Hans Höller: "Eine ungewöhnliche Klassik nach 1945"
Das Werk Peter Handkes
"Das Wort sei gewagt: Ich bin, mich bemühend um die Formen für meine
Wahrheit, auf Schönheit aus - auf die erschütternde Schönheit, auf Erschütterung durch Schönheit; ja, auf
Klassisches, Universales, das, nach der Praxis-Lehre der großen Maler, erst in der steten Natur-Betrachtung und -Versenkung Form
gewinnt."
Peter Handke anlässlich der Verleihung des Kafka-Preises 1979.
In diesen Worten hat Peter Handke erstmals, kurz nach der schweren Schreibkrise
der späten siebziger Jahre, seinen neugewonnenen reiferen Anspruch, welcher sein
sogenanntes Spätwerk bis heute bestimmt, formuliert. Den vielen Verbindungen,
die in Handkes Werk mit der Klassik und dem Klassischen zu finden sind, geht
Hans Höller, emeritierter Professor für Germanistik an der Universität Salzburg,
in dem vorliegenden Buch nach, und er tut dies auf sehr germanistische Art und
Weise: schon die Namen von Unterkapiteln wie "Bruchstücke einer
ökonomisch-philosophischen Farbenlehre", "Die Wiederherstellung des verletzten
Rechts des Erzähler-Ich" oder "Über Klassiker: Äpfel, Weberknechte, Feldhasen,
Spatzen, der Menschenfrosch, der Mann aus Oberösterreich, der Schneemensch und
der Postautobus" mögen einen Eindruck davon vermitteln, dass die Texte eng an
Vorlesungen orientiert sind.
Dem Autor geht es dabei nicht um eine Diskussion des Klassikbegriffs, sondern in
erster Linie um das Prosawerk Peter Handkes. Manches daran, wo Hans Höller
klassische Elemente ortet, ist so eingängig wie das Streben nach Schönheit oder
die Vorstellung der Vereinigung von Poetik und Politik, doch finden sich da auch
ungewöhnliche Ansätze wie "Das Klassische als Zeichen der Gefahr". Als Handkes
großes Novum im speziellen in Bezug auf die Weimarer Klassiker sieht der Autor
den weiten Raum, den bei Handke soziale Fragen einnehmen, seinen Sinn für nicht
entfremdete Arbeit und die Menschenwürde gerade auch der kleinen Leute am
unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie.
Das im Buchtitel aufscheinende Jahr 1945 steht natürlich für das Kriegsende und für eine Generation, die Weltkrieg,
NS-Regime, die ganze Gewalt dieser Zeit miterleben musste,
Handke selbst übrigens als gerade Zweijähriger den Bombenkrieg in Berlin.
1945 steht auch für die Stunde Null, davon ausgehend die Notwendigkeit
der radikalen Selbstanalyse, Verwandlung, Neubesinnung und -Bestimmung. Hans
Höller weist unter anderem auf eine starke Entsprechung Handkes mit Ilse
Aichinger und ihre Aufforderung, "was gegen uns gerichtet scheint, zu wenden",
hin.
Die Aufarbeitung der, immer auch eigenen und häufig in Form eines Erzähler-Ich zur Ausführung gelangenden,
Gewalttätigkeit in all ihren Spielarten war für Peter Handke immer von großer Wichtigkeit. Als Extrembeispiel
hierfür untersucht Hans Höller die Hauptfigur in "Der Chinese des Schmerzes", welche in einem Amoklauf einen
Hakenkreuz-Sprayer
ermordet und damit einen inneren Prozess in Gang setzt, im Zuge dessen es zu
einer Art Verschmelzung von Täter und Opfer kommt.
"Eine ungewöhnliche Klassik nach 1945. Das Werk Peter Handkes" bietet dem Leser eine große Fülle an
Fachinformationen, kleinen und größeren literaturwissenschaftlichen Funden. Es handelt von der Verwandtschaft des
Indianerbilds von Stifter mit dem Motiv der Vertriebenen bei
Handke, der Beschäftigung Handkes mit Walter Benjamin und dessen
"Schwellenkunde", mit Goethe
und der versuchten Übertragung von dessen "Farbenlehre", der Verwandtschaft der
Handkeschen Hühnerleiter oder Jakobsleiter, wie sie in "Immer noch Sturm"
genannt wird, zu Wittgensteins Hoffnung, die Worte "am Ende als unsinnig zu
erkennen, wenn er durch sie - auf ihnen - über sie hinausgestiegen ist".
Dies alles und vieles mehr kommt in geziemlicher Ausführlichkeit zur Sprache. Und weil zum Klassischen auch die Kritik
gehört, sei angemerkt, dass rund um das Thema "Bekanntes unbekannt machen" ein paar hübsche Sätze zur
"Bedeutung und Funktion der Fragezeichen im Werk von Peter Handke" gut aufgehoben gewesen wären.
(Esquilin; 05/2014)
Hans Höller: "Eine ungewöhnliche Klassik nach
1945. Das Werk Peter Handkes"
Suhrkamp, 2013. 195 Seiten.
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Hans Höller, Dr. phil., ist Professor für Germanistik an der Universität Salzburg,
Verfasser zahlreicher Bücher zur zeitgenössischen Literatur, Mitherausgeber der
Thomas-Bernhard-Werkausgabe und der
Jean-Améry-Ausgabe.
Weitere Buchtipps:
Klaus Kastberger, Katharina Pektor (Hrsg.): "Die Arbeit des Zuschauers.
Peter Handke und das Theater"
Zu Handkes 70. Geburtstag am 6. Dezember 2012: Der Katalog zu einer
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Mit Originalbeiträgen u.A. von Hans Magnus
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Joseph Vogl und
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