Johannes Willms: "Talleyrand"
Virtuose der Macht. 1754-1838
Ein neuer Willms: Talleyrand
Johannes Willms ist Kulturkorrespondent der" Süddeutschen
Zeitung" in Paris. Anno 2005 erschien ebenfalls bei C.H. Beck seine
vorzügliche Biografie Napoleons
I. und 2008 die Napoleons
III. Und so darf man auf dieses Werk schon einmal gespannt
sein.
Laut Metternich, so erfährt man im Vorwort, muss man bei
Talleyrand "den moralischen vom politischen Menschen
unterscheiden. Er könnte und würde nicht das sein,
was er ist, wenn er moralisch wäre. Andererseits ist er ein
ausgesprochen politisch denkender Mensch und als solcher ein Mann der
Systeme. Das", so Metternich weiter, mache "ihn
gleichermaßen nützlich oder gefährlich."
Diesen Rat versprach der Autor sich zu Herzen zu nehmen. Ein weiterer
einführender Hinweis bezieht sich auf die 50 aktiven
politischen Jahre Talleyrands in Diensten fünf sehr
unterschiedlicher Regimes zwischen Ancien Régime und den
Anfängen der Juli-Monarchie von 1830, die den Autor
zwängen, die wechselnden Epochen lediglich typologisch zu
skizzieren. Damit kann man gut leben, findet der Rezensent. Vielleicht
lässt sich das als Motto der Biografie fassen: Talleyrand auch
als Phänotyp seiner Zeit darzustellen, aus den teils selbst
gewobenen Mythen befreit.
Als Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord im Jahre 1754 zur
Welt kam, hätte ihm als Erstgeborenem die
militärische Laufbahn offen stehen müssen, doch sein
angeborener Klumpfuß verbaute ihm diesen Weg und zwang ihn in
die Richtung der kirchlichen Ämter. Ein einjähriger
Aufenthalt des Fünfzehnjährigen bei seinem Onkel am
Hof des Erzbischofs von Reims verdeutlichte ihm aber recht schnell,
dass kirchliche Ämter durchaus attraktiver und lukrativer sein
konnten als eine Militärkarriere. Dank der Protektion seines
Onkels wurde ihm mit 21 Jahren eine lukrative Pfründe
übertragen, die ihm stolze 18.000 livres per annum einbrachte.
Und so stellte sich das Priesteramt letztlich nicht als Behinderung
dar, sondern als vielversprechender Anfang einer Karriere. 1779
erfolgte seine Priesterweihe, und bereits einen Tag später
wurde er zum Generalvikar ernannt, was eine einflussreiche,
arbeitsintensive, aber mit 100.000 livres dotierte Position darstellte.
Nach zehn Jahren erfolgreicher Dienste wurde er 1789 zum Bischof von
Autun ernannt, was ihm wiederum nach kurzem, intensivem Wahlkampf
einen Platz als Vertreter des Klerus in der
Nationalversammlung sicherte.
Die Revolutionsjahre in Frankreich und das Lavieren Talleyrands zu
beurteilen, steht uns aus der räumlichen und zeitlichen
Distanz kaum mehr zu. Auch Willms hält sich in der Bewertung
sehr zurück, wenngleich ihm auf 30 Seiten eine beeindruckende
Talleyrand-zentrierte Schilderung der drei ersten Revolutionsjahre
gelang.
Im Juli 1797 übernahm Talleyrand das Amt des
Außenministers und trat sogleich zu dem jungen General
Bonaparte in Kontakt, was dieser gerne erwiderte. Beide bereiteten in
einer geheimen Korrespondenz den Putsch Napoleons am 9. November 1799
vor, dessen Vorgeschichte allerdings durch das militärische
Desaster in Ägypten überschattet wurde.
Dem Direktorium folgte das Konsulat, das sich recht schnell zu einer
faktischen Alleinherrschaft Bonapartes entwickelte und Talleyrand recht
bald in die Rolle eines Höflings drängte. Doch das
Unbehagen Talleyrands wuchs mit dem Kaiserreich. 1808 endlich, beim
Fürstenkongress in Erfurt, arbeitete Talleyrand in
vertraulichen Gesprächen, u.a. mit Zar Alexander, gegen
Napoleon, aber für Frankreich, wie Willms betont. Selbst mit
seinem langjährigen Gegner Fouché
versöhnte sich Talleyrand, um Napoleon an seinem weiteren
Wirken zu hindern. In Paris begann er mit Metternich und dem
Österreichischen Hof zu korrespondieren, was irgendwo zwischen
Schattendiplomatie und Hochverrat anzusiedeln ist. Den
Aktivitäten Talleyrands, die in einer Entmachtung Napoleons
mündeten, zollt Willms großen Respekt, denn sie
seien aus politischen Motiven dem Wohle Frankreichs geschuldet gewesen.
