diese eigenartige
trancige Schwere seiner Lieder atmet genau diese Atmosfäre. Er ist einfach gut,
weil authentisch, weil er alles tatsächlich so erlebt hat. Kein Schnörksel,
kein Ton zuviel - nichts als exakte musikalische Schilderung des Milieus, wie es
eben war: ein einziges schweres Sebékiko. Schleppend - wie der Rebetes' Gang,
das immens Schwere - mitunter auch das leicht Verkrüppelte stilisierend. Und
Vamvakáris wäre kein echter Grieche, wenn er all dem Elend dieser überaus
harten Zeit nicht auch gleichzeitig etwas Humorvolles hätte abgewinnen können.
Denn wohnt nicht - nach der klassisch-griechischen Ansicht - den größten
Tragödien auch das Potenzial zur hervorragenden Komödie inne?
Auf dieser CD [Nummer 9] beispielsweise wirkt es geradezu "schlagend"
komisch, wenn sich Markos und ein zweiter Rebetes während eines Duetts,
sozusagen die Darbietung des jeweils Anderen anerkennend, gegenseitig als große
damalige Opernstars titulieren: Enrico Caruso und Jan Kipura.
Diese CD ist für den Interessierten ein "Muss".
Sie ist ein Zeitdokument und nahezu in jeder Hinsicht perfekt, natürlich auch
in akustischer. Wenn man bedenkt, dass die Masters 78-er Schellacks sind, dann
ist die dargebotene Tonqualität geradezu erstaunlich. An jedem Detail ist die
Hingabe an diese Musikrichtung ersichtlich: Ambitioniert sind auch die Übersetzungen
aus dem Griechischen ins Englische, (ist sicher ein Problem, aber die
Plattenfirma ist nun einmal us-amerikanisch!), sodass der des Englischen kundige Nicht-Grieche zumindest auch
ein wenig das inhaltliche Aroma zu genießen vermag.
MOURMOÚRIKA: SONGS OF THE GREEK UNDERWORLD 1930-1955
(Rounder CD 1120) [erschienen 1999]
In den Kosmos der griechischen Unterwelt, in die Welt des
immerwährenden Seufzens, entführt diese Aufnahme. Taverne, Haschkneipe,
Liebesunglück, Glücksspiel, Gefängnis, Tod und was das Leben sonst noch so an
Schönem zu bieten hatte!
Da schäkert ein Mangas mit einer Einen, während wiederum eine Andere ihm den Argile am Brennen hält - derart
übersteigerter Machismo ist fast schon wieder
ein bisschen schön!?
Mourmóuris bezeichnet Einen, der seufzt - also einen
Griechen, für den seufzendes Wehklagen, wie schon zur Genüge erwähnt,
durchaus therapeutische Wirkung hat. Nach solch einem Seufzen ist alles nicht
mehr so schlimm - oder war es auch schon vorher nicht gar so schlimm?
In zweiter Linie ist ein Mourmóuris eben auch ein Mángas, ein "tough guy".
Diese Aufnahme führt uns zum Urgrund des griechischen Rebetiko.
Wie schon eingangs gesagt, waren es im Mutterland diese "fahrenden Sänger",
die von Taverne, Teke etc. zu Teke zogen und ihre Lieder, ihre spontanen Einfälle
darboten. Diese wurden niemals aufgenommen oder gar notiert. Allerdings wurde
dieses Liedgut der "fahrenden Sänger" beinahe schon zu allgemein
bekannten "Volksweisen".
Der große und schlaue Tsitsanis hat - wie auch andere Rebetes - aus diesem
Fundus geschöpft und so manchen großen "Hit" schaffen können, der
nur eine Weiterentwicklung einer dieser mündlich tradierten Weisen war, für
die die "Ur-Rebetes" oftmals nicht mehr als eine warme Suppe oder
einen Argile bekamen.
Auf dieser CD sind einige dieser "Frührebetikos" gesammelt.
"Uriger" geht es nicht mehr!
VASÍLIS TSITSÁNIS: TO CHÁRAMA
(D.P.I. Athenaeum) [erschienen 1980]
Sollte man sich irgendwann an der Ägaiis befinden, dann muss
man unbedingt den Tiefen diesen Schatz entreißen.
