Theo Buck: "Streifzüge durch die Poesie"
Gedichte und Interpretationen
Von
Klopstock bis Celan
Welche Bedeutung räumt unsere moderne Gesellschaft
ästhetischer Erfahrung ein?
Dies ist nach Theo Buck die alles entscheidende Frage in dem von ihm
interpretierten Gedicht "Auf eine Lampe" (Eduard Mörike). So
spricht
er Mörikes vor mehr als 150 Jahren geschriebenem Gedicht heute
noch Aktualität
zu, was auch unschwer von jedem Leser nachzuvollziehen ist. Und in
seinen
wunderbaren Streifzügen durch die Poesie richtet Theo Buck
immer wieder den
Appell an seine Leser, die Schleusen der Wahrnehmung weiter und
häufiger zu öffnen
für die schönen, ästhetischen Dinge des
Lebens. In des Autors Worten: "Unbedingt
gehört zur Schlusskonsequenz des Gedichts (gemeint ist: 'Auf
eine Lampe') die
Herausforderung eines jeden Lesers, sein Leben nicht allein auf den
politischen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich zu konzentrieren,
sondern, um
bestehen und widerstehen zu können, die Sinne zu
öffnen für - etwa eine schöne
Lampe. Fähigkeiten wie Kreativität,
Assoziationsvielfalt, Sensitivität,
Erkenntnis und Wertgefühl können so geschult werden.
Sie sind deshalb so nötig,
weil sie ein Gegengewicht darstellen zu den Zwängen und
Abhängigkeiten der Außenwelt,
denen wir uns in hohem Maße ausgesetzt sehen."
Goldene Worte, denen
man möglichst viele Adressaten wünschen
möchte. Und man könnte weiter
fragen: Welcher Stellenwert wird überhaupt der Poesie noch
eingeräumt in
Zeiten wie der unsrigen, wo dem Furz eines exhibitionistisch
angehauchten
TV-Heroen (die können dort vermutlich auch nur Exhibitionisten
gebrauchen) mehr
Bedeutung beigemessen wird als dem Dichterwort? Die Antwort
fällt ernüchternd,
deprimierend aus. Umso begrüßenswerter erscheint es
mir, dass Theo Buck mit
seiner neuen Publikation einen Weg beschreitet, der uns
herausführen kann aus
dem Zwang und Bann des Banalen, das seine Klauen immer dreister und
unerbittlicher in unsere Gesellschaft schlägt. Wir
müssen nur bereit sein,
mitzugehen auf die wundervollen Streifzüge durch die Poesie,
und in Theo Buck
haben wir einen kundigen Führer dabei. Für mich
jedenfalls nimmt der
vorliegende Gedichtband mit seinen durchweg überzeugenden
Interpretationen
einen herausragenden Rang ein in einem von der Analkultur beherrschten
Büchermarkt,
wo sich neuerdings jeder Zwerghahn aus der Prominentenszene mit
literarischen
Federn aufplustert, weil er sich für einen Adler
hält. Dann wird er von
Plaudersendung zu Plaudersendung weitergereicht, um seine
zusammengestoppelten
Banalitäten vor einem Millionenpublikum lauthals zu begackern.
