Terry Pratchett: "Toller Dampf voraus"
Ein Scheibenwelt-Roman
Feucht von Lipwig ist immer noch
schwer beschäftigt mit der Post, der Bank und der Münzprägeanstalt, während
seine geliebte Frau sich weiter um die Clacks-Türme kümmert. Da taucht bei Sir
Harry King ein junger Mann auf, der eine neue Geschäftsidee mitbringt. Eine
Maschine, die mit Dampf angetrieben wird und so auf einem Schienenstrang durch
die Gegend fahren kann. Während Harry sich Herrn Thunderbolt, einen diamantenen
Troll als den einzigen wirklich ehrlichen Anwalt zu weiteren Gesprächen dazu
holt, schickt der Patrizier Feucht von Lipwig zu den Gesprächen, um zu
überprüfen, ob diese Erfindung etwas ist, von dem die Stadt profitieren könnte,
oder aber etwas, das man besser verhindert.
Schnell stellt sich heraus, dass Lord Vetinari ein überaus eigenes Interesse an
dieser Maschine und der damit möglichen Art zu reisen hat.
Und so beginnt in Ankh-Morpork das Dampfzeitalter mit all den Dingen, die dazu
gehören: Eisenbahnbaronen, absurden Ideen über die gesundheitlichen Auswirkungen
des Reisens mit mehr als 30 km/h, Bahnhöfen, Bahnhofsgasthöfen und
Bahnhofsraststätten, Wasserstationen und Kohlebunker, Lokomotivführern und viel
heißem Dampf.
Eine aufregende neue Zeit, die auch die Wahrnehmung der Scheibenwelt in den
Augen ihrer Bewohner stark verändern wird.
Die Grags in den tiefen Höhlen von Überwald, in den Katakomben und der
Kanalisation unter Ankh-Morpork sind allerdings jeder Veränderung gegenüber
abgeneigt. Ardent, nach den Misserfolg bei der letzten Krönung des Niederen
Königs und dem "Verrat von Koom Valley", sträubt sich immer noch dagegen, die
neue Art des Lebens anzunehmen, und er findet durchaus eine Menge andere Zwerge,
welche die neuen unzwergischen Wege für verachtenswert oder auch gefährlich
halten.
Gemeinsam beginnen sie, gegen den Niederen König zu integrieren, während sie
gleichzeitig ständig Angriffe auf die Clacks-Türme durchführen, was Moists Frau
absolut auf die Palme bringt - besonders, weil sich gerade auf den Türmen die
Gobline nach den Ereignissen um die Unsichtbaren Akademiker sehr wohl fühlen und
sie immer einen Platz für die Unterdrückten und Benachteiligten bereithalten
will.
So kommt der Fortschritt, und es gibt eine Menge Leute, die ihn aufhalten
wollen.
Terry Pratchett hat des Öfteren behauptet, dass er eigentlich gar nicht so
direkt Satire schreiben möchte, aber auch dieses Buch ist wieder in vielerlei
Hinsicht eine Offenbarung. Die Geschichte der Eisenbahn und wie sie das Leben
und die Wahrnehmung der Menschen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert
verändert hat, ist darin wunderbar auf Scheibenweltart nachgezeichnet und jedem
Eisenbahngeschichtsfreund zu empfehlen.
Aber auch die Geschichte um die Zwerge und ihre Wege in den Terrorismus und die
Reaktionen der anderen Zwerge hat mehr als eine Analogie in der realen Welt, und
viel von dem Denken, das hinter
Fanatismus
steckt, wird während der Lektüre deutlich - genau wie Wege, gegen dieses Denken
anzuargumentieren.
Die Lösungen auf der Scheibenwelt sind natürlich einfacher, als bei uns auf der
Rundwelt, aber dort gibt es ja auch zur Not immer noch Narrativum und Magie. Auf
jeden Fall - auch für "Anfänger" - ein empfehlenswerter Roman von Terry
Pratchett!
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2014)
Terry Pratchett: "Toller Dampf voraus.
Ein Scheibenwelt-Roman"
(Originaltitel "Raising Steam")
Übersetzt von Gerald Jung.
Manhattan, 2014. ca. 432 Seiten.
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