Jordi Puntí: "Die irren Fahrten des Gabriel Delacruz"
Es ist ein wahrhaft "irres" Buch,
das der 1967 geborene Katalane Jordi Puntí geschrieben hat: Die komplexe
Geschichte eines Mannes, der als Waisenkind auf einem Markt ausgesetzt wurde,
und dann zusammen mit einem anderen Kind, das sein Leben lang sein Freund
bleiben sollte, in einem katholischen Waisenhaus aufwächst. Er erhält den Namen
Gabriel Delacruz und wird mit seinem Freund in einer Spedition zu arbeiten
beginnen, die in späteren Jahren, (wir befinden uns in den 1960er- und
1970er-Jahren), im Auftrag der Regierung Diplomatenumzüge nach England,
Deutschland und Frankreich durchführen wird.
Während dieser Übersiedlungen zeugt Gabriel mit vier verschiedenen Frauen in
vier Ländern - es kommt noch sein Heimatland Spanien dazu - vier Söhne. Alle
erhalten von ihm den gleichen Namen: Cristòfol, Christopher, Christof und
Christophe.
Eines Tages wird Gabriel als vermisst gemeldet. Welche dramatische und bewegte
Lebensgeschichte sich bis zu diesem Drama ereignet, erfährt der gebannte Leser
auf fast 600 Seiten Stück für Stück. Und zwar von den vier Söhnen Gabriels. Sie
begegnen sich, nachdem Cristofol von der Vermisstenanzeige erfährt und in
Gabriels Zimmer Hinweise auf seine drei Brüder findet.
Ab diesem Zeitpunkt treffen sie in regelmäßigen Abständen zusammen, oft in den
Städten ihrer Geburt, um sich auf die Suche nach der gemeinsamen Vergangenheit
zu machen. Gabriels Söhne waren nur wenige Jahre alt, als sie ihren Vater
jeweils das letzte Mal sahen, aber sie haben viele Erinnerungen, die sie
auszutauschen beginnen und die sich erstaunlich ähneln.
Jordi Puntí lässt sie mit einer erfrischenden Sprache nicht nur das Leben ihres
Vaters rekonstruieren, sondern auch eine Geschichte des sich verändernden
Spaniens und Europas.
Jeder der vier Söhne trägt zu der Geschichte bei. Im Wechsel erzählen sie dem
Leser und einander, was ihnen jeweils von ihren Müttern berichtet wurde.
Gemeinsam machen sie sich während ihrer Wochenend- und Urlaubstreffen immer
wieder auf, um bei Gabriels Kollegen und Bekannten nachzuforschen.
Die vier Söhne haben nicht nur viel Spaß bei der gemeinsamen Spurensuche nach
der eigenen und der Identität des Vaters, sondern sie werden auch wie von einem
Sog in eine Geschichte hineingezogen, die zunächst mysteriös aussieht, sich aber
im Verlauf des Buches und der sich stellenweise überlappenden Erzählungen der
Vier immer mehr auflöst bis zu einem sehr überraschenden Ende.
Jordi Puntí erzählt seine Geschichte spannend, obwohl es, vielleicht aufgrund
der vielen verschiedenen Namen und Orte, der extremen Verwicklungen in der
Lebensgeschichte Gabriels und seiner illustren Freunde, fast unmöglich ist, das
Buch in einem Rutsch auszulesen. Ich habe immer wieder danach gegriffen und mich
für eine Stunde oder zwei in der Welt Gabriels verloren.
Fazit:
Ein wunderbar erzählter Roman, fabulierend und sprühend, locker und leicht und
doch voller Lebensernst, über einen ebenso charmanten wie liebenswerten
Lebenskünstler, seine Freunde und seine Welt. Und über die Bande gemeinsamen
Ursprungs, der die vier Brüder zusammenführt und auf eine gleichermaßen große
wie überraschende Entdeckungsreise führt.
(Winfried Stanzick; 07/2013)
Jordi Puntí: "Die irren Fahrten des
Gabriel Delacruz"
(Originaltitel "Maletes Perdudes")
Aus dem Katalanischen von Michael Ebmeyer.
Kiepenheuer & Witsch, 2013. 608 Seiten.
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Jordi Puntí,
geboren 1967 in Manlleu, Barcelona, veröffentlichte 1998 seinen ersten
Erzählband. 2007 erschien bei "KiWi" "Erhöhte Temperatur". Er schreibt für "El País" und übersetzt unter Anderem Daniel Pennac, Amélie Nothomb und
Paul
Auster ins Katalanische. Puntí ist eine der interessantesten Stimmen der
katalanischen Literatur und erhielt für diesen Roman zahlreiche Preise. Er
lebt mit seiner Frau, der Autorin Stefanie Kremser, in Barcelona.
Ein weiteres Buch des Autors:
"Erhöhte Temperatur"
Sechs Erzählungen Jordi Puntís, in denen sich die Protagonisten in
Liebesangelegenheiten genauso idiotisch und unreif benehmen wie die meisten
von uns. Ein Buch über Lust und Frust und große Gefühle. Der Leser lernt ganz
unterschiedliche Personen kennen, die eins gemeinsam haben: Sie sind
frustriert und enttäuscht von dem, was einmal die große Liebe sein oder werden
sollte.
Es geht in allen Geschichten um Beziehungen, und was vertraut klingen mag, ist
bei Puntí neu und wie ein schwelender Vulkan: Mit einer Ironie und einer
großen Sympathie für die Schwächen seiner Protagonisten lässt Puntí seine
Figuren agieren und erzählt so in einer wunderbaren Sprache, was passieren
kann, wenn die Liebe zu Ende geht. Es ist wie im Bekanntenkreis: Man fiebert
mit, möchte gute Ratschläge geben und weiß doch, dass jeder seine Fehler
selbst machen muss. (Kiepenheuer & Witsch)
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Weitere Lektüretipps:
Stefanie Kremser: "Die toten Gassen von Barcelona"
Anna Silber reist nach Barcelona in die Geburtsstadt ihrer Mutter, um dort einen
alternativen Reiseführer zu schreiben. Doch schon bei ihrer Ankunft liegt ein
toter Mann auf der Straße, und ein kleiner Junge drückt ihr ein Bleistückchen in
die Hand, das vielleicht dem Toten - oder dem Mörder? - gehörte. Der Tote ist
nicht das einzige Opfer - ein Serientäter scheint umzugehen, doch wo ist das
Muster, wo das Motiv? Durch einen Zufall kommt Anna dem Täter auf die Schliche -
und gerät dabei selbst in große Gefahr.
Stefanie Kremser, die in Barcelona lebt, hat einen Roman geschrieben, der
warmherzig und spannend zugleich von Mord und Verbrechen, aber auch von
Freundschaft, Loyalität und Liebe erzählt. Ein spannender Krimi, der den Leser
über die Plätze und durch die Gassen Barcelonas führt und zugleich einen Blick
hinter die Kulissen dieser faszinierenden Mittelmeermetropole wirft. (Kiepenheuer
& Witsch)
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Jorge Molist: "Am Horizont die Freiheit"
Llafranc, 1484: Bei einem Piratenangriff verliert der zwölfjährige Joan fast die
ganze Familie. Dem Jungen gelingt die Flucht nach Barcelona. Im Schatten der
prächtigen Kirchen und Paläste findet er Anstellung als Schreiber in einer
Buchhandlung. Hier trifft er seine große Liebe Anna, Tochter eines jüdischen
Goldschmieds. Als die Inquisition in der Stadt wütet, muss Anna nach Italien
fliehen. Die Inhaber der Buchhandlung werden gefangengenommen und als Ketzer
verbrannt. Joan entgeht zwar dem Tod, doch gerät er in Ketten an Bord einer
Galeere. Zwischen Sizilien, Neapel, Rom und Genua kämpft er um seine Freiheit -
und darum, seine Familie und seine große Liebe wiederzufinden.
Jorge Molist wurde 1951 in Barcelona geboren. Er ist ein brillanter Kenner der
Geschichte, was ihn zum Schreiben historischer Romane brachte. Unter Anderem
wurde er 2004 für den renommierten "Premio de Novela Histórica Alfonso el Sabio" nominiert. (Scherz)
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Manuel Vázquez Montalbán: "Carvalho und die Meere des
Südens: Ein Kriminalroman aus Barcelona"
In diesem Fall spürt Pepe Carvalho einem solventen Toten nach, der sich
zu sehr von Gauguins Südseeparadies hat verführen lassen - und an die
romantische Liebe über die Klassengrenzen hinweg glaubte.
Während ganz Barcelona denkt, der Unternehmer Stuart Pedrell genieße eine
Auszeit auf irgendeiner Südseeinsel, ziehen ihn die Liebe und das schlechte
Gewissen in jene triste Arbeitervorstadt, die er einst selbst mit aufgebaut
hat. Genau dort wird er erstochen aufgefunden.
Von der Witwe des Opfers engagiert, bringt Carvalho schnell allerlei
Machenschaften ans Tageslicht. Und nachdem Carvalho Kartoffeleintopf mit
Chorizo gekostet hat, vernascht er Yes, die verstoßene Tochter des Toten - um
sie dann bei Abalonen, Riesenkrabben und Kalbfleisch in Austernsauce
abzuservieren.
Als die Umstände des Todes von Stuart Pedrell endlich auf dem Tisch liegen,
ist es seine Witwe, die beschließt, sich in der Südsee zu erholen. (Wagenbach)
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Sergi Doria: "Das Barcelona von Carlos Ruiz Zafón. Spaziergänge durch
eine erzählte Stadt"
Eine wunderbare Reise durch das magische Barcelona des Carlos Ruiz Zafón.
Zwischen Carlos Ruiz Zafón und der "alten, trüben, dunklen Seele" seiner
Heimatstadt Barcelona besteht eine ganz besondere Verbindung. Als Kind spielte
er in Gaudís verwunschener Kathedrale Sagrada Familia, im Villenviertel Sarriá
besuchte er eine prachtvolle Jesuitenschule, und in den Ferien übernahm der
junge Zafón Botengänge für seinen Vater, die ihn durch die ganze Stadt führten. "Der Schatten des Windes", "Das Spiel des Engels", "Der Gefangene des Himmels"
und "Marina" leben von den Geheimnissen, den Leidenschaften und der Magie, die
Carlos Ruiz Zafón seiner Heimat abgelauscht hat.
Sergi Dorias Buch begibt sich an die Schauplätze der Romane und erkundet ihre
realen Vorbilder und verborgenen Bezüge.
Sergi Doria, 1960 in Barcelona geboren, ist Autor und Literaturkritiker für die
Zeitung "ABC". Er unterrichtet an der Internationalen Universität Katalonien,
der Universität Barcelona sowie der Ramon Llull Universität. (S. Fischer)
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André Pieyre de Mandiargues: "Der Rand"
Erotische Odyssee durch das nächtliche Barcelona.
Als Vertretung für seinen kranken Vetter tritt Sigismond eine Geschäftsreise
nach Barcelona an. Als ihn, dort angekommen, ein Brief mit einer schrecklichen
Nachricht von seiner Familie erreicht, verliert er den Halt und gerät in den
Strudel der Stadt und ihrer Zerstreuungen. Er gibt sich dem nächtlichen
Barcelona hin, taumelt von erotischen Verlockungen zu leuchtenden und blinkenden
Vergnügungen und kann der Realität und seinen Gespenstern doch nicht entkommen.
André Pieyre de Mandiargues, der elegante Stilist und preisgekrönte Autor von
barock wuchernder Sprachkraft, hat mit diesem großen Roman ("Prix Goncourt"
1967) ein Werk von traumwandlerischer Schönheit, ein atemberaubendes mysteriöses
Meisterwerk geschaffen. Jahrzehnte später kann es nun erstmals auf Deutsch
gelesen werden, in einer präzisen Übersetzung von Rainer G. Schmidt.
André Pieyre de Mandiargues (1909-1991), stark von den deutschen Romantikern und
französischen Surrealisten beeinflusst, hielt sich stets von literarischen
Cliquen und Moden fern. Zu seinem mit fast allen bedeutenden französischen
Literaturpreisen ausgezeichneten Werk gehören Lyrikbände ebenso wie Essays,
Novellen, Romane, Theaterstücke und Kunstkritiken. (Matthes & Seitz)
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Daniel Pennac: "Der Körper meines Lebens"
Die Geschichte eines Körpers - erzählt von seinem Inhaber
Ein Leben wird erzählt, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Nur die Perspektive ist eine besondere: Der Körper selbst mit seinen Reaktionen und Veränderungen ist hier Stichwortgeber für die Geschichte eines langen, bewegten und erfüllten Lebens. Ein Roman in Tagebuchform.
"Ich will nie wieder Angst haben." Dies ist der feste Vorsatz des Erzählers in Daniel Pennacs Roman, der in Frankreich sofort bei Erscheinen die Verkaufsbestenliste stürmte und sich dort für Monate festsetzte.
Nach einer traumatischen Erfahrung beschließt der 1923 geborene Erzähler als Zwölfjähriger zweierlei, um sein Ziel zu erreichen: erstens will er seinen Körper stählen und zweitens über alles, was mit diesem Körper zu tun hat, genau Buch führen. Sein ganzes weiteres Leben hindurch - bis kurz vor seinem Tod im Alter von 87 Jahren - schreibt er nun Tagebuch, immer im Dialog mit dem eigenen Körper. Aber auch die Körper der Anderen bleiben nicht unbeobachtet.
Selten hat man eine schönere Liebeserklärung gelesen als die des Erzählers an die Frau, die jahrzehntelang an seiner Seite stand. Ob in Momenten von fast Proust'scher Melancholie, großer Zärtlichkeit oder grotesker Skurrilität, immer ist der Leser ganz dicht dran am Körper dieses Jungen, der zum Mann wird, zum Vater, zum Großvater, der Angst hat, der mutig ist, sich verliebt, aber auch Kummer hat und von Krankheiten heimgesucht wird.
Daniel Pennac zieht einmal mehr alle Register seiner erzählerischen Kunst. Und es gelingt ihm ein mitreißendes, witziges, anrührendes und ehrliches Buch: der Roman eines Lebens und einer Epoche.
Daniel Pennac, geboren 1944, lebt in Paris. Über zwei Jahrzehnte arbeitete er als Lehrer, bevor er sich 1995 endgültig nur noch dem Schreiben zuwandte. Neben zahlreichen Romanen, wie den erfolgreichen Mallaussène-Krimis, hat er Kinder- und Jugendbücher und einen Band mit eigenen Zeichnungen veröffentlicht. Bekannt wurde Pennac vor allem durch die literarische Streitschrift für die Rechte des Lesers "Wie ein Roman". Für "Schulkummer" erhielt er anno 2007 den "Prix Renaudot". (Kiepenheuer & Witsch)
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