VASÍLIS TSITSÁNIS: GRÉCE: HOMMAGE À TSITSANIS BOUZOUKI
(Ocora C559010 HM65) [erschienen 1988]
Hommage an Meister Tsitsanis - auch in Österreich erhältlich.
Diese CD ist sozusagen der akademisch-prämierte Auszug der oben erwähnten
"CHARAMA"-Aufnahme, und an dieser französischen Einspielung lässt
sich die ganze Genialität Tsitsanis' erkennen, aber auch all seine Anpassungsfähigkeit
an jedes Milieu.
Tsitsanis war überall zu Hause, im Teke genauso wie in der Academie Charles
Gros. Hier gibt es Tsitsanis allerdings punktgenau: jeder Ton passt, das Spiel
hundertprozentig sauber. Diese Fähigkeit, berichtete Tsitsanis einmal, hatte er
sich in jener Zeit erworben, als man es sich im Studio noch nicht leisten
konnte, jede Aufnahme beliebig oft einzuspielen, um dann die gelungenste auszuwählen.
Damals war die Herstellung einer Masteraufnahme noch sehr kostspielig, und so
musste der Musiker schon gut vorbereitet an die Aufnahmen herangehen. Diesbezüglich
soll Tsitsanis ein wahrer Perfektionist gewesen sein, der so lange an einer
Nummer feilte, bis jeder Ton vollkommen exakt passte.
Diese Perfektion war der Academie eine Auszeichnung wert, und dabei besaß auch
die Academie guten Geschmack, indem sie keinerlei Anstrengung machte, diese
Aufnahme "akademisch" veredeln zu wollen. Man ließ die Kirche
sozusagen im Dorf und Maitre Tsitsanis das Geheimnis seines Erfolges: Einfach
Tsitsanis Tsitsanis sein zu lassen!
REMBETICA: HISTORIC URBAN FOLK SONGS FROM GREECE
(Rounder CD 1079) [erschienen 1992]
Aus mehreren Gründen empfehlenswert! Zum Einen, weil sich
hier der Kreis schließt: Wie bereits bekannt, speiste sich das Rebetiko hauptsächlich
aus zwei Strömungen: Die der "fahrenden Sänger" im Mutterland und
die der "türkischen" Griechen Kleinasiens - womit wir wieder beim
Ausgangspunkt wären.
Zum Anderen, weil auf dieser CD - endlich - auch den Frauen im Rebetiko Platz
eingeräumt wird.
Dabei kamen den Frauen im Rebetiko wichtige Rollen zu:
Einerseits selbst als Künstlerinnen, wobei sich einige durchaus
gleichberechtigt künstlerisch neben den männlichen Größen etablieren konnten,
(z.B. Rosa Eskenázi, Ríta Abadzí), zum Anderen, weil sie in dieser so männlich dominierten Welt der
damaligen Zeit eine Vorreiterrolle spielten. Um in diesem
rauen Milieu zu bestehen, übernahmen die Frauen nicht selten die
Verhaltensweisen ihrer männlichen Kollegen. Sie tranken, rauchten Haschisch und
bildeten somit das weibliche Pendant zum männlichen Mangas. Überdies setzten
sie gekonnt die Waffen einer Frau ein, um ihre Ziele zu erreichen, was natürlich
dazu führte, dass es zwischen den Männern zu wirklichen oder auch nur
theatralischen Auseinandersetzungen kam, die ihrerseits wiederum in zahlreichen
grandiosen Rebetika ihren musikalischen Niederschlag fanden.
Die Lebensweise der Rebétises, (also der weiblichen Rebetes!), provozierte
naturgemäß die damalige bürgerliche Gesellschaft noch weit mehr als die der Rebetes.
Einige der bekanntesten und wichtigsten Sängerinnen sind auf dieser CD
vertreten, ebenso wie etliche männliche Größen aus dem vormals blühenden
Smyrna.
Aber selbst das nunmehr "verbrannte griechische" Smyrna erfüllte noch
seinen Zweck: Es nährte die unbändige Sehnsucht nach der verlorenen Heimat,
und aus Schmerz bzw. aus echtem und auch ein bisschen theatralischem Ausleben
desselbigen schuf das Rebetiko zumeist seine schönsten Weisen!