Thryms-Sage oder des Hammers Heimholung
1
Wild ward Wingthor als er erwachte
Und seinen Hammer vorhanden nicht sah.
Er schüttelte den Bart, er schlug das Haupt,
Allwärts suchte der Erde
Sohn.
2 Und es war sein
Wort, welches er sprach zuerst:
"Höre nun, Loki, und lausche der Rede:
Was noch auf Erden niemand ahnt,
Noch
hoch im Himmel: mein Hammer ist geraubt."
3
Sie gingen zum herrlichen Hause der Freyja,
Und es war sein Wort, welches
er sprach zuerst:
"Willst du mir, Freyja, dein Federhemd leihen,
Ob meinen
Miölnir ich finden möge?"
Freyja
:
4 "Ich wollt es dir geben und war es von Gold,
Du solltest es haben
und war es von Silber." -
5 Flog da Loki, das Federhemd rauschte,
Bis er hinter sich hatte der Asen
Gehege
Und jetzt erreichte der Joten Reich.
6 Auf dem Hügel saß Thrym, der Thursenfürst,
Schmückte die Hunde
mit goldnem Halsband
Und strählte den Mähren die Mähnen zurecht.
Thrym:
7 "Wie steht's mit den Asen? wie steht's mit den Alfen?
Was reisest
du einsam gen Riesenheim?
Loki:
"Schlecht steht's mit den Asen, mit den Alfen schlecht;
Hältst du Hlorridis
Hammer verborgen?"
Thrym:
8 "Ich halte Hlorridis Hammer verborgen
Acht Rasten unter der Erde tief,
Und
wieder erwerben fürwahr soll ihn keiner,
Er brächte denn Freyja zur Braut
mir daher."
9 Flog da
Loki, das Federhemd rauschte,
Bis er hinter sich hatte der Riesen Gehege
Und endlich erreichte der Asen Reich.
Da traf er den Thor vor der Türe der
Halle,
Und es war sein Wort, welches er sprach zuerst:
10 "Hast du den Auftrag vollbracht und die Arbeit?
Laß hier von der Höhe mich
hören die Kunde.
Dem Sitzenden manchmal mangeln Gedanken,
Da leicht im Liegen die List sich ersinnt."
Loki:
11 "Ich habe den Auftrag vollbracht und die Arbeit:
Thrym hat den Hammer,
der Thursenfürst;
Und wieder erwerben fürwahr soll ihn keiner,
Er brächte
denn Freyja zur Braut ihm daher." -
12 Sie gingen Freyja, die schöne, zu finden,
Und es war Thors Wort, welches
er sprach zuerst:
"Lege, Freyja, dir an das bräutliche Linnen;
Wir
beide wir reisen gen Riesenheim."
13
Wild ward Freyja, sie fauchte vor Wut,
Die ganze Halle der Götter erbebte;
Der schimmernde Halsschmuck schoß ihr zur Erde:
"Mich mannstoll meinen
möchtest du wohl,
Reisten wir beide gen Riesenheim."
14
Bald eilten die Asen all zur Versammlung
Und die Asinnen all zu der Sprache:
Darüber berieten die himmlischen Richter,
Wie sie dem Hlorridi den Hammer
lösten.
15 Da hub Heimdall
an, der hellste der Asen,
Der weise war den Wanen gleich:
"Das bräutliche
Linnen legen dem Thor wir an,
Ihn schmücke das schöne, schimmernde Halsband.
16 Auch laß er erklingen
Geklirr der Schlüssel
Und weiblich Gewand umwalle sein Knie;
Es blinke
die Brust ihm von blitzenden Steinen,
Und hoch umhülle der Schleier sein Haupt."
17 Da sprach Thor also,
der gestrenge Gott:
"Mich würden die Asen weibisch schelten,
Legt ich
das bräutliche Linnen mir an."
18
Anhub da Loki, Laufeyjas Sohn:
"Schweig nur, Thor, mit solchen Worten.
Bald
werden die Riesen Asgard bewohnen,
Holst du den Hammer nicht wieder heim."
19 Das bräutliche Linnen
legten dem Thor sie an,
Dazu den schönen, schimmernden Halsschmuck.
Auch
ließ er erklingen Geklirr der Schlüssel,
Und weiblich Gewand umwallte sein
Knie;
Es blinkte die Brust ihm von blitzenden Steinen,
Und hoch umhüllte
der Schleier sein Haupt.
20
Da sprach Loki, Laufeyjas Sohn:
"Nun muß ich mit dir als deine Magd:
Wir
beide wir reisen gen Riesenheim."
21 Bald wurden die Böcke vom Berge getrieben
Und vor den gewölbten Wagen geschirrt.
Felsen brachen. Funken stoben,
Da Odins Sohn reiste gen Riesenheim.
22 Anhob da Thrym, der Thursenfürst:
"Auf steht, ihr Riesen, bestreut die
Bänke,
Und bringe Freyja zur Braut mir daher,
Die Tochter Niörds aus Noatun.
23 Heimkehren mit goldnen
Hörnern die Kühe,
Rabenschwarze Rinder, dem Riesen zur Lust.
Viel schau
ich der Schätze, des Schmuckes viel:
Fehlte nur Freyja zur Frau mir noch."
24
Früh fanden Gäste zur Feier sich ein,
Man reichte reichlich den Riesen das
Ael.
Thor aß
einen Ochsen, acht Lachse
dazu,
Alles süße Geschleckt, den Frauen bestimmt,
Und drei Kufen Met trank
Sifs Gemahl.
25
Anhob da Thrym, der Thursenfürst:
"Wer sah je Bräute gieriger schlingen? -
Nie sah ich Bräute so gierig schlingen,
Nie mehr des Mets ein Mädchen trinken."
26 Da saß zur Seite die schmücke Magd,
Bereit dem Riesen Rede zu stehn:
"Nichts
genoß Freyja acht Nächte lang,
So sehr nach Riesenheim sehnte sie sich."
27 Kußlüstern lüftete das Linnen der Riese;
Doch weit wie der Saal, schreckt
er zurück:
"Wie furchtbar flammen der Freyja die Augen,
Mich dünkt es
brenne ihr Bild wie Glut."
28
Da saß zur Seite die schmucke Magd,
Bereit dem Riesen Rede zu stehn:
"Acht
Nächte nicht genoß sie des Schlafes,
So sehr nach Riesenheim sehnte sie sich."
29 Ein trat die traurige
Schwester Thryms,
Die sich ein Brautgeschenk zu erbitten wagte.
"Reiche
die roten Ringe mir dar,
Eh
dich verlangt nach meiner Liebe,
Nach meiner Liebe und lautern Gunst."
30 Da hob Thrym an, der Thursenfürst:
"Bringt mir den Hammer, die Braut zu
weihen,
Legt den Miölnir der Maid in den Schoß
Und gebt uns zusammen nach
ehlicher Sitte."
31 Da
lachte dem Hlorridi das Herz im Leibe,
Als der hartgeherzte den Hammer erkannte.
Thrym traf er zuerst, den Thursenfürsten,
Und zerschmetterte ganz der
Riesen Geschlecht.
32
Er schlug auch die alte Schwester des Joten,
Die sich das Brautgeschenk zu
erbitten gewagt.
Ihr schollen Schläge an der Schillinge Statt
Und Hammerhiebe
erhielt sie für Ringe.
So holte Odins Sohn seinen Hammer wieder.
(aus der Älteren oder Lieder-Edda; übersetzt von Karl Simrock)