Von ganz anderem Kaliber sind da die Gedanken und Interpretationen Theo
Bucks zu
den Autoren und ihren Werken, die er uns hier vorstellen
möchte. Sicher ist es
nicht immer leicht für den literarisch wenig geschulten Leser,
den Gedankengängen
zu folgen. Man muss sich das Portal zur Poesie erst
erschließen, sich mühen,
in diese Welt einzutreten, der Lyriker legt dem Leser keinen roten
Teppich der
Verständlichkeit aus, legt ihm andererseits aber auch keine
Hindernisse in den
Weg. Auch Theo Buck legt dem Leser keinen roten Teppich aus, aber er
reicht ihm
seine einfühlsame Hand zur Führung. Logisch, dass er
auch die notwendigen
Fachtermini verwendet, ohne die formaler Aufbau und Gehalt eines
Gedichtes
schwerlich aufzuzeigen sind, es ist dem Autor jedoch in
überzeugender Weise
gelungen, diese Fachbegriffe in einen allgemeinverständlichen
Sprachstil zu
integrieren. Man muss auch nicht alles, nicht jedes Wort verstehen, um
Gewinn
aus diesem Buch zu ziehen. Auch braucht sich das Lesen
nicht in
bedingungsloser
Zustimmung zu erschöpfen, nicht jede Interpretation mag bis
ins kleinste Detail
vom Leser mitvollzogen werden, jeder Leser ist schließlich
aufgefordert, sich
seine eigenen Gedanken zum Kunstwerk zu machen. Die
erklärenden Ausführungen
zum biografischen Hintergrund des jeweiligen Dichters sowie zum
allgemein
historischen Hintergrund der Entstehungszeit seines Werkes erleichtern
es dem
Leser, die Interpretationen Bucks nachzuvollziehen. Man kann diese
Streifzüge
durch die Poesie auch als Anleitung verstehen, wie man an einen
literarischen
Text heranzugehen hat, welche Fragen man an ihn stellen muss. Die
Antworten mögen
verschieden ausfallen, eine allgemeingültige kann es ohnedies
nicht geben. Eine
Empfehlung des Rezensenten: Statt das tägliche
Sudoko-Rätsel in der
Tageszeitung zu lösen, sollte man sich vielleicht einmal ein
Gedicht oder einen
anderen literarischen Text vornehmen und versuchen, den Geist der
Buchstaben zu
erfassen, der im Sudoko-Rätsel vergeblich zu suchen ist. Dies
mag auch als ein
Appell an die Feuilleton-Redakteure verstanden werden, doch wird ein
solcher
Appell wohl kaum Gehör finden können.
Vornehmlich die dunklen, vom unbewussten Seelendunkel verschatteten
Bereiche der
Poesie sind es, die Theo Buck auf seinen Streifzügen
ausleuchtet. Seichtes,
sich in trivialer Untiefe Widerspiegelndes bedarf nicht der
Interpretation,
allenfalls der Entlarvung. Dunkel in zwiefacher Hinsicht sind
zahlreiche der in
diesem Band vertretenen Gedichte. Dunkel zum Einen im Sinne von
rätselhaft,
dunkel zum Anderen im Sinne von schwermütig. Die erste Form
von Dunkel lichtet
sich rasch für denjenigen, der mit einem entsprechenden und
durch beständigen
Gebrauch geschärften Sensorium ausgestattet ist wie Theo Buck
beispielsweise.
Dies impliziert schon, dass die Kunst der Interpretation bis zu einem
gewissen
Maße erlernbar ist. Und auch dieses Buch besitzt - wie
bereits angesprochen -
einen didaktischen Aspekt. Egal, wie ausgeprägt das
Literaturverständnis beim
Leser auch sein mag, er kann dieses Verständnis schulen und
immer weiter
vervollkommnen. Theo Buck zeigt dem Leser Wege auf, auf denen er sich
einem
lyrischen Text nähern kann. Der wichtigste Schlüssel
dazu ist, so betont er
immer wieder, sorgfältiges Lesen. Nicht nur einmal oder
zweimal sondern viele
Male.
Von Klopstock bis Celan spannt sich der Bogen der hier interpretierten
Gedichte.
Klopstock steht am Anfang, da er als Wegbereiter und Impulsgeber
ernstzunehmender deutscher Dichtung gilt, die bis dahin mehr oder
weniger im
Trivialen und Seichten angesiedelt war. Es sind durchweg allgemein
bekannte
Gedichte, die Theo Buck hier vorstellt, manche von ihnen symbolisieren
gar eine
ganze Epoche, wie Eichendorffs "Mondnacht"
beispielsweise für die Romantik steht, oder Heines "Die
schlesischen Weber"
für den Frühkapitalismus. Weiter vertreten sind die "Todesfuge"
von Paul Celan, "Die frühen Gräber" von Klopstock,
"Der
Tod und
das Mädchen" (Matthias Claudius), "Wandrers
Nachtlied"
(Goethe),
"Vereinsamt"
von Friedrich Nietzsche, Else
Lasker-Schülers "Weltflucht", Jakob von Hoddis
"Weltende"
und andere, insgesamt sind es 29 Gedichte, die hier vorgestellt und
interpretiert werden. Die Titel vermitteln bereits einen Eindruck von
der
Stimmung, die in diesen Gedichten vorherrscht. Sie sind oftmals
Ausdruck
leidvoller Verzweiflung, Ausdruck von Weltflucht oder Weltschmerz. Und
ist
Poesie nicht immer ein wenig mit Weltflucht verknüpft? Theo
Buck: "Zum
Reich des Geistes gehören auch und gerade Verzweiflung, Leid
und Nacht."
Selbst in einem Liebesgedicht, Brechts
"Erinnerung an die Marie A.",
sieht Buck nur die Darstellung der Unmöglichkeit einer
dauerhaften Liebe.
Diese Weltflucht, zumindest die Flucht aus der Alltäglichkeit,
ist ein
zentrales Thema dieses Buches, es atmet in der Tat eine vornehme,
wohltuende
Distanz zum Alltäglichen, und wiederholt weist Theo Buck auf
die notwenige
Abgrenzung des Dichters gegenüber der Masse hin. Was hier
für den Dichter
gilt, das gilt auch für andere Kunstschaffende, Musiker
beispielsweise, fast
alle der in diesem Band versammelten Gedichte sind (oft mehrmals)
vertont
worden, Theo Buck nimmt in seinen Interpretationen auch darauf Bezug,
es geht
ihm also auch um das Zusammenwirken der Künste zu einem
erweiterten Kosmos der
Poesie.
In diesen Kosmos führen uns die "Streifzüge durch die
Poesie", weg
von "den Leichen-, Scherben- und Müllhaufen, welche
die Menschen
mittlerweile auf der Erde, neuerdings auch im Weltraum, hinterlassen
haben und
weiter hinterlassen" (Theo Buck). An anderer Stelle spricht
er von den "entwerteten
Lebensbedingungen der technisierten Welt". Einige Dichter
scheinen
diese fatale Entwicklung unserer Gesellschaft bereits vorausgeahnt zu
haben, die
Entwicklung hin zu einer "technokratischen, demoralisierten
und
geistfernen Konsumwelt"
(Theo Buck). Die vorliegende Gedichtsammlung mit ihren
schlüssigen und einfühlsamen
Interpretationen setzt einen Gegenpol dazu, um den sich gewiss nicht
die Massen
scharen werden, hoffentlich aber auch nicht nur wenige
Auserwählte. Sehr zu
empfehlen für all diejenigen, die sich für ihr Leben
noch ein bisschen Poesie
und Kunstverständnis bewahrt haben oder sich ein
Stück davon zurückerobern möchten.
(Werner Fletcher; 05/2010)
Theo
Buck: "Streifzüge durch die Poesie. Gedichte und
Interpretationen"
Böhlau, 2010. 324 Seiten.
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Weitere
Buchtipps:
Evi Zemanek: "Das Gesicht im Gedicht. Studien zum poetischen
Porträt"
Im Zentrum dieses Buches stehen Gedichte, die in Form von
Personenbeschreibungen
"Porträts" darstellen. Da sie mit dem Einzelbildnis
der Malerei
vergleichbar sind, werden sie mit diesem kontrastiert, so dass
Analogien und
Differenzen von verbaler und malerischer Portraiture sichtbar werden.
Die
Betrachtung von Porträttechniken in verschiedenen Epochen und
diversen
Nationalliteraturen bringt stilistische Entwicklungen sowie kulturelle
Besonderheiten ans Licht. Das historische Panorama erstreckt sich dabei
von der
Geburt des neuzeitlichen Individualporträts in der
Renaissance bis ins 20.
Jahrhundert und beleuchtet Beispiele aus dem westeuropäischen
und
nordamerikanischen Sprachraum. (Böhlau)
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Günter
Stolzenberger (Hrsg.):
"Wonneschauernaschpralinen.
Erotische Gedichte"
Wohllaut und Wollust - ein Geschenkbuch für alle Liebeslagen.
In dieser Sammlung kleiner Meisterstücke vom Barock bis in die
Gegenwart kommen
berühmte und weniger bekannte Dichter unverblümt zur
schönsten Sache der
Welt. Wer die Verbindung von Wohllaut und Wollust zu schätzen
weiß, dem wird
dieses Buch prickelnden Genuss und Spaß bereiten. Doch es sei
gewarnt: Für
verschämte Zeitgenossen oder allzu zartbesaitete
Gemüter ist dieser Band nur
bedingt geeignet. Die Nutzanwendung ist vielfältig, denn er
eignet sich zum
Verschenken, zum Selbststudium, zur gemeinsamen Lektüre als
Einstieg oder als
Alternative zur Zigarette danach. (dtv)
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Christian
Schärf (Hrsg.): "Ich weiß nicht, was soll
es bedeuten. Die schönsten Gedichte der Romantik"
"In diesem Augenblick liegt dieses Buch vor mir, und es ist
mir, als röche
ich den Duft der deutschen Linden.
Die Linde spielt nämlich eine Hauptrolle in
diesen Liedern, in ihrem Schatten kosen des Abends die Liebenden, sie
ist ihr
Lieblingsbaum und vielleicht aus dem Grunde, weil das Lindenblatt die
Form eines
Menschenherzens zeigt." - Was Heinrich Heine fast schon im
Rückblick
über "Des
Knaben Wunderhorn" schreibt, gilt für die Lyrik der
deutschen
Romantik insgesamt: Nie waren Gedichte sinnlicher und
sehnsuchtsvoller, nie so eingängig und zugleich raffiniert wie
in der Epoche
nach 1800. Die schönsten Gedichte dieser Epoche versammelt der
vorliegende
Band.
Mit Texten von Clemens Brentano, Joseph von Eichendorff, Heinrich
Heine
und Anderen.
(Fischer)
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Wulf
Kirsten (Hrsg.): "'Beständig ist das leicht
Verletzliche.' Gedichte in deutscher Sprache von Nietzsche bis Celan"
Schönste und vergessene Gedichte, herausgegeben von Wulf
Kirsten, der inmitten
kopfloser Geschäftigkeit das Refugium der Poesie behauptet.
Mit der vorliegenden Anthologie ermöglicht Wulf Kirsten dem
Leser einen neuen
Blick auf die Lyrikepoche von 1880 bis 1945. Noch nie wurde diese Zeit
der
politischen und literarischen Umbrüche im deutschsprachigen
Raum so umfassend
in ihren schönsten Gedichten dargestellt.
Während seiner zwanzig Jahre dauernden Recherche hat der
Dichter Kirsten viele
Randfiguren und Vergessene aufgespürt, die den
Zeitläuften zum Opfer gefallen
waren. Hier wird ihr Werk erstmals wieder zugänglich.
Zahlreiche Angaben zu Personen und Quellen ermöglichen
interessierten Lesern
und Literaturwissenschaftlern eine weitergehende
Beschäftigung. Auch dort, wo
es sich um alte oder nicht in erster Linie als Lyriker Bekannte handelt
(so z.
B. bei Otto Weininger, Theodor Lessing oder Gerschom Scholem),
durchbricht
Kirsten den gängigen Kanon, gewichtet neu und unvoreingenommen.
Im Vordergrund steht das einzelne Gedicht, seine Schönheit
und
Größe, und
nicht unbedingt sein beispielhafter Charakter für eine
bestimmte Strömung.
Gerade wo Unbekanntes neben Altbekanntem steht, ergeben sich im Dialog
der Texte
neue Einsichten. Repräsentativ ist die Auswahl, weil sie die
etablierte
Literaturgeschichte hinterfragt und ergänzt. (Ammann Verlag)
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