Thomas Eder, Samo Kobenter, Peter Plener (Hrsg.): "Seitenweise"
Was das Buch ist
Die
lange stillgelegte "Edition
Atelier", ursprünglich eine Ausgründung aus dem
"Wiener Journal", ist seit
dem Jahr 2009 wieder aktiviert worden und legt nun die ersten
Bücher vor. Die
allererste Neuerscheinung ist ein ganz besonderes Buch, widmet es sich
doch den
Büchern schlechthin. In "Seitenweise. Was das Buch ist" dreht
es sich um
die vielen verschiedenen Aspekte des Buchs und des Lesens. Die
Herausgeber
Thomas Eder, Samo Kobenter und Peter Plener haben in dem Buch insgesamt
33 Beiträge
gesammelt, die sich locker unter die Themen Materialität,
Buchgeschichte,
Buchnutzung und digitale Konkurrenzsituation des Buchs mit den Neuen
Medien
gruppieren lassen. Der Ton der Texte oszilliert zwischen einem streng
wissenschaftlichen und einem locker berichtenden Stil, viele der
Autoren
berichten nicht nur abstrakt über das Buch und seine
kulturgeschichtliche
Bedeutung, oftmals verbindet sich damit auch eine ganz
persönliche Erfahrung,
wie sie wahrscheinlich jeder bereits einmal mit einem ganz besonderen
Druckwerk
gemacht hat.
Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann etwa erzählt in
"Das Buch - Nährstoff
des Geistes, politische Waffe und Lebensbegleiter" davon, wie sie das
Buch im
Studium kennengelernt hat: Nicht als gebundenes Wissenskompendium,
sondern als
vieldimensionales Medium, dessen Inhalt immer die Wege des Denkens in
die
verschiedensten Richtungen bewegte. Daneben ist der Beitrag Assmanns
auch so
etwas wie eine Tour de Force durch die
verschiedenen Bedeutungen, die das Buch für John
Milton und
andere Denker
gehabt hat. Ihr abschließender Umblick über die
Macht des Buches, wie sie sich
in der Literatur manifestiert, ist an dem Beispiel Shakespeares
sicherlich an
Plausibilität kaum zu übertreffen; die reale Macht
der Bücher, wie sie sich
im Laufe der Geschichte gezeigt hat, bleibt davon allerdings
unberührt. Dabei wäre
in diesem Zusammenhang der Hinweis darauf, wie vielgestaltig gerade
diese reale
Macht eines oder mehrerer Bücher sich gezeigt hat, ebenso
spannend gewesen.
In vielen der Beiträge schwingt ein implizites Misstrauen
gegen die
wahrscheinlich formalste Definition, was das Buch ist, mit. Die
"UNESCO",
als
Urheberin dieser vielzitierten Definition, versucht das Wesen des Buchs
folgendermaßen
auf den Punkt zu bringen: "Bücher (sind)
nichtperiodische Publikationen
mit einem Umfang von 49 Seiten oder mehr". Diese Definition
erscheint dabei oft als fraglich, kann
eine solche Definition die Ansprüche, die mit dem Medienwandel
hin zum E-Buch
aufkommen, gar nicht fassen. Viele der Autoren bemühen sich
nicht darum, eine
Erklärung über diese Definition heraus mit einem
allgemeinen Anspruch zu
formulieren, sie setzen eher eine persönliche Note zum
Verständnis hinzu.
Über die Möglichkeit, Bücher und Romane in
der Psychiatrie zu verwenden, und
dadurch gleichzeitig einen vollkommen neuen und pharmamittelfreien
Therapieansatz zu etablieren, spekuliert Wolfgang Pennwieser. Der
österreichische
Psychiater hat im klinischen Alltag die Beobachtung gemacht, dass die
Frage, was
dem Patienten ein Buch bedeutete, oder was er darunter verstehe, ein
Schlüssel
zum Verständnis der Erkrankung sein kann. Die Frage, was der
Patient gern
lese, ist in der Therapie bereits etabliert, diejenige nach dem
Charakter und
der Bedeutung des Buchs jedoch nicht. So berichtet Pennwieser von einem
Zwangsgestörten, der alle seine Tätigkeiten mit der
Stoppuhr kontrolliert und
in seinem Alltag eine festes Gerüst mit zeitlichen Vorgaben
eingerichtet hat,
in denen er eine Tätigkeit ausgeführt haben muss. Das
Einzige, was sich
innerhalb dieses Systems nicht in einer bestimmten Zeit abspielen
musste, war
das Lesen. Das eigentliche Problem beginnt jedoch, wenn es darum geht,
den
Hinweis, sich doch mehr mit Lesen zu beschäftigen, in der
wissenschaftlichen
Welt der Therapien zu verankern.
Es sind 33 Lobgesänge auf die Bedeutung des Buchs, aber auch
kritische Stimmen
der am Prozess der Herstellung des Buchs Beteiligten sind darunter.
Insgesamt
bildet der Sammelband ein sehr großes Panorama dessen ab, was
das Buch bedeutet
und uns vielleicht auch in der Zukunft noch bedeuten wird.
(Jan Hillgärtner; 10/2010)
Thomas
Eder, Samo Kobenter, Peter Plener
(Hrsg.): "Seitenweise. Was das Buch ist"
Edition Atelier, 2010. 480 Seiten.
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Weitere
Buchtipps:
Friedmar Apel: "Das Auge liest mit. Zur Visualität der
Literatur"
Man sieht nur, was man weiß, sagte schon Goethe,
und nach Novalis ist Sehen ein poetischer Vorgang, bei dem Erinnerung
und Ahnung
mit der realen Welt zusammenfallen. Die Naturwissenschaft bedient sich
heute ähnlicher
Erklärungsmuster, doch die Geisteswissenschaften halten sich
von der Deutung
des realen Raums ängstlich fern. Friedmar Apel schreibt anhand
von Beispielen
aus der Kulturgeschichte den Versuch einer Poetik des Sehens - von Platon
bis zu
Adorno und Blumenberg,
von Goethe über Hofmannsthal bis zu Herta
Müller. Ein Plädoyer gegen die
Abstraktionen modernistischer Theorie und für
eine neue Hinwendung zum Sichtbaren. (Hanser)
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Jean-Claude
Carriere,
Umberto Eco: "Die große
Zukunft des Buches"
Das Buch: Die größte Erfindung der Menschheit. Zu
diesem Schluss kommen Umberto
Eco und Jean-Claude Carrière, Autoren aus Italien
und Frankreich, die
zusammenkamen, um sich über die Zukunft des Buches zu
unterhalten. In einer
rasanten Reise durch die Zeit, von der Papyrusrolle über
Gutenberg bis zum
"E-Buch" sprechen sie über die Faszination von Bibliotheken,
welche Bücher
sie vor dem Feuer retten würden, und über die Frage,
ob es Sinn hat, "Krieg
und Frieden" als "E-Buch" zu lesen. Die originellen,
unterhaltsamen und höchst informativen Anekdoten der beiden
Passionierten sind
ein Muss für alle, die das Buch als Gegenstand lieben. (Hanser)
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Hubert Winkels: "Kann man Bücher
lieben? Vom Umgang
mit neuer Literatur"
Ein Gnostiker folgt seinem Herzen: Hubert Winkels sucht und findet -
Bücher!
Über Bücherhass und Bücherliebe,
Regalsysteme und Alkohol, Durchbrüche und
Abstürze, Jurys und Preise, Alfred Kerr und Neues Museum und
über Walser
und Schulze,
Kehlmann
und
Kling, Auster,
Banville, Murakami.
Hubert Winkels schreibt über eine lebenslange intensive
Beziehung zu Büchern:
zur schönen Literatur, aber auch zu den materiellen
Gegenständen. Er erforscht
sein Verhältnis zu den Autoren, das manchmal sehr
leidenschaftlich ist, immer
aber klug. Und das tut er auch als Erzähler, als der er einmal
angefangen hat.
Und so erzählt der Autor als Kritiker zunächst von
seinem Kritikerleben: von
seinem Wohnen mit Büchern, von Lesungen, Moderationen und
Gesprächen, von
Reisen, Freundschaften, Glücksmomenten und Niederlagen.
Einen wichtigen Bestandteil bildet die mit Verve geführte
"Emphatiker-Gnostiker-Kontroverse",
die, von Hubert Winkels selbst angestoßen, das deutsche
Feuilleton lange beschäftigte.
Wie emphatisch er selbst sein kann, belegen die folgenden Essays und
Laudationes, die Thomas Kling und Feridun Zaimoglu genauso gewidmet
sind wie
Klaus
Modick und Norbert
Scheuer.
Was mit neuer deutschsprachiger und internationaler, vor allem
anglo-amerikanischer und japanischer Literatur anzufangen ist, zeigen
dann
ausgewählte Kritiken. Den Schwerpunkt bildet die
deutschsprachige Literatur mit
Texten zu Wolf
Haas, Daniel Kehlmann, Lutz
Seiler, David Wagner u.A. Ins Ausland geht es mit Jonathan
Safran Foer und
Stewart O'Nan, Denis
Johnson und Martin
Amis, Haruki Murakami und Kenzaburô
Ôe.
Ein Buch der Leselust und Lebensklugheit, geeignet für alle,
die sich schon
einmal so in ein Buch vertieft haben, dass sie die Welt um sich
vergaßen - und
diese Welt dann beim Zuklappen des Buches mit anderen Augen sahen.
(Kiepenheuer
& Witsch)
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Dieter
Wellershoff: "Der Roman und die Erfahrbarkeit
der Welt"
"Dieses Buch will eine Überredung zum Lesen sein.
Lesen verstanden als
etwas Schöpferisches wie das Spielen einer Partitur. Man lernt
sehen,
empfinden, denken, verstehen in dem gleichen Maße, wie man
lesen lernt."
Mit diesen Worten beschreibt Dieter Wellershoff das Programm seines
Buchs
"Der Roman und die Erfahrbarkeit der Welt". Erstmals erschienen im
Jahr 1988 und hiermit neu aufgelegt, widmet sich diese kenntnisreiche
und
glanzvoll geschriebene Darstellung den herausragenden Romanen der
Weltliteratur.
Beginnend mit Cervantes
führt sie über Balzac,
Flaubert,
Tolstoi
und Dostojewski
zu Kafka,
Joyce,
Thomas
Mann und vielen Anderen, um bei Beckett
und Pynchon zu enden.
Anhand der Autoren und Werke, denen sich Dieter Wellershoff widmet,
lässt sich
eine plastische Vorstellung von der Vielfalt der Formen gewinnen, die
die
Romanautoren geschaffen haben, indem sie ihr Bild des Lebens zu
formulieren
versuchten. Mit großem Einfühlungsvermögen
und genauer Beobachtungsgabe
beschreibt Dieter Wellershoff die Schreibimpulse der Autoren und die
individuellen und historischen Entstehungsbedingungen ihrer Werke. Und
er
untersucht ihre Themen und Strukturen, um zu einer Form- und
Inhaltsgeschichte
des Romans zu gelangen und zu zeigen, "welch bedeutsames
Stück
menschlicher Bewusstseinsgeschichte und Welterfahrung" in den
großen,
innovativen Romanen seine Gestalt gefunden hat.
Ein Lesevergnügen von sinnlicher Anschaulichkeit. (Kiepenheuer
& Witsch)
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