Péter Esterházy: "Die Mantel-und-Degen-Version"
Péter
Esterházys Mantel-und-Degen-Version versetzt den
Leser in das Ungarn
des späteren Siebzehnten Jahrhunderts kurz vor der
Rückeroberung Budas (1686) und somit in eine klassische
Übergangszeit, da der Großteil des Landes noch von
den allerdings schon im Zurückweichen begriffenen Osmanen
besetzt war, der Kaiser in Wien vorsichtig (nicht zuletzt intrigant) Herrschaft und
Einfluss zurückzugewinnen trachtete, die ungarische Oberschicht sich politisch in
gegensätzlicher Meinung darüber, wie es mit dem Land
weitergehen solle, wofür hier nur die Worte
"Labanzen" und "Kurutzen" stehen mögen, befand. Mit dieser
historischen Ost-West-Spannung Ungarns nicht genug, bringt Esterházy zusätzlich einen
möglich scheinenden dritten Weg ins Spiel, indem er einen mit seinem kaiserlichen
Wiener Cousin in Zwist befindlichen, mächtigen
niederländischen
Habsburger
einführt, der sich in mitteleuropäische
Angelegenheiten einmischend auf dem Weg nach Pressburg (Bratislava,
Poszony)
ins sogenannte Königliche (nicht besetzte) Ungarn befindet und
gegen Ende des Romans tatsächlich dort eintreffen wird.
Der Mantel-und-Degen-Titel wurde nicht nur der blutigen, bewegten Zeiten
wegen gewählt, sondern auch, weil der
Schriftsteller das Thema auf ziemlich fetzige Weise behandelt.
Er schreibt einige Schlüsselszenen, die für Film, Bühne und
Abenteuerroman gleichermaßen
taugen, entwirft dazu passende eindrucksvolle Bilder und ein
attraktives Personal: neben historischen Figuren wie Kaiser
Leopold, Imre Thököly, den Familien
Pázmándi und Zrinyi tummeln sich, bekämpfen, lieben, täuschen
und verraten einander in dem Roman Kammerdiener und Köche, Waffenhändler
und Soldaten, Spione und Doppelspione, Gräfinnen und Grafen, wobei das Privatleben der
Personen, ihre Leidenschaften, persönlichen Dramen und dunklen Familiengeheimnisse, den
Geschichtsbezug überwiegt. Selbst der Herrgott bekommt ein paar kurze Auftritte, denn "in einem barocken Text
spricht Gottes Gegenwart stärker. Das ist selbst dann so, wenn
es Schwachsinn ist." - als Stimme im Ohr, als das Gegenstück zum
Bond-Bösewicht mit Katze, als Feri, als Projektionsfläche für alles
mögliche, nicht zuletzt ein überhöhtes
Vaterbild (nicht zuletzt vermutlich Péters). Einen Grafen Pál
Nyáry mit Stammschloss am Ipoly könnte man als Hauptfigur des Romans bezeichnen, während Esterházy die
eigene Familie nicht namentlich erwähnt. Es ist jedoch kein Geheimnis,
dass sich seine Vorfahren engagiert an kaiserlicher Seite an den damaligen Kämpfen beteiligt und
dabei zum Teil ihr Leben gelassen haben.
Esterházy ist mit
Sicherheit ein hervorragender Kenner der ungarischen
Geschichte, eine erzählerische Wiedergabe
historischer Ereignisse interessiert ihn jedoch nicht, eher schon das
damalige Lebensgefühl der Ungarn, Herren wie
Beherrschter, denen in diesen Zeiten des allmählichen
Machtwechsels, von Umwälzung,
Drangsal und Todesgefahr nichts übrig blieb, als sich als "Fürsten des
Augenblicks" zu erweisen, die intensiv zu leben verstanden und zwischen zwei
Schlachten womöglich Wert auf delikateste Kochkunst legten, zugleich aber
ziemlich verbohrte, kleingeistige, ihren Lastern verfallene Menschen ("Vaterland der Selbstsucht,
Ränkesucht, Unbildung und Engstirnigkeit", heißt es einmal, aber auch: "Ungar ist für mich,
wer Ungarisch ungarisch spricht.") sein konnten. In erster Linie reizen den
Schriftsteller die Verbindungen des Damals mit der Gegenwart ("unserem
postmodernen Dingsbums"), nicht nur die augenscheinlichen
Ähnlichkeiten, der Übergang und die
mit den verschiedensten Richtungen kokettierende Zukunft, vielmehr geht
er den vielen Assoziationen, die sich ihm bei der
Beschäftigung mit dem Thema einstellen, in ungenierter
Offenheit und in einem Ausmaß
nach, dass man sagen möchte, dass Buch spiele
weniger in Ungarn als im Kopf des Schriftstellers, wenn sich darin auch
sehr viel, allerdings nicht nur, Ungarn befindet. Zur Einbettung dieser
Assoziationen in eine sinnvolle erzählerische Struktur dienen
Esterházy neben dem Haupttext zahlreiche, diesem an Länge
ebenbürtige Fußnoten (während zum Beispiel gleichberechtigte
Variationen einer Szene dem Haupttext vorbehalten bleiben). Die
Fußnoten können vieles sein: scherzhaftes
Aufdecken eines Anachronismus (wenn sich der Schriftsteller
selbst, nachdem gerade Fotografien von einer Kommode gefegt wurden, zu
mehr Disziplin aufruft) oder als Schaffung eines solchen
oder als szenische Verdeutlichung oder als
Vorstellung eines Rätsels oder als Hilfe oder falsche
Fährte zu dessen Lösung (gebildete Rätselfreunde werden
besonderen Gewinn aus dem Buch ziehen) oder als persönlicher,
häufig selbstironischer Kommentar oder als
literarische Anspielung "oder
wir sagen, ich pfeife auf die weltliche, sich von selbst
verstehende Wahrheit und Pflicht, dass es, wie es kein Ferkel ohne Sau,
keinen Schmetterling ohne Raupe, so auch keine Fußnote ohne
möglichen Haupttext gibt".
Wenig verwunderlich
zeigt Esterházy eine besondere Vorliebe
für literarische Anspielungen. So kann es lakonisch
wie geheimnisvoll "nach einer fremden Idee" heißen, oder er merkt an, dass er sich
das Wort "naturgemäß"
bei Thomas
Bernhard ausgeborgt hat, dann wieder mengt er bekannte Liedstrofen des Siebzehnten Jahrhunderts
(und man errät es vielleicht schon: andere Jahrhunderte werden
ebensowenig verschmäht) gefiltert und ungefiltert in seinen
Text, fordert den Leser auf weiterzudichten und vieles mehr. Christoph
Ransmayr (eine zufällige Namensgleichheit, wie es -
möglicherweise aus juristischen Gründen -
heißt) bekommt sogar eine Rolle in dem Roman als ernster, schweigsamer Knabe, genialer Sohn
eines Kutschenbauers und -reparateurs, dem es gelingt, eine sogenannte Schweigekutsche (nichts Persönliches dringt nach
außen?) mit einer speziellen Methode, die auf die Sprachkunst des Welsers Bezug
nimmt und nebenbei eines seiner Lieblingszeitwörter ("schweben" ist es nicht) enthüllt, wieder in
Ordnung zu bringen.
Der Roman besteht fast
nur aus solchen Stellen, wo der Subtext offenbar das Schwarz auf
Weiß Geschriebene überwiegt, die Fußnoten
bieten zwar oft eine gewisse Hilfe (so gut wie nie eine reine
Erklärung), locken aber gleichzeitig weiter auf unbekanntes
Terrain. Der große Reiz dieses unbekannten Terrains scheint
überhaupt der Angelpunkt von Esterházys Roman zu
sein, und ernst gemeint, wenn er in seinem Vorspiel Askildsen zitierend behauptet, er habe
sich bemüht, keinen Satz zu schreiben, an
den er bereits zuvor gedacht hat, und dass beim
Schreiben einzig die magische, unermessliche Zeit des Schreibens zähle. Die
unterschiedliche Qualität seiner in Form der vielen Anspielungen, Kommentare, Humoresken etc ausgeführten
Assoziationen mag als Beleg dafür gelten,
denn nicht alles ist gleichermaßen geistreich und interessant (aber keine Sorge: "unter ein gewisses Niveau zu
sinken, geziemt sich auch in den Fußnoten nicht"), nicht jede kleine
Frivolität nach jedermanns Geschmack, und ein derart auf Witzigkeit
erpichter Mann wandelt naturgemäß manchmal nahe an der Grenze zum Scherzkübel. In Summe ist
"Die-Mantel-und-Degen-Version" jedoch der originelle ästhetische Wurf eines eine ihm
gemäße Form gefunden habenden sehr gebildeten, freigeistigen (und witzigen!) Schriftstellers.
(fritz; 04/2015)
Péter
Esterházy: "Die Mantel-und-Degen-Version"
Übersetzt von Heike Flemming.
Hanser Berlin, 2015. 240 Seiten.
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