Als die Alliierten vor Paris standen und die Ära Napoleons zu
einem vorläufigen Ende kam, versuchte Talleyrand mit
großem Einsatz und großem Geschick die
parlamentarische Zukunft Frankreichs zu sichern, indem er auf einen
europäischen machtbalancierten Frieden hinarbeitete. Als eine
Restitution der Bourbonen sich als einzig noch sinnvolle
Lösung abzeichnete, versuchte er Louis XVIII auf einer
parlamentarisch-rechtsstaatlichen Grundlage den Weg zu bereiten. Doch
dieser, erfüllt von Gottesgnadentum statt politischer
Weisheit, arbeitete Talleyrands Verfassungsentwurf um und setzte sie im
Juni 1814 als Charte Constitutionelle in Kraft. Auch nach dieser
Niederlage blieb er als Außenminister im Dienst und leistete
beim Wiener
Kongress Großes für Frankreich.
Insbesondere der Friedensvertrag von Paris wurde und wird, so der
Autor, Talleyrand in Frankreich zur Last gelegt. Dass die territorialen
Abtretungen eine ungleich größere Friedensrendite
erbrachten, erreichte seiner Gegner Einsicht nicht. Napoleon verjagen,
aber seine Eroberungen behalten wollen, steht für den Akt der
Hybris in der tragédie humaine. Es zeichnet den Autor aus,
dass er diesen Aspekt im Handeln Talleyrands herausmodellierte und den
Blick des Lesers von seinen zweifellos nachweisbaren opportunistischen
Facetten auf die großen Leistungen im Hinblick auf ein
modernes, demokratisches und befriedetes Europa lenkt, ohne dies in
einer historiografisch-ungebührlich plakativen Weise zu tun.
Respekt.
Talleyrand war ausgesprochen eitel - als Sphinx titulierte ihn einst
sein Biograf Orieux -, hatte stets auch seinen Vorteil im Auge, aber er
war ein durchaus moderner Politiker. Doch nach seiner Demission durch
Louis XVIII traten seine persönlichen Besonderheiten in den
Vordergrund und bestimmten zunehmend sein Bild in der
Öffentlichkeit, was wohl bis heute nachzuwirken scheint.
Darauf geht der Autor auch ein, denn es handelt sich
schließlich um eine Biografie. Doch am Ende stellt sich ein
Gesamtbild ein, das einen Menschen zeichnet, der aussah und redete wie
ein Angehöriger des Hochadels des Ancien Régime,
aber handelte wie ein protomoderner Europäer.
190 Jahre vor Erscheinen dieser Biografie wurde in einer Sitzung der
Pairs Talleyrand folgendermaßen protokolliert: "Ohne
Pressefreiheit gibt es keine repräsentative Regierung; sie ist
nicht eines ihrer wichtigsten Instrumente, sie ist vielmehr das
wichtigste. [...] Eine Regierung, die sich uneinsichtig und
für längere Zeit weigert, das anzuerkennen, was die
Zeit als notwendig proklamiert hat, bringt sich in Gefahr."
Die Julirevolution setzte Talleyrand wieder in Bewegung, wenngleich
seine diplomatische Mission in England scheiterte, aber er hatte nach
wie vor Einfluss und ein politisches Modell für Frankreich vor
Augen.
Im letzten Absatz verteidigt Johannes Willms Talleyrands generelle
Entscheidung für sein politisches Engagement zwischen 1789 und
1815, einer Epoche, die kaum als Sternstunde der Menschlichkeit
durchgehen kann. Statt für Exil und Passivität
entschied er sich für das Gestalten, hatte dabei sein eigenes
Wohl stets im Auge, aber "keineswegs nur deshalb, weil er
sich die beste Gewähr für seine eigenen Interessen
versprechen konnte, sondern auch aus einer genau umrissenen Vorstellung
von Frankreich
und dessen Zukunft heraus. Das eine wie das andere waren in seinem
Kalkül immer eng miteinander verschränkt."
Dieses Buch war dringend nötig, denn es gibt derzeit keine
aktuelle deutschsprachige Talleyrand-Biografie. Insbesondere Willms'
vorangehenden Studien der beiden Napoleone prädestinierten ihn
wie keinen Zweiten dieses Werk zu schreiben. Man muss dem Buch am Ende
auch attestieren, dass es sich trotz der Stofffülle und des
relativ begrenzten Platzes von kaum 300 Textseiten sehr
verständlich und stets spannend präsentiert. Im
Vorwort versprach der Autor, keine neue Sprüche- und
Anekdotensammlung zu präsentieren, doch sich dieser ganz zu
enthalten, brachte er dann zum Glück doch nicht übers
Herz. Und so soll diese Rezension mit Talleyrands wohl
berühmtestem Bonmot enden: "Verrat, Sire, ist nur
eine Frage des Datums."
(Klaus Prinz; 08/2011)
Johannes
Willms: "Talleyrand. Virtuose
der Macht. 1754-1838"
C.H. Beck, 2011. 384 Seiten.
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(Griechenland), Juan Antonio Sanchez y García
Saùco (Spanien), António Simões
Rodrigues (Portugal), Ben W. M. Smulders (Niederlande), Dieter Tiemann
(Deutschland), Robert Unwin (Großbritannien), Edgar Wolfrum
(Deutschland), Redaktion M. Jan Kieniewicz (Polen). (Klett-Cotta)
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