Doris Knecht: "Wald"
Eine tüchtige Frau
Sie hatte Kraft. Sie war tüchtig. Sie war klug. Das Mantra von Marian, während
sie ein Gemüsebeet anlegte. Sie war tüchtig und gerissen in der Stadt, genug für
ein Bobo-Wohlstandsleben, und sie war jetzt auch tüchtig und schlau am Land,
für den täglichen Existenzkampf. Dazwischen lagen Fehler, eigene und die der
Gesellschaft, die Wirtschaftskrise und ihr gnadenloser Absturz ins ökonomische
Nichts.
"Wald" lautet der lakonische Titel des Romans von Doris Knecht, die in den
letzten Jahren bereits mit den Romanen "Gruber geht" und "Besser" für
Aufmerksamkeit in der Literaturwelt sorgte und die den österreichischen
Zeitungslesern als gewitzte Kolumnistin vertraut ist. Mit den sanften Worten
"Das Geräusch ist winzig. Ein Kicken nur" beginnt das Buch "Wald". Ein
Begriff, der sowohl Programm und Symbolik ist, als auch konkrete Szenerie,
Handlungsspielraum für eine Romanfigur. Hier ist es eine, die im früheren Leben,
in der Großstadt, eine glückliche Modedesignerin war, die ihren
betulichen Namen Marianne in ein schickes Marian änderte, und die, wie man so
sagt, alles hatte. Wohnung, Atelier, Auto, Gschäft, diesen und jenen
Therapeuten, Yogalehrer, Finanzberater usw. Eben alles. Bis der große
Zusammenbruch kam und sie alles verlor, außer den Schulden. Letztendlich
beschließt sie, aus dem System, wie sie es nennt, auszusteigen und landet in
einem geerbten alten Häuschen irgendwo am Land. Mit nichts. Das Leben wird zu
einem Überleben.
Eine gefallene Modedesignerin. Die wache, autonome, intelligente, gut
organisierte, selbstständige, kreative Aufsteigerfrau, die sie auch im Unglück
bleibt und die erfrischend gnadenlos ihre Lebensmuster seziert. Einen
Liebeswahn, wie ein Unglück zum nächsten führte, in der Form des Zufalls und
roter Stöckelschuhe, neue Abhängigkeiten. Schicht für Schicht wird das alte
Selbst auseinandergenommen. Dabei gelingt der Autorin eine unsentimentale
lapidare Auslotung von Lebensmöglichkeiten, ohne zu werten. Das Leben in der
Stadt und in Wohlstand, war das schlecht? Mitnichten. Es war in erster Linie
sehr bequem, ja angenehm. Aber die Fehler, privat und beruflich, unbegreiflich,
zumindest im Nachhinein. Und das Leben in und mit der Natur? Besser? Vielleicht
ehrlicher, näher am Existenziellen, keine Frage, aber auch nicht ohne
Fremdbestimmung. Doris Knecht pflegt eine fast sinnliche Einstellung zum Leben,
die nicht auf- und nicht abrechnet, nicht jammert, aber auch nicht
zukunftsoptimistisch ist. Das Leben ist das Leben. Wie ein Wald. Und mittendrin
die Erkenntnis: "Man glaubt gar nicht, was man alles selber kann, das man
vorher nicht konnte."
In intensiver Sprache, die zwischen Witz und Horror pendelt, und einprägsamen
Bildern wird die jetzige und einzige Welt der Protagonistin ausgebreitet und
sorgt für eine fesselnde Lektüre.
Das Stadtleben, das immer wieder im Rückblick auftaucht, bleibt dagegen oft
schemenhaft und lässt diese dringliche Intensität vermissen, die ihr Landleben
ausmacht. Das Leben in einem alten Haus, das Knacken und Ächzen, die Kälte und
die Mäuse, das Beschaffen von Essen ... Angeln, Wildern, Stehlen, schließlich
das Töten und Ausnehmen der Tiere, das alles wird so eindringlich erzählt, wie
es für die Protagonistin fühlbar gewesen sein muss.
Aber es bleiben Lücken im Selbst-Tätig-Sein. Die Stromrechnung, die die
Schwester bezahlt, Holz und ein paar Lebensmittel oder sonstwie Nötiges, das der
Gutsbesitzer, dessen Geliebte sie zufällig geworden ist, mitbringt. Also, es ist
kein Aussteigerroman, sondern eine Geschichte über das konkrete Leben und seine
Möglichkeiten, das einfach einem Wald gleicht. Dunkel, verwachsen, verwirrend,
gefährlich, aber auch geheimnisvoll und vielversprechend. Und so, wie das Leben
spannend ist, so ist seine Geschichte auch zu lesen.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 03/2015)
Doris Knecht: "Wald"
Rowohlt Berlin, 2015. 272 Seiten.
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Doris Knecht, geboren in
Vorarlberg, ist Kolumnistin ("Kurier", "Falter") und Schriftstellerin. Ihr
erster Roman "Gruber geht" (2011) war für den "Deutschen Buchpreis" nominiert,
er wurde verfilmt. Für ihren vielgelobten Nachfolger "Besser" (2013) erhielt
Doris Knecht den "Buchpreis der Stiftung Ravensburger Verlag". Sie lebt mit
ihrer Familie in Wien und im Waldviertel.
Weitere Bücher der Autorin:
"Besser"
Antonia Pollak hat ein Leben, von dem viele träumen - ihr Mann Adam trägt sie
und die beiden Kinder auf Händen, man leistet sich, worauf man Lust hat, hat
Freunde mit interessanten Berufen, alles läuft in festen Bahnen. Doch Toni
Pollak hat auch ein paar Geheimnisse, von denen ihr Liebhaber noch das kleinste
ist. Zu ihrer Mutter hat sie jeden Kontakt abgebrochen, und zu bestimmten
anderen Leuten auch. Ein ziemlich
perfektes Leben. Bis die Vergangenheit
anklopft. (rororo)
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"weg" zur Rezension ...
"Gruber geht"
John Gruber: Manager,
Porschefahrer,
Loftbesitzer und zynischer Bescheidwisser,
der seiner Geliebten gern einmal schonungslos klarmacht, was die Realität von
TV-Seifenopern unterscheidet. Doch plötzlich erwischt es Gruber selbst. Lange
hat er sich mit einem lässigen Superhelden verwechselt, da schmerzt es, als ein
Tumor in seinem Bauch entdeckt wird. Gruber säuft, feiert und prügelt sich, er
macht Selbsterfahrung und Chemotherapie. Und landet dabei in den Armen einer
schlauen, schönen Berliner DJane, die in Gruber etwas sieht, was nicht einmal
Gruber selbst in sich sehen kann ... (rororo